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33. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juli 1959 i.S. Panagra, Pan American-Grace Airways, Inc. gegen Nouvelle Fabrique Election SA | |
Regeste |
Art. 8 lit. e, 30 Abs. 3 Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, vom 12. Oktober 1929. | |
Sachverhalt | |
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Die Firma Goth & Cie SA füllte am 1. April 1955 ein von der KLM ausgegebenes Formular eines Luftfrachtbriefes teilweise aus. Insbesondere führte sie darin Zürich als Abgangs- und Arica als Bestimmungsort an, bezeichnete den Empfänger und den Absender und machte Angaben ![]() | 2 |
Die Firma Goth & Cie SA liess das Frachtgut samt dem Frachtbrief durch ihre Zürcher Zweigniederlassung nach dem Flughafen Zürich-Kloten verbringen und der KLM übergeben. Diese versah den Frachtbrief unten rechts mit dem Stempel "KLM Freight Apr. 2 1955 Zurich-Airport". Sie füllte ferner die für die Bezeichnung des Beförderungsweges, der Luftfrachtführer und der Frachtlöhne bestimmten Rubriken aus. Sie gab daselbst Zürich als Abgangsort und Amsterdam, Lima und Arica als Landungsorte an. Für die Strecke bis Amsterdam füllte sie die für die Angabe des Luftfrachtführers bestimmte Zeile mit "sr 120" aus, was bedeutete, dass das Frachtgut mit dem Kurs Nr. 120 der Swissair, Schweizerische Luftverkehrs AG nach Amsterdam befördert werde. Für die Strecke bis Lima wurde die "KLM" als Frachtführer angegeben und für die Strecke von dort bis Arica die "Panagra", d.h. die in New York niedergelassene Pan American-Grace Airways, Inc.
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Die KLM hätte das Frachtgut mit ihrem Kurs Nr. 645 vom 4. April 1955 von Zürich-Kloten unmittelbar nach Curaçao und von dort mit dem Kurs Nr. 687 nach Panama und dem Kurs Nr. 705 nach Lima befördern können. Sie zog jedoch vor, es schon in Amsterdam-Schiphol in die über Zürich nach Curaçao fliegende Maschine des Kurses 645 zu laden, und liess es daher am 2. April 1955 mit dem Kurs 120 der Swissair nach Amsterdam verbringen, ohne ![]() | 4 |
Das Frachtgut gelangte mit den vorgesehenen Kursen nach Arica, wurde dort jedoch von der Panagra versehentlich nicht ausgeladen. Es kam am 25. April 1955 mit dem Flugzeug in La Paz an. Die Zollbehörden von Bolivien nahmen es in Verwahrung, da es von keinen Papieren mehr begleitet war, und liessen es trotz erhaltener Aufklärung gemäss Entscheid des nationalen Zollgerichts als Schmuggelgut versteigern.
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B.- Goth & Cie SA trat ihre Rechte aus dem Verlust des Frachtgutes am 31. Januar 1956 an die Nouvelle Fabrique Election SA ab. Diese klagte beim Bezirksgericht Zürich gegen die KLM auf Bezahlung von Fr. 113'503.45 Schadenersatz nebst Zins und verkündete der Swissair den Streit.
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Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Sie machte unter anderem geltend, sie sei nicht passiv legitimiert, weil sie nicht erster Luftfrachtführer im Sinne des Art. 30 Abs. 3 des Abkommens vom 12. Oktober 1929 zur Vereinheitlichung der Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr sei. Sie verkündete der Panagra den Streit.
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C.- Die Panagra hat die Berufung erklärt. Sie beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage mangels Passivlegitimation der Beklagten abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei diese abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Wenn das Gut durch ein während der Luftbeförderung eintretendes Ereignis verloren geht, hat gemäss Art. 18 WA der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen. Ist das Gut durch mehrere "aufeinanderfolgende" Luftfrachtführer zu befördern, so ist jeder in Bezug auf den unter seiner Leitung auszuführenden Teil der Beförderung Partei des Beförderungsvertrages und den Vorschriften des Warschauer Abkommens unterworfen (Art. 30 Abs. 1 WA). Darnach müsste der Absender des Gutes jenen Luftfrachtführer belangen, in dessen Obhut es sich zum Zwecke der Beförderung befand, als es verloren ging. Art. 30 Abs. 3 WA erklärt jedoch dem Absender gegenüber ausserdem den "ersten" Luftfrachtführer als solidarisch ersatzpflichtig.
