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50. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Oktober 1961 i.S. Witwe X. gegen "Helvetia"-Unfall. | |
Regeste |
Kollektiv-Unfallversicherung. |
2. |
a) Die grobe Fahrlässigkeit des verunfallten Versicherten kann dessen Witwe entgegengehalten werden, da nicht diese, sondern der Verunfallte primär Anspruchsberechtigter im Sinne des Art. 14 Abs. 2 VVG ist (Art. 87, 76 VVG). |
b) c) Grobe Fahrlässigkeit; Höhe des daherigen Abzugs. | |
Sachverhalt | |
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"Hat der Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigte das Ereignis grobfahrlässig herbeigeführt, so ist die "Helvetia" berechtigt, ihre Leistung in einem dem Grade des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen."
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Nach § 13 lit. A. 1 zahlt die "Helvetia" bei Todesfall
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1. "wenn ein Ehegatte oder minderjährige Kinder des Getöteten vorhanden sind, die volle ... Versicherungssumme ...
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2. wenn kein bezugsberechtigter Ehegatte und keine bezugsberechtigten Kinder vorhanden sind, die Hälfte der genannten Summe an die Eltern ..."
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B.- Die Witwe machte Unfalltod geltend und klagte gegen die "Helvetia" die ganze Versicherungssumme von Fr. 17'671.25 ein. Die "Helvetia" beantragte Abweisung der Klage, weil es sich um Selbstmord handle; wenn aber die zweite These zutreffe, so sei X. von dem tödlichen Ereignis nicht unfreiwillig betroffen worden, denn er habe die Strangulationssituation absichtlich herbeigeführt.
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C.- Das Bezirksgericht Zürich pflichtete dem Standpunkt der Beklagten bei und wies die Klage ab. Es führte aus, unter "Ereignis" im Sinne des § 1 Abs. 4 AVB sei nicht das Erhängen, d.h. der Tod zu verstehen, vielmehr stelle dieser lediglich eine Folge der Strangulation dar, eine Folge, die ohne Dazwischentreten eines weiteren Ereignisses eingetreten sei. Als Ereignis im Sinne der AVB könne somit nur die Strangulation als solche verstanden werden. Diese aber habe X. selber und zwar freiwillig ![]() | 8 |
D.- In teilweiser Gutheissung der Berufung der Witwe hat das Obergericht des Kantons Zürich die Klage im Betrage eines Drittels der Versicherungssumme gutgeheissen. Es untersuchte eingehend die Frage, ob X. Selbstmord begangen habe oder nicht, und gelangte zu ihrer Verneinung. Mit der Auffassung des Bezirksgerichts, wonach es am Unfallmerkmal der Unfreiwilligkeit des Ereignisses fehlt, setzte sich die Vorinstanz nicht auseinander, kam aber zum Schluss, X. habe mit der Veranstaltung des autoerotischen Experimentes seinen Tod grobfahrlässig herbeigeführt, weshalb gemäss Art. 14 Abs. 2 VVG und dem gleichlautenden § 5 AVB die Leistung der Beklagten um 2/3 zu kürzen sei.
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E.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Witwe Zusprechung der vollen Versicherungssumme. Mit Anschlussberufung verlangt die "Helvetia" gegenteils gänzliche Abweisung der Klage.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Die beklagte "Helvetia" hält in ihrer Anschlussberufung die Einwendung des Selbstmordes nicht mehr aufrecht. Mit Recht; denn bei der auf Beweiswürdigung beruhenden Schlussfolgerung der Vorinstanz, X. habe sich nicht vorsätzlich das Leben genommen, handelt es sich um eine tatsächliche Feststellung, die gemäss Art. 63 Abs. 2 OG das Bundesgericht bindet. Dagegen hält die Beklagte auch unter Zugrundelegung des nicht gewollten Todes an der vom Bezirksgericht geteilten Auffassung fest, es liege kein Unfall im Sinne von § 1 Abs. 4 AVB vor, weil es am Unfallmerkmal der Unfreiwilligkeit fehle. Die ![]() | 11 |
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Es rechtfertigt sich nicht, mit Bezug auf das Merkmal der Unfreiwilligkeit zwischen dem von aussen kommenden "Ereignis" und der durch dieses bewirkten Körperschädigung zu unterscheiden. In der vorliegenden Unfalldefinition selbst gehört übrigens das Wort "unfreiwillig" nicht als Adjektiv zum "Ereignis", sondern als Adverb zur passiven Verbalform "betroffen wird". Indessen kann es auf diese stilistischen Finessen der Formulierung nicht entscheidend ankommen. Nach der vom Bundesgericht schon früh angenommenen, heute in Doktrin und Praxis herrschenden Auffassung ist für das Vorliegen eines Unfalles irrelevant, ob die zu der schädigenden Einwirkung führende Handlung freiwillig oder unfreiwillig war; erforderlich ist, dass die Körperschädigung eine unfreiwillige, d.h. gegen den Willen des Betroffenen eingetreten sei (SCHOCH, Der Unfallbegriff in der schweizerischen privaten Einzel-Unfallversicherung [1930] S. 65; H. FARNER, Unfall- und Haftpflichtversicherung [1951] S. 4; MAURER, Recht und Praxis der schweizerischen obligatorischen Unfallversicherung [1954] S. 88, 109). Wenn sogut wie alle vertraglichen Unfalldefinitionen das Merkmal der Unfreiwilligkeit enthalten, so bezieht es sich bei den meisten nach dem Wortlaut nicht auf das die Körperschädigung bewirkende "Ereignis", sondern direkt auf dessen Folge selbst: "jede ... Körperschädigung, die der Versicherte ...
