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75. Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1959 i.S. Kuhn gegen Eheleute Gross. | |
Regeste |
Unfall eines Motorfahrzeugs infolge alleinigen Verschuldens eines Fussgängers. Art. 41, 44 Abs. 1 OR; Art. 37 MFG. |
Einfluss der Betriebsgefahr auf den Schadenersatzanspruch des allein geschädigten Motorfahrzeughalters (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
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Die durchgeführte Strafuntersuchung ergab, dass der Fussgänger Kuhn angetrunken war. Das Bezirksgericht Baden verurteilte ihn wegen Störung des öffentlichen Verkehrs und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Busse von Fr. 100.--.
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B.- Die Eheleute Gross belangten Kuhn auf Ersatz ihres Schadens (mit Ausnahme der von der französischen Sozialversicherung beglichenen Heilungskosten), sowie auf Bezahlung einer Genugtuungssumme.
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Der Beklagte bestritt jede Ersatzpflicht.
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C.- Das Bezirksgericht Zürich verurteilte den Beklagten zur Bezahlung von Schadenersatz im Betrage von Fr. 4222.86 an den Kläger Gross und von Fr. 138.-- an dessen Ehefrau, sowie zur Leistung einer Genugtuungssumme von Fr. 500.-- an jeden der beiden Kläger, alles mit 5% Zins seit 7. Dezember 1956.
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Das Obergericht Zürich, I. Zivilkammer, bestätigte dieses Urteil mit Ausnahme der Genugtuungsforderung der Klägerin Frau Gross, welche abgewiesen wurde.
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D.-- Gegen das Urteil des Obergerichts vom 6. April 1959 ergriff der Beklagte die Berufung an das Bundesgericht mit dem erneuten Antrag auf Abweisung der Klage.
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Die Kläger beantragen Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Ist danach von dem eingangs wiedergegebenen ![]() | 10 |
a) Indem der Beklagte, ohne dem Verkehr irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken, kurz vor dem in rascher Fahrt herannahenden Auto in die Strasse hinaustrat, liess er es an der Sorgfalt fehlen, die jeder Fussgänger beobachten muss, wenn er eine Strasse, insbesondere eine verkehrsreiche Überlandstrasse, überqueren will. Diese Ausserachtlassung der gebotenen Vorsicht stellte eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten dar. Dass er angetrunken war und möglicherweise darum derart unvorsichtig handelte, vermag ihn nicht zu entlasten; in angetrunkenem Zustand eine belebte Durchgangsverkehrsstrasse zu betreten, war an und für sich schon schuldhaft. Dieses grobfahrlässige Verhalten des Beklagten löste die schadenbringende Reaktion des Fahrzeugführers Gross aus und ist deshalb als rechtserhebliche Ursache des eingetretenen Schadens zu betrachten. Mit Recht hat die Vorinstanz daher den Beklagten auf Grund der Vorschriften über die unerlaubte Handlung, Art. 41 ff. OR, für den Schaden der Kläger haftbar erklärt.
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b) Ein Mitverschulden des Klägers Gross ist entgegen der Ansicht des Beklagten zu verneinen. Die Geschwindigkeit von 85-90 km war auf der übersichtlichen, geraden Überlandstrasse nicht übersetzt. Seine Fahrt wegen des aus der Gegenrichtung am Strassenrand daherkommenden Fussgängers zu verlangsamen, hatte der Kläger keinen Anlass. Er durfte annehmen, der Fussgänger werde seinen Weg dem Strassenrand entlang fortsetzen, und brauchte nicht mit der Möglichkeit zu rechnen, jener werde unvermittelt in seine Fahrbahn treten. Dass dieser Fussgänger angetrunken war und daher die Gefahr eines unberechenbaren Verhaltens bestand, stellte sich erst nachher heraus und war für den Kläger Gross nicht erkennbar. Es kann ihm daher auch nicht vorgeworfen werden, er wäre wegen ![]() | 12 |
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Eine gänzliche Befreiung des Beklagten scheidet indessen schon mit Rücksicht darauf aus, dass ihn an der Herbeiführung des Unfalles ein Verschulden trifft. Aber auch eine blosse Minderung seiner Ersatzpflicht ist abzulehnen.
