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38. Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. Juni 1960 i. S. Baumgartner gegen Siegenthaler. | |
Regeste |
Notwegrecht (Art. 694 ZGB). |
Benützung des Weges vor Eintragung des gemäss Entscheid der zuständigen Behörde einzuräumenden Notwegrechts. |
Inhalt des gesetzlichen Anspruchs auf einen Notweg. |
Wahl zwischen mehrern Wegen, die dem Kläger einen genügenden Zugang zur öffentlichen Strasse vermitteln; Vorrang der Interessen des Beklagten. |
Kann der Kläger auf einen Weg verwiesen werden, der nicht unmittelbar über das Land des Beklagten zur öffentlichen Strasse führt, sondern auch noch das Land eines Dritten beansprucht, dem gegenüber der Kläger kein Wegrecht besitzt, der aber gezwungen ist, dem Kläger den Durchgang zu gestatten, damit dieser ihm Gegenrecht gewährt? Neuregelung des Notwegrechts im Fall einer Veränderung der Verhältnisse. | |
Sachverhalt | |
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B.- Infolge von nachbarlichen Streitigkeiten leitete Siegenthaler gegen Baumgartner am 31. Januar 1956 Klage ein mit den Begehren:
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"1. Es sei dem Beklagten richterlich zu untersagen, den über das Grundstück Trub Grundbuch Nr. 543 am Hause des Klägers vorbeiführenden sogenannten Mattenweg zu befahren oder sonstwie zu benützen, unter Androhung der gesetzlichen Straffolgen im Falle der Widerhandlung.
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2. Es sei dem Beklagten zu verbieten, den über das Grundstück Nr. 543 beim Hause der Familie Wüthrich vorbeiführenden Karrweg zu befahren oder sonstwie zu benützen, soweit er über die Parzelle Nr. 543 des Klägers führt, unter Androhung der gesetzlichen Straffolgen im Widerhandlungsfalle.
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3. Eventuell: Es seien die Modalitäten eines Notwegrechtes bezüglich des unter Ziff. 2 hievor erwähnten Karrwegs, sowie die vom Beklagten dem Kläger hiefür zu bezahlende Entschädigung gerichtlich festzusetzen."
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Baumgartner schloss auf Abweisung der Klagebegehren Ziff. 1 und 2 und verlangte widerklageweise:
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"Der Widerbeklagte sei schuldig und zu verurteilen, zulasten seiner Parzelle Nr. 543 und zugunsten der Parzelle Nr. 544 des Widerklägers ein Notfahrwegrecht einzuräumen und im Grundbuch eintragen zu lassen. Die vom Widerkläger zu bezahlende Entschädigung sei gerichtlich festzusetzen."
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Der Gerichtspräsident von Signau schützte mit Urteil vom 13. November 1957 das Klagebegehren 2 (Verbot der Benützung des Karrwegs), wies dagegen die Klagebegehren 1 und 3 ab und verurteilte Siegenthaler in Gutheissung der Widerklage, Baumgartner auf dem Mattenweg gegen eine Entschädigung von Fr. 1200.-- einen Notweg einzuräumen.
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C.- Siegenthaler zog dieses Urteil an den Appellationshof des Kantons Bern weiter mit dem Antrag, es seien sämtliche Klagebegehren zu schützen und die Widerklage abzuweisen. An der Hauptverhandlung vor dem Appellationshof gab er ausserdem die Erklärung ab, er räume Baumgartner den Notweg über den Karrweg unentgeltlich ein.
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"1. Auf die Appellation bezüglich des Klagebegehrens Ziff. 2 wird nicht eingetreten.
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2. Klagebegehren Ziff. 1 wird zugesprochen, und es wird demgemäss dem Beklagten untersagt, den über das Grundstück Trub Grundbuch Nr. 543 am Hause des Klägers vorbeiführenden Mattenweg zu befahren oder sonstwie zu benützen. Eine Widerhandlung gegen dieses Verbot wird gemäss Art. 403 ZPO, auf Antrag der Gegenpartei, bestraft mit Busse bis Fr. 5000.--, womit Haft oder in schweren Fällen Gefängnis bis zu einem Jahr verbunden werden kann.
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3. Die Widerklage wird in dem Sinne zugesprochen, dass der Widerbeklagte verurteilt wird, zu Lasten seiner Parzelle Trub Grundbuch Nr. 543 und zu Gunsten der Parzelle Trub Grundbuch Nr. 544 auf dem sog. Karrweg einen Notweg, und zwar als Fuss- und Fahrweg, einzuräumen, der im Grundbuch einzutragen ist."
