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7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Februar 1960 i.S. Döbeli gegen Bürli. | |
Regeste |
1. Art. 46 Abs. 2 OR. Unsicherheit über die bleibenden Folgen der Körperverletzung erlaubt nicht, die Schadenersatzklage zur Zeit abzuweisen, sondern nur, bis auf zwei Jahre die Abänderung des Urteils vorzubehalten. | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 8. Juni 1957 klagte der Vater der Barbara Döbeli in deren Namen gegen Bürli auf Verurteilung zur Zahlung von Fr. 109'489.25 nebst 5% Zins seit 8. August 1950, allenfalls seit dem Friedensrichtervorstand vom 15. Mai 1957. Er forderte namens der Klägerin Fr. 8157.75 als Ersatz für Heilungskosten, Auslagen und Verdienstausfall der Eltern, Fr. 91'331.50 als Ersatz für bleibende ![]() | 2 |
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage.
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Das Amtsgericht Willisau verurteilte den Beklagten am 19. November 1958, der Klägerin Fr. 3798.25 nebst 5% Zins seit 15. Mai 1957 zu bezahlen, und lehnte es ab, über die Schadenersatzforderung für bleibende Invalidität und über die Genugtuungssumme zu entscheiden.
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Beide Parteien appellierten, wobei die Klägerin an einer Forderung von Fr. 105'129.75 nebst 5% Zins seit 8. August 1950, eventuell seit 15. Mai 1957, festhielt, während der Beklagte die Herabsetzung der zugesprochenen Forderung auf Fr. 3000.-- nebst 5% Zins seit 15. Mai 1957 und die Abweisung der Genugtuungsforderung beantragte.
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Mit Urteil vom 25. Februar 1959 verpflichtete das Obergericht des Kantons Luzern den Beklagten, der Klägerin Fr. 3209.75 nebst 5% Zins seit 8. Januar 1954 zu bezahlen (Urteilsspruch 1). Die Klagebegehren auf Ersatz des Dauerschadens und um Zusprechung einer Genugtuung wies es zur Zeit ab (Urteilsspruch 2). Ferner entschied es über die Prozesskosten (Urteilsspruch 3).
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C.- Vater Döbeli hat im Namen der Klägerin die Berufung erklärt. Er beantragt dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Fr. 105'129.75 nebst 5% Zins seit 8. August 1950, eventuell seit 8. Januar 1954, zu bezahlen. Subsidiär stellt er den Antrag auf Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Ergänzung der Akten und zu neuer Beurteilung.
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Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die Klägerin wurde durch den Betrieb des Motorwagens des Beklagten verletzt. Nach der zutreffenden Auffassung des Obergerichts, die der Beklagte im Berufungsverfahren ![]() | 9 |
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Soweit die Klägerin mit der Berufung das erwähnte amtliche Gutachten zu entkräften und die Richtigkeit der Auffassung der Sachverständigen Haffter und Faust über den Grad der Invalidität darzutun versucht, ist auf ihre Anbringen nicht einzutreten. Es ist eine Tatfrage, in welcher Weise ihre Gesundheit durch den Unfall beeinträchtigt wurde und wie diese sich in Zukunft entwickeln werde. Tatsächliche Feststellungen des kantonalen Richters und die Beweiswürdigung, auf der sie beruhen, binden die Berufungsinstanz. Sie können nur berichtigt werden, wenn sie unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande kamen oder offensichtlich auf Versehen beruhen (Art. 63 Abs. 2 OG). Weder das eine noch das andere trifft hier zu, und die Klägerin behauptet das auch nicht.
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4. a) Gemäss Art. 64 Abs. 3 BV stehen die Ordnung des gerichtlichen Verfahrens und die Rechtsprechung den Kantonen zu. Das bedeutet nicht, dass das kantonale Recht auch bestimme, ob und in welchem Zeitpunkt der ![]() | 12 |
b) Der Anspruch auf Rechtsschutz schliesst in sich, dass die vor Eintritt der Verjährung angebrachte Leistungsklage jederzeit geschützt werden muss, wenn die Forderung fällig ist. Der Richter darf nicht die Abwicklung des Prozesses und die Beurteilung verzögern oder die Klage zur Zeit abweisen und den Kläger verhalten, sie später nochmals anzubringen.
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Das gilt insbesondere auch für Schadenersatzklagen aus unerlaubter Handlung, und zwar selbst dann, wenn der Umfang des Schadens von künftigen Ereignissen abhängt und daher noch nicht mit Gewissheit ermittelt werden kann. Der Satz, wonach der nicht ziffermässig nachweisbare Schaden nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der Dinge und auf die vom Geschädigten getroffenen Massnahmen abgeschätzt werden soll (Art. 42 Abs. 2 OR), ist nicht nur auf den bereits eingetretenen, aber schwer beweisbaren Schaden zugeschnitten, sondern auch auf Nachteile, die der Betroffene wegen der schädigenden Handlung voraussichtlich noch erleiden wird, z.B. in Fällen von Kreditschädigung, unlauterem Wettbewerb oder Verletzung in den persönlichen Verhältnissen (BGE 40 II 354 ff., BGE 43 II 55, BGE 60 II 130 f., BGE 84 II 576 f.).
