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37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Mai 1962 i.S. Devo Bern "A" Immobilien AG und Zähringer AG gegen A. von Werdt und Mitbeteiligte sowie H. Schlawin. | |
Regeste |
1. Sinn und Tragweite der Artikel 686, 695, 696 und 702 ZGB (Erw. 1 und 2). |
3. Grund und Gegenstand eines Anspruchs auf Beseitigung nach Art. 641 Abs. 2 ZGB (Erw. 4). |
4. Pflicht zur Einfriedigung, kantonales Recht, Art. 697 Abs. 2 ZGB (Erw. 5). |
5. Altrechtliche Dienstbarkeit. Inwieweit fällt neben dem Grundbucheintrag der Dienstbarkeitsvertrag in Betracht? Inwieweit ist eidgenössisches, inwieweit kantonales Recht anwendbar? Ausfüllung von Vertragslücken bei einer "ungemessenen" Dienstbarkeit. (Erw. 6, a bis d). |
Mehrbelastung im Sinne des Art. 739 ZGB, Kriterien (Erw. 6, e). | |
Sachverhalt | |
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B.- Über die erwähnten Liegenschaften der Kläger hatten ihre Rechtsvorgänger im Jahre 1904 einen dem Fussgängerverkehr dienenden Durchgang von der Spitalgasse zur Neuengasse errichtet, die "Von Werdt-Passage". Im Hinblick auf ihr Vorhaben hatten sie mit Paul Arni, dem damaligen Eigentümer der Hotelliegenschaft Nr. 996, Dienstbarkeitsverträge abgeschlossen. Darin liessen sie sich einerseits ein - nicht umstrittenes - Überbaurecht einräumen. Anderseits errichteten sie zu Lasten ihrer Grundstücke Nr. 1001 und 1041 folgende Dienstbarkeiten zu Gunsten der Liegenschaft Nr. 996;
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1.- a) laut Grundbucheintrag: "Recht zum Anbringen einer Zugangstüre zum Saalbau auf die v. Werdt-Passage zu Lasten Nr. 1001 und 1041".
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b) laut Beleg (Tausch- und Dienstbarkeitsvertrag, unterzeichnet am 13. Juni 1903, gefertigt am 23. und eingeschrieben am 29. März 1904):
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"8. Für den Fall die Herren Armand von Werdt und Mithafte über die eingetauschte Parzelle einen öffentlichen Durchgang erstellen, so wird dem Paul Arni, für sich und seine Nachbesitzer, gestattet, im neuen Saalbau zu seiner Besitzung Hôtel de la Poste eine Zugangstüre auf diesen Durchgang anzubringen."
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2.- a) laut Grundbucheintrag: "Mitbenutzungsrecht der v. Werdt-Passage, -Recht zur Anbringung von Fenstern oder Schaufenstern und Affichen und Recht zur Anbringung von Fenstern gegen den Lichthof, zu Lasten Nr. 1001 und 1041."
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"Art. 1. Armand von Werdt und Mithafte räumen dem Paul Arni für sich, seine Nachbesitzer, seine Hausbewohner und die das Hôtel de la Poste frequentierenden Gäste ein unentgeltliches Durchgangsrecht ein durch die von ihnen projektierte Gallerie (Passage) von der Spitalgasse nach der Neuengasse. Dieses Durchgangsrecht schliesst auch den Handtransport (mit Ausschluss von Karren) von Brennmaterialien zum eigenen Gebrauch für Mieter und allfällig an der Passage später zu eröffnende Magazine in sich. ...
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Paul Arni übernimmt auch das ordentliche tägliche Reinigen des Durchgangs längs seinem zur Hotelbesitzung gehörenden Restaurationssaal in einer Länge von ca. 13 1/2 Meter.
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Art.2.
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Armand von Werdt und Mithafte gestatten dem Paul Arni die Anbringung von Fenstern oder Schaufenstern an seiner Scheidemauer längs dieser Passage (... ), wogegen Paul Arni den Armand von Werdt und Mithafte gestattet, an die nämliche Scheidemauer das projektierte Glasdach über der Passage unentgeltlich anzulehnen und zu stützen. Soweit ein Anbau an die übrigen Teile der Scheidemauer stattfindet, hat der Einkauf in die Scheidemauer nach den Bestimmungen des Baureglementes zu erfolgen.
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Arni bleibt Eigentümer auch derjenigen Hälfte der Scheidemauer, welche auf dem Grund und Boden der Armand von Werdt und Mithafte steht.