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4. Name und Adresse des ersten Luftfrachtführers sollen im Luftfrachtbrief angegeben werden (Art. 8 lit. e WA). Der erste Frachtführer ist also grundsätzlich vom Absender zu bezeichnen; denn dieser stellt normalerweise ![]() | 13 |
5. Bestimmen weder der Absender noch der mit der Ausstellung oder Ergänzung des Frachtbriefes betraute Luftfrachtführer ausdrücklich, wer "erster Luftfrachtführer" sei, so könnte darunter jener verstanden werden, der das Gut vom Absender übernimmt und gemäss Art. 6 Abs. 2-4 WA den Frachtbrief unterzeichnet oder mit seinem Stempel versieht. Natürrlicher ist es jedoch, in der Reihe der "aufeinanderfolgenden Luftfrachtführer" (Art. 30 Abs. 1 WA) jenen als den ersten zu betrachten, der die Beförderung auf der ersten Teilstrecke des gesamten Weges zu besorgen hat. Zöge das Abkommen die andere Möglichkeit vor, so spräche es nicht vom "ersten", sondern z.B. von dem "das Gut annehmenden" oder von dem "den Frachtbrief unterzeichnenden" Luftfrachtführer. Dieser ist mit jenem nicht notwendigerweise identisch. Das Warschauer Abkommen bestimmt nicht, der Absender müsse das Gut jenem Luftfrachtführer übergeben, der es auf dem ersten Teil des Weges zu befördern hat. Es sagt auch nicht, nur dieser könne den Frachtvertrag im eigenen Namen abschliessen, so dass der Luftfrachtführer, der das Gut annimmt und den Frachtbrief unterschreibt oder abstempelt, ohne sich als Vertreter eines anderen auszugeben, notwendigerweise verpflichtet wäre, ![]() | 14 |
Von diesem Grundsatz ist auch dann nicht abzuweichen, wenn das Frachtgut laut Vertrag (Frachtbrief) einen Umweg zu machen hat, insbesondere vom Abgangsort auf dem Luftweg nach einem anderen Flughafen verbracht und von dort an den Abgangsort zurück (und über diesen hinaus) befördert werden soll. Die vertragsgemässe Reise des Gutes beginnt in diesem Falle schon mit dem ersten Verlassen des Abgangsortes; denn die Beförderung von diesem Orte weg und an ihn zurück dient im ganzen Reiseplan einem bestimmten Zweck, durch den die Erfüllung des Vertrages sichergestellt werden soll. Gewöhnlich wollen die Parteien sich dadurch gegen die Möglichkeit sichern, dass das Flugzeug des vereinbarten Kurses am Abgangsort des Gutes nicht sollte landen können. Unterbleibt diese Landung, so ist klar, dass die vereinbarte Beförderung schon mit dem Verlassen des Abgangsortes begann. Daher ![]() | 15 |
Ob der Absender für die Beförderung vom Abgangsort weg und an diesen zurück eine besondere Vergütung schuldet, ist grundsätzlich unerheblich. Wird eine solche nicht verlangt, so kann daraus jedenfalls der Regel nach nicht geschlossen werden, dass diese Beförderung nach dem Willen der Vertragschliessenden nicht zu den vertraglichen Leistungen des Luftfrachtführers gehören sollte. Steht zudem nach dem Inhalt des Frachtbriefes fest, dass auch diese Beförderung als Bestandteil des Vertrages betrachtet wurde, so kommt vollends nichts darauf an, ob die Frachtführer sich dafür einen zusätzlichen Lohn versprechen liessen. Die Stellung als erster Frachtführer hängt auch nicht davon ab, wie der im ganzen vereinbarte Frachtlohn verteilt wird; die Verteilung beeinflusst das Verhältnis zum Absender nicht.