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Selbst wenn man indessen der Beklagten in diesem Punkte beipflichten und verlangen wollte, dass nicht nur die Körperschädigung, sondern schon das schädigende "Ereignis" unfreiwillig sei, würde dieses Merkmal in casu nicht entfallen. "Ereignis" kann nicht mit Handlung des Betroffenen gleichgesetzt werden. Im ganzen Ablauf können u.U. einzelne Phasen unterschieden werden; schliesst sich an eine freiwillige Anfangsphase eine unfreiwillige, die Schädigung bewirkende an, so stellt eben diese letztere Phase das entscheidende Ereignis dar. Im vorliegenden Falle hat X. sich wohl vorsätzlich stranguliert und dazu eine Vorrichtung verwendet, die sich auch zu vorsätzlichem Selbsterhängen eignete. Er wollte jedoch nach der Feststellung der Vorinstanz weder eine Bewusstlosigkeit, noch gar den Tod herbeiführen. Das Ereignis, das zunächst die eine und dann die andere Wirkung zeitigte, trat unabhängig von seinem Willen ein, weil er aus irgend welchen Ursachen die "Dosierung" der gewollten Strangulation nicht mehr beherrschte, sodass sich die um den Hals gelegte Schlinge mit tödlicher Wirkung zusammenzog. Es verhält sich vorliegend nicht anders als in zahlreichen andern Fällen, in denen sich jemand in eine gefährliche ![]() | 14 |
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a) Gemäss § 5 AVB kann die "Helvetia", wenn der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte das Ereignis grobfahrlässig herbeigeführt hat, ihre Leistung entsprechend kürzen. Die Klägerin macht - im Berufungsverfahren neu - geltend, X. sei weder Versicherungsnehmer ![]() | 16 |
Bei diesen erstmals im Berufungsverfahren vorgebrachten Argumenten handelt es sich nicht um unzulässige neue Vorbringen oder Einreden im Sinne von Art. 55 Abs. 1 lit. c OG, sondern um einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt, dessen Begründetheit zu prüfen ist.
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Richtig ist, dass in § 5 AVB und dem wörtlich gleichlautenden Art. 14 Abs. 2 VVG nur vom Verschulden des Versicherungsnehmers oder des Anspruchsberechtigten, nicht aber des Versicherten die Rede ist. Daraus folgert die Klägerin, dass das Verhalten des Versicherten, der weder Versicherungsnehmer noch Anspruchsberechtigter ist, wie es bei der Versicherung auf fremdes Leben gemäss Art. 74 VVG zutreffen kann, unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 VVG irrelevant sei und bleibe, abweichende Vereinbarung im Versicherungsvertrag vorbehalten (vgl. Komm. ROELLI S. 208; OSTERTAG-HIESTAND zu Art. 14 N. 2). Dies entspricht sowohl dem Wortlaut als der ratio des Art. 14 VVG. Der Hinweis der Beklagten auf die Voten des Berichterstatters Scherrer bei der Beratung des damaligen Art. 15 des Entwurfs zum VVG im Ständerat überzeugt nicht vom Gegenteil; denn Scherrer verwendete meistens nur den Ausdruck "der Versicherte", wenn er von den Personen sprach, die das befürchtete Ereignis schuldhaft herbeigeführt haben können, obwohl schon damals der Entwurf vom "Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigten" sprach. Es scheint sich demnach eher um eine ungenaue, vereinfachende Ausdrucksweise des Berichterstatters gehandelt zu haben, der für die Auslegung des anders lautenden Gesetzestextes keine Bedeutung zukommt.