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Art. 3.
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Armand von Werdt und Mithafte gestatten dem Paul Arni unentgeltlich die Anbringung einer Affiche im Laubenbogen ... sowie ... einer zweiten Affiche an geeigneter Stelle des Hauses Spitalgasse Nr. 36 selbst;. ..
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Art. 4.
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Armand von Werdt und Mithafte behalten sich das Recht vor, an den Ausmündungen der Gallerie an der Spitalgasse und Neuengasse eiserne Gittertore anzubringen und solche jeweilen mit dem Eintritt der in der Stadt Bern gültigen Polizeistunde zu schliessen. Dem Paul Arni ist zu jedem Gittertor auf Kosten der Armand von Werdt und Mithafte ein Schlüssel zu verabfolgen.
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C.- An der Von Werdt-Passage sind eine Reihe gewerblicher Betriebe entstanden: ein Kinogebäude, ein Migros-Verkaufsladen, eine Metzgerei, ein Tea-Room, eine Käsehandlung mit Milchbar und anderes mehr. Im übrigen wird diese Passage von zahlreichen Fussgängern als ![]() | 17 |
Im Neubau der Liegenschaft Nr. 996 (Baurechtsgrundstück Nr. 1237 der Zähringer A.-G. und seit Januar 1959 der Devo Bern "A" Immobilien A.-G.) ist nun ein neuer, ebenfalls dem allgemeinen Fussgängerverkehr geöffneter Durchgang erstellt und "Inter-Passage" benannt worden. Auch diese Passage ist von Ladengeschäften umsäumt. Sie führt von der Neuengasse in das Innere des Gebäudes, biegt dann nach links (Osten) ab und mündet dort, wo der Saalbau des frühern Hotels stand, offen in die Von Werdt-Passage ein. Auf der rechten (südlichen) Seite dieses Endstücks der neuen Passage umschliesst der Neubau die Räume der Buchhandlung A. Francke AG mit dem modern gestalteten, nach der Von Werdt-Passage gerichteten Ladeneingang. Der diesen Eingang enthaltende Teil der Ostwand stösst jedoch nicht unmittelbar an die Grundstücksgrenze und damit an die Von Werdt-Passage, sondern liegt etwa 3,5 m zurück. Davor befindet sich ein in diese Passage offen übergehender Vorplatz auf gleicher Ebene wie die Einmündung der Inter-Passage, von dieser derzeit bloss durch einen Schaukasten der erwähnten Buchhandlung getrennt.
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D.- Mit Klage vom 15. Oktober 1959, eingereicht beim Appellationshof des Kantons Bern, stellten die Kläger gegen die Devo Bern "A" Immobilien A.-G. die folgenden Rechtsbegehren:
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1. Die Beklagte sei gerichtlich zu verurteilen, an ihrer Besitzung Grundbuchblatt Nr. 1237, Kreis I (selbständiges und dauerndes Baurecht auf Nr. 996, Kreis I), soweit diese an die Von Werdt-Passage grenzt, eine Scheidemauer oder eine andere Abtrennung anzubringen, die neben Fenstern oder Schaufenstern höchstens eine Türe enthalten darf.
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Eventualbegehren:
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Die Beklagte sei gerichtlich zu verurteilen, ihr Gebäude Neuengasse 43, Grundbuchblatt Nr. 1237, Kreis I (selbständiges und dauerndes Baurecht auf Nr. 996, Kreis I) so umzugestalten, dass dieses von der Von Werdt-Passage her nur durch eine Türe betreten werden kann.
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Zur Begründung machten die Kläger geltend, durch die Einführung der Inter-Passage in die Von Werdt-Passage und durch die Schaffung eines offenen Zuganges zum Ladengeschäft der A. Francke A.-G. von der Von Werdt-Passage her seien ihre Eigentumsrechte verletzt. In diesen beiden Punkten gehe die bauliche Gestaltung des Neubaues Neuengasse 43 weit über die zu Gunsten der Liegenschaft Nr. 996 bestehenden Dienstbarkeitsrechte hinaus.
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Die Beklagte verkündete der Zähringer A.-G. den Streit, worauf diese an ihrer Seite als Nebenintervenientin am Prozesse teilnahm. Beide beantragten die Abweisung der Klage. Sie bestritten die von den Klägern behauptete Eigentumsverletzung wie auch eine Überschreitung der zu Gunsten des Grundstücks Nr. 996 bestehenden Dienstbarkeitsrechte. Abgesehen von den Dienstbarkeitsrechten beriefen sie sich auf Rechte der Allgemeinheit, nämlich auf das Bestehen eines öffentlichen Weges, weshalb die Von Werdt-Passage von vornherein auch von der Inter-Passage her und nach ihr hin in unbeschränktem Masse benutzt werden dürfe.
