BGE 86 II 1 | |||
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1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Januar 1960 i.S. Vormundschaftsbehörde Arlesheim gegen A. | |
Regeste |
Zustellungsdomizil: Beim Wegzug ins Ausland ist eine Partei grundsätzlich verpflichtet, im Hinblick auf ein Verfahren vor Bundesgericht ein schweizerisches Zustellungsdomizil zu verzeigen. Art. 29 Abs. 4 OG (Erw. 2). | |
Sachverhalt | |
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A.- Die Vormundschaftsbehörde Arlesheim stellte am 22. Januar 1958 beim Statthalteramt zu Handen des Regierungsrates den Antrag auf Entmündigung des A. nach Art. 370, eventuell Art. 369 ZGB. Mit Entscheid vom 16. Dezember 1958 sprach der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft die Entmündigung gemäss Art. 370 ZGB aus und entzog dem Gesuchsgegner in Anwendung von Art. 285 ZGB die elterliche Gewalt über die drei Kinder. Die Begründung des Entscheides nimmt auf den Notstand der Familie Bezug, wie er infolge des verschwenderischen Lebens des Gesuchsgegners eingetreten sei, und hebt hervor, dass an den Unterhalt der an Pflegeorten untergebrachten Kinder nie etwas bezahlt worden sei.
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B.- Gemäss der kantonalen Vormundschaftsordnung (§§ 43 und 46 des EG zum ZGB) zog der Gesuchsgegner den Entscheid des Regierungsrates an das Obergericht weiter. Dessen Präsident schrieb ihm auf seine Rekursschrift vom 31. Dezember 1958 am 19. Januar 1959: ". .. haben Sie alle Ihre Verfehlungen zugegeben, Reue bekundet und für die Zukunft in jeder Weise Wohlverhalten versprochen... Auf die kurze Wohlverhaltenszeit" (gemeint ist: seit 16. Dezember) "und auf Ihr blosses Versprechen kann das Obergericht bei einem Entscheid schon in Februar nicht abstellen. Ihr Wohlverhalten muss länger andauern, damit von der Bevormundung abgesehen werden kann. Um Ihnen diese Chance zu geben, bringe ich den Rekursfall erst im Herbst 1959 vor das Obergericht. Unterdessen wollen Sie sich also eines allseitig korrekten Lebenswandels befleissen. Sie wollen gleichzeitig... Ihre alten Schulden von restlich Fr. 600.--, wie Sie angeben, abzahlen und gleichzeitig... jeden Monat mindestens Fr. 100.--... an den Unterhalt Ihrer Kinder beitragen..."
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Die Vormundschaftsbehörde liess sich am 29. Juli 1959 dahin vernehmen, sie halte eine Abweisung des Rekurses für gerechtfertigt. Sie führte aus, A. zahle an den Unterhalt der Kinder nicht Fr. 100.--, sondern nur Fr. 50.- im Monat, bei einem Monatsverdienst der Ehegatten von durchschnittlich Fr. 975.--. Er neige nach wie vor zu Trunksucht, wie sich aus einem Polizeibericht über einen Vorfall vom 18. Juni 1959 ergebe. Die versorgten Kinder besuche er fast nie. An seiner Lebensweise habe sich nicht viel geändert.
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C.- Nach Einholung eines Berichtes des Statthalteramtes Arlesheim und Einvernahme der Eheleute A. hob das Obergericht am 18. September 1959 den Entmündigungsbeschluss auf. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen: "Es ist unbestritten, dass der Rekurrent in der dem Entmündigungsbeschluss vom 16. Dezember 1958 vorausgegangenen Zeit einen im ganzen liederlichen und lasterhaften Lebenswandel geführt hat. Die Entmündigung nach Art. 370 ZGB war daher, da dieser Lebenswandel zur Verarmung und zur Wegnahme der Kinder führte, durchhaus am Platze. Seither haben sich die Verhältnisse wesentlich gebessert. Zwar hat es wiederum Rückfälle in die Trunkenheit gegeben... Aber doch hat der Rekurrent fast ständig gearbeitet... Auch mit den Schulden ist es wesentlich besser geworden... Dagegen hat A. die ihm unterm 19. Januar 1959 gegebene Empfehlung, an den Unterhalt seiner Kinder jeden Monat mindestens Fr. 100.-- zu leisten, nicht befolgt, indem er zu diesem Zwecke in der Zeit 1.1./21.8.59 nur Fr. 420.--... abführte, was einen Monatsdurchschnitt von nur Fr. 52.50 ergibt... Angesichts dieser erfreulichen Wendung der Dinge besteht heute kein Grund mehr zu der Entmündigung des Rekurrenten..."
