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48. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1961 i.S. Rytz und Konsorten gegen Balsiger. | |
Regeste |
Art. 482 ZGB: Die im Testament zeitlich nicht beschränkte Auflage an den Vermächtnisnehmer, bei Veräusserung der vermachten Liegenschaft oder von Teilen derselben einen allfälligen Mehrerlös an die Erben im Verhältnis ihrer Erbberechtigung herauszugeben, ist entsprechend dem Grundsatz der Verfügungsfreiheit und mangels zeitlicher Beschränkung solcher Auflagen durch das Gesetz zulässig; sie ist weder unsittlich noch rechtswidrig und verpflichtet den Vermächtnisnehmer auf dessen Lebenszeit, mindestens aber so lange, als er die Vorteile des Vermächtnisses geniesst. | |
Sachverhalt | |
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A.- Am 30. Dezember 1926 verschied in Bern alt Forstmeister J. R. Balsiger im Alter von 82 Jahren. In einer letztwilligen Verfügung vom 12. Oktober 1918 mit Nachträgen vom 5. April 1924 und 27. April 1926 hatte er, der kinderlos geblieben war und über sein Vermögen letztwillig frei verfügen konnte, 21 Nachkommen seiner Geschwister als Erben eingesetzt. Daneben enthält das unangefochten gebliebene Testament ein Vermächtnis an den Miterben Dr. Willy Balsiger, der mit der Liegenschaft des Erblassers in Klein-Wabern im damaligen Grundsteuerschatzungswert von Fr. 119'880.-- bedacht wurde.
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Der Erblasser begründete dieses Vermächtnis im Testament wie folgt:
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"... Dabei mochte ich aber Vorsorge treffen, dass das mir gehörende Landgut in Klein-Wabern, welches schon seit mehreren Jahrhunderten meiner Familie gehörte, auch nach meinem Ableben noch so lange als möglich im Besitz eines Familiengliedes aus dem Mannsstamm verbleibe. In diesem Wunsche bestärkt mich die Voraussicht, dass der dortige Grundbesitz nach seiner Lage und Entfernung von Bern in absehbarer Zeit bedeutend im Werte steigen wird und dass dieser Mehrwert nicht den Nachkommen meiner Geschwister zu gut käme, wenn das Heimwesen nach unserm Hinscheid dem Höchstbietenden hingegeben würde. Anderseits möchte ich nicht durch eigene Schuld der Letzte meines Stammes in dem Klein-Wabern werden, wo schon 1451 der Vorfahr Gilgian Balsiger ansässig war, der damals urkundlich 33 Gulden zum Vinzenzen-Altar im Münster zu Bern gestiftet haben soll. Ich erachte es nicht als närrische Altertümelei, wenigstens zu versuchen, ob der jetzige Rest des dortigen althergebrachten Familienbesitzes in meinem Stamm erhalten bleiben könne und ich hoffe, dass auch meine Erben dieses Bestreben billigen werden."
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Über die Voraussetzungen des Vermächtnisses sagt das Testament:
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"Meine Liegenschaft zu Klein-Wabern, Gemeinde Köniz, samt einem Stück Land auf dem Belpmoos, Gemeinde Belp, nach der jetzigen Grundsteuerschatzung im Wert von Fr. 119'880.--. Dagegen hat derselbe (d.h. der Vermächtnisnehmer Dr. Willy Balsiger) an die Erbschaftsmasse zur Verteilung an die übrigen Erben eine Übernahmssumme von Fr. 100'000.-- einhunderttausend Franken einzuwerfen. Wenn allfällig einzelne Bestandteile des Gutes oder das Gut selbst durch Verkauf od. Expropriation veräussert würden, so sollen den Miterben unter Ziff. 1-3 ![]() | 6 |
Nach dem Tode der Ehefrau des Erblassers wurde am 7. November 1933 das Vermächtnis vollzogen, unter gleichzeitiger Belastung der Liegenschaft mit einem Pfandvertrag über Fr. 100'000.--, welcher Betrag am selben Tage auf Grund eines Teilungsvertrages samt dem übrigen Nachlass an die 21 Miterben gelangte, die sich in diesem Vertrag als für ihre erbrechtlichen Ansprüche befriedigt erklärten, "vorbehältlich ihrer Anteile an einem eventl. Mehrerlös bei Verkauf der Besitzung in Klein-Wabern". Von 1933 bis 1955 hat Dr. Willy Balsiger die Liegenschaft, ohne etwas davon zu veräussern, in seinem Eigentum behalten; sie dürfte heute, grösstenteils Bauland geworden, mehrere Millionen Franken wert sein.