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Damit ist jedoch in casu die Einrede der "Helvetia" ![]() ![]() | 19 |
Die in der Berufungsbegründung wiedergegebenen Zitate aus JAEGER-ROELLI (zu Art. 76 N. 27, zu Art. 78 N. 25) und KÖNIG (Schweiz. Privatversicherung [Bern 1951], S. 358, 361) vermögen an dieser Auslegung nichts zu ändern; denn sie beziehen sich samt und sonders auf eine primäre, von Anfang an unter Ausschluss eines andern Anspruchsberechtigten bestehende Begünstigung im technischen Sinne des Art. 76 VVG. Es besteht auch kein Anlass, sich mit dem von der Klägerin angerufenen Urteil des Bezirksgerichts Hinwil vom 7. Oktober 1954 (Entscheidungen schweizerischer Gerichte in privaten Versicherungsstreitigkeiten, Bd. XI Nr. 87 S. 513 ff.) näher auseinanderzusetzen; denn einmal handelte es sich bei dem dort beurteilten Fall um eine Einzel-Unfallversicherung, und zweitens ging das Gericht davon aus, Art. 87 VVG sei nicht - auch nicht analog - anwendbar, weil der tödlich Verunfallte nur Versicherter, seine Eltern dagegen primär Begünstigte seien. Es verhält sich im vorliegenden Falle auch nicht etwa so, dass beide Berechtigungen (des Verunfallten und der Witwe) gleichwertig nebeneinander ständen, sodass ein Verschulden des einen den Anspruch des andern nicht zu beeinträchtigen vermöchte; wie ausgeführt, ist die Anspruchsberechtigung der Klägerin sekundärer, abgeleiteter Natur, die Witwe ist Rechtsnachfolgerin des anspruchsberechtigten Versicherten. Bezeichnenderweise redet denn auch § 13 lit. A 1 AVB von "bezugsberechtigten" und nicht von anspruchsberechtigten Ehegatten und Kindern. Die Beklagte kann daher der Klägerin ![]() | 20 |
b) Zu Unrecht bestreitet die Klägerin, dass dem Verunfallten ein grobes Verschulden an seinem Tode zur Last falle. Es kann hiefür auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden. Was der Verunfallte getrieben hat, war ein Spiel mit dem Leben, von dem jeder vernünftige Mensch die Hände lassen würde. Selbst wenn ein gewisser pathologischer Trieb zu autoerotischer Betätigung und eine insoweit leicht verminderte Urteilsfähigkeit in Rechnung gestellt würde, so bildete das vom Verunfallten zu verantwortende Verhalten immer noch eine grobe Fahrlässigkeit, weil diese nach objektiven Massstäben zu bewerten ist. Dabei spielt die Immoralität der Handlung keine Rolle, sondern lediglich das evidente Unfallrisiko des Vorgehens.
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c) Endlich beanstandet die Klägerin die Kürzung der Todesfallentschädigung um 2/3 als ungerechtfertigt hoch. Es handelt sich indessen hiebei im Wesentlichen um eine Frage des Ermessens. Von einer Überschreitung desselben in einem Masse, welches Bundesrecht verletzen würde, kann nicht gesprochen werden. Es kann keine Rede davon sein, dass beim Vorliegen grober Fahrlässigkeit in der Regel nur Kürzungen von 5-10% vorgenommen werden, sofern nicht eine geradezu "ungeheuerliche" Fahrlässigkeit vorliegt, wie die Klägerin meint. Grobe Fahrlässigkeit wäre nach allgemeinem Schuldrecht an und für sich ein Grund gewesen, überhaupt jede Versicherungsleistung zu versagen (wie es z.B. im Haftpflichtrecht geschieht, Art. 37 Abs. 2 MFG, Art. 1, 6, 7 EHG, Art. 27 ElG, usw.); wenn der Gesetzgeber - und ihm folgend der Versicherungsvertrag - aus sozialen Gründen davon abgesehen und nur Kürzung zugelassen hat, so bedeutet das nicht, dass nun innerhalb der groben Fahrlässigkeit wieder subtile Gradunterschiede von 1-99% gemacht werden sollen. Grobes Verschulden rechtfertigt auf jeden Fall zum vornherein einen kräftigen Abzug (vgl. z.B. BGE 85 II 248, 255 Erw. 4). Wurde a.a.O. wegen Autofahrens in übermüdetem ![]() | 22 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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