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6. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. März 1961 i.S. Frei gegen Tobler. | |
Regeste |
1. Art. 216 Abs. 1 OR. Der Grundstückkauf ist ungültig, wenn nicht der wirklich gewollte Kaufpreis öffentlich beurkundet wird, mag auch der unterdrückte Teil desselben vorher bezahlt worden sein. | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 25. Mai 1959 klagte Frei gegen Tobler. Er stellte unter anderem die Begehren, den Kaufvertrag nichtig zu erklären und den Beklagten zu verpflichten, ihn von den übernommenen Grundpfandschulden zu entlasten und ihm die nicht beurkundeten Fr. 6000.--, einen anlässlich der Verschreibung geleisteten Betrag von Fr. 15'000.-- und nachträglich bezahlte Fr. 500.-- zurückzuerstatten. Das Bezirksgericht Vorderland wies die Klage entsprechend dem Antrage des Beklagten ab.
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Der Kläger erklärte die Appellation. Das Obergericht von Appenzell-A.Rh. wies sie am 26. September 1960 ab.
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C.- Der Kläger hat die Berufung erklärt. Er hält an den Begehren auf Nichtigerklärung des Kaufvertrages, Befreiung von den übernommenen Grundpfandschulden und Rückerstattung von Fr. 21'500.-- fest.
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Der Beklagte beantragt, auf die Berufung nicht einzutreten, sie allenfalls insoweit abzuweisen, als auf sie eingetreten werde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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3. Die öffentliche Beurkundung des Grundstückkaufes muss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes alle wesentlichen Punkte des Vertrages decken, besonders auch die ganze für die Kaufsache versprochene Gegenleistung (BGE 51 II 573,BGE 53 II 164,BGE 68 II 233,BGE 75 II 148,BGE 78 II 224, BGE 84 II 374, BGE 86 II 36, 260). Als die Streitigkeiten aus solchen Käufen vorübergehend in den Geschäftsbereich der II. Zivilabteilung fielen, entschied indessen das Bundesgericht, der vor der Beurkundung getilgte Teil des Kaufpreises dürfe in der Urkunde unterdrückt werden (BGE 49 II 468,BGE 50 II 145,BGE 52 II 61). Später, als wieder die I. Zivilabteilung zuständig war, liess es dagegen die Frage wiederholt offen (BGE 78 II 224, BGE 84 II 374), und schliesslich stimmte diese Abteilung im Verfahren nach Art. 16 OG der Auffassung des Kassationshofes zu, wonach der Kaufpreis in der Urkunde selbst dann vollständig angegeben werden müsse, wenn er schon teilweise erlegt sei (BGE 84 IV 165 f.). Daran wurde seither von beiden Zivilabteilungen festgehalten (BGE 86 II 37, 230 Erw. 5, 260). Es besteht auch heute kein Anlass, davon abzuweichen. Der einzige Einwand des Beklagten, im Zeitpunkt der Beurkundung sei nur noch der Rest des Preises geschuldet und die Angabe dieses Restes entspreche "dem von den Parteien in diesem Zeitpunkt gewollten Kaufpreis", hält nicht stand. Art. 216 Abs. 1 OR bestimmt nicht, die Vertragschliessenden müssten beurkunden lassen, was sie einander aus dem Vertrage noch schuldeten, ![]() | 8 |
Der Kaufvertrag der Parteien weist somit die von Art. 216 Abs. 1 OR vorgeschriebene Form nicht auf. Der Kaufpreis von Fr. 45'000.--, den die Vertragschliessenden am 10. Juli 1958 beurkunden liessen, entsprach ihrem Willen nicht und wurde daher gemäss Art. 18 Abs. 1 OR nicht verbindlich versprochen. Der wirklich gewollte Preis von Fr. 50'000.-- oder 51'000.--, auf den es nach dieser Bestimmung ankäme, ist dagegen nicht beurkundet.
