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Informationen zum Dokument  BGE 86 II 340  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach den vor Bundesgericht gestellten Anträgen streiten d ...
2. Art. 533 ZGB bestimmt, dass die Herabsetzungsklage mit dem Abl ...
3. Nach Art. 7 ZGB finden die allgemeinen Bestimmungen des Obliga ...
4. Für den Entscheid darüber, ob die Art. 135 und 137/3 ...
5. Der durch eine Verfügung von Todes wegen Benachteiligte k ...
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53. Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Oktober 1960 i.S. Ember gegen Schaffner.
 
 
Regeste
 
Anfechtung der Enterbung wegen Unrichtigkeit der Grundangabe (Art. 479 Abs. 2 ZGB). Natur der Klage. Passivlegitimation des Willensvollstreckers?  
 
Sachverhalt
 
BGE 86 II, 340 (340)A.- Hieronymus Georg Schaffner, der seine erste Frau durch den Tod verloren und im Jahre 1940 mit Johanna geb. Probst eine zweite Ehe geschlossen hatte, errichtete am 21. Juni 1951 und 4. Juni 1952 letztwillige Verfügungen, BGE 86 II, 340 (341)mit denen er seine Tochter aus erster Ehe, Frieda Ember-Schaffner, zur Alleinerbin einsetzte, seine Ehefrau enterbte und Maximilian Ember, einen Sohn von Frieda Ember, zum Willensvollstrecker ernannte. Am 8. Dezember 1952 starb er. Seine gesetzlichen Erben sind seine Witwe und seine Tochter.
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B.- Am 19. Mai 1953 leitete Frau Johanna Schaffner gegen Frau Frieda Ember beim Bezirksgericht Zürich Klage ein mit dem Begehren, die letztwilligen Verfügungen des Erblassers seien "gänzlich, eventuell in bezug auf die Enterbung der Klägerin" für rechtsungültig zu erklären und demgemäss sei "die Klägerin als gesetzliche Erbin im Sinne des Art. 462 ZGB anzuerkennen". Sie machte geltend, der Erblasser sei bei Errichtung der angefochtenen Verfügungen nicht urteilsfähig gewesen; auf jeden Fall aber sei ihre Enterbung unbegründet. Die Beklagte erhob in erster Linie die Einrede, die Klage müsse schon deshalb abgewiesen werden, weil sie nur gegen sie als die einzige Erbin, nicht auch gegen den Willensvollstrecker gerichtet sei. Im übrigen bestritt sie die Urteilsunfähigkeit des Erblassers und behauptete, die Enterbung der Klägerin sei gerechtfertigt. Das Bezirksgericht erklärte mit Urteil vom 14. Dezember 1956 die letztwilligen Verfügungen des Erblassers für ungültig, "soweit durch sie die Klägerin enterbt wird", und stellte fest, die Klägerin sei gesetzliche Erbin im Sinne von Art. 462 ZGB. Im übrigen wies es die Klage ab.
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C.- Vor dem Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer), an das beide Parteien appellierten, fand am 29. Oktober 1957 die Appellationsverhandlung statt. Im Anschluss daran beschloss das Obergericht, die Urteilsberatung zu verschieben. Dann ruhte der vorliegende Prozess, ohne förmlich sistiert worden zu sein, mehr als ein Jahr lang, weil der zwischen den nämlichen Parteien hängige Abrechnungsprozess (vgl. BGE 86 II 335 hievor), in welchem zum Teil die gleichen Tatsachen und die gleichen Akten eine Rolle spielten wie im vorliegenden BGE 86 II, 340 (342)Prozess und den das Obergericht deshalb zusammen mit diesem erledigen wollte, noch nicht spruchreif war.
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Mit Eingabe vom 31. Oktober 1958 stellte die Beklagte den Antrag, die Klage sei in Anwendung von Art. 533 und 521 ZGB sowie Art. 137 und Art. 138 Abs. 1 OR wegen Verjährung abzuweisen, weil seit der Verhandlung vom 29. Oktober 1957 weder eine gerichtliche Handlung der Parteien noch eine Verfügung oder Entscheidung des Richters erfolgt sei.
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Am 28. August 1959 hat das Obergericht die Appellationen beider Parteien abgewiesen und das bezirksgerichtliche Urteil bestätigt.