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E.- Mit Urteil vom 30. November 1960 hat der Appellationshof des Kantons Bern die Klage grundsätzlich gutgeheissen, aus folgenden Gründen: Die Berufung der Beklagten und der Intervenientin auf das öffentliche Recht geht fehl (wie eingehend dargelegt wird); die Von Werdt-Passage ist kein öffentlicher Weg. Somit ist die auf Art. 641 Abs. 2 und Art. 679 ZGB gestützte Klage nach Privatrecht zu beurteilen. Die bauliche Umgestaltung des Grundstücks Nr. 996, wie sie in den Jahren 1957 und 1958 vorgenommen wurde, geht nun über den Rahmen der zu Gunsten dieses Grundstücks bestehenden Dienstbarkeitsrechte hinaus. Diese Rechte werden heute mindestens in zweifacher Hinsicht in unzulässiger Weise ausgeübt: 1. "durch Öffnung einer Passage, die jedermann zur Benutzung ![]() | 26 |
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2. Dadurch wird ein Vorraum geschaffen, gebildet aus der zu errichtenden Abschrankung gegen die Von Werdt-Passage, der von diesem Vorraum aus gesehen im Süden anschliessenden Schaufensterfront, dem Eingang zur Buchhandlung im Westen und der Begrenzung durch den Schaukasten im Norden. Dieser Vorraum ist nach Norden vollständig und in voller Höhe abzuschranken, darf aber eine Türe (B) mit lichter Breite von maximal 1 m enthalten, die ständig abzuschliessen ist. Sie darf nur mittels Schlüssel geöffnet werden. Schlüssel dürfen nur die Haus- und Grundeigentümer, die Hausbewohner, die Geschäftsinhaber und deren Angestellte besitzen.
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3. Die Kläger haben an die Kosten der baulichen Umgestaltung keinen Beitrag zu leisten.
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4. Für die bauliche Umgestaltung wird eine Frist von 60 Tagen eingeräumt, unter Androhung der Straffolgen des Art. 403 ZPO im Falle der böswilligen Nichtvornahme."
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F.- Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und die Intervenientin folgende Rechtsmittel ergriffen:
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a) eine Nichtigkeitsklage nach Art. 359 Ziff. 4 der kantonalen ZPO mit der Rüge, der Appellationshof habe den Klägern unrechtmässigerweise mehr und anderes, als was sie verlangten, zugesprochen; das Plenum des Appellationshofes hat diese Nichtigkeitsklage am 12. September 1961 abgewiesen;
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b) eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 4 BV und des entsprechenden Art. 72 der bernischen Staatsverfassung; das Bundesgericht, II. Zivilabteilung, hat diese Beschwerde, soweit darauf einzutreten war, mit heutigem Urteil abgewiesen;
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c) die vorliegenden getrennt eingereichten Berufungen mit dem erneuten Antrag auf gänzliche Abweisung der Klage und (seitens der Intervenientin) eventuell auf Rückweisung der Sache an den Appellationshof zu neuer Beurteilung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Bestehen an der Von Werdt-Passage keine Benutzungsansprüche aus öffentlichem Recht, so geht auch die Anrufung des Art. 702 ZGB fehl. Diese Norm besagt keineswegs, es müsse solche Ansprüche bestimmter Art geben; sie spricht nur einen - unechten - Vorbehalt des (ohnehin ![]() | 37 |
