BGE 85 II 22 | |||
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5. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. April 1959 i.S. Ember gegen Meier. | |
Regeste |
Art. 33 Abs. 3 OR. |
Massgebend ist der Sinn, den der Schuldner dem Verhalten des Gläubigers nach Treu und Glauben beilegen durfte und tatsächlich beilegte. | |
Sachverhalt | |
A.- Emil Meier kaufte dem Georg Schaffner, geb. 1871, am 22. Dezember 1947 die im Grundbuch Bruggen verzeichneten Parzellen Nr. 1538 und 1539 ab. Er blieb Schaffner Fr. 10'000.-- schuldig, die ab 1. Januar 1948 zu 4% zu verzinsen waren. Um die Schuld sicherzustellen, liess er am 2. Januar 1948 jede Parzelle mit einer Grundpfandverschreibung von Fr. 5000.-- belasten. Die halbjährlich fällig werdenden Zinsen zahlte er gemäss Anweisung des Gläubigers jeweilen an dessen Ehefrau Johanna Schaffner geb. Probst. Schaffner hatte ihm zu diesem Zwecke Einzahlungsscheine zugestellt, die auf das Postcheckkonto der Frau Schaffner lauteten. Von der am 1. Januar 1949 fällig werdenden Rate liess Emil Meier immerhin die Hälfte unmittelbar dem Gläubiger zukommen.
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Am 28. Januar 1950 erlitt Schaffner einen Schlaganfall. Er war von da an pflegebedürftig. Er überwarf sich mit seiner Ehefrau und verliess Ende Oktober 1950 die eheliche Wohnung. Emil Meier, der hievon keine Kenntnis hatte, zahlte am 22. Dezember 1950 zwecks Tilgung seiner Schuld gegenüber Schaffner Fr. 10'000.-- an Frau Schaffner. Diese händigte ihm dafür die beiden über die Grundpfandverschreibungen bestehenden Grundbuchauszüge aus.
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Am 8. Dezember 1952 starb Schaffner, nachdem er am 21. Juni 1951 und 4. Juni 1952 letztwillig seine Ehefrau enterbt und als Willensvollstrecker Maximilian Ember, den Sohn seiner Tochter aus erster Ehe Frieda Ember geb. Schaffner, bezeichnet hatte. Emil Meier ersuchte in der Folge Ember um Bewilligung der Löschung der beiden Grundpfandverschreibungen. Da er am 27. Januar 1955 die Parzellen Nr. 1538 und 1539 an Johannes Meier verkaufte, erneuerte er das Begehren am 28. Januar 1955. Weder Ember noch Frieda Ember geb. Schaffner, die Erbin Schaffners, willigte ein. Frau Ember machte geltend, die Schuld von Fr. 10'000.-- sei durch die Zahlung an Frau Schaffner geb. Probst nicht untergegangen, da diese nicht Vollmacht gehabt habe, das Geld anzunehmen.
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B.- Im Vermittlungsvorstand vom 23. Oktober 1957 erklärte sich Frau Schaffner, nicht aber Frau Ember mit der Löschung der Grundpfandverschreibungen einverstanden. Johannes Meier und Emil Meier klagten daher am 18. November 1957 gegen Frau Ember mit dem Begehren, sie sei zu verpflichten, die Löschung zu bewilligen.
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Das Bezirksgericht St. Gallen wies die Klage ab, das Kantonsgericht von St. Gallen, an das die Kläger appellierten, hiess sie dagegen am 20. November 1958 gut. Es kam zum Schluss, Emil Meier habe nach Treu und Glauben annehmen dürfen, Frau Schaffner sei zur Entgegennahme des Kapitals ermächtigt, weil Schaffner die Zinszahlungen seit Jahren an sie hatte leisten lassen und Frau Schaffner unverzüglich in der Lage war, auf die Zahlung des Kapitals hin die über die Grundpfandverschreibungen bestehenden Beweisurkunden herauszugeben.