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a) Gewiss stellte die dem verunfallten Motorfahrzeug innewohnende Betriebsgefahr eine Mitursache des Unfalls dar. Die Betriebsgefahr des Motorfahrzeuges besteht bekanntlich darin, dass es durch die Möglichkeit rascher, selbständiger Fortbewegung seines beträchtlichen Eigengewichts mit Hilfe motorischer Kräfte eine Gefährdung sowohl der übrigen Strassenbenützer, wie auch seiner Insassen mit sich bringt. Diese Betriebsgefahr wirkt sich um so stärker aus, je grösser die Geschwindigkeit des Fahrzeugs ist. So ist denn auch im vorliegenden Falle die ![]() | 15 |
Richtig ist sodann auch, dass die vom Motorfahrzeughalter gesetzte Betriebsgefahr, der auch er selber als Insasse des Fahrzeugs ausgesetzt ist, einen Umstand im Sinne von Art. 44 Abs. 1 OR darstellen kann, der eine Ermässigung der Ersatzpflicht des Schädigers als geboten erscheinen lässt. Denn als haftungsmindernde Umstände im Sinne der genannten Bestimmung kommen nicht nur solche in Betracht, die der Geschädigte schuldhaft herbeigeführt hat, wenn auch das Mit- oder Selbstverschulden des Geschädigten den wichtigsten Fall eines derartigen Umstandes darstellt.
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c) Die Richtigkeit dieser Lösung erhellt auch aus einer weiteren Überlegung: Hätte der Kläger Gross beim plötzlichen Auftauchen des Beklagten in seiner Fahrbahn wegen der Beschaffenheit des Geländes (z.B. wegen einer die Strasse seitlich begrenzenden Mauer oder eines Abhanges) nicht ausweichen können oder hätte er ein an sich mögliches Ausweichen wegen seiner Gefährlichkeit nicht gewagt, sondern sich darauf beschränkt, so stark als möglich zu bremsen, so hätte er mit grösster Wahrscheinlichkeit den Beklagten überfahren und verletzt oder getötet, ohne dass die Wageninsassen verletzt worden wären und der Wagen einen erheblichen Schaden erlitten hätte. Bei einem solchen Verlauf der Dinge wäre gemäss ![]() | 18 |
d) Die Ablehnung einer Herabsetzung des Ersatzanspruchs der Kläger steht entgegen der Behauptung des Beklagten auch nicht etwa im Widerspruch zu der bisherigen Rechtsprechung und der Literatur.
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So glaubt der Beklagte zu Unrecht, aus den UrteilenBGE 64 II 436ff. undBGE 78 II 461ff. etwas zu seinen Gunsten ableiten zu können. Denn abgesehen davon, dass sich dort nicht ein Motorfahrzeughalter und ein Fussgänger, sondern zwei Motorfahrzeughalter gegenüberstanden, stellte die Betriebsgefahr bei beiden beteiligten Fahrzeugen eine rechtserhebliche Unfallursache dar, weshalb jeder Halter den selbst erlittenen Schaden nach Massgabe des auf sein Fahrzeug entfallenden Anteils an Kausalität an sich zu tragen hatte.
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Anderseits steht es mit der im vorliegenden Fall getroffenen Entscheidung im Einklang, wenn in den UrteilenBGE 68 II 116ff. und BGE 84 II 304 ff. die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des geschädigten Halters ausser Betracht gelassen wurde, weil sie gegenüber dem Verschulden des Halters des schädigenden Fahrzeugs nur eine ganz untergeordnete Rolle spielte.
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e) Auch nach dem deutschen Recht, das gleich wie das schweizerische auf dem Grundsatz der Kausalhaftung des Motorfahrzeughalters für den durch den Betrieb des Fahrzeugs verursachten Schaden beruht, hat gemäss Lehre und Rechtsprechung gegenüber einem Schädiger, der aus Verschulden haftet, der schuldlos geschädigte Halter für die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges nur einzustehen, wenn ihn eine Mitverantwortlichkeit am Schaden trifft in dem Sinne, dass die von ihm gesetzte Betriebsgefahr für den schadenbringenden Erfolg mitursächlich gewesen ist (vgl. MÜLLER, Strassenverkehrsrecht, 21. Aufl., zu § 9, S. 308, Abs. 1 und 2). Ebenso geht die neueste Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs dahin, dass der schuldlos geschädigte Halter keineswegs stets einen Teil des Schadens selbst tragen müsse, sondern dass es vielmehr der Billigkeit entsprechen könne, einem grob leichtfertig handelnden Schädiger gegenüber eine nicht erheblich ins Gewicht fallende Betriebsgefahr bei der Abwägung ausser Betracht zu lassen (BGH 20 S. 261 f.).
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