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Gegen die Schaffung der offenen Flächen des Baugrundstücks im östlichen Grenzbereich lässt sich aus den eben zu Gunsten dieses Grundstücks bestehenden Dienstbarkeiten gleichfalls nichts herleiten. Auch in dieser Hinsicht ist im übrigen weder geltend gemacht noch festgestellt, dass die vom Kanton oder von der Gemeinde erlassenen privatrechtlichen (Art. 686 ZGB) oder öffentlichrechtlichen Vorschriften (Art. 702 ZGB) der baulichen Anlage entgegenstehen. Insbesondere ist nicht die Rede davon, dass der Neubau unmittelbar an die östliche Grenze reichen sollte und die früher längs dieser Grenze verlaufene Scheidemauer (Brandmauer) hätte beibehalten oder wiederhergestellt werden sollen. Beim Fehlen einer gegenteiligen ![]() | 40 |
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Im Unterschied zu Art. 641 umschreibt Art. 679 ZGB nicht die Rechte, sondern den Pflichtenkreis des Eigentümers, und zwar des Grundeigentümers, nach bestimmten Richtungen hin. Er hängt somit, obwohl im Unterabschnitt über den Inhalt des Grundeigentums eingereiht, näher mit den diesem Eigentum gesetzten Schranken zusammen. Seine Hauptbedeutung besteht darin, Sanktionen zu den von Art. 684 verpönten übermässigen Einwirkungen (Immissionen) zu bieten (OFTINGER, Haftpflichtrecht II/1 S. 15). Ja, auf Grund neuerer Untersuchungen ist die Ansicht vorherrschend geworden, Art. 679 gelte überhaupt nur im nachbarlichen Verhältnis (so namentlich STARK, Das Wesen der Haftpflicht des Grundeigentümers nach Art. 679 ZGB, S. 189 ff.; ebenso FROELICHER, Die Abgrenzung der Haftung des Werkeigentümers von der Verantwortlichkeit des Grundeigentümers, S. 92 ff.; OFTINGER, a.a.O.; LIVER, N. 117 zu Art. 737 ZGB; etwas weiter umschreibt HAAB, N. 10 zu Art. 679, den Kreis der allenfalls Anspruchsberechtigten: vgl. im übrigen BGE 83 II 379 /80, wonach jeder Besitzer eines Grundstücks, sei es auch aus persönlichem Recht, den Art. 679 anrufen kann). Im vorliegenden Fall braucht dazu nicht näher Stellung genommen zu werden. Die Aktivlegitimation der Kläger ![]() | 42 |
Indessen kann das blosse Vorhandensein einer Baute oder baulichen Anlage - und vollends unüberbauter Flächen - keine Einwirkungen im Sinne des Art. 684 ZGB, nämlich mittelbare Einwirkungen, erzeugen, wie sie vielmehr nur infolge der Art der Bewirtschaftung oder der Benutzung des Grundstücks entstehen können. Das ergibt sich aus der Natur der Sache und ist auch in Randtitel und Text des Art. 684 ZGB ausgedrückt. Lehre und Rechtsprechung sind darüber einig (vgl. namentlichBGE 40 II 344/45; WALDIS, Das Nachbarrecht, S. 23; HAAB, N. 12 zu Art. 684 ZGB). Verstösst eine bauliche Anlage gegen privatrechtliche (Art. 686 ZGB) oder öffentlichrechtliche (Art. 702 ZGB) Vorschriften des kantonalen oder kommunalen Rechtes oder gegen eine als Dienstbarkeitslast errichtete Baubeschränkung oder endlich gegen eine persönliche Verpflichtung, so ist auf dieser Rechtsgrundlage, nicht auf Grund des Art. 684 ZGB, vorzugehen. Besteht aber, wie hier, kein derartiges Bauhindernis, so steht es dem Nachbar nicht zu, der ihm aus irgendwelchen Gründen missliebigen Baute um ihrer blossen Existenz willen "unzulässige Einwirkungen" auf sein Grundstück zuzuschreiben. Eine derartige Betrachtungsweise ist mit Art. 684 nicht vereinbar; es müsste sich danach um wirkliche, aus der Verwendung des Grundstücks entstehende Einwirkungen von der Art der dort in Abs. 2 als Beispiele genannten handeln, die "nach Lage und Beschaffenheit ![]() | 43 |
