BGE 86 II 206 | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch) | |||
35. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Februer 1960 i. S. B. gegen P. und B. | |
Regeste |
Anfechtung der Ehelichkeit (Art. 253 ff. ZGB). |
2. Die Zuständigkeit zu Anordnungen im Sinne von Art. 282 ZGB bestimmt sich nach Art. 376 ZGB. Die Genehmigung eines Vertrages über die elterliche Unterhaltspflicht kann nicht gültig erklärt werden durch die hiezu offensichtlich unzuständige Vormundschaftsbehörde des ausserhalb des Wohnsitzkantons gelegenen Heimatortes. - Einem vorbehaltlosen Verzicht auf väterliche Unterhaltsleistungen darf die Vormundschaftsbehörde nicht zustimmen. - Wo befindet sich der Wohnsitz eines innert 300 Tagen nach der Scheidung seiner Eltern geborenen Kindes, über dessen Zuweisung das Scheidungsurteil nicht befunden hat? Frage offen gelassen. - Bedeutung des Verzichts der Mutter auf Beiträge des Vaters für das Kind. (Erw. 2). | |
Sachverhalt | |
A.- Die Ehe B.-P. wurde vom Amtsgericht Solothurn-Lebern am 23. Mai 1958 geschieden; am 27. des gleichen Monats trat das Urteil im Scheidungspunkt in Rechtskraft. Am 23. Dezember 1958 gebar die schon während des Prozesses zu ihren Eltern nach Lenzburg gezogene geschiedene Ehefrau das Kind Anton, das gemäss Art. 252 ZGB als eheliches Kind auf den Namen B. eingetragen wurde.
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B.- Am 17. Februar 1959 schlossen die geschiedenen Ehegatten unter Mitwirkung ihrer Anwälte eine Vereinbarung, wonach 1. die Ehefrau anerkannte, dass das Kind Anton nicht vom Ehemann stamme; 2. sie "für sich und das Kind vorbehaltlos und zeitlich unbeschränkt" auf irgendwelche Unterhaltsleistungen des Klägers für das Kind verzichtete; 3. der Ehe mann auf gerichtliche Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes verzichtete, so dass dieses weiterhin mit seinem Namen eingetragen bleibe; 4. die Ehefrau es übernahm, zu dieser Vereinbarung die Genehmigung "der zuständigen Vormundschaftsbehörden von Alberswil/LU und Lenzburg/AG" einzuholen.
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C.- Die Vormundschaftsbehörde des luzernischen Heimatortes des geschiedenen Ehemannes, Alberswil, erteilte die nachgesuchte Genehmigung; die Vormundschaftsbehörde des Wohnortes der geschiedenen Ehefrau, Lenzburg, verweigerte sie. An die Behörde des fortdauernden Wohnsitzes des geschiedenen Ehemannes, Solothurn, hatte man sich nicht gewendet.
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D.- Am 20. März 1959 erhob der Ehemann beim Gericht seines Heimatortes Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes Anton. Die Beklagten widersetzten sich der Klage mit Berufung auf die Vereinbarung vom 17. Februar 1959; im übrigen lasse sich Unmöglichkeit der Vaterschaft des Klägers angesichts der Beziehungen der Eheleute nicht nachweisen. In der Replikschrift erklärte der Kläger, er habe diese Vereinbarung "in Unwissenheit und Unkenntnis der Rechtslage" unterzeichnet, und in der gleichen Lage habe sich auch die heimatliche Vormundschaftsbehörde bei Erteilung ihrer Zustimmung befunden. Dem Kinde hätte ein Beistand gegeben werden und die zuständige Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes zustimmen müssen. Die Vereinbarung sei gesetzwidrig. Man habe ihn irregeführt; immerhin sei aus der Vereinbarung ersichtlich, welche Machenschaften mit ihm getrieben worden seien, und wie bestimmt die Erstbeklagte bestätigt habe, dass das Kind nicht von ihm stamme.
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E.- Beide kantonalen Instanzen haben die Klage abgewiesen, das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil vom 24. November 1959.