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Im Jahre 1955 beanspruchte die Gemeinde Köniz von dieser Liegenschaft für eine Strassenverbreiterung einen Landstreifen von 2530 m2, wofür eine Gesamtentschädigung von Fr. 75'900.-- vereinbart wurde, an die der Veräusserer schon im Jahre 1955 einen Teilbetrag von Fr. 70'000.-- ausbezahlt erhalten hat.
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B.- Am 27. März 1958 erhob ein Teil der übrigen Erben, die heutige Streitgenossenschaft, beim bernischen Appellationshof gegen Dr. Balsiger Klage auf Zahlung ihres Anteils am Gewinn aus der genannten Landabtretung. Der Beklagte widersetzte sich der Klage. Das Verfahren wurde zunächst auf die Frage beschränkt, ob den Klägern aus dem Testament noch ein Rechtsanspruch zustehe.
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Mit Urteil vom 24. November 1960 hat der Appellationshof des Kantons Bern die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass eine unbefristete Beschränkung der Eigentumsrechte, wie sie in der testamentarischen Auflage an den Beklagten zur Beteiligung der Miterben an einem Mehrerlös aus der Liegenschaft liege, sich wie eine verbotene Nacherbeneinsetzung oder ein unzulässiger Familienfideikommiss ![]() | 10 |
C.- Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht beantragen die Kläger Aufhebung dieser Entscheidung und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, indem sie den Standpunkt einnehmen, die Verpflichtung des Beklagten zur anteilsmässigen Herausgabe eines Mehrerlöses aus der Liegenschaft bestehe heute noch. Der Beklagte beantragt Abweisung der Berufung und damit der Klage. Er weist darauf hin, dass er das Gut während 28 Jahren im Sinne des letzten Willens des Erblassers als Landwirtschaft beisammenbehalten habe und es auch künftig weder ganz noch teilweise veräussern werde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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b) Streitig ist indessen, wie es sich mit der Dauer der Verpflichtung des Beklagten verhalte, die übrigen Miterben am allfällig verwirklichten Mehrwert teilhaben zu lassen.
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Der Beklagte hat, seit er die Liegenschaft in seinem ![]() | 15 |
Das Bundesgericht teilt die Auffassung der Vorinstanz, dass die Auflage an den Beklagten, die übrigen Erben an einem Mehrerlös zu beteiligen, an sich zulässig war. Der Erblasser kann nach Art. 482 ZGB einem Bedachten, sei er Erbe oder - wie der Beklagte mit Bezug auf die Liegenschaft - Vermächtnisnehmer, Auflagen machen. Das Gesetz verbietet nur unsittliche oder rechtswidrige Auflagen und Bedingungen. Dass eine Auflage auch darin bestehen kann, einen Gewinn aus einer Liegenschaft mit den Miterben zu teilen, wird in der Doktrin mit Recht angenommen (vgl. ESCHER, Komm. zu. Art. 482 ZGB, N. 13, und dortiger Hinweis auf einen Berner Fall, ZbJV 73, S. 87 f., mit der Verpflichtung der Empfänger vermachter Liegenschaften, mit den Miterben den Fr. 10'000.-- übersteigenden Gewinn zu teilen, den sie innert zehn Jahren nach dem Erbgang aus diesen Liegenschaften verwirklichen könnten). Gegenstand einer Auflage kann nämlich alles sein, was als Gegenstand einer Schuldverpflichtung in Betracht kommen kann (ESCHER, Komm. zu Art. 482 ZGB, N. 17). Die streitige Auflage an den Vermächtnisnehmer war somit grundsätzlich zulässig.