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Es kommt auch nichts darauf an, wer der Urheber des Gedankens ist, das Frachtgut vom Abgangsort weg und an diesen zurück zu befördern, und ob daher der Absender nach dem Plan, den er selbst sich machte, Anlass gehabt hätte, das Gut unmittelbar dem an diesem Umweg beteiligten ersten Frachtführer zu übergeben. Es genügt, wenn der Absender den vom Luftfrachtführer durch Vervollständigung des Frachtbriefes gemachten Vorschlag ausdrücklich oder stillschweigend hinnimmt und damit zum Bestandteil des Vertrages werden lässt. Nur ein Umweg, den der Absender aus dem zurückerhaltenen Doppel des Luftfrachtbriefes (s. Art. 6 Abs. 2 WA) nicht ersehen kann oder gegen den er sofort Einspruch erhebt, fällt allenfalls für die Bestimmung des ersten Frachtführers ausser Betracht.
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Wenn der Frachtbrief den ersten Luftfrachtführer nicht ausdrücklich als solchen bezeichnet, kommt diese Stellung demnach jenem zu, der nach dem im Frachtbrief verurkundeten ![]() | 18 |
Dieser Grundsatz gilt jedenfalls dann, wenn dieser Luftfrachtführer tatsächlich an der Beförderung des Gutes als erster teilnimmt. Ob er dem Absender auch dann haftet, wenn er das Gut tatsächlich überhaupt nicht oder nicht als erster befördert, kann dahingestellt bleiben. Sollte diese Frage verneint werden müssen, so liefe der Absender freilich Gefahr, die Klage gegen den Unrichtigen einzureichen, wenn er sich auf die Angaben des Frachtbriefes verlässt und den tatsächlichen Verlauf der Beförderung nicht kennt. Für den Nachteil, der ihm daraus entstände, hätte ihn aber jener Luftfrachtführer schadlos zu halten, der das Gut vom Absender entgegennahm, ohne es an jenen weiterzugeben, der laut Frachtbrief die Beförderung auf der ersten Teilstrecke hätte besorgen sollen. Art. 9 WA bestimmt nämlich, der Luftfrachtführer, der das Gut annimmt, entgehe der Haftung laut Warschauer Abkommen nicht, wenn der Frachtbrief nicht alle in Art. 8 lit. a-i und q vorgeschriebenen Angaben enthält. Um so mehr bleibt er haftbar, wenn er den im Frachtbrief enthaltenen Angaben zuwider handelt, insbesondere das Gut nicht jenem Luftfrachtführer aushändigt, der es laut Frachtbrief als erster befördern müsste. Ist demnach der Absender auf alle Fälle gegen die Folgen einer solchen Abweichung vom Vertrage gesichert, so besteht kein Grund, auf sie in dem Sinne Rücksicht zu nehmen, dass der das Gut und den Frachtbrief annehmende Luftfrachtführer sich selbst dann als "erster" müsste belangen lassen, wenn er das Gut vertragsgemäss dem für die erste Beförderungsstrecke vorgesehenen Frachtführer übergeben hat.
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6. Die Firma Goth & Cie SA hat im Frachtbrief den ersten Luftfrachtführer nicht bezeichnet. Den dafür vorgesehenen Raum im Eckfeld unten rechts liess sie frei, und auch die Zeilen, die zur Bezeichnung des Beförderungsweges ![]() ![]() | 20 |
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Zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte gemäss Art. 6 Abs. 2-4 WA verpflichtet war, das für den Absender bestimmte Doppel des Frachtbriefes unverzüglich nach der Annahme des Gutes zu unterzeichnen oder mit ihrem Stempel zu versehen. Es ist offensichtlich, dass die Beklagte ihren Stempel in Erfüllung dieser Pflicht in das rechte untere Eckfeld setzte; denn der Frachtbrief trägt weder einen zweiten Stempelabdruck noch eine Unterschrift. Das erwähnte Feld ist denn auch nicht nur zur Angabe des Namens und der Adresse des "ersten Luftfrachtführers" bestimmt, sondern enthält auch zwei Zeilen für die Unterschrift des ausstellenden Frachtführers oder seines Agenten sowie für Namen und Adresse dieses Agenten. Der Stempel füllt den freien Platz des Feldes von oben bis unten aus, ja reicht unten sogar über das Feld hinaus. Die Absenderin durfte daher nicht schliessen, er sei zur Bezeichnung des ersten Luftfrachtführers hingesetzt worden. Dass die Buchstaben KLM ungefähr auf der dafür vorbehaltenen ![]() | 22 |
Die Beklagte haftet daher der Klägerin nicht.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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