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F.- Mit vorliegender Berufung hält der Kläger an seinem Begehren fest.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der binnen der Frist des Art. 253 Abs. 1 ZGB erhobenen Klage steht der Klageverzicht laut der Vereinbarung vom 17. Februar 1959 entgegen, der mindestens eine stillschweigende Anerkennung der Ehelichkeit des Kindes enthält. Infolgedessen wäre die Klage nur zulässig, wenn dargetan würde, dass der Kläger arglistig zur Anerkennung bewogen worden sei (Art. 257 Abs. 1 ZGB). Die in der Replikschrift vor Amtsgericht aufgestellte Behauptung, er sei irregeführt worden. entbehrt jedoch der zureichenden Begründung, und für ergänzende Vorbringen in diesem Punkt ist den Akten nichts zu entnehmen. Jedenfalls ist dem Kläger nicht wahre eheliche Abstammung des Kindes Anton vorgespiegelt worden. Vielmehr hat die Erstbeklagte in der in Frage stehenden Vereinbarung unumwunden zugegeben, das Kind aus ehebrecherischem Verkehr empfangen zu haben (woraus freilich nicht zu schliessen ist, der Kläger vermöchte Unmöglichkeit seiner Vaterschaft nachzuweisen). Die Täuschung müsste sich somit auf die Rechtsgültigkeit des Verzichtes des Kindes auf jegliche Unterhaltsleistungen des Klägers auch in der Zukunft beziehen. Allein in dieser Hinsicht ist als andere Vertragspartei nicht die Erstbeklagte zu betrachten, die in dieser Verzichtsfrage das Kind nicht vertreten konnte (BGE 69 II 69/70), ganz abgesehen davon, dass das Scheidungsgericht noch nicht über die Zuweisung dieses nachgeborenen Kindes entschieden hat und der Mutter daher jedenfalls vorderhand nicht die elterliche Gewalt zusteht. Die Täuschung müsste somit entweder von der dem Verzicht für das Kind zustimmenden Vormundschaftsbehörde von Alberswil begangen worden sein, was keineswegs behauptet wird (diese Behörde soll ja nach den Vorbringen des Klägers wie er selbst "in Unwissenheit und Unkenntnis der Rechtslage" gehandelt haben), oder diese Behörde müsste zur Zeit des Vertragsabschlusses, somit als sie der Vereinbarung namens des Kindes beitrat, eine von der Erstbeklagten begangene Täuschung gekannt haben oder haben kennen müssen (nach der auch auf familienrechtliche Leistungsverträge anwendbaren Vorschrift von Art. 28 OR). Für einen solchen Sachverhalt liegt jedoch nichts vor, und es ist auch gar nicht nachgewiesen, dass die Erstbeklagte den Kläger (und dessen Anwalt) über die Rechtsgültigkeit des Verzichtes des Kindes, den sie vereinbarungsgemäss den Vormundschaftsbehörden von Alberswil und von Lenzburg unterbreitete, absichtlich getäuscht habe.
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Dies freilich nicht aus dem von der Vorinstanz angenommenen Grunde, dass die Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes gar nicht habe zuzustimmen brauchen, der Verzicht für das Kind vielmehr gültig durch die heimatliche Vormundschaftsbehörde ausgesprochen worden sei. Das Vorgehen dieser Behörde ist zwar nicht deshalb zu beanstanden, weil sie von der Ernennung eines Beistandes absah und die Vertretungshandlung selber vornahm; dies war an sich zulässig (Erläuterungen zum VE des ZGB, Band I S. 300 der zweiten Ausgabe;BGE 69 I 221). Allein es gebrach ihr offensichtlich an der Zuständigkeit, die gesetzliche Vertretung für diesen in einem andern als dem Heimatkanton wohnenden Bürger auszuüben (Art. 376 Abs. 1 und 2 ZGB). Über diesen Mangel kann entgegen der (unter anderem aufBGE 39 I 608,BGE 58 I 290undBGE 59 I 211gestützten) Ansicht der Vorinstanz nicht hinweggesehen werden. In Alberswil wird nicht bereits über das Kind Anton B. eine Vormundschaft geführt, die auch bei längerem auswärtigem Aufenthalt auf einen dortigen Wohnsitz könnte schliessen lassen. Damit erweist sich der Hinweis aufBGE 39 I 