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46. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. September 1962 i.S. Sonderegger gegen Wild AG | |
Regeste |
Wohnrecht (Art.776-778ZGB). Einsprache des Wohnberechtigten gegen einen auf dem selben Grundstück geplanten Neubau mit geringem Abstand vom Wohnhause. |
Stillschweigender übereinstimmender Wille beim Abschluss des Vertrages. Tatfrage (Erw. 5). |
Aus dem Wohnrecht sich ergebende Ansprüche. Entsprechende Anwendung des Art. 745 Abs. 2 und grundsätzlich auch der Art. 730 ff., namentlich des Art. 737 Abs. 3 ZGB, sowie von Normen des Mietrechtes. - Das Wohnrecht erschöpft sich nicht in der Benutzung der ihm unterstehenden Räume. Der Wohnberechtigte kann ausserdem verlangen, dass die den Wohnungsgenuss mitbestimmenden Vorteile nicht in wesentlichem Masse geschmälert werden, welche die Wohnung bei der Einräumung seines Rechtes bot und er nach Treu und Glauben als für seine Lebenszeit gesichert betrachten durfte. (Erw. 6.) | |
Sachverhalt | |
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"4. Die Parteien vereinbaren folgende Personaldienstbarkeit: Der jeweilige Eigentümer der Parzelle 722, derzeit die Käuferin Firma Wild Heerbrugg AG, räumt dem Verkäufer Jakob Sonderegger das lebenslängliche und unentgeltliche Wohnrecht an der von ihm zur Zeit benützten Wohnung im Hause Nr. 33 ein."
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Dieses Wohnrecht ist im Grundbuch eingetragen.
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Das erwähnte Wohnhaus, ein quadratischer Bau von etwa 9 Metern Seitenlänge, steht im nordöstlichen Winkel der (abgesehen von einem Schopfanbau) bisher nicht überbauten Liegenschaft, die ungefähr ein Rechteck bildet mit Seitenlängen von etwa 40 m im Norden und Süden und etwa 60 m im Osten und Westen, bei einer gesamten Fläche von 2370 m2. Das Haus ist etwa 3 bzw. 5 m von den im Norden und im Osten vorbeiführenden Strassen entfernt; die Süd- und die Westfassade gehen auf freies Vorgelände mit Entfernungen von etwa 30 bzw. 60 m bis zu den auf den Nachbargrundstücken stehenden Gebäuden.
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B.- Sonderegger konnte sein Wohnrecht in den folgenden Jahren ausüben. Die Wild AG gestand ihm auch den Obstnutzen der auf der Liegenschaft stehenden Bäume zu. Als im Jahre 1960 einige Bäume gefällt wurden, entschädigte sie ihn mit Fr. 80. - für jeden Baum.
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C.- Die Wild AG hat die Absicht, auf der Parzelle Nr. 722 einen viergeschossigen Neubau ("wissenschaftliches Gebäude") zu erstellen, der sich in der Längsrichtung von Süden nach Norden erstrecken soll. Die Mittelachse geht westlich vom alten Dreifamilienhaus durch, das Jakob Sonderegger bewohnt. Doch kommt die Nordwand des projektierten Neubaues von etwa 15 m Breite in ihrem östlichen Teil auf eine Länge von etwa 2 m in einem Abstand von bloss 1,5 m an den westlichen Teil jenes Wohnhauses heran, wo sich ein Zimmerfenster der von Sonderegger benutzten Wohnung befindet.
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E.- Das Bezirksgericht Unterrheintal hiess die Klage der Wild AG auf Beseitigung der Baueinsprache gut, ebenso das Kantonsgericht St. Gallen mit Urteilen vom 15. Februar/22. Mai 1962.
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F.- Der Beklagte hat Berufung an das Bundesgericht eingelegt mit dem erneuten Antrag auf Abweisung der Klage und Schutz der Baueinsprache.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1./3. - .....
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Das Kantonsgericht prüft diese Einrede zunächst unter dem Gesichtspunkt einer gesetzlichen Eigentumsbeschränkung, wie sie sich aus dem Nachbarrecht oder aus öffentlichrechtlichen Normen ergeben könnte. Es verneint eine Verletzung solcher Eigentumsbeschränkungen und daher auch eine Verantwortlichkeit der Klägerin nach Art. 679 ZGB. In dieser Hinsicht ist dem angefochtenen Urteil nun gewiss beizustimmen. Dass das Vorhaben der Klägerin gegen öffentlichrechtliche Bauvorschriften verstosse, steht nicht in Frage. Und das Nachbarrecht ist im Verhältnis eines Grundeigentümers zu einem am Grundstück dinglich Berechtigten überhaupt nicht anwendbar, weil man es hiebei nicht mit einem nachbarrechtlichen Verhältnis zu tun hat. Streitigkeiten zwischen dem Grundeigentümer und einem am selben Grundstück Dienstbarkeitsberechtigten sind vielmehr auf dem Boden des Dienstbarkeitsrechtes zu entscheiden (vgl. LIVER, N. 119 ff. zu Art. 737 ZGB). Im übrigen kann, wie das Bundesgericht mehrmals entschieden hat, das blosse Vorhandensein einer Baute niemals ![]() | 12 |
Für die Beurteilung der vorliegenden Baueinsprache spielt auch der vom Beklagten angerufene Besitzesschutz (Art. 928 ZGB), der freilich auch einem Dienstbarkeitsberechtigten kraft seines Besitzes zusteht (Art. 919 Abs. 2 ZGB), keine Rolle. Hat doch die Klägerin jede verbotene Eigenmacht vermieden und den rechtmässigen Weg des Baubewilligungsgesuches beschritten. Dementsprechend geht es in dem durch die Baueinsprache veranlassten Rechtsstreit lediglich um die Abgrenzung der Rechtsbereiche des Grundeigentümers und eines Wohnberechtigten. Es liegt also, wiewohl das Klagebegehren dies nicht ausspricht, eine Feststellungsklage vor. Ob als deren Gegenstand die positive Feststellung des Rechtes der Klägerin zu gelten habe, ihr Bauvorhaben auszuführen (wie das Kantonsgericht annimmt), oder vielmehr die negative Feststellung des Fehlens eines diesem Vorhaben entgegenstehenden Rechtsverhältnisses, kann dahingestellt bleiben. Für die Verteilung der Beweislast und damit für den Ausgang des Rechtsstreites ist dies ebenso bedeutungslos wie die dem Grundeigentümer einerseits und dem Wohnberechtigten anderseits zugefallene Parteirolle (vgl. H. KUHN, Die Beweislast, S. 78; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 344 N. 39). Da der Beklagte dem Bauvorhaben der Klägerin ein zu seinen Gunsten bestehendes besonderes Rechtsverhältnis entgegenhält, ist er grundsätzlich für diesen Hinderungsgrund beweispflichtig (Art. 8 ZGB; vgl. M. KUMMER, N. 164 ff. zu diesem Artikel).
