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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
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55. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. November 1960 i.S. Müller gegen Knie. | |
Regeste |
Retentionsrecht des Willensvollstreckers und Anwalts, Art. 895 ZGB. |
Steht dem Anwalt, der im Anschluss an eine Testamentsvollstreckung ein zum Nachlass gehörendes Wertschriftendepot für den Erben weiterverwaltet und diesen auch sonst berät, für seine Honoraransprüche aus Willensvollstreckung und Anwaltstätigkeit ein Retentionsrecht zu? (Erw. 3, 4). |
Frage des Besitzes (Erw. 3). |
Frage des Zusammenhanges zwischen Forderung und Gegenstand der Retention beim nicht kaufmännischen Retentionsrecht (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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B.- Im Jahre 1955 belangte die Klägerin den Beklagten auf Herausgabe des Wertschriftendepots. Der Beklagte ![]() | 2 |
C.- Das Obergericht Zürich kam mit Urteil vom 13. Mai 1960 zum Schlusse, die Forderung des Beklagten auf eine Vergütung für die Tätigkeit als Willensvollstrecker sei verjährt, da sein Mandat schon Ende 1941 erloschen sei; dagegen stehe ihm für einen Honoraranspruch von Fr. 5852.50 ein Retentionsrecht am Wertschriftendepot zu. Ebenso seien die Honorarsprüche des Beklagten aus Anwaltstätigkeit für die Klägerin mit Ausnahme einer Forderung von Fr. 340.-- verjährt; für sein Anwaltshonorar könne der Beklagte kein Retentionsrecht beanspruchen, weil ihm als Anwalt seitens der Klägerin kein Besitz an den streitigen Wertschriften eingeräumt worden sei und zwischen seinem Besitz als Willensvollstrecker und seiner Anwaltsforderung kein rechtlich bedeutsamer Zusammenhang bestehe.
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D.- Auf Berufung des Beklagten hin hebt das Bundesgericht das angefochtene Urteil auf und weist die Sache an die Vorinstanz zurück auf Grund der folgenden
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Erwägungen: | |
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2. Nach Art. 140 OR wird die Verjährung einer Forderung durch das Bestehen eines Pfandrechts an Fahrnis zwar nicht ausgeschlossen; dagegen hindert der Eintritt der Verjährung den Gläubiger nicht an der Geltendmachung des Pfandrechts. Das gilt, wie die Vorinstanz mit zutreffender Begründung ausführt, auch für das Retentionsrecht gemäss Art. 895 ff. ZGB. Hiefür spricht schon die Systematik des Gesetzes, das im I. Abschnitt des 23. Titels das Retentionsrecht zusammen mit dem Faustpfand dem Begriff des Fahrnispfandes unterstellt und es in Art. 895 ff. als dingliches Recht in einer Weise ausgestaltet, die es dem Fahrnispfand gleichstellt; insbesondere gilt das laut Art. 898 Abs. 1 ZGB hinsichtlich der Verwertung. Damit steht schliesslich auch der beschlagsrechtliche Grundsatz von Art. 37 Abs. 2 SchKG in Einklang, wonach der Ausdruck "Faustpfand" auch das Retentionsrecht in sich schliesst. Auch wirtschaftlich rechtfertigt sich die Gleichstellung der beiden Institute. Zudem muss, nachdem im geltenden OR die früher in Art. 146 Abs. 2 aoR vorgesehene Unverjährbarkeit der Faustpfandforderung beseitigt wurde, der sachenrechtliche Gesichtspunkt vermehrt ins Gewicht fallen. Dem allen gegenüber erscheint es von untergeordneter Bedeutung, dass das Faustpfand durch Vertrag, also mit dem Willen des Schuldners, begründet wird, während das Retentionsrecht ![]() | 7 |
Die hier vertretene Auffassung, dass Art. 140 OR auch auf das Retentionsrecht anwendbar sei, wird denn auch von der weit überwiegenden Mehrheit des Schrifttums geteilt (So BECKER, OR Art. 140 N. 3; VON TUHR/SIEGWART, OR II S. 675; LEEMANN, ZGB Art. 895 N. 29; OFTINGER, ZGB Art. 895 N. 75; a.M. OSER/SCHÖNENBERGER, OR Art. 140 N. 3).
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Die Vorinstanz schränkt jedoch die Wirkungen dieser Sach- und Rechtslage und darauf beruhender Retentionsrechte ![]() | 10 |
Angesichts dieser Umstände ist es belanglos, wenn die Vorinstanz das Fehlen eines "Fürsorgeauftrags" des Erblassers oder der Klägerin selber an den Beklagten feststellt, eine Urkunde über einen Auftrag der Klägerin an den Beklagten zur Vermögensverwaltung vermisst usw. All dessen bedurfte es nicht. Der Beklagte hatte die streitigen Vermögenswerte bereits in Besitz und Verwaltung, und beides überliess ihm die Klägerin nach durchgeführter Erbteilung über 12 Jahre hin weiter. Auf diese Zeitdauer darf sie sich nicht nur berufen, wo sich ![]() | 11 |
Das Erfordernis des Besitzes des Beklagten ist daher als erfüllt anzusehen, auch soweit seine Tätigkeit als Anwalt in Frage steht.