608undBGE 59 I 211als unstichhaltig. Im übrigen hat nicht die Vormundschaftsbehörde von Alberswil, sondern diejenige von Lenzburg die gesetzliche Vertretung des Knaben für den vorliegenden Prozess angeordnet, und diese Vertretung hat freilich nachBGE 55 II 325Erw. 2 undBGE 58 I 290als wirksam zu gelten, gleichgültig ob sich der Wohnsitz dieses im Scheidungsurteil nicht berücksichtigten nachgeborenen Kindes am Wohnsitz der Mutter, bei der es lebt, befinde (eben in Lenzburg), oder ob es den Wohnsitz des (in Solothurn gebliebenen) Klägers teile, wie dies die Vorinstanz mit Hinweis auf EGGER, N. 5 zu Art. 25 ZGB, und auf einen Entscheid der bernischen Justizdirektion, SJZ 21 S. 256 Nr. 134, annimmt. Was aber den Verzicht des Kindes auf jegliche Unterhaltsleistungen des Klägers betrifft, so hat sich die Vormundschaftsbehörde von Alberswil dabei gar nicht etwa als Behörde des Wohnsitzes betrachtet. Sie war über die Wohnsitzverhältnisse der geschiedenen Eltern unterrichtet, zumal die von ihr "eingesehene und geprüfte" Vereinbarung darüber genaue Angaben enthielt und am Schlusse von "Lenzburg/Solothurn" datiert war. Somit konnte sie sich nicht ernstlich für zuständig halten und hat wohl die Zustimmung nur im Hinblick darauf erteilt, dass ferner die Einholung der Genehmigung der (wirklichen oder vermeintlichen) Wohnsitzbehörde von Lenzburg vorgesehen war. Wie dem aber auch sei, kann die von der offensichtlich unzuständigen Vormundschaftsbehörde erteilte Zustimmung für die Gerichte ebensowenig verbindlich sein wie für die zuständige Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes, also - was hier offen bleiben kann - von Lenzburg oder Solothurn. Übrigens verstösst ein vorbehaltloser Verzicht auf Unterhaltsleistungen des Vaters derart gegen die Fürsorgepflicht der Vormundschaftsbehörde, dass er schlechterdings nicht ausgesprochen bzw. genehmigt werden durfte (BGE 69 II 70Erw. 3). Es ist fraglich, ob dieser Verzicht nicht als nichtig zu betrachten wäre, selbst wenn ihn die zuständige Behörde des Wohnsitzes genehmigt hätte.
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Die Ungültigkeit des Verzichtes, soweit er nach der Vereinbarung vom 17. Februar 1959 für das Kind selbst mit behördlicher Genehmigung verbindlich werden sollte, lässt indessen die Anerkennung der Ehelichkeit unberührt. Diese Anerkennung wurde unbedingt ausgesprochen und nicht an die Bedingung geknüpft, dass der Verzicht auf Unterhaltsleistungen des Klägers für das Kind von der Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes genehmigt werde. Im übrigen ist dieser Verzicht, soweit er die Erstbeklagte betrifft, gültig und für den Kläger nicht bedeutungslos. Die Mutter des Kindes ist danach verpflichtet, für dessen ganzen Lebensaufwand aus eigenen Mitteln (die ihr bei den heutigen Verhältnissen anscheinend in ausreichendem Masse zur Verfügung stehen) aufzukommen. Solange sie diese Verpflichtung zu erfüllen vermag, wird der Kläger tatsächlich an den Unterhalt des Kindes nichts beizutragen haben. Sollte das Kind allerdings während der Dauer seiner Unterhaltsberechtigung die Mutter verlieren oder diese einmal nicht mehr imstande sein, für es in vollem Masse zu sorgen, so wird die gesetzliche Unterhaltspflicht des Vaters zur Geltung kommen müssen.
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Dieser gegebenenfalls unabweislich sich ergebenden Pflicht konnte sich der Kläger gar nicht zum vornherein entschlagen.
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Im übrigen steht die Ordnung der Elternrechte an dem nach der Scheidung geborenen Kinde noch aus. Das Scheidungsgericht wird sie in einem Nachverfahren vorzunehmen haben.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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