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5. Der als Rechtsgrundausweis heranzuziehende Vertrag (Art. 971 Abs. 2 ZGB) umschreibt den Inhalt des "lebenslänglichen und unentgeltlichen" Wohnrechts nicht näher. Auszugehen ist somit von der gesetzlichen Umschreibung (Legaldefinition) des Wohnrechts in Art. 776/77 ZGB. Der Beklagte hatte freilich in erster Instanz behauptet, ![]() | 14 |
6. Auch abgesehen von derartigen Nebenabreden oder Willensmeinungen beim Abschluss des Kauf- und Dienstbarkeitsvertrages von 1954 bedeutet der Neubau, wie er geplant ist, einen Einbruch in den dem Beklagten durch das Wohnrecht vorbehaltenen Rechtsbereich. Das angefochtene Urteil verkennt die Tragweite dieses Rechtes und die sich daraus ergebende Beschränkung der Betätigungsfreiheit der Grundeigentümerin. Zwar fasst es im Anschluss an die nachbarrechtlichen Ausführungen, die, wie dargetan, für die Entscheidung ausser Betracht fallen, die Eigenart des Wohnrechts ins Auge. Dabei wird aber ![]() | 15 |
"Es kann kein Zweifel darüber bestehen - und der Augenschein hat dies deutlich gezeigt -, dass die Lebensbedingungen des Beklagten durch die Erstellung des geplanten Neubaues eine gewisse Veränderung und zwar eine Verschlechterung erfahren werden. Seine Befürchtungen hinsichtlich der Aussicht, die er heute von seiner Wohnung aus geniesst, und hinsichtlich der Besonnung erscheinen als begründet. Ein vierstöckiges Gebäude, das sich in einem Abstand von nur 1,5 m vor dem Fenster des südwestlich gelegenen Zimmers seiner Wohnung erheben wird, wird sich visuell als Barrikade auswirken und zur Folge haben, dass dieses Zimmer nicht mehr wie bis anhin den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt, sondern während vieler Stunden des Tages in Schatten getaucht sein wird. Auch akustisch wird der Neubau gewisse Einwirkungen auf die Wohnung des Beklagten mit sich bringen, obschon er keinen eigentlichen Fabrikbetrieb, sondern zur Hauptsache Büroräumlichkeiten, Zeichnungssäle und wissenschaftliche Laboratorien aufnehmen soll. Zweifellos werden mit der Erstellung der Neubaute verschiedene Annehmlichkeiten, welche die Wohnung des Beklagten heute bietet, wegfallen mit der Folge, dass, wenn es sich um eine Mietwohnung handelte, der dannzumal noch erzielbare Mietzins niedriger wäre als der Mietzins, der heute für die Wohnung geboten würde."
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Das Kantonsgericht hält dafür, diese Änderungen seien dem Beklagten zuzumuten. Er könne nach wie vor allein über die zu seiner Wohnung gehörenden Räume verfügen, sei also nicht etwa genötigt, ein Zimmer abzutreten oder andern Personen die Mitbenützung zu gestatten. In diesem ungehinderten Benützungsrecht erschöpfe sich aber das ![]() ![]() | 17 |
Die vom Kantonsgericht festgestellten Auswirkungen des Neubaues würden nun zwar nicht die Benützung der dem Wohnrecht unterstehenden Räume als solche hindern oder erschweren. Sie würden aber den Genuss des Wohnrechts, wie der Beklagte ihn beim Vertragsabschluss nach seinen Lebensumständen und nach den örtlichen Verhältnissen erwarten durfte und daher weiterhin beanspruchen kann, in erheblichem, nicht zumutbarem Masse verringern. Es handelte sich für den Beklagten, wie die Klägerin wusste, darum, seinen Lebensabend in dem von ihm damals bereits bewohnten Hause zu verbringen. Für den Wohnungsgenuss ist aber - nicht bloss im Hinblick auf die Annehmlichkeiten des häuslichen Lebens, sondern auch um der Gesundheit und des seelischen Wohlbefindens willen - auch die nähere Umgebung des Hauses von Bedeutung. Eine bis auf 1,5 Meter an das Fenster eines Zimmers der Südseite seiner Wohnung herankommende, sich als Barrikade vor dem Blick erhebende Gebäudewand braucht der Beklagte nicht zu dulden. Dies um so weniger, als der Entzug des Sonnenlichtes "während vieler Stunden des Tages", wie ihn das Kantonsgericht in tatsächlicher Hinsicht massgebend feststellt, die Wohnung nicht bloss ![]() | 18 |
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