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56. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. November 1962 i.S. D. gegen Bezirksrat Zürich. | |
Regeste |
Entmündigung wegen lasterhaften Lebenswandels (Art. 370 ZGB). |
Einordnung des Falles, dass das Verhalten der zu entmündigenden Person einen dauernden Hang zur Kriminalität zeigt. |
Gefährdung der Sicherheit Anderer durch Vermögensdelikte. |
Ist von der Entmündigung abzusehen, weil sie wegen ablehnender Einstellung des zu Entmündigenden keinen Erfolg verspricht oder weil eine mildere Massnahme ausreicht? Sind bei einer zu einer längern Freiheitsstrafe verurteilten Person die Voraussetzungen für die Entmündigung nach Art. 370 ZGB gegeben, so ist diese Bestimmung und nicht Art. 371 ZGB anzuwenden. | |
Sachverhalt | |
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Am 25. August 1958 aus der Strafhaft entlassen, versah D. am 14. November 1959 ein seiner Arbeitgeberin entwendetes Postcheckformular, in das er den Betrag von Fr. 14'214.-- einsetzte, mit der nachgeahmten Unterschrift seines Chefs und löste den Check ein. Den ihm ausbezahlten Betrag verwendete er für sich. Wegen dieser Tat verurteilte ihn das Schwurgericht des Kantons Zürich am 6. Mai 1961 zu zwei Jahren Gefängnis. Die Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich verhörte ihn darauf am 8. und 28. August 1961. Am 8. September 1961 beantragte sie dem Bezirksrat die Entmündigung gemäss Art. 371 ZGB (wegen Freiheitsstrafe) in der Meinung, die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 370 ZGB seien zwar erfüllt, doch sei es, da D. zur Zeit ganz uneinsichtig sei, aus psychologischen Gründen ratsam, erst im Herbst 1962 in Kenntnis der Wirkungen des Strafvollzugs zu prüfen, ob weitere vormundschaftliche Massnahmen zu treffen seien. Der Bezirksrat Zürich sprach jedoch am 15. September 1961 die Entmündigung gemäss Art. 370 ZGB wegen lasterhaften Lebenswandels aus.
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D. verlangte am 6. Oktober 1961 gerichtliche Entscheidung über seine Entmündigung. Die hierauf vom Bezirksrat eingereichte Klage auf Entmündigung gemäss Art. 370 ZGB wurde vom Bezirksgericht Zürich am 8. März 1962 abgewiesen, weil diese - objektiv zwar gerechtfertigte - Massnahme namentlich wegen der ablehnenden Einstellung ![]() | 3 |
Das Obergericht des Kantons Zürich, an das der Bezirksrat appellierte, hat dagegen mit Urteil vom 22. Juni 1962 den Entmündigungsbeschluss des Bezirksrats bestätigt.
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Das Bundesgericht weist die Berufung D.s ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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a) Als lasterhaft hat nach Rechtsprechung und Lehre zu Art. 370 ZGB nicht nur ein unmoralisches Verhalten in geschlechtlicher Beziehung, sondern jedes Verhalten zu gelten, das in erheblichem Masse gegen die Rechtsordnung oder die guten Sitten verstösst. Für die Annahme, dass der Lebenswandel lasterhaft sei, genügt eine einzelne Verfehlung nicht, sondern es muss sich um ein fortgesetztes, gewohnheitsmässiges Verhalten der erwähnten Art handeln, von dem anzunehmen ist, dass es auch in Zukunft andauern würde, wenn keine vormundschaftlichen Massnahmen ergriffen würden (BGE 69 II 18, BGE 83 II 275; EGGER, 2. Aufl., N. 45 und 46, und KAUFMANN, 2. Aufl., N. 23 und 24 zu Art. 370 ZGB; KEEL, Die Bevormundungsfälle, in "Das Vormundschaftsrecht", Veröffentlichungen der schweiz. Verwaltungskurse an der Handelshochschule St. Gallen, Band 1, S. 36; SUTER, Verschwendung, Misswirtschaft, Trunksucht und lasterhafter Lebenswandel als Entmündigungsgründe, S. 60 f.). Mit einem solchen Falle hat man es hier zu tun. In den Jahren 1955 bis 1957 hat der Berufungskläger immer wieder gegen das Strafgesetz verstossen. Während der Strafuntersuchung, die wegen seiner ersten Vergehen gegen ihn eröffnet wurde, hat er sich nicht gebessert, sondern zahlreiche weitere Straftaten ![]() | 7 |
b) Ein Verhalten, das unter Art. 370 ZGB fällt, kann nach dieser Bestimmung die Entmündigung nur rechtfertigen, wenn die betreffende Person sich oder ihre Familie dadurch der Gefahr eines Notstandes oder der Verarmung aussetzt, zu ihrem Schutze dauernd des Beistandes und der Fürsorge bedarf oder die Sicherheit Anderer gefährdet. Von diesen drei Voraussetzungen (die nicht zugleich erfüllt sein müssen) ist hier auf jeden Fall die zuletzt genannte gegeben. Durch seine Vergehen gefährdet der Berufungskläger das Vermögen Dritter und damit die Sicherheit Anderer (EGGER N. 51 z. Art. 370 ZGB). Es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob die aus den Delikten entstehende Pflicht, den Geschädigten Schadenersatz zu leisten und die Kosten der Strafverfahren zu bezahlen, den Berufungskläger der Gefahr eines Notstandes oder der Verarmung aussetze, wie die Vorinstanz dies ausserdem angenommen hat.
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c) Die Entmündigung nach Art. 370 ZGB ist nur dann sinnvoll, wenn dadurch dem Entmündigungsgrund oder wenigstens seinen Folgen entgegengetreten werden kann und andere, weniger einschneidende Massnahmen nicht genügen (BGE 46 II 211E. 4,BGE 69 II 19E. 3). Das Obergericht hat dies nicht verkannt. Es durfte sehr wohl annehmen, dass ein Vormund beim Berufungskläger trotz der ablehnenden Einstellung, die er zur Zeit noch an den Tag legt, durch geeignete Betreuung und Beeinflussung (Ermutigung ![]() | 9 |
d) Der Umstand, dass für den zu zwei Jahren Gefängnis verurteilten Berufungskläger der Entmündigungsgrund von Art. 371 ZGB zutrifft, steht der Anwendung von Art. 370 ZGB nicht entgegen. Sind bei einer zu einer längern Freiheitsstrafe verurteilten Person die Voraussetzungen für eine Entmündigung nach Art. 370 ZGB gegeben, so ist sie nach dieser Bestimmung und nicht nach Art. 371 ZGB zu entmündigen; denn eine solche Person bedarf eines Vormundes vor allem auch nach der endgültigen Entlassung aus der Strafhaft, in welchem Zeitpunkt eine auf Grund von Art. 371 ZGB angeordnete Vormundschaft gemäss Art. 432 ZGB ohne weiteres aufhört, so dass bei Konkurrenz von Art. 370 und 371 diese letztere Bestimmung zurückzutreten hat (vgl. MAGET a.a.O. S. 169; SPECKER, Der Strafverhaft als Entmündigungsgrund, ZSR 1946 S. 307; SPITZER'Zur Anwendung von Art. 371 ZGB, SJZ 1946 S. 10 oben; vgl. KAUFMANN N. 27 zu Art. 370 ZGB).
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