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D.- Gegen das Urteil des Obergerichtes hat die Beklagte die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, die Klage sei im vollen Umfang abzuweisen. In der Berufungsschrift steht, mit der vorliegenden Berufung erhebe die Beklagte "lediglich noch Einreden, die sich auf die mangelnde Aktiv- (gemeint: Passiv-) legitimation der Beklagten und die Verjährung stützen." In der heutigen Berufungsverhandlung hat die Beklagte erklärt, sie verzichte auf die Einrede, dass auch der Willensvollstrecker hätte eingeklagt werden müssen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1. Nach den vor Bundesgericht gestellten Anträgen streiten die Parteien nur noch darüber, ob die Enterbung der Klägerin wirksam sei oder ob die Klägerin auf den Viertel des Nachlasses Anspruch habe, den sie auf Grund von Art. 462 Abs. 1 ZGB als Erbteil verlangt und der nach Art. 471 Ziff. 4 ZGB ihren Pflichtteil bildet. Die Klage, mit der ein Enterbter auf den Pflichtteil Anspruch erhebt, ist eine besondere Art der Herabsetzungsklage (BGE 85 II 600). In Bezug auf diese Klage ist der Willensvollstrecker nicht passivlegitimiert (BGE 85 II 601 mit Hinweisen). Die Beklagte hat also mit Recht darauf verzichtet, gegenüber dem heute noch streitigen Klagebegehren einzuwenden, neben ihr hätte auch der Willensvollstrecker belangt BGE 86 II, 340 (343)werden müssen. Sie behauptet auch nicht, die Vorinstanz habe das Vorliegen eines Enterbungsgrundes zu Unrecht verneint. Unter Verzicht auf andere Einreden macht sie vielmehr nur noch geltend, die Klage sei wegen Verjährung abzuweisen. Daher hat das Bundesgericht nur die Verjährungsfrage zu prüfen.
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2. Art. 533 ZGB bestimmt, dass die Herabsetzungsklage mit dem Ablauf bestimmter Frìsten verjähre. Art. 521 ZGB stellt für die Ungültigkeitsklage eine entsprechende Bestimmung auf. Weitere Bestimmungen über diese Verjährung enthält das ZGB nicht. Dagegen behandelt das OR die Verjährung in dem die Art. 127 bis 142 umfassenden Unterabschnitt G des dem Erlöschen der Obligationen gewidmeten dritten Titels der Allgemeinen Bestimmungen. Es kann sich daher fragen, ob die Verjährung der Ungültigkeits- und der Herabsetzungsklage insoweit, als das ZGB sie nicht näher ordnet, den Vorschriften von Art. 127 ff. OR unterliege. Diese Frage stellt sich im vorliegenden Falle namentlich für die von der Beklagten angerufenen Vorschriften der Art. 135 und 137/38 OR über die Unterbrechung der Verjährung und den Beginn einer neuen Frist.
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3. Nach Art. 7 ZGB finden die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts über die Entstehung, Erfüllung und Aufhebung der Verträge auch auf andere zivilrechtliche Verhältnisse Anwendung. Zu diesen Bestimmungen sind auch die Vorschriften von Art. 127 ff. OR über die Verjährung zu rechnen. Damit ist aber keineswegs gesagt, dass überall dort, wo das Gesetz von der Verjährung eines zivilrechtlichen Anspruchs spricht, ohne weiteres die eben erwähnten Vorschriften heranzuziehen seien. Diese sind vielmehr auf die Verjährung von Forderungen zugeschnitten und können deshalb nur auf solche unmittelbar angewendet werden. In Fällen, wo das Gesetz die Verjährung anderer Ansprüche vorsieht, kommt dagegen höchstens eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften oder einzelner davon in Betracht.
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BGE 86 II, 340 (344)4. Für den Entscheid darüber, ob die Art. 135 und 137/38 OR auf die Ungültigkeits- und die Herabsetzungsklage entsprechend anzuwenden seien, ist massgebend, ob und allenfalls wieweit eine solche Anwendung angesichts der Regelung, welche diese Klagen im Gesetz erfahren haben, sachlich gerechtfertigt sei. Diese Frage lässt sich beantworten, ohne dass zu prüfen wäre, ob es dogmatisch richtig sei, die Rechtsfolge, welche die Art. 521 und 533 ZGB an den unbenützten Ablauf der hier festgesetzten Fristen knüpfen, als Verjährung (besonderer Art) zu bezeichnen (so namentlich BGE 45 II 524, BGE 46 II 12, BGE 78 II 12, BGE 83 II 509 /10; BGE 85 II 603 oben; TUOR, 2. Aufl., N. 1-3, ESCHER, 3. Aufl., N.1 zu Art. 521 ZGB; V. TUHR/SIEGWART § 80 II a.E. S. 657; GUHL, Das schweiz. OR, 5. Aufl., S. 246), oder ob hier besser von einer Verwirkung des Klagerechts gesprochen würde, wie die Vorinstanz es getan hat (vgl. ausser dem angefochtenen Urteil auch ZR 56 Nr. 89, 57 Nr. 111).
