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Informationen zum Dokument  BGE 88 II 448  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 1 des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes (EHG), das ...
2. Der Kläger anerkennt eine "erhebliche" eigene Schuld. In  ...
3. Alles, was der Kläger geltend macht, um ein Verschulden d ...
4. Die Gefahren, die der Strassenbahnbetrieb für die üb ...
5. Gesamthaft betrachtet, lässt das festgestellte grobe Vers ...
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63. Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Oktober 1962 i.S. Feller gegen Einwohnergememde Bern.
 
 
Regeste
 
Eisenbahnhaftpflicht.  
Selbstverschulden des verletzten Motorfahrzeuglenkers (Art. 1 EHG), der mit unverminderter Geschwindigkeitgegen die Kreuzungsstelle fährt.  
Mitverschulden des Tramführers oder der Bahnorgane? Erhöhte Betriebsgefahr der Bahn? Entlastung der Bahnunternehmung, weil das Selbstverschulden des Verunfallten zusammen mit der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs die einzige adäquate Ursache des Unfalls bildet.  
 
Sachverhalt
 
BGE 88 II, 448 (449)Am 12. August 1959 um 8 Uhr 30 stiess Hermann Feller, der auf seinem Vespa-Roller mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h durch die Murtenstrasse in Bern stadteinwärts. fuhr, bei der Tramendstation Güterbahnhof mit einem aus der Stadt kommenden Trammotorwagen zusammen, der mit einer Geschwindigkeit von 8-10 km/h in die Endschleife des Tramgeleises einschwenkte und dabei seine Fahrbahn querte. Er erlitt einen komplizierten Bruch der rechten Kniescheibe, der eine mehrmonatige Arbeitsunfähigkeit und einen bleibenden Nachteil zur Folge hatte.
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Mit Klage vom 17. März 1961 belangte Feller die Einwohnergemeinde Bern als Inhaberin der zu den städtischen Verkehrsbetrieben gehörenden Strassenbahnunternehmung auf Schadenersatz und Genugtuung in Höhe von mindestens Fr. 22'000. - (welche Forderung er in seinem Schlussvortrag auf einen Betrag von wenigstens Fr. 23'000.-- erhöhte). Er anerkannte, dass er den Unfall teilweise seiner eigenen Schuld zuzuschreiben habe, machte aber geltend, neben seinem Selbstverschulden bilde die Bahnbetriebsgefahr eine erhebliche Unfallursache und zudem falle auch BGE 88 II, 448 (450)dem Tramführer ein beträchtliches, "wenigstens hälftiges" Verschulden zur Last.
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Nach Durchführung eines Beweisverfahrens hat der Appellationshof des Kantons Bern (III. Zivilkammer) die Klage am 7. März 1962 gemäss Antrag der Beklagten abgewiesen, weil dem Kläger ein grobes Selbstverschulden vorzuwerfen sei, das die einzige adäquate Ursache des Unfalls bilde.
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Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er erneuert damit das im kantonalen Verfahren gestellte Begehren und beantragt eventuell, die Sache sei zur Festsetzung der Höhe der ihm zukommenden Leistungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1. Gemäss Art. 1 des Eisenbahnhaftpflichtgesetzes (EHG), das auch auf Strassenbahnen anwendbar ist (BGE 53 II 502; OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, 2. Aufl., II/1 S. 298 mit weitern Hinweisen), haftet der Inhaber der Eisenbahnunternehmung für den Schaden aus der beim Bahnbetrieb erfolgten Tötung oder Verletzung eines Menschen, sofern er nicht beweist, dass der Unfall durch höhere Gewalt, durch Verschulden Dritter oder durch Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht ist. Von diesen Entlastungsgründen kommt im vorliegenden Falle nur der zuletzt genannte (Selbstverschulden) in Betracht. Ein Verschulden des Getöteten oder Verletzten entlastet die Bahnunternehmung, wenn es für sich allein oder - falls der Getötete oder Verletzte der Halter eines am Unfall beteiligten Motorfahrzeugs war - in Verbindung mit der Betriebsgefahr dieses Fahrzeugs die einzige adäquate Ursache des Unfalls darstellt. Ist dies nicht der Fall, sondern hat ein Verschulden auf Seiten der Bahn oder eine von ihr zu vertretende Betriebsgefahr als rechtserhebliche Mitursache des Unfalls zu gelten, so ist die Bahnunternehmung grundsätzlich haftbar, doch kann in BGE 88 II, 448 (451)einem solchen Falle das Verschulden des Getöteten oder Verletzten zu einer Ermässigung der Entschädigung führen (BGE 87 II 306 ff. mit Hinweisen). Dass das Verhalten, in welchem das Verschulden des Verunfallten liegt, nach der Lebenserfahrung in keiner Weise voraussehbar gewesen sei, ist nach dem eben angeführten Entscheide für die Entlastung der Bahnunternehmung nicht erforderlich.