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Den künftigen Einbussen will das Gesetz auf diese Weise namentlich auch in Fällen von Tötung oder Körperverletzung Rechnung getragen wissen (BGE 77 II 299). Hat jemand durch die Tötung eines andern seinen Versorger verloren, so ist ihm dieser Schaden zu ersetzen ![]() | 15 |
Auch die körperlichen Folgen der Verletzung können unsicher sein. Diesem Falle trägt Art. 46 Abs. 2 OR ausdrücklich Rechnung, indem er bestimmt, der Richter könne bis auf zwei Jahre, vom Tage des Urteils an gerechnet, dessen Abänderung vorbehalten, wenn die Folgen der Verletzung im Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen sind. Daraus geht hervor, dass die Schadenersatzklage nicht restlose Sicherheit über die Folgen der Verletzung voraussetzt, sondern dass sie sogar dann geschützt werden muss, wenn die Sicherheit nicht einmal "hinreichend" ist. In diesem Falle ist der Schadenersatz freilich unter Vorbehalt nachträglicher ![]() ![]() | 16 |
c) Die Klägerin hat somit schon heute Anspruch auf vollen Ersatz für alle vorübergehenden oder bleibenden Nachteile der Körperverletzung. Der Schaden für bleibende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit ist auf Grund der körperlichen Folgen zu bestimmen, die gegenwärtig bestehen. Unsicherheit darüber, ob gewisse Folgen auch in Zukunft, insbesondere über die Pubertät hinaus, andauern werden, darf nicht zur Herabsetzung des Schadenersatzes führen, vielmehr ist ihr allenfalls dadurch Rechnung zu tragen, dass der Richter auf längstens zwei Jahre, von der Urteilsfällung an gerechnet, zugunsten des Beklagten die Berichtigung des Urteils vorbehält, wie anderseits eine nur mögliche Verschlimmerung des Zustandes der Klägerin nicht schon heute, sondern nur auf Berichtigungsvorbehalt ![]() | 17 |
Entgegen der Auffassung der Klägerin darf das Bundesgericht die zur Bestimmung der Schadenshöhe nötigen weiteren Feststellungen nicht selber treffen. Art. 64 Abs. 2 OG erlaubt ihm die Vervollständigung des Tatbestandes nur in nebensächlichen Punkten. In welchem Umfange die Klägerin erwerbsunfähig sein werde und welchen Einkommensausfall sie dadurch erleide, sind Hauptfragen. Die Sache ist daher an das Obergericht zurückzuweisen, damit es sie beantworte und neu urteile.
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Der Auffassung des Beklagten, ein solches könne ihm nicht vorgeworfen werden, ist nicht beizupflichten. Seine Behauptung, er habe bei der Annäherung an die Kindergruppe ein Signal gegeben und die Geschwindigkeit des Fahrzeuges herabgesetzt, ist nicht zu hören, da das Obergericht sie verbindlich als nicht bewiesen bezeichnet. Da Kinder im Alter, in dem die Klägerin am Tage des Unfalles stand, unberechenbar sind, handelte der Beklagte pflichtwidrig, ohne Gebrauch der Warnvorrichtung mit etwa 45 km/Std. an der Gruppe vorbeifahren zu wollen. Er durfte nicht voraussetzen, Emma Zähner beaufsichtige die jüngeren Kinder und werde sie unter allen Umständen vom Verlassen des Strassenrandes abhalten. Tatsächlich hielt sie sich nicht zur Betreuung der Kinder bei ihnen auf, sondern sie hatte sich der Gruppe nur vorübergehend ![]() | 20 |
b) Die Körperverletzung, die der Beklagte der Klägerin zugefügt hat, ist so schwer, dass sich die Zusprechung einer erheblichen Genugtuungssumme unter allen Umständen rechtfertigt. Schon die mit der beeinträchtigten Gesundheit verbundenen Nachteile, die die Klägerin bis jetzt erlitten hat, machen einen Ausgleich angemessen. Auch die bleibenden Nachteile bringen der Klägerin seelischen Schmerz und sind daher zu berücksichtigen. Von ihrem Ausmass hängt die Höhe der Genugtuungssumme ab. Diese ist so zu bestimmen, dass die Klägerin für die ganze dem heutigen Zustand entsprechende Beeinträchtigung ihres körperlichen und psychischen Wohlbefindens einen Ausgleich erhält. Da das Obergericht sich hierüber noch nicht abschliessend ausgesprochen hat, kann das Bundesgericht das Mass der Genugtuung nicht bestimmen, sondern ist die Sache auch in diesem Punkte zur Neubeurteilung zurückzuweisen. Es ist nicht zulässig, die Klage zur Zeit abzuweisen; denn die Verletzung ist eingetreten und die Genugtuung daher fällig.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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a) der Klägerin im Sinne der Erwägungen unter Vorbehalt von Art. 46 Abs. 2 OR vollen Ersatz für den heute feststellbaren Dauerschaden zuzusprechen;
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b) den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine Genugtuungssumme zu zahlen;
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