BGE 85 II 57 | |||
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12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. März 1959 i.S. Eheleute L. | |
Regeste |
Ehescheidung, Einrede der abgeurteilten Sache. | |
Sachverhalt | |
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B.- Im Oktober 1955 wandte sich der Ehemann an den Eheschutzrichter, weil die Ehefrau ihn überall "verschimpfe", grundlos eifersüchtig sei und zuviel Geld brauche. Auf Rat des Eheschutzrichters liess er die Ehefrau durch Dr. F. psychiatrisch untersuchen. Gestützt auf ein Einweisungszeugnis dieses Arztes, der bereits am 27. November 1955 dem Gerichtspräsidenten einen Bericht abgegeben hatte, wurde die Ehefrau am 1. Juni 1956 zwangsweise in die Anstalt Hohenegg verbracht, weil sie an paranoider Schizophrenie leide. Seither leben die Parteien getrennt. Als die Ehefrau Ende November 1956 aus der Anstalt Hohenegg entlassen wurde, weigerte sich der Ehemann, sie wieder bei sich aufzunehmen. Am 9. Januar 1957 leitete er gegen sie Klage ein mit dem Begehren, die Ehe sei gemäss Art. 141 und 142 ZGB zu scheiden. Nachdem der Leiter der Anstalt Hohenegg in seinem Gutachten vom 28. Mai 1957 das Vorliegen einer Geisteskrankheit verneint und Dr. F. dieser Schlussfolgerung in einem Bericht vom 31. Mai 1957 zugestimmt hatte, berief sich der Ehemann nur noch auf den Scheidungsgrund der tiefen Zerrüttung. Mit Urteil vom 10. Juli 1957 wies das Bezirksgericht die Klage gemäss Antrag der Ehefrau ab. Der Ehemann appellierte am 19. August 1957 an das Obergericht, führte dann aber das Appellationsverfahren nicht weiter, so dass das Urteil vom 10. Juli 1957 rechtskräftig wurde.
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C.- Am 4. Dezember 1957 klagte der Ehemann neuerdings auf Scheidung. Die Beklagte erhob die Einrede der abgeurteilten Sache. Nach Durchführung eines Beweisverfahrens erkannte das Bezirksgericht am 4. Juni 1958, diese Einrede sei begründet und auf die Klage werde nicht eingetreten. Das Obergericht hat diesen Entscheid am 23. Oktober 1958 bestätigt.
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D.- Mit seiner Berufung an das Bundesgericht beantragt der Kläger, die Einrede der abgeurteilten Sache sei abzuweisen und der Prozess zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
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Erwägungen: | |
1. Der Kläger ficht den die Einrede der abgeurteilten Sache gutheissenden Entscheid der Vorinstanz nicht etwa deswegen an, weil das kantonale Prozessrecht diese Einrede nicht zulasse, sondern deswegen, weil die Vorinstanz zu Unrecht angenommen habe, der im zweiten Prozess eingeklagte Scheidungsanspruch sei mit dem im ersten Prozess geltend gemachten identisch. Damit behauptet er eine Bundesrechtsverletzung, die mit der Berufung an das Bundesgericht gerügt werden kann (vgl. BGE 78 II 401 ff. und dortige Hinweise; 80 I 261, 81 II 146/47, 83 II 267).
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Sobald dagegen im zweiten Prozess zur Begründung der Klage erhebliche Tatsachen vorgebracht werden, die im ersten Prozess noch nicht geltend gemacht worden sind, hat der zweite Prozess nicht mehr den gleichen Scheidungsanspruch zum Gegenstand wie der erste. Die neu vorgebrachten Tatsachen sind erheblich, wenn sie für sich allein oder zusammen mit den schon früher angerufenen Tatsachen zur Begründung des Scheidungsbegehrens tauglich sind (vgl. BGE 78 II 403).