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D.- Gegen diesen am 2. Oktober 1959 zugestellten Entscheid richtet sich die vorliegende Berufung der Vormundschaftsbehörde Arlesheim mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheides und Bestätigung der vom Regierungsrat ausgesprochenen Entmündigung mit Entzug der elterlichen Gewalt.
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E.- Die dem Gesuchsgegner nach Arlesheim zur Beantwortung gesandte Berufungsschrift wurde, da er dem dortigen Postamt eine neue Adresse im Nachbarort Reinach BL gemeldet hatte, dorthin weitergeleitet. Die am 4. November 1959 zurückgekommene Empfangsbescheinigung lautete: "Reinach, den 2. November Frau Baumann". Binnen der Frist des Art. 61 OG ging keine Antwort ein.
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Eine Anfrage an das Postamt Arlesheim vom 11. Januar 1960 ergab jene Adressänderung und den Empfang der Sendung durch die Schwiegermutter des Gesuchsgegners. Das Obergericht, das die Anzeige der Berufung nach Art. 56 OG nicht vorgenommen hatte, versuchte dies auf Ersuchen des Präsidenten der II. Zivilabteilung am 13. Januar 1960 nachzuholen, erhielt aber von dem mit der Zustellung beauftragten Polizeiposten Bescheid, A. habe sich laut einem seiner Ehefrau am 26. September 1959 zurückgelassenen Zettel in die Fremdenlegion begeben und sei seither nicht mehr gesehen worden; polizeiliche Nachforschungen seien erfolglos geblieben; der Vorsteher der Vormundschaftsbehörde Arlesheim habe von A. einen vom 21. November 1959 datierten Brief aus der Fremdenlegion mit Angabe der Militäradresse erhalten.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. Die Zustellung der Berufung an den Gesuchsgegner zur Beantwortung hat sich als unwirksam erwiesen, da die den Empfang bescheinigende Frau Baumann, seine Schwiegermutter, nach den postalischen Vorschriften (Art. 105 Abs. 2 lit. b der VV I vom 23. Dezember 1955 zum Postverkehrsgesetz) zum Empfang nicht berechtigt war. Weitere Zustellungsmassnahmen waren indessen nicht geboten, da der Gesuchsgegner es unterlassen hatte, vor oder sogleich nach seiner Abreise ins Ausland im Hinblick auf ein Berufungsverfahren entweder eine Adresse im Ausland, wo Zustellungen an ihn bewirkt werden konnten, anzugeben oder aber (im Sinne von Art. 29 Abs. 4 OG) einen Zustellungsbevollmächtigten in der Schweiz zu bezeichnen. Infolgedessen erfuhren die Gerichte des Entmündigungsverfahrens (Obergericht und Bundesgericht) erst Mitte Januar 1960 infolge polizeilicher Erhebungen die Adresse des Fremdenlegionärs gewissermassen zufällig. Wer sich während eines hängigen Verfahrens für längere Zeit von dem den Behörden bekannten Adressort entfernt, ohne für Nachsendung der an die bisherige Adresse gelangenden Verfügungen zu sorgen und ohne der Behörde zu melden, wo er nunmehr zu erreichen ist, hat eine am bisherigen Ort versuchte Zustellung als erfolgt gelten zu lassen, auch wenn sie nicht in gehöriger Weise geschehen konnte (BGE 82 II 167 und BGE 82 III 15 Erw. 2). Beim Wegzug ins Ausland ist eine Partei ausserdem mit Rücksicht auf ein allfällig hängiges oder zu gewärtigendes bundesgerichtliches Verfahren (gemäss Art. 29 Abs. 4 OG) grundsätzlich zur Verzeigung eines Zustellungsdomizils in der Schweiz verpflichtet. Auch wenn man davon ausgeht, bei einem aktenkundigen Wohnort in einem Lande, wohin amtliche Mitteilungen aus der Schweiz verhältnismässig rasch durch Vermittlung der dortigen Behörden (sei es auf diplomatischem Weg oder auf andere zwischen den Staaten vereinbarte Weise) erfolgen können, brauche ein schweizerisches Zustellungsdomizil nur auf behördliche Aufforderung verzeigt zu werden, ist dem Gesuchsgegner eine Vereitelung der Zustellung vorzuhalten, da er eben schon die Meldung eines ausländischen Wohn- oder sonstigen Adressortes an die mit dem Entmündigungsfall befassten Gerichte unterliess. Sollte er hiezu nicht bald nach seiner Abreise in der Lage gewesen sein, so war es selbstverständliche Pflicht, von sich aus einen Zustellungsbevollmächtigten in der Schweiz bekanntzugeben, um die ungestörte Durchführung eines Berufungsverfahrens zu ermöglichen. Für eine auf längere Zeit ohne bestimmten Ort, wo sie erreicht werden kann, ins Ausland verzogene Partei ergibt sich aus Art. 29 Abs. 4 OG ein von selbst beachtendes Gebot. Wird es missachtet, so können nach der gesetzlichen Vorschrift Zustellungen unterbleiben oder auf dem Ediktalweg erfolgen. Im vorliegenden Fall erübrigten sich jegliche Weiterungen, zumal die Berufung aus Gründen zu schützen ist, denen der Gesuchsgegner zweifellos nichts Triftiges hätte entgegenhalten können.