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Wer geltend macht, ein Vertrag sei wegen Formmangels nichtig, braucht nicht darzutun, dass er schutzwürdige Interessen habe, sich auf diesen Standpunkt zu stellen. Wer ihm das Recht, die sich aus der Nichtigkeit ergebenden Folgerungen zu ziehen, streitig macht, muss vielmehr besondere Umstände nachweisen, die offensichtlich machen, dass die Berufung auf den Formmangel gegen Treu und Glauben verstösst (BGE 86 II 262).
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a) Ein solcher Umstand liegt nicht darin, dass, wie das Obergericht ausführt, die Anzahlung "mindestens teilweise zum Zwecke der Umgehung der Handänderungssteuer" in der Urkunde unterdrückt wurde und der Kläger daraus Vorteil zog, weil diese Steuer nach dem Vertrage ![]() | 12 |
b) Das Obergericht hält dem Kläger ferner vor, er berufe sich offensichtlich deshalb auf die Ungültigkeit des Vertrages, weil er sich übervorteilt fühle, doch habe er den Vertrag nicht wegen Übervorteilung angefochten. Der Beklagte weist ebenfalls auf diesen Umstand hin und bringt ferner an, der Kläger wolle erreichen, was ihm aus ![]() | 13 |
Auch diese Gesichtspunkte rechtfertigen den Vorwurf des Rechtsmissbrauches nicht. Wenn der Kläger sich übervorteilt fühlt oder der Meinung ist, die Kaufsache sei mangelhaft, hat er gegenteils ein berechtigtes Interesse, sich vom Vertrage wegen Formmangels loszusagen. Die öffentliche Beurkundung des Grundstückkaufes soll unter anderem die Vertragschliessenden vor übereilten Entschlüssen schützen. Der Kläger missbraucht daher Art. 216 OR nicht zur Erreichung eines dieser Bestimmung fremden Zieles, wenn er den Mangel der öffentlichen Beurkundung anruft, weil er den Erwerb der Liegenschaft nachträglich unvorteilhaft findet. Übrigens geht er auch logisch richtig vor. Der Formmangel macht den Vertrag nichtig. Ansprüche aus Übervorteilung oder Gewährspflicht setzen dagegen voraus, dass der Vertrag gültig zustandegekommen sei.
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c) Das Obergericht nimmt in Übereinstimmung mit dem Beklagten Rechtsmissbrauch auch deshalb an, weil der Kläger einen vorerst noch ausstehenden Rest des Kaufpreises nachträglich bezahlt und damit seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt habe.
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Auch das ist nicht entscheidend. Freilich bejahte das Bundesgericht seinerzeit wiederholt den Rechtsmissbrauch, wenn eine Partei sich auf den Formmangel berief, nachdem beide den Vertrag, so wie er gewollt war, erfüllt hatten (BGE 50 II 148,BGE 53 II 165; vgl.BGE 54 II 332). Das wurde damit begründet, dass die Vertragschliessenden den Schutz, den die öffentliche Beurkundung bezwecke, nach der Erfüllung des Vertrages nicht mehr nötig hätten. Aus dem Umstande, dass Art. 216 Abs. 1 OR unter anderem erlassen wurde, um die Vertragschliessenden zu schützen, folgt jedoch nicht, die Bestimmung sei im einzelnen Falle nur anzuwenden, wenn sie dieses Schutzes bedürften. Der Richter hat nicht zu prüfen, ob die Gründe, die den Gesetzgeber zum Erlass einer Formvorschrift bewogen haben, ![]() | 16 |
5. Da der Vertrag nichtig und die Einwendung des Rechtsmissbrauches unbegründet ist, hat der Kläger Anspruch auf Rückerstattung seiner Leistungen und Befreiung von den übernommenen Grundpfandschulden, wogegen er freilich seinerseits die Liegenschaft auf den ![]() | 17 |
Über die anderen Rechtsbegehren, die der Kläger im kantonalen Verfahren stellte, ist nicht neu zu urteilen, da sie nicht Gegenstand der Berufung bilden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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