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5. Der durch eine Verfügung von Todes wegen Benachteiligte kann, falls er die ihm nach seiner Auffassung zukommenden Erbschaftswerte noch nicht besitzt, nach dem klaren Sinne des Gesetzes nur durch gerichtliche Klage geltend machen, die Verfügung sei mit einem Ungültigkeitsgrunde behaftet oder verletze seinen Pflichtteil. Um die Verfügung unwirksam zu machen oder auf das erlaubte Mass herabzusetzen, bedarf es in einem solchen Fall eines auf Ungültigkeits- bezw. Herabsetzungsklage hin ergangenen Urteils (es sei denn, dass die Beteiligten sich auf eine von der streitigen Verfügung abweichende Teilung der Erbschaft einigen). Solange ein solches Urteil nicht ergangen ist, stehen dem Benachteiligten die erbrechtlichen Ansprüche, welche die Verfügung ihm abgesprochen hat, nicht zu, sondern besitzt er nur ein durch Klage auszuübendes Anfechtungsrecht. Darin unterscheidet sich seine Stellung wesentlich von derjenigen des Gläubigers zumal einer Geldforderung, der diese schon vor dem Richterspruch innehat und sie z.B. zur Verrechnung verwenden BGE 86 II, 340 (345)oder unter Umständen (wenn sie auf einer Schuldanerkennung im Sinne von -Art. 82 SchKG beruht oder wenn der Schuldner den Rechtsvorschlag unterlässt) auch eintreiben kann, ohne vorher ein gerichtliches Urteil erstreiten zu müssen. Wenn das Gesetz vorschreibt, dass die Ungültigkeits- und die Herabsetzungklage mit dem Ablauf bestimmter Fristen verjähren, so kann dies also nur heissen, der nicht besitzende Benachteiligte müsse bei Gefahr des Verlustes des Klagerechts innert dieser Fristen die gerichtliche Klage einleiten. Durch eine andere Vorkehr kann er den in Art. 521 und 533 ZGB vorgesehenen Rechtsnachteil nicht abwenden, weil er eben vorderhand nur über ein Anfechtungsrecht verfügt und die gerichtliche Klage für ihn (anders als für den Erbschaftsbesitzer, der sich auf die Erhebung einer Einrede beschränken kann) das einzige Mittel ist, um das Vorliegen eines Ungültigkeits- oder Herabsetzungsgrundes geltend zu machen. Hieraus folgt, dass Art. 135 OR auf die Ungültigkeits- und die Herabsetzungsklage jedenfalls insoweit nicht angewendet werden kann, als er eine Unterbrechnung der Verjährung durch andere Mittel als durch gerichtliche Klage (oder Einrede vor Gericht) vorsieht. Die Ladung zu einem amtlichen Sühnversuch (Art. 135 Ziff. 2 OR) kann zur Wahrung der Fristen von Art. 521 und 533 ZGB nur genügen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, unter denen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes (vgl. BGE 85 II 537 mit Hinweisen) die Anrufung des Sühnbeamten als Klageanhebung gilt.
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Ist Gegenstand der Verjährung im Sinne von Art. 521 und 533 ZGB ein Anfechtungsrecht, das durch Klage ausgeübt werden muss, so ist auf der andern Seite aber auch anzunehmen, dass die innert Frist erfolgte Klageeinleitung genüge, um den Kläger gegen einen durch Zeitablauf bewirkten Verlust der Befugnis zu schützen, die Ungültigerklärung oder Herabsetzung der ihn benachteiligenden Verfügung zu verlangen; dies jedenfalls dann, wenn die Klage zuständigenorts und in gehöriger Form eingeleitet worden BGE 86 II, 340 (346)ist. Nach vorschriftsmässiger Ausübung des Klagerechts kann von einer Verjährung der Klage, womit hier eben nur dieses durch den einmaligen Akt der Klageeinleitung auszuübende Recht, nicht wie in andern Fällen (vgl. z.B. Art. 454 ZGB: Verjährung der Verantwortlichkeitsklage gegen die vormundschaftlichen Organe) eine dem Kläger zustehende Forderung gemeint sein kann, nicht mehr die Rede sein. Der Kläger darf in den Fällen von Art. 521 und 533 ZGB, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, vernünftigerweise annehmen, dass er mit der Klageeinleitung das zur Wahrung seines Klagerechts Erforderliche getan habe. Die Vorschriften von Art. 137 Abs. 1 und 138 Abs 1 OR, wonach die Verjährung mit der Unterbrechung und im Falle der Unterbrechung durch Klage oder Einrede mit jeder gerichtlichen Handlung der Parteien und mit jeder Verfügung oder Entscheidung des Richters von neuem beginnt und daher unter Umständen während der Hängigkeit des Prozesses eintritt, können somit für die Verjährung der Ungültigkeits- und der Herabsetzungsklage im Sinne von Art. 521 bezw. 533 ZGB nicht gelten. Die entsprechende Anwendung der fraglichen Vorschriften auf diese Fälle lässt sich sachlich um so weniger rechtfertigen, als jene Vorschriften, soweit sie den Eintritt der Verjährung während der Hängigkeit eines ordnungsgemäss eingeleiteten Prozesses zulassen, ohnehin problematisch geworden sind, seitdem sich im Prozessrecht weitgehend der Grundsatz durchgesetzt hat, dass es Sache des Gerichtes ist, für eine beförderliche Durchführung und Erledigung der Prozesse zu sorgen.
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Die Verjährungseinrede der Beklagten ist daher von der Vorinstanz zu Recht verworfen worden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil der II. Zivilkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 28. August 1959 bestätigt.
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