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3. Auf die neue und daher für das Bundesgericht unbeachtliche Tatsache (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG), dass er seit dem angefochtenen Urteil die Schweiz verlassen und seine Familie der Not preisgegeben hat, kann es zwar nicht ankommen... Und wie auch immer das Verhalten des Gesuchsgegners während der ihm in kantonalen Rekursverfahren eingeräumten Bewährungsfrist von acht bis neun Monaten zu beurteilen sein möchte, erscheint das obergerichtliche Urteil eben deshalb als gesetzwidrig, weil es sich auf den Erfolg einer solchen nachträglichen Bewährungsprobe stützt. Nachdem sich der Entmündigungsentscheid des Regierungsrates, wie das Obergericht selbst gefunden hat, als vollauf gerechtfertigt, die Entmündigung nach Art. 370 ZGB also auf Grund der festgestellten Tatsachen als notwendig erwies und der Gesuchsgegner in seinem Rekurs an das Obergericht denn auch keine tauglichen Gegengründe vorgebracht hatte, war das Rekursverfahren ungesäumt durchzuführen und der Entmündigungsentscheid als zutreffend zu bestätigen. Es widerspricht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung (Art. 368 ff. ZGB), eine von der zuständigen Behörde in ordnungsgemässem Verfahren (das hier umsichtig durchgeführt und nicht zu rasch abgeschlossen wurde) zutreffenderweise ausgesprochene Entmündigung durch Einschaltung einer Bewährungsfrist in das Rekursverfahren hintanzuhalten. Die gerechtfertigte Entmündigung soll ihre Wirkungen entfalten können, und ein trotz seinen Schwächen auf Wahrung seiner Ehre bedachter Gesuchsgegner ist auf die Möglichkeit hinzuweisen, bei nachhaltiger Besserung dereinst gemäss Art. 437 ZGB die Entlassung aus der Vormundschaft zu beantragen. Beruht somit der angefochtene Entscheid auf einer dem kantonalen Rekursverfahren aufgepfropften ungesetzlichen Massnahme, so ist er ohne weiteres aufzuheben.
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In sachlicher Beziehung muss es beim Entscheid des Regierungsrates bleiben, der sich auf zutreffende - und denn auch vom Obergericht an sich durchaus gebilligte - Gründe stützt. Die vom Gesuchsgegner erbetene "Chance" kann bei der Notwendigkeit der Bevormundung, wie dargetan, nur in der Möglichkeit einer spätern Aufhebung der Vormundschaft bestehen.
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Die ihm vom Obergericht erzeigte Rücksicht war übrigens der Natur der Sache nach nicht geeignet, eine genügend sichere Änderung der Verhältnisse herbeizuführen. Sie konnte keinesfalls im Sinne von Art. 437 ZGB Gewähr für den Wegfall des Entmündigungsgrundes bieten. Nicht nur erreichte die dafür bemessene Frist nicht die in jener Bestimmung vorgeschriebene Mindestdauer, sondern es war von vornherein zu befürchten, eine allfällige Besserung des Verhaltens wäre wesentlich dem Druck des schwebenden Verfahrens zuzuschreiben und nicht als Zeichen nachhaltiger Ertüchtigung des Menschen zu werten.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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