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39. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Februar 1960 i. S. Siegrist und Mettler gegen Wenk-Löliger, Eheleute. | |
Regeste |
Grunddienstbarkeit aus dem Jahre 1910 (Verbot bestimmter Gewerbebetriebe). |
2. Vorherrschende Bedeutung des Grundbucheintrages gegenüber andern Auslegungsmitteln (Art. 971 und speziell 738 ZGB) (Erw. 4). |
3. Soweit der Eintrag nicht an altrechtliche Begriffe und Regeln anknüpft, darf der Grundstückserwerber ihn nach gegenwärtigem Sprachgebrauch verstehen (Erw. 5). |
4. Gegenstand einer Grunddienstbarkeit kann unter gewissen Voraussetzungen auch eine nur im Sinn eines Konkurrenzverbotes vereinbarte Gewerbebeschränkung sein (Art. 730 Abs. 1 ZGB), doch ist eine solche Dienstbarkeit eng auszulegen (Erw. 6). |
5. Ein Kioskbetrieb der heutzutage üblichen Art verstösst nicht gegen das Verbot des Betriebs eines Kolonialwarengeschäfts (Erw. 7) und eines Warenhauses (Erw. 8). | |
Sachverhalt | |
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B.- Das berechtigte Grundstück gehört den Beklagten, Eheleuten Wenk-Löliger, die darin ein Geschäft für Lebensmittel, Merceriewaren, Eisenwaren und Brennmaterial betreiben.
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Auf dem nun infolge Kaufes auf die Kläger, Siegrist und Mettler, übergegangenen belasteten Grundstück wurde bisher ein Restaurant betrieben. Die Kläger wollen an dessen Stelle einen Neubau zum Betrieb eines Kinos erstellen und am Eingang einen Kiosk einbauen lassen. Diesen hat bereits die Kiosk A.-G., Bern, gemietet beZw. gepachtet, um darin Zeitungen, Zeitschriften, Bücher uud daneben Tabakwaren, Schokolade, Ice-Cream und Confiserieartikel feilzubieten.
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C.- Dem allgemeinen Verkauf von Waren der letztern Art (ausser dem Lesestoff) widersetzten sich die Beklagten mit Berufung auf die Dienstbarkeit. Sie waren nur bereit, die Abgabe solcher Waren ausschliesslich an Kinobesucher zu gestatten. Die Kläger hielten jedoch dafür, der vorgesehene Kioskbetrieb verstosse nicht gegen die Dienstbarkeit. Mit Klage vom 14. Mai 1958 verlangten sie die gerichtliche Feststellung, sie seien berechtigt, auf ihrem Grundstück einen Kiosk zu erstellen und darin Raucherwaren, sowie Schokolade, Ice-Cream und andere Confiserieartikel verkaufen zu lassen.
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D.- Das Zivilgericht Basel-Stadt hiess die Klage in vollem Umfange gut. Das von den Beklagten angerufene Appellationsgericht wies sie dagegen im wesentlichen ab. Laut seinem Urteil vom 15. Mai 1959 dürfen die Kläger in dem geplanten Kiosk von den streitigen Waren nur Ice-Cream, frische Confiserieartikel und Backwaren (Törtchen und "Weggli"), dagegen keine Raucherwaren und auch nicht Schokolade, Biskuits und Bonbons verkaufen lassen.
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F.- Zu der im angefochtenen Urteil nicht erörterten Frage, ob für die Auslegung dieser vor Inkrafttreten des ZGB errichteten Grunddienstbarkeit das alte (kantonale) oder das neue (eidgenössische) Recht massgebend sei, äusserte sich der Präsident des Appellationsgerichts auf Anfrage dahin, dem angefochtenen Urteil liege, trotz dem Hinweis auf Kommentare zum Sachenrecht des ZGB in den Erwägungen, das alte Recht zu Grunde. Es handle sich um das Gemeine Recht, wie es im Kanton Basel-Stadt subsidiär gegolten habe. In Betracht falle namentlich der Grundsatz, wonach bei Bestimmung des Inhalts und Umfangs einer Dienstbarkeitsberechtigung die Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks zu berücksichtigen seien (WINDSCHEID/KIPP, Lehrbuch des Pandektenrechts, 9. Auflage, S. 1064). Es habe nahe gelegen, im angefochtenen Urteil auf die Kommentare zum ZGB zu verweisen, die denselben (wiewohl im ZGB nicht ausgesprochenen) Grundsatz anerkennen (WIELAND, Bem. 2. zu Art. 738 ZGB; LEEMANN, N. 11 hiezu und N. 28 zu Art. 730 ZGB).