Die Kläger wenden sich denn auch nicht gegen das, was auf dem Nachbargrundstücke selbst geschieht; ihre Rüge richtet sich bloss gegen die häufige Überschreitung der Grundstücksgrenze über die beim nachbarlichen Neubau geschaffenen Zugänge. Nun kann gewiss im Betreten eines Nachbargrundstücks eine ungerechtfertigte unmittelbare Einwirkung liegen, die zwar nicht unter Art. 684 ZGB fällt, jedoch - beim Fehlen jeder gesetzlichen oder gewohnheitsrechtlichen oder durch Rechtsgeschäft begründeten, dinglichen oder persönlichen Befugnis - nicht bloss als "übermässig", sondern schlechthin verpönt ist (vgl. HAAB, N. 6 und 11 zu Art. 684 ZGB). Allein, der von den Klägern beanstandete "Querverkehr, insbesondere ein Abbiegen oder Abschwenken in die oder aus der Inter-Passage" verletzt die Eigentumsrechte der Kläger jedenfalls insofern keineswegs, als er sich aus der Von Werdt-Passage in die Inter-Passage ergiesst. Es steht der Beklagten frei, den Zutritt zu ihrem Grundstück von überall her, also auch von der Von Werdt-Passage her, jedermann zu gewähren. Die "Ableitung" des Fussgängerverkehrs von der ältern Passage in die von Westen herangeführte neue Passage stellt keine unerlaubte Einwirkung auf jene erste Passage und damit auf das Grundeigentum der Kläger dar. Diese haben es, solange sie ihre Passage dem allgemeinen Fussgängerverkehr freigeben, selber zu vertreten, dass ein Teil der Passanten, statt geradeaus weiterzugehen, in die Inter-Passage einbiegen, die sie auch von der Neuengasse aus betreten können. Was aber den Verkehr in ![]() | 44 |
4. Scheidet somit Art. 679 ZGB als Grundlage des erhobenen Beseitigungsanspruches aus, so ist der allgemeinere Art. 641 Abs. 2 ZGB ins Auge zu fassen. Er ist nicht von vorneherein deshalb unanwendbar, weil die Parteien Grundnachbarn sind und, wie in dem soeben erwähnten UrteilBGE 73 II 156/57 ausgesprochen wurde, unter Grundnachbarn keine weitergehenden als die nach Art. 679 ZGB bestehenden Ansprüche aus Art. 641 Abs. 2 ZGB hergeleitet werden können. Jenes Präjudiz betrifft nur eben die Verantwortlichkeit für die Überschreitung des Grundeigentums- (oder eines davon abgeleiteten) Rechtes. Diese in Art. 679 ZGB speziell geregelte Verantwortlichkeit darf ![]() | 45 |
Art. 641 Abs. 2 ZGB gibt zur Abwehr ungerechtfertigter Einwirkungen den Beseitigungs- und den Unterlassungsanspruch (vgl. HAAB, N. 43 und MEIER-HAYOZ, N. 63 und 70 zu Art. 641 ZGB; ROEMER, a.a.O. S. 8 ff.; STARK, a.a.O. S. 174; FROELICHER, a.a.O. S. 104). Die vorliegende Klage macht nur den Beseitigungsanspruch geltend. Dieser muss sich gegen die Ursachen der ungerechtfertigten Einwirkung richten, nicht gegen diese selbst. Er setzt einen sich fortwährend als Störung auswirkenden Zustand voraus (vgl. HOMBERGER, N. 18 und 20 zu Art. 928 ZGB, dessen Ausführungen zum Besitzesschutz sinngemäss auch für den Eigentumsschutz gelten). Im vorliegenden Fall ist aber eine Quelle andauernder Störungen, die zu beseitigen wäre, nicht vorhanden: weder, wie zu Art. 679 ZGB ausgeführt, auf dem Grundstück der Beklagten noch auch - was die Kläger denn auch nicht behaupten - auf deren eigenen Grundstücken. Die Einwirkungen, um die es sich handelt, sind jeweilen mit dem Wegzug der betreffenden Passanten sogleich wieder behoben. Es besteht kein andauernder Störungszustand auf dem betroffenen Grundstück, wie er sich etwa bei unmittelbaren Einwirkungen anderer Art ergibt (man denke an einen Überbau oder an Schuttablagerungen; vgl.BGE 53 II 221ff.). Vollends ![]() | 46 |
Nach alldem wäre hier nach Art. 641 Abs. 2 ZGB nur ein Unterlassungsanspruch in Frage gekommen, und zwar zunächst gegenüber den als fehlbar betrachteten Fussgängern selbst (wohl erst nach Erlass eines als Besitzesschutzmassnahme richterlich bewilligten, an Ort und Stelle angeschlagenen Betretungsverbotes an "Unberechtigte" gemäss Art. 118 ff. des bernischen EG zum ZGB) und sodann allenfalls auch gegenüber der Beklagten als mitverantwortlichem Dritten im erwähnten Sinne. Einer Unterlassungsklage hätte die Beklagte indessen mit Erfolg ihre Dienstbarkeitsrechte entgegenhalten können, wie sich noch ergeben wird.