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a) Die Vorinstanz stellt fest, der Kläger sei ortskundig und habe die fragliche Stelle vor dem Unfall schon mehrmals befahren; er habe also gewusst und es sei ihm geläufig gewesen, dass die Tramzüge an dieser Stelle die Strasse überqueren, um in die Endschleife einzubiegen. Diese Feststellungen, insbesondere auch diejenigen darüber, was dem Kläger zur Zeit des Unfalls bekannt und gegenwärtig war, betreffen tatsächliche Verhältnisse und sind daher gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich. Es kann keine Rede davon sein, dass sie, soweit sie sich auf das damalige Wissen des Klägers beziehen, offensichtlich auf Versehen beruhen. Was der Kläger zur Begründung hiefür vorbringt, ist nichts anderes als eine unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz.
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b) Waren dem Kläger die örtlichen Verhältnisse und insbesondere die Kreuzung zwischen dem Tramgeleise und seiner Fahrbahn (auf die übrigens ein 50 m vor der Kreuzungsstelle angebrachtes Signal hinwies) vertraut, so hatte er nach entgegenkommenden Tramzügen Ausschau zu BGE 88 II, 448 (452)halten und so zu fahren, dass er, wenn ein solcher auftauchte und ein sicheres Passieren der Kreuzungsstelle vor ihm nicht mehr möglich war, vor dem Tramgeleise anhalten konnte, um ihm den ihm zukommenden Vortritt zu lassen. Diese klaren Pflichten hat der Kläger gröblich verletzt. Nimmt man entsprechend dem Polizeirapport an, er habe den Zug, mit dem er dann zusammenstiess, bereits gesehen, bevor dieser in die Endschleife einfuhr, was nach den örtlichen Verhältnissen ohne weiteres möglich war, so ist ihm vorzuwerfen, dass er es unterliess, sogleich zu bremsen, um sein Fahrzeug vor dem Tramgeleise zum Stehen zu bringen. Die Zeit hätte hiefür vollauf gereicht, da das Tram vom Punkte, wo es sich zum Überqueren der Strasse anschickte, bis zur Unfallstelle nach dem vom Kläger vorgelegten Plan im Massstab von 1: 500 ungefähr 15 m zurückzulegen hatte, wofür es bei der festgestellten Geschwindigkeit von 8-10 km/h mehr als 5 Sekunden brauchte. Auch die zur Verfügung stehende Wegstrecke hätte dem mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h fahrenden Kläger das Anhalten vor dem Tramgeleise erlaubt. Er bremste aber gemäss Feststellung der Vorinstanz überhaupt nicht, sondern machte, nachdem ihn der Tramführer durch Glockensignale gewarnt hatte, lediglich den Versuch, dem Tram auszuweichen, was ihm nicht gelang. In Kenntnis der unmittelbar drohenden Gefahr auf diese Weise draufloszufahren, ist schlechthin unverantwortlich. Das Verhalten des Klägers verdient aber auch dann kein milderes Urteil, wenn er den Tramzug gemäss seinen spätern Aussagen erst auf eine Entfernung von 5-7 m erblickte, als es zum Anhalten zu spät war. Der Kläger hat es in diesem Falle an der Aufmerksamkeit, die das Überqueren der ihm bekannten Kreuzung mit der Strassenbahn verlangte, vollständig fehlen lassen. Sein Verhalten war also unter allen Umständen äusserst unvorsichtig.