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Was ihren zeitlichen Bestand betrifft, ist festzustellen, ![]() ![]() | 17 |
Diese Überlegungen halten kritischer Überprüfung nicht stand. Zunächst ist ihnen entgegenzuhalten, dass Kaufs-, Vorkaufs- und Rückkaufsrechte nicht auf die Dauer von zehn Jahren beschränkt sind; das gilt nur für ihre Vormerkung im Grundbuch, während sie obligatorisch, für die vertragschliessenden Parteien, über diese Zeitspanne hinaus wirksam sein können, wie das Bundesgericht schon mehrfach festgestellt hat (so z.B. in BGE 53 II Erw. 3, S. 394 ff.). Sodann fehlt in der Aufzählung der Vorinstanz ein Hinweis auf das Baurecht (Art. 675 und 779 ZGB), während dessen Bestand dem Grundeigentümer kaum mehr als die nuda proprietas bleibt, das aber - in scharfem Widerspruch mit dem behaupteten liberalistischen Eigentumsbegriff des Zivilgesetzbuches - immerhin eine Lebensdauer von hundert Jahren haben kann.
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Es fragt sich auch, ob hinsichtlich der Dauer von Auflagen überhaupt eine Gesetzeslücke vorliege. Darunter versteht man das Fehlen einer erforderlichen gesetzlichen Anordnung, indem der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen. Die freie richterliche Rechtsfindung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 und 3 ZGB, welche die Vorinstanz hier für nötig hält, setzt immer das Vorliegen einer solchen Lücke voraus, und zwar muss es nach schweizerischer Auffassung eine materielle Lücke des Gesetzes sein, ob sie nun offen oder verdeckt sei (vgl. A. MEIER-HAYOZ: "Der Richter als Gesetzgeber", S. 59 ff., insbesondere S. 68). Eine solche Lücke liegt hier nicht vor, denn massgebend ist der Grundsatz der Verfügungsfreiheit, begrenzt durch die gesetzlichen Schranken, und soweit solche nicht aufgestellt worden sind, bleibt es bei der Verfügungsfreiheit. Auch wenn man aber die Auffassung der Vorinstanz als richtig unterstellt und eine Gesetzeslücke ![]() | 19 |
Nach dem Testament wollte der Erblasser alle zur Erbschaft Berufenen im wesentlichen, soweit das faktisch möglich war, gleich behandeln. Eine Bevorzugung des Beklagten hat sich nur aus dem weiteren Wunsche des Erblassers ergeben, die Liegenschaft in Klein-Wabern für möglichst lange dem Mannesstamme der Familie zu erhalten, jedoch sollte diese Bevorzugung im Falle des Verkaufs oder der Enteignung der Liegenschaft wegfallen und der Mehrerlös allen Erben im Verhältnis ihrer Erbberechtigung zukommen. Da der Erblasser diese Mehrerlösklausel zeitlich nicht begrenzt hat, muss im Sinne des Testamentes die Verpflichtung zur Beteiligung der Miterben an einem Mehrerlös als zeitlich so lange wirksam betrachtet werden, als es das Gesetz zulässt. Da nach Art. 488 ZGB Nacherbeneinsetzung und Nachvermächtnis zulässig sind, können durch letztwillige Anordnungen rechtliche Bindungen für zwei Generationen, im Normalfalle also immerhin für eine Dauer von 50-70 Jahren, eventuell sogar noch für etwas längere Zeit geschaffen werden. Für dieselbe Zeitspanne können daher auch mit der letztwilligen Verfügung verbundene Auflagen gelten, da solche durch das Gesetz einer zeitlichen Begrenzung nicht unterworfen sind. Solange ein Bedachter die Vorteile einer letztwilligen Verfügung geniesst, kann er daher auch durch damit verbundene Auflagen verpflichtet werden, sofern diese nur nicht unsittlich oder rechtswidrig sind. Das trifft für die streitige Auflage nicht zu, da sie dem im Erbrecht geltenden Grundsatze der Gleichberechtigung gerecht wird und die Handlungsfähigkeit ![]() | 20 |
Lässt sich somit weder dem Gesetz noch der letztwilligen Verfügung eine zeitliche Beschränkung der streitigen Auflage entnehmen und entspricht im Gegenteil nach dem Gesagten die Beteiligung aller Miterben an einem Mehrerlös der Zielsetzung des Erblassers, so ist die Auflage auch heute noch und wenigstens so lange, als der Vermächtnisnehmer lebt, als verbindlich zu betrachten. Ob sie nach dem Tode des Beklagten auch noch dessen Erben belaste, ist vorliegend nicht zu entscheiden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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