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C.- Die Beklagte hat die Berufung erklärt. Sie beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Berufung sei abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Der Beklagten ist darin beizupflichten, dass die Vollmacht, die Zinsen eines Kapitals einzuziehen, nicht ohne weiteres auch die Ermächtigung in sich schliesst, die Zahlung des Kapitals anzunehmen. Je nach Umständen darf aber der Schuldner aus jener Befugnis des Vertreters dennoch schliessen, der Vertretene habe diesem auch erlaubt, das Kapital anzunehmen. Ein besonderer Umstand, den der Schuldner im vorliegenden Falle in guten Treuen als Anzeichen einer dahin gehenden Ermächtigung auslegen durfte, bestand darin, dass Frau Schaffner mit dem Gläubiger verheiratet war. Es kommt häufig vor, dass der Mann die Ehefrau zu Rechtshandlungen ermächtigt, die über die Fürsorge für die laufenden Bedürfnisse des Haushaltes hinausgehen (vgl. Art. 166 ZGB). Insbesondere ist es nichts Ungewöhnliches, dass er ihr gestattet, an seiner Stelle auch erhebliche Geldbeträge anzunehmen, die ihm ein Dritter schuldet. Wer in geordneter Ehe lebt, pflegt eine fällige Zahlung, die ihm angeboten wird, nicht zurückzuweisen mit der Begründung, die Forderung stehe dem anderen Ehegatten zu; er nimmt das Geld im stillschweigenden Einverständnis des Berechtigten an und leitet es an diesen weiter. Wenn Schaffner eine solche Einmischung in seine Geschäfte seitens der Ehefrau nicht dulden wollte, hatte er seinen Schuldner aufzuklären. Hiezu bestand Anlass, weil er Emil Meier unter Zustellung von Einzahlungsscheinen angewiesen hatte, die Zinsen auf das Postcheckkonto der Frau Schaffner zu zahlen. Er musste sich sagen, Meier könnte sich für berechtigt halten, auch die Hauptschuld durch Zahlung an Frau Schaffner zu tilgen. Sein Schweigen durfte vom Schuldner um so mehr als Kundgabe einer so weitgehenden Ermächtigung ausgelegt werden, als Schaffner ein Alter erreicht hatte, in dem der Ehemann häufig in geschäftlichen Dingen vermehrt die Hilfe der jüngeren Ehefrau in Anspruch nimmt. Dazu kam, dass Frau Schaffner in der Lage war, Emil Meier unverzüglich die über die Grundpfandverschreibungen bestehenden Grundbuchauszüge herauszugeben.
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Gewiss waren das nicht Wertpapiere, deren Herausgabe der zahlende Schuldner verlangen konnte, wie es für Schuldbrief und Gült zutrifft (vgl. Art. 826 im Gegensatz zu Art. 873 ZGB). Die Tatsache, dass Frau Schaffner die Beweisurkunden über die Grundpfandrechte zur Hand hatte, musste aber den Schuldner dennoch in der Meinung bestärken, der Gläubiger lasse die Rechte aus dem Schuldverhältnis durch seine Ehefrau ausüben. Schaffner selber bezeichnete die fraglichen Schriftstücke in Klagebeilage 11 als "Schuldbriefe". Auch Emil Meier legte ihnen ähnliche Bedeutung bei wie Pfandtiteln, sonst hätte er sie nicht herausverlangt. Dass Frau Schaffner sich die beiden Urkunden eigenmächtig zum Nachteil ihres kranken Ehemannes angeeignet habe, wie die Beklagte geltend macht, ist eine durch nichts belegte Behauptung, die zudem unerheblich ist. Massgebend ist der Sachverhalt, wie ihn der Schuldner sah und in guten Treuen sehen durfte. Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz wusste Emil Meier nicht, dass Schaffner sich mit seiner Ehefrau entzweit hatte. Sache Schaffners wäre es gewesen, beim Verlassen der ehelichen Wohnung die beiden Grundbuchauszüge einzuschliessen oder mitzunehmen oder seinem Schuldner mitzuteilen, dass Frau Schaffner nicht ermächtigt sei, die Zahlung des Kapitals anzunehmen.
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Das angefochtene Urteil hält auch vor diesem Einwand stand. Die Beklagte gibt die Anbringen der Kläger unvollständig wieder. Diese nahmen in der Klage den Standpunkt ein, Emil Meier habe an jene Stelle gezahlt, die: "a) der Gläubiger als berechtigt bezeichnet hatte, b) im Besitz der Dokumente war, c) sich als berechtigt bezeichnete". Sie fügten bei: "Die Zahlung an Frau Johanna Schaffner erfolgte absolut gutgläubig, und zwar zu Lebzeiten Schaffners, der nie einen Widerruf seiner Weisung erlassen hatte." Die Kläger behaupteten also dem Sinne nach, sie hätten nach den Umständen angenommen und in guten Treuen annehmen dürfen, Frau Schaffner sei berechtigt, nicht nur die Zinsen, sondern auch die Zahlung des Kapitals anzunehmen. Unter welchem Rechtstitel nach ihrer Auffassung Frau Schaffner berechtigt gewesen sei, führten sie nicht aus. Dass sie sich dann in der Replik auch noch auf Abtretung beriefen, ändert nichts. Damit nahmen sie nur einen zusätzlichen Standpunkt ein, durch den sie ihre in der Klage gegebene Hauptbegründung nicht fallen liessen. Sie erklärten in der Replik ausdrücklich, dass sie an den Ausführungen der Klage festhielten. Die Beklagte nahm denn auch den neuen Standpunkt der Kläger gar nicht ernst, wendete sie doch ein, es sei ihr unverständlich, wie die Kläger die in Klagebeilage 11 wiedergegebene Urkunde als Abtretungserklärung hinzustellen vermöchten, da sie nicht unterzeichnet sei und den Abtretungswillen nicht erkennen lasse.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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