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D.- Gegen dieses Urteil hat Baumgartner die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit den Anträgen, das Klagebegehren 1 auf Verbot der Benützung des Mattenwegs sei abzuweisen und die Widerklage in dem Sinne zu schützen, dass Siegenthaler verurteilt werde, ihm gegen eine gerichtlich festzusetzende Entschädigung auf diesem Wege ein Notwegrecht (Fuss- und Fahrwegrecht) einzuräumen und dieses im Grundbuch eintragen zu lassen; eventuell sei in diesem Punkte das Urteil des Gerichtspräsidenten von Signau (der ihm das verlangte Notwegrecht gegen eine Entschädigung von Fr. 1200.-- zugesprochen hatte) zu bestätigen.
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Siegenthaler schliesst auf Abweisung der Berufung.
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Die kantonale Nichtigkeitsklage gegen das Urteil der I. Zivilkammer des Appellationshofes und die staatsrechtlichen Beschwerden, mit denen Baumgartner dieses Urteil und den Plenarentscheid des Appellationshofs über die Nichtigkeitsklage wegen Verletzung von Art. 4 BV anfocht, sind erfolglos geblieben.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. In materieller Hinsicht ist klar, dass das von der Vorinstanz gutgeheissene Klagebegehren 1 auf Verbot der ![]() | 18 |
3. Aus Ziffer 9 der Berufungsbegründung ist nun freilich zu schliessen, dass Baumgartner das Verbot bezüglich des Mattenwegs nicht bloss für den Fall der Gewährung eines Notwegrechts über diesen Weg, sondern auch für den Fall der Bestätigung des vorinstanzlichen Entscheids über sein Widerklagebegehren aufgehoben wissen ![]() | 19 |
4. Nach Art. 694 Abs. 1 ZGB hat Anspruch auf einen Notweg, wer von seinem Grundstück aus keinen genügenden Weg auf die öffentliche Strasse hat. Daraus folgt, dass der Anspruch nur auf Einräumung eines "genügenden" Weges zur öffentlichen Strasse geht. Bei der Wahl zwischen mehrern Wegen, die nach Lage und Beschaffenheit geeignet sind, dem Berechtigten einen genügenden Zugang zur öffentlichen Strasse zu vermitteln, ist also nicht in erster Linie darauf zu achten, welcher dieser Wege für den Berechtigten der günstigste sei, sondern darauf, welche Lösung dem Belasteten am wenigsten schade. Dass von mehrern geeigneten Wegen der bequemste als Notweg bezeichnet werde, kann der Berechtigte nur verlangen, wenn dem keine schutzwürdigen Interessen des Belasteten entgegenstehen. Nichts anderes kann gemeint sein, wenn ![]() | 20 |
Im vorliegenden Fall ist nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz der Karrweg für Baumgartner zwar weniger günstig als der Mattenweg, aber "nicht etwa ungeeignet." Vielmehr vermag er den Bedürfnissen Baumgartners "durchaus zu dienen." Die seine Benützung erschwerenden Unebenheiten und Engpässe können, wie die Vorinstanz weiter feststellt, mit geringen Kosten behoben werden. Der Mattenweg beansprucht das Grundstück Siegenthalers auf eine längere Strecke als der Karrweg (420 statt 260 m) und führt über besseres Land. Die Benützung des Karrwegs, über den bereits Frau Wüthrich ein Wegrecht besitzt, verursacht Siegenthaler keinen Nachteil. Würde Baumgartner dagegen die Benützung des Mattenwegs gestattet, so wäre Siegenthaler in der Freiheit der Bewirtschaftung seines Landes eingeschränkt und bestünde die Gefahr, dass dieser Weg namentlich bei schlechtem Wetter in seinem obern Teil beschädigt würde. Zudem führt der Mattenweg unmittelbar am Gehöft Siegenthalers vorbei, mit dem Baumgartner im Streite lebt, wogegen der Karrweg mehr als 200 m von diesem Haus entfernt bleibt. Angesichts dieser Umstände entspricht es durchaus dem dargelegten Sinne von Art. 694 ZGB, dass die Vorinstanz Baumgartner auf den Karrweg verwiesen hat.
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Dass Frau Wüthrich und ihr Pächter sich den wünschbaren Verbesserungen des Karrwegs auf ihrem Lande widersetzen, wie Baumgartner schliesslich noch behauptet, lässt sich den zum Beleg hiefür angerufenen Aktenstellen nicht entnehmen. Es ergibt sich daraus nur, dass diese Personen den Weg nicht selbst verbessern wollen. Damit ist aber nicht gesagt, dass sie Baumgartner daran hindern würden, es auf eigene Kosten zu tun.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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