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Es kann sich dabei, wie im eben erwähnten Entscheid ausgeführt, sowohl um erst nach Abschluss des ersten Prozesses eingetretene als auch um schon früher vorhanden und bekannt gewesene, aber in jenem Prozess aus irgendwelchen Gründen (zumal zwecks Schonung des Gegners) nicht geltend gemachte Tatsachen handeln (gleicher Auffassung BÜRKLI, Rechtskraftprobleme in Eheprozessen, 1952, S. 37, und BÜHLER, ZSR 1955 S. 430a ff., mit weitern Hinweisen). Wenn LEUCH findet, die Berücksichtigung von Tatsachen, die im früheren Prozess dem Richter "vorenthalten" wurden, sei mit dem Rechtskraftbegriff unvereinbar (Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl. 1956, N. 11 d zu Art. 192, S. 215; vgl. auch ZSR 1955 S. 672 a), so kann ihm nicht zugestimmt werden. Die materielle Rechtskraft eines Urteils, das eine Scheidungsklage abweist, bedeutet nur, dass der durch dieses Urteil als unbegründet erklärte Scheidungsanspruch nicht nochmals gerichtlich geltend gemacht werden kann, und dieser Anspruch wird eben durch die Tatsachen individualisiert, die zu seiner Begründung wirklich angeführt wurden, nicht durch die Gesamtheit der Tatsachen, die zu diesem Zweck geltend gemacht werden konnten. Wenn in Deutschland eine andere Ordnung gilt, so kraft der positiven Vorschrift von § 616 der deutschen ZPO, wonach der mit einer Scheidungsklage abgewiesene Kläger das Recht, die Scheidung zu verlangen, nicht mehr auf Tatsachen gründen kann, welche er im frühern Rechtsstreit geltend gemacht hat "oder welche er in dem frühern Rechtsstreit ... geltend machen konnte.". Diese Bestimmung hat im schweizerischen Recht kein Gegenstück (vgl. BÜRKLI S. 31). Was sie vorschreibt, lässt sich auch nicht etwa aus allgemeinen Grundsätzen des schweizerischen Scheidungsverfahrensrechts ableiten. Der durch sie bewirkte Zwang, zur Begründung einer Scheidungsklage bei Gefahr der Verwirkung alle bekannten Tatsachen vorzubringen, die sich zu diesem Zwecke eignen, steht vielmehr, wie in BGE 78 II 404 dargelegt, mit den Bestrebungen des ZGB im Widerspruch, da er zu einer unnötigen und unerwünschten Verschärfung des Scheidungsstreites führen kann. An dem in BGE 78 II 403 f. aufgestellten Grundsatze, dass Identität der Scheidungsansprüche nicht angenommen werden darf, wenn im zweiten Prozess vor dem frühern Urteil eingetretene Tatsachen neu vorgebracht werden, ist daher festzuhalten.
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Als neue erhebliche Tatsache kann aber auch der Umstand in Betracht kommen, dass ein Sachverhalt, der im ersten Prozess als Zerrüttungsursache geltend gemacht, aber vom Gericht nicht als ehezerstörend angesehen worden war, nach der Erledigung des ersten Prozesses trotz ehrlichem Bemühen der Parteien, darüber hinwegzukommen, das eheliche Verhältnis weiterhin ungünstig beeinflusst hat, und zwar in solchem Masse, dass den Parteien nunmehr die Fortsetzung der Ehe nicht mehr zugemutet werden kann. Insoweit ist der von STOCKER (SJZ 1951 S. 18) angeführten Praxis des zürcherischen Obergerichts bezüglich der Berücksichtigung von Nachwirkungen früherer Ereignisse (ZR 1949 Nr. 60 S. 103) beizupflichten (vgl. auch BÜHLER S. 434 a), während nicht als Grundsatz anerkannt werden kann, was STOCKER (a.a.O.) als voraussichtliche praktische Folge dieser Praxis bezeichnet hat: dass die Einrede der abgeurteilten Sache in Scheidungssachen nur noch dann Erfolg haben könne, "wenn ein neuer Scheidungsprozess in geradezu rechtsmissbräuchlicher Weise kurz nach Abschluss eines frühern angehoben wird."