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G.- Mit Rücksicht auf diese Urteilserläuterung erhielten die Kläger Gelegenheit, die Berufungsschrift zu ergänzen. Sie erklärten zunächst, von der Anwendung kantonalen Rechtes sei bei der öffentlichen Urteilsberatung nicht die Rede gewesen, so wenig wie in den schriftlichen Erwägungen. Nach Ansicht der Kläger ist in Wahrheit eidgenössisches Recht anwendbar; sie rügen dessen Verletzung durch das angefochtene Urteil.
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Die Beklagten wollen es dagegen bei der Anwendung des kantonalen Rechtes bewenden lassen, wie sie laut dem erläuternden Bericht der Vorinstanz erfolgt ist. Sie beantragen daher, auf die Berufung sei nicht einzutreten. Der Eventualantrag geht auf Abweisung der Berufung.
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H.- Die staatsrechtliche Beschwerde der Beklagten - die mit dem im wesentlichen zu ihren Gunsten ergangenen Rechtsspruch der Vorinstanz als solchem einverstanden ![]() | 11 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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3. Die vor Inkrafttreten des ZGB entstandenen Rechte unterstehen nach Art. 17 Abs. 2 SchlT, "soweit dieses Gesetz eine Ausnahme nicht vorsieht", in bezug auf ihren Inhalt nun dem neuen Recht. Als Ausnahme ![]() ![]() | 14 |
4. Das soeben Gesagte würde freilich im vorliegenden Falle die Anwendung des vor 1912 geltenden Rechtes zunächst nicht hindern. Geht der Streit doch hauptsächlich um den konkreten, auf altrechtlichem Vertrag beruhenden Sinn des als Grunddienstbarkeit festgelegten Verbotes, "ein Kolonialwaren- ... geschäft" oder "ein Warenhaus" zu betreiben, und um die Frage, ob dieses Verbot auch den von den Klägern geplanten Betrieb eines Kioskes treffe. Der Umstand, dass man es bei diesem Projekt mit einer erst nach Inkrafttreten des neuen Rechtes eingetretenen Tatsache zu tun hat, stünde an und für sich der Anwendung des alten Rechtes nicht entgegen. Denn ob eine neue Tatsache einem vom alten Recht beherrschten Vertrag widerspreche, bleibt eine Frage der Auslegung dieses Vertrages (vgl.BGE 79 II 401). Allein ![]() ![]() | 15 |
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Damit ist allerdings nicht gesagt, die (aus dem Grundbuch ersichtliche) Entstehungszeit der Dienstbarkeit sei unter allen Umständen bedeutungslos. Hätte man es mit einem erkennbar dem alten Sachenrecht entnommenen Grunddienstbarkeitstypus zu tun (vgl. etwa die im alten kantonalen Recht näher ausgestalteten Weide- und Beholzungsrechte oder das sog. Streck- und Tretrecht, worüber siehe E. HUBER, System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts, Band III, S. 312, 338, 381 ff.), so wäre zur Erläuterung des heutigen Grundbucheintrages auf das alte Recht der Dienstbarkeiten zurückzugreifen. Davon ist hier aber nicht die Rede. Der vorliegende Eintrag nimmt keinen Bezug auf altrechtliche Dienstbarkeitstypen. Gegenstand der streitigen Dienstbarkeit ist eine Gewerbebeschränkung, die nicht etwa dazu dient, Einwirkungen durch Lärm, Rauch, üble Dünste oder Erschütterung und dergleichen über die Gebote des Nachbarrechts hinaus vom berechtigten Grundstück fernzuhalten, sondern ![]() | 17 |
6. Abgesehen davon indessen, dass selbst Autoren des Pandektenrechts dieses Bedürfnis vornehmlich nur zur Begrenzung der Belastung, zur Bestimmung ihres Höchstmasses, berücksichtigt wissen wollen (vgl. DERNBURG, System des römischen Rechts, 8. Auflage, Band I S. 425 mit Fussnote 7), wäre es mit der Grundbuchwirkung des ZGB unvereinbar, die Last über den sich aus dem Eintrag deutlich ergebenden Inhalt hinaus zu erweitern. Einschränkend sind namentlich Dienstbarkeiten wie die vorliegende auszulegen, die dem Eigentümer des belasteten Grundstücks eine Betätigung untersagen, zu der er nicht bloss kraft seines Grundeigentums, sondern kraft der jedermann zustehenden persönlichen Freiheit befugt wäre. Man kann sich sogar fragen, ob eine solche einzig im Sinn eines Konkurrenzverbotes vereinbarte Gewerbebeschränkung sich überhaupt als Grunddienstbarkeit verdinglichen lasse. In der Rechtslehre ist dies umstritten geblieben. Während KOHLER (Archiv für ziv. Praxis 87, 1897, S. 174) die Frage grundsätzlich verneinte, ebenso, für das Recht des ZGB, SCHWANDER (Grunddienstbarkeiten, Diss. 1910, S. 33), haben Lehre und Rechtsprechung zum ZGB sie im allgemeinen bejaht (BGE 78 II 26/27 Erw. 4; WIELAND, ![]() | 18 |
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a) Von der Herkunft mancher Tabaksorten aus überseeischen Ländern ausgehend, zählt das Appellationsgericht auch Tabakwaren zu den "Kolonialwaren". Diese logisch-begriffliche Ableitung hält aber vor den oben dargelegten Grundsätzen des Grundbuchrechtes nicht stand. Danach kommt es auf den landläufigen Sprachgebrauch an. Die Kläger durften beim Erwerb des Grundstücks den Ausdruck "Kolonialwarengeschäft" so verstehen, wie er im Gebrauche steht. Der Begriff der Kolonialware ist freilich nicht in jeder Hinsicht fest umgrenzt.
