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24. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Juni 1959 i.S. Weisshaupt gegen Hauser. | |
Regeste |
Wiederherstellung (Art. 35 OG) gegen die Folgen der Versäumung der Berufungsfrist (Art. 54 OG) kann erteilt werden, selbst wenn der Prozess bereits durch Nichteintreten auf die Berufung erledigt worden ist. | |
Sachverhalt | |
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Am 12. Mai 1959, fünf Tage nach Empfang des Urteils vom 22. April 1959, hat der Beklagte beim Bundesgericht einen "Rekurs" eingereicht, worin er u.a. geltend macht, er habe sich persönlich bei der Obergerichtskanzlei erkundigt und dabei die Auskunft erhalten, die Frist laufe am 15. März (gemeint: April) ab; es genüge, wenn er "das Schreiben" (die Berufungsschrift) an diesem Datum der Post übergebe, was er auch getan habe. Eine Erkundigung ![]() | 2 |
Das Bundesgericht erteilt dem Beklagten die Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung der Berufungsfrist und hebt sein Urteil vom 22. April 1959 auf.
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Begründung: | |
Der "Rekurs" des Beklagten ist als Gesuch um Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung der Berufungsfrist aufzufassen.
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Während Art. 33 OG, der sich auf die Verlängerung der Fristen bezieht, die vom Gesetz und die vom Richter festgesetzten Fristen verschieden behandelt, regelt Art. 35 OG die Voraussetzungen der Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung "einer Frist", ohne zwischen gesetzlichen und richterlichen Fristen einen Unterschied zu machen. Daraus ist zu schliessen, dass Art. 35 OG wie Art. 34 OG, wonach "gesetzlich oder richterlich bestimmte Fristen" in der Zeit vom 15. Juli bis und mit 15. August stillstehen, für Fristen beider Art in gleicher Weise gilt (wogegen z.B. die bernische ZPO die Wiedereinsetzung gegen Versäumung gesetzlicher Fristen, insbesondere der Rechtsmittelfristen, nicht zulässt; LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 2 zu Art. 288, und GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 221 Anm. 40). Um Wiederherstellung im Sinne von Art. 35 OG kann also ![]() | 5 |
Art. 35 OG lässt die Wiederherstellung ganz allgemein "gegen die Folgen der Versäumung einer Frist" zu. Zu diesen Folgen gehört gegebenenfalls auch die wegen der Versäumung der Frist erfolgte Erledigung des Prozesses. Wiederherstellung kann also auch dann verlangt werden, wenn der Prozess bereits erledigt ist; sie führt in diesem Falle zur Aufhebung des Erledigungsentscheides. Die Rechtskraft, welche die Entscheidungen des Bundesgerichtes gemäss Art. 38 OG mit der Ausfällung erlangen, steht dem nicht entgegen. Die Verbindlichkeit rechtskräftiger Entscheidungen ist nicht absolut, sondern unterliegt den Einschränkungen, die sich aus dem Bestehen gesetzlicher Mittel zur Beseitigung der Rechtskraft ergeben, und zu diesen Mitteln gehört eben neben den ausserordentlichen Rechtsmitteln (von denen das OG in Art. 136 ff. dasjenige der Revision vorsieht) auch die Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumung einer Frist (GULDENER a.a.O. S. 223 und 300 sowie SJZ 37 S. 230), sofern wenigstens das Gesetz diesen Rechtsbehelf für alle Fristen, also auch für die Rechtsmittelfristen, und zur Behebung aller Versäumnisfolgen zur Verfügung stellt, wie dies für das OG zutrifft.
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Dass der Gesuchsteller oder sein Vertreter im Sinne von Art. 35 OG "durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln", kann nach der neuern Rechtsprechung des Bundesgerichtes nicht mehr bloss dann angenommen werden, wenn die Einhaltung der Frist objektiv unmöglich war. Vielmehr fällt als Wiederherstellungsgrund auch in Betracht ein die Fristversäumnis bewirkender Irrtum, in welchen der Gesuchsteller, ohne selbst dafür einstehen zu müssen, durch das ![]() | 7 |
Mit einem solchen Falle hat man es hier zu tun. Der Beklagte durfte sich - zumal als Laie - darauf verlassen, dass er bei der Kanzlei des Obergerichtes, dessen Urteil er mit dem ordentlichen Rechtsmittel der Berufung an das Bundesgericht anfechten wollte, zuverlässig erfahren könne, bis wann die Berufungsfrist laufe. Wenn ihm die Obergerichtskanzlei auf Grund eines für ihn nicht erkennbaren Irrtums über den Ausgangspunkt der Frist unrichtigerweise angab, die Frist laufe erst am 15. April 1959 ab, und wenn er im Vertrauen auf diese Angabe die Berufung erst an diesem Tage zur Post gab, so ist die Versäumung der in Wirklichkeit am 14. April abgelaufenen Frist durch einen von ihm nicht verschuldeten Irrtum verursacht worden. Auf diesen Irrtum ist der Beklagte erst durch den Nichteintretensentscheid des Bundesgerichtes vom 22. April 1959, der ihm am 7. Mai 1959 zugestellt wurde, aufmerksam gemacht worden. Das Wiederherstellungsgesuch ist schon fünf Tage später, also im Sinne von Art. 35 OG "binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses", beim Bundesgericht eingegangen. Der Grund der Versäumung der Berufungsfrist war darin angegeben. Die versäumte Rechtshandlung, d.h. die Einlegung der Berufung, war schon am 15. April 1959 nachgeholt worden. Unter diesen Umständen ist dem Beklagten die Wiederherstellung zu erteilen und der wegen Verspätung der Berufung erlassene Nichteintretensentscheid vom 22. April 1959 aufzuheben.
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