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Die vor Beurteilung des ersten Prozesses eingetretenen Tatsachen, die der Kläger zur Begründung seiner heutigen zweiten Klage anruft, werden heute nicht zum ersten Mal geltend gemacht. Schon im frühern Prozess hat der Kläger die Beklagte beschuldigt, sie habe ihn seit Jahren bei Dritten schlecht gemacht, indem sie in lügenhafter Weise behauptet habe, er gehe mit andern Weibern, "hühnere" und saufe herum, komme selten vor nachts 12 Uhr heim und habe mit andern Frauen übernachtet; in dieser gemeinen Weise habe ihn die Beklagte nicht nur bei Verwandten, Pfarrer, Lehrer und Eheberater angeschwärzt, sondern auch bei seinem nächsten Vorgesetzten, seinen nächsten Mitarbeitern und sogar bei Vertretern chemischer Fabriken und an den Orten, wo er Kurse und Vorträge zu halten gehabt habe; sie habe ihn überall verunglimpft und ihm nachgeforscht (vgl. die zutreffende Wiedergabe seiner einzelnen Vorbringen in der Berufungsantwort). Die Begründung der zweiten Klage erschöpft sich im wesentlichen in einer Wiederholung dieser Beschuldigungen. Da sich der Kläger im ersten Prozess nicht mit dem allgemeinen Vorwurf des "Verschimpfens" bei Dritten begnügt, sondern damals schon im wesentlichen die gleichen Angaben wie heute darüber gemacht hatte, in welchem Sinne, in welchen Kreisen, seit wie lange, wie häufig und wie intensiv die Beklagte ihn verleumdet habe, kann ihm nicht etwa zugebilligt werden, er habe damit, dass er im zweiten Prozess zum Nachweis des der Beklagten vorgeworfenen Verhaltens ausser den bereits früher genannten noch einige weitere Zeugen anrief, implicite neue erhebliche Tatsachen geltend gemacht, d.h. die neue Behauptung aufgestellt, das "Verschimpfen" sei wesentlich weiter gegangen als im ersten Prozesse behauptet.
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Waren die im zweiten Prozess gegen die Beklagte erhobenen Beschuldigungen nicht neu, so bedurfte es auch keiner Beweiserhebungen darüber, um abzuklären, ob der im zweiten Prozess eingeklagte Scheidungsanspruch von dem im ersten Prozess geltend gemachten verschieden sei oder nicht. Wenn das Beweisverfahren, welches das Bezirksgericht im zweiten Prozess vor Erhebung der Einrede der abgeurteilten Sache durchführte, die Behauptungen des Klägers in weiterm Umfang bestätigte, als die im ersten Prozess erfolgte Beweisaufnahme dies nach den Feststellungen im ersten Urteil zu tun vermochte, so ist dieser Umstand für die Beurteilung der erwähnten Einrede unerheblich, weil es hiebei entgegen der Ansicht des Klägers eben nur darauf ankommt, welche Tatsachen im einen und andern Prozess behauptet worden sind. Aus dem gleichen Grunde käme auch nichts darauf an, wenn die Beklagte im zweiten Prozess Tatsachen zugegeben haben sollte, die sie im ersten Prozess bestritten und die das Gericht damals als unbewiesen erachtet hatte.
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An der Identität der beiden Scheidungsansprüche ändert nichts, dass der Kläger im zweiten Prozess neben Art. 142 ZGB auch noch Art. 138 ZGB angerufen hat. Ebenso wäre unerheblich, wenn der Kläger, wie er heute dartun will, das der Beklagten vorgeworfene Verhalten im ersten Prozess lediglich als Äusserung einer Geisteskrankheit im Sinne von Art. 141 ZGB oder eventuell als objektive Ursache der tiefen Zerrüttung im Sinne von Art. 142 ZGB geltend gemacht und es erst im zweiten Prozess als schuldhaft qualifiziert hätte (was übrigens nicht stimmt).
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Dem Kläger kann auch nicht helfen, dass er im zweiten Prozess geltend gemacht hat, der Ortsvorsteher S. und weitere Personen hätten den von der Beklagten im ersten Prozess vorgelegten Unterschriftenbogen nur auf Drängen einiger Frauen hin bezw. aus Gefälligkeit unterschrieben und die Zeugin B., die im ersten Prozess zu seinen Ungunsten ausgesagt hatte, sei unzuverlässig. Damit hat der Kläger keine für die Anwendung des Scheidungsrechts erheblichen neuen Tatsachen vorgebracht. Vielmehr handelt es sich hier nur um Einwendungen gegen die Beweiskraft von Beweismitteln, welche die Beklagte im ersten Prozess verwendet hatte.
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Von Geltendmachung neuer erheblicher Tatsachen durch den Kläger könnte schliesslich auch dann nicht die Rede sein, wenn sich aus den im zweiten Prozess durchgeführten Zeugenvernehmungen ergeben hätte, dass der Charakter des Klägers einwandfrei sei und dieser sich vor Dritten nicht ungünstig über die Beklagte geäussert habe, und wenn es aus diesem Grunde ungerechtfertigt wäre, dass das Bezirksgericht ihn im ersten Urteil als herrisch bezeichnete und annahm, er habe sich in einen krankhaften Hass gegen die Beklagte hineingesteigert und nach Gründen gesucht, um die Ehe unter allen Umständen zu lösen (welche Feststellungen übrigens durch den Nachweis korrekten Verhaltens im Beruf und in der Öffentlichkeit nicht widerlegt werden könnten).
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