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a) Die Vorinstanz hat einen solchen Zusammenhang für die Ansprüche des Beklagten aus Willensvollstreckung mit Recht anerkannt. Für seine sonstige Anwaltstätigkeit dagegen hat sie ihn verneint. Es erscheint jedoch von vorneherein als fraglich, ob es angeht, einen Tatbestand ohne Rücksicht auf die organische Entwicklung der Lebensvorgänge in dieser Weise aufzuspalten.
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Die Vorinstanz geht davon aus, der Zusammenhang der Forderung müsse nicht nur mit dem Gegenstand der Retention bestehen, sondern überdies mit dem Grunde des Besitzes des Gläubigers daran; sie verlangt also, dass Forderung und Besitz auf demselben Rechtsverhältnis beruhen müssen. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Die Vorinstanz glaubt zu Unrecht, ihre Schlussfolgerung darauf stützen zu können, dass Art. 895 Abs. 2 ZGB für das kaufmännische Retentionsrecht jeden gegenseitigen geschäftlichen Verkehr, welcher Art er auch sei, für die Begründung des erforderlichen Zusammenhangs genügen lässt, während beim bürgerlichen Retentionsrecht Art. 895 ![]() | 15 |
b) Ob dem Beklagten mit Bezug auf seine gesamte Tätigkeit für die Klägerin Retentionsrechte zuerkannt werden können, hängt von der Art seines geschäftlichen Verhältnisses zur Klägerin ab. In dieser Beziehung ist den Feststellungen der Vorinstanz und den Akten folgendes zu entnehmen:
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Der Beklagte, der schon seit Jahren der juristische Berater des Ehemannes der Klägerin gewesen war, erhielt von diesem am 28. April 1938 eine Generalvollmacht zur Vertretung des Vollmachtgebers in sämtlichen geschäftlichen und persönlichen Angelegenheiten, mit Wirkung der Vollmacht über den Tod hinaus. Als der Beklagte dann, wie erwähnt, von Karl Knie testamentarisch zum Willensvollstrecker ernannt wurde und diesen Auftrag annahm, erteilte ihm die Klägerin selber am 1. Juli 1941, ein Jahr nach dem Tod ihres Ehemannes, auch noch eine Spezialvollmacht "betreffend Erbschaft und Testament". Demgemäss wurde der Beklagte um die Zeit des Abschlusses der Erbteilung (Sommer 1941) als persönlicher Vertreter der Klägerin aufgeführt, und zwar auf einer an sie (als Beklagte) ergangenen gerichtlichen Vorladung betr. Erbschaft und Anfechtung des Testaments.
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Der Beklagte stand der Klägerin nicht nur in Bezug auf die Regelung der Erbschaftsangelegenheit zur Seite, ![]() | 18 |
Der Beklagte befasste sich sodann auch noch mit zahlreichen anderen, die Klägerin persönlich betreffenden Angelegenheiten. In dieser Hinsicht sind insbesondere zu erwähnen...
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Aus alledem erhellt, dass der Beklagte jedenfalls von der Erbteilung im Jahre 1941 an bis Ende 1950, zum Teil aber auch noch 1952/53, der Vertrauensanwalt der Klägerin gewesen ist. Das wird auch durch verschiedene persönliche Schreiben der Klägerin an den Beklagten aus den Jahren 1941-1952 bestätigt. Lag aber ein ausgesprochenes Vertrauensverhältnis zwischen Klientin und Anwalt vor, wobei jene diesem die Verfügung über ein Bankdepot überliess, so darf die Konnexität im oben dargelegten weiteren Sinne angenommen werden. Angesichts der gegebenen Umstände rechtfertigt es sich nicht, ein Retentionsrecht des in persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten dauernd und jahrelang beanspruchten Anwalts zu verneinen. Es lag zwischen den Parteien eine auf die Dauer berechnete Geschäftsverbindung mit einem Komplex von Rechtsgeschäften vor, welche die persönliche und vermögensrechtliche Stellung der Klägerin betrafen und darum unter sich zusammenhängen (vgl. hiezu: OFTINGER, ZGB Art. 895 N. 103/4). Insbesondere durfte der Beklagte nach den das Institut des Retentionsrechts beherrschenden Grundsätzen von Treu und Glauben erwarten, dass die Klägerin die ausschliessliche Verfügung über ihre bislang seiner Verwaltung überlassenen Vermögenswerte nicht ![]() | 20 |
Diese weite Auffassung vom Begriff der Konnexität birgt allerdings eine gewisse Gefahr der Verwischung des Unterschiedes zwischen dem kaufmännischen und dem bürgerlichen Retentionsrecht in sich. Aber das ist einerseits der fortschreitenden Kommerzialisierung des Wirtschaftlebens zuzuschreiben und anderseits die Folge davon, dass das schweizerische Recht an sich schon die Grundtendenz aufweist, das bürgerliche Recht und das Handelsrecht einander anzugleichen. Dem ist Rechnung zu tragen, wo dies gerechtfertigt erscheint.
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c) Da demnach dem Beklagten ein Retentionsrecht sowohl für seine Ansprüche aus Willensvollstreckung, als auch für diejenigen aus Anwaltstätigkeit zusteht, erübrigt sich eine Prüfung der Verjährungsfrage. Dagegen muss die Sache im Sinne des Eventualantrags der Berufung an die Vorinstanz zurückgewiesen werden zur Feststellung der Vergütung, die dem Beklagten über die von der Vorinstanz zugesprochenen Beträge hinaus noch zusteht; denn die Vorinstanz hat sich hiezu nicht ausgesprochen und die Höhe dieser Ansprüche ist umstritten.
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