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5. Die Klage verlangt (wie dargetan, zu Unrecht) Beseitigung eines als unrechtmässig erachteten Zustandes. Es wird nicht zudem eine aus dem nachbarlichen Verhältnis als solchem, ohne dass eine Rechtsüberschreitung den Grund zu bilden hätte, hervorgehende Pflicht der Beklagten zur Einfriedigung des Baugrundstücks geltend gemacht. Über das Vorliegen eines solchen andersartigen Anspruchs - der in dem auf der Behauptung ungerechtfertigter Einwirkungen beruhenden Beseitigungsanspruch nicht mitenthalten ist - war daher im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu entscheiden. Der Appellationshof hat sich mit dieser Frage, die vom kantonalen Recht beherrscht ist (Art. 697 Abs. 2 ZGB), denn auch nicht befasst. Somit bleibt offen, ![]() | 48 |
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a) Die Frage nach dem Inhalt und Umfang des als Dienstbarkeit bestehenden Zu- und Durchgangsrechts ![]() | 50 |
b) Als Dritterwerberin eines Baurechts steht die Beklagte, wie das angefochtene Urteil richtig ausführt, im vollen Genusse der Grundbuchwirkung des neuen Rechtes. Kraft ihres gutgläubigen Erwerbes kann sie sich (wie schon ![]() | 51 |
Die das Anbringen einer "Zugangstüre" in der damaligen Scheidemauer gestattende Dienstbarkeit 1 gewährt schon nach dem Wortlaut des Eintrages zwei Rechte: die Scheidemauer durfte zum erwähnten Zweck durchbrochen werden, und ferner handelte es sich um eine Zugangstüre von der Passage zum Saalbau der Hotelbesitzung, woraus auf ein entsprechendes Zu- und Weggangsrecht zu schliessen ist. Aus der Fassung der Dienstbarkeit 2, die neben dem Recht auf Mitbenutzung der Von Werdt-Passage das Recht zur Anbringung von Fenstern oder Schaufenstern und Affichen festhält, ergibt sich sodann, dass die Vertragschliessenden bereits mit einer spätern Umwandlung der Hotelbesitzung in ein Geschäftshaus anderer Art gerechnet haben; denn Schaufenster gehören gewöhnlich zu einem Ladengeschäft. Mit Recht nimmt der Appellationshof denn auch an, diese Dienstbarkeiten seien nicht bloss zu Gunsten eines Hotelbetriebes errichtet worden, sondern bestehen zu Gunsten des heute vorhandenen Geschäftshauses anderer Art fort. Der Streit betrifft nur das Mass der Rechtsausübung.
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c) Berücksichtigt man, wozu angesichts der knappen Fassung der vorliegenden Einträge Grund besteht, zu deren Erläuterung und Ergänzung die den Erwerbsgrund bildenden Dienstbarkeitsverträge, so untersteht deren Auslegung grundsätzlich dem kantonalen Recht, wie es beim Vertragsabschlusse galt (vgl.BGE 79 II 403mit Hinweisen). Indessen kann diese Auslegung nur im Rahmen der sich aus dem ![]() ![]() | 53 |
d) Überprüft man demgemäss die beiden Dienstbarkeiten unabhängig von dem bei ihrer Errichtung auf dem berechtigten Grundstück betriebenen Hotel- und Restaurationsgewerbe, so kann der in Art. 1 des Vertrages 2 enthaltenen Wendung "seine Hausbewohner und die das Hôtel de la Poste frequentierenden Gäste" keine entscheidende Bedeutung zukommen. Das war lediglich eine möglichst weite Umschreibung der bei der damaligen Sachlage in Betracht fallenden Benützer der Passage vom berechtigten Grundstück aus. Für den Fall einer Änderung der gewerblichen Ausgestaltung und Nutzung des berechtigten Grundstücks, wobei die beiden Dienstbarkeiten nach dem Willen der Beteiligten fortbestehen sollten, war der Vertrag lückenhaft und muss gemäss dem Zweck des Zu- und Durchgangsrechtes, den wechselnden geschäftlichen Bedürfnissen des berechtigten Grundstücks zu dienen, ergänzt werden. Man hat es mit zwar auf den Fussgängerverkehr beschränkten, im übrigen aber "ungemessenen" Dienstbarkeiten zu tun (vgl. LEEMANN, N. 17 zu Art. 737 und N. 11 zu Art. 738 ZGB; LIVER, N. 10 ff., namentlich N. 20 zu Art. 737 ZGB). Wenn die soeben angeführte ![]() | 54 |
e) Nach alledem fragt es sich nur noch, ob die Verkehrszunahme, wie sie jetzt vom berechtigten Grundstück her ![]() ![]() | 55 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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