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c) Was der Kläger zu seiner Entschuldigung vorbringt, ist nicht stichhaltig. Ob das Kreuzungssignal für ihn mehr BGE 88 II, 448 (453)oder weniger gut sichtbar gewesen sei, ist angesichts seiner verbindlich festgestellten Ortskenntnis unerheblich. Ebenso kommt nichts darauf an, ob er durch familiäre oder berufliche Sorgen abgelenkt war oder ob es sich bei seiner Unachtsamkeit um ein "momentanes Sich-Gehen-Lassen" handelte, welche Möglichkeiten er in der Berufungsschrift wahlweise zur Erwägung stellt. Wer durch Unachtsamkeit einen Unfall verursacht, ist nur entschuldigt, wenn sein Verhalten einem unvorhersehbaren Unwohlsein oder einer unwiderstehlichen äussern Einwirkung (z.B. einem heftigen Knall) zuzuschreiben ist. Dergleichen lag hier nicht vor. Beim Lenken eines Motorfahrzeugs seine Gedanken abschweifen oder sich sonstwie gehen zu lassen, ist heute zumal im Stadtverkehr, der von allen Teilnehmern höchste Konzentration fordert, keinesfalls mehr entschuldbar.
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Der Kläger hat also den Unfall durch grobes Selbstverschulden verursacht.
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3. Alles, was der Kläger geltend macht, um ein Verschulden der Bahnverwaltung und des Tramführers darzutun, mündet in den Vorwurf, dass mit einem Verhalten wie dem seinigen hätte gerechnet werden müssen. Er scheint der Meinung zu sein, der Tramführer hätte, als er ihn auf die Kreuzung zufahren sah, den Tramzug vorsorglich sogleich anhalten müssen; die Verwaltung hätte für solche Fälle eine entsprechende Weisung erlassen sollen. Hievon kann jedoch nicht die Rede sein. Der Tramführer durfte sich zunächst mit einem Glockensignal begnügen und seine langsame Fahrt fortsetzen, wenn er annehmen durfte, dass dem so gewarnten Kläger genügend Zeit bleibe, um die Gefahr eines Zusammenstosses wahrzunehmen und abzuwenden. So verhielt es sich nach den Feststellungen der Vorinstanz, als der Tramführer das erste Signal abgab. Als er dann sah, dass dieses nichts fruchtete, gab er ein zweites Signal und leitete eine Schnellbremsung ein. Damit hat er getan, was ihm bei den gegebenen Verhältnissen zuzumuten war. Er hat entgegen der Behauptung des BGE 88 II, 448 (454)Klägers nicht in unzulässiger Weise den Vortritt "erzwungen". Er musste nicht damit rechnen, dass der Kläger sein Fahrzeug nicht einmal auf ein rechtzeitiges Signal hin pflichtgemäss vor der Kreuzung anhalten werde, sondern durfte zunächst erwarten, dass der Kläger auf diese Warnung in richtiger Weise reagieren werde.
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4. Die Gefahren, die der Strassenbahnbetrieb für die übrigen Strassenbenützer schafft, werden im Bereich der Unfallstelle für die stadteinwärts fahrenden Motorfahrzeuge freilich im allgemeinen dadurch erhöht, dass dort das Tramgeleise die Strasse überquert und dass die von der Stadt kommenden Tramzüge wegen einer leichten Krümmung der Strasse und der am Strassenrand stehenden Bäume erst kurz vor dem Abschwenken in die Endschleife sichtbar werden. Im vorliegenden Falle kann jedoch diesen Umständen bei der Abwägung der von der Bahnunternehmung einerseits und vom Kläger anderseits zu vertretenden Unfallursachen kein erhebliches Gewicht beigelegt werden; denn der Kläger hätte als Ortskundiger den ihm bekannten Gefahren durch erhöhte Vorsicht Rechnung tragen sollen und wäre ihnen, wenn er dies getan hätte, mit Sicherheit entgangen.
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Unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahren der beteiligten Fahrzeuge muss anderseits zulasten des Klägers berücksichtigt werden, dass Motorräder und -roller wenig standfest sind und ihren Benützern bei Unfällen sozusagen keinen Schutz bieten (BGE 82 II 539 oben). Dieser Umstand hat zweifellos dazu beigetragen, dass der Kläger beim Zusammenstoss mit dem - langsam fahrenden - Tramzug erheblich verletzt wurde.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes des Kantons Bern (III. Zivilkammer) vom 7. März 1962 bestätigt.
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