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b) Wie es sich mit der vom Appellationsgericht ohne jedes Bedenken als Kolonialware betrachteten Schokolade verhält - insbesondere mit der, allerdings aus überseeischem Grundstoff, in der Schweiz in mannigfacher Weise verarbeiteten Ess-Schokolade verschiedener Marken -, kann dahingestellt bleiben. Der vorliegende Grundbucheintrag verbietet nämlich (hierin vom Fall des soeben erwähnten Entscheides abweichend) gar nicht den Verkauf von Kolonialwaren schlechthin, sondern den Betrieb eines Kolonialwaren-"geschäftes". Ein Kiosk (Verkaufsstand für Zeitungen, Erfrischungen usw., laut dem Grossen Brockhaus 1955) wird nun weder unter Kaufleuten noch im Publikum als Kolonialwarengeschäft bezeichnet. Darüber glaubt die Vorinstanz zu Unrecht hinweggehen zu sollen mit der Bemerkung, es bestehe nur ein (in ihren Augen unerheblicher) organisatorischer Unterschied: Beim Kiosk kaufe man von der Strasse her ein, ohne den Verkaufsraum wie beim Ladengeschäft zu betreten. Zu beachten ist jedoch ausserdem die verschiedene wirtschaftliche Zweckbestimmung. Beim Kiosk tätigt man Kleinkäufe; abgesehen von Zeitungen, Zeitschriften und ähnlichem Lesestoff ersteht man etwa ein Päcklein Zigaretten oder Stumpen, Süssigkeiten, für 50 Rappen Erdnüsschen und dergleichen. Für die ordentlichen ![]() | 22 |
c) Gewiss wird den Beklagten auf dem Gebiete der streitigen Waren aus dem Kioskbetrieb eine nicht unbeträchtliche Konkurrenz erwachsen. Das rechtfertigt es aber nach dem Gesagten nicht, das Verbot über den Grundbucheintrag hinaus auf einen Betrieb solcher Art auszudehnen. Es ist belanglos, aus welchem Grunde die Dienstbarkeit nicht weiter gefasst wurde, sei es durch Einbeziehung von Kioskbetrieben, sei es durch ein Verbot des Verkaufs gewisser Waren als solcher statt bloss eigentlicher "Geschäfte". Die Vermutung der Vorinstanz, man dürfte beim Abschluss des Dienstbarkeitsvertrages nicht an die Möglichkeit der Konkurrenzierung durch einen Kioskbetrieb gedacht haben, weil sich wohl damals in Riehen noch gar kein Kiosk befunden habe, kann daher auf sich beruhen bleiben. Sie steht übrigens auf schwachen Füssen; denn nicht nur war der Name Kiosk und sein heutiger Begriff als Kleinverkaufsstätte damals in Europa längst bekannt (vgl. Brockhaus'Konversationslexikon von 1894), sondern nach Feststellung der Vorinstanz gab es im Jahre 1910 in der Stadt Basel auf grossen Plätzen und an wichtigen Tramhaltestellen bereits solche Kioske. Zur Zeit der Errichtung der Dienstbarkeit war Riehen auch nicht etwa ein einsames Bauerndorf, sondern ein Vorort von Basel mit über 3000 Einwohnern (Statistisches Jahrbuch von Basel Stadt 1921, Tabelle a 2 mit chronologischer Übersicht), und die Vertragschliessenden waren Geschäftsleute, die mit den Verhältnissen in Basel vertraut sein mussten.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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