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70. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. November 1962 i.S. Baumann und Streitgenossen gegen Dorfkorporation Dietfurt. | |
Regeste |
Ehehafte (althergebrachte) Wasserrechte sind private Rechte an einem öffentlichen Gewässer. Sie gelten als Dienstbarkeiten. Ihr Inhalt ist grundsätzlich nach neuem Rechte zu beurteilen. Art. 17 Abs. 2 ZGB, SchlT und Art. 737 ff. ZGB (Erw. 3). |
Stillschweigender Vorbehalt und Lücke des Vertrages. Art. 18 OR und Art. 2 ZGB (Erw. 5). |
Ersatzpflicht für den durch Überschreitung der Dienstbarkeit angerichteten Schaden (Erw. 6). |
Unter welchen Voraussetzungen kann Ersatz für zukünftigen Schaden verlangt werden? (Erw. 7). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 24. November 1939 gewährte der Rechtsvorgänger der Kläger, Johannes Baumann sel., der Beklagten (Dorfkorporation Dietfurt) ein Dienstbarkeitsrecht auf Aneignung und Ableitung des Wassers der auf seinem Grundstück Parzelle 336 entspringenden Quelle. Die Quellfassung befand sich am linken Ufer des Baches, etwa 300 Meter oberhalb des ersten Stauwehrs. Für die Einräumung dieses Quellenrechtes bezahlte ihm die Beklagte einen Betrag von Fr. 2000. -.
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C.- Die erwähnte Quelle ging in ihrer Ergiebigkeit zurück und versiegte schliesslich. Namentlich mit Rücksicht hierauf bot Johannes Baumann Hand zum Abschluss eines neuen Dienstbarkeitsvertrages vom 9. Dezember 1942, dem zu entnehmen ist:
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"1. Als Nachtrag zu dem am 24. November 1939... eingetragenen Quellenrecht räumt Baumann Johannes... der Dorfkorporation Dietfurt folgende Rechte als Ergänzung zum bestehenden Quellenrecht ein:
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a) Erstellen eines Sammelschachtes in der Nähe der bereits bestehenden Brunnenstube, zwecks Fassung von Grundwasser im Grundstück Baumann, mit Pumpwerk und Pumpenhaus in einer Grundfläche von ca. 20 m2, mit Zuleitung vom Sammelschacht zur alten Brunnenstube;
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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.
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In der seinerzeit ausgerichteten Entschädigung von Fr. 2000.-- sind auch die im vorstehenden Vertrage eingeräumten Rechte eingeschlossen, einschliesslich das Durchleitungsrecht für den Sammelstrang.
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4.
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Es wird besonders vereinbart, dass der auf eine Länge von ca. hundert Meter vorgesehene Sammelstrang etappenweise erstellt werden wird, je nach den Wasserbedürfnissen der Dorfkorporation. Einstweilen wird der Strang nur ungefähr auf eine Länge von 25 Meter gelegt.
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Die auf Grund dieses zweiten Vertrages in Betrieb gesetzte Pumpe hatte eine Förderleistung von 220 Minutenlitern.
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D.- Mit Gesuch vom 15. November 1949 bewarb sich die Beklagte beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen um eine Konzession zur Entnahme von 2000 l/min aus dem Grundwasservorkommen. Die Kläger erhoben Einsprache wegen drohender Schmälerung ihrer ehehaften Wasserrechte. Der Regierungsrat verlieh der Beklagten jedoch mit Beschluss vom 17. Februar 1950 das nachgesuchte Recht zur Entnahme von maximal 2000 l/min und 200 000 m3 im Jahr, räumte der Konzessionärin das Enteignungsrecht ein und legte ihr die Pflicht auf, Streitigkeiten mit Dritten, die sich aus der Konzessionserteilung und dem Bau der Anlagen ergeben, auf eigene Kosten ohne Beteiligung des Staates auszutragen.
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In der folgenden Zeit erstellte die Beklagte ein Pumpwerk mit einer Förderleistung von maximal 600 l/min (zwei Pumpen von 400 bezw. 600 l/min Leistung, von denen jedoch jeweilen nur eine im Betriebe steht).
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E.- Mit Klage vom 4. Oktober 1957 stellten die Kläger die Rechtsbegehren:
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"1. Es sei gerichtlich festzustellen, dass die Beklagte den Klägern für den Schaden ersatzpflichtig ist, welcher ihnen durch die Grundwasserentnahme am Dietfurtbach entsteht.
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Zur Begründung machten die Kläger im wesentlichen geltend, bei mittlerem Wasserstande werde ihren Anlagen so viel Wasser entzogen, dass sie nicht mehr voll ausgenützt werden könnten. Sie seien gezwungen, zur Aufrechterhaltung ihrer Betriebe Fremdstrom zu beziehen oder einen Dieselmotor einzusetzen. Nach ihren Berechnungen müssten sie dafür jährlich insgesamt Fr. 600.-- aufwenden. Diesen Betrag habe ihnen die Beklagte rückwirkend zu ersetzen. Da die Beklagte durch die Konzession berechtigt sei, die Wasserentnahme auf 2000 l/min zu erhöhen, hätten die Kläger ein Interesse daran, ausserdem gerichtlich feststellen zu lassen, dass die Beklagte für den ihnen daraus entstehenden Schaden verantwortlich sei.
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Die Beklagte bestritt einerseits, dass die ehehaften Wasserrechte der Kläger durch die Grundwasserentnahme beeinträchtigt würden. Anderseits machte sie geltend, der Rechtsvorgänger der Kläger habe ihr durch den zweiten Dienstbarkeitsvertrag vom 9. Dezember 1942 das dingliche Recht auf unbeschränkten Bezug von Grundwasser in seiner Parzelle Nr. 336 eingeräumt.
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F.- Sowohl das Bezirksgericht Alttoggenburg wie auch, auf Berufung der Kläger hin, das Kantonsgericht St. Gallen, mit Urteil vom 9. Februar 1962, haben die Klage abgewiesen. Das Kantonsgericht führt zur Begründung seines Urteils im wesentlichen aus: Durch das vom Bezirrksgericht eingeholte Gutachten Strasser/Jäckli sei erwiesen, dass die Wasserentnahme durch die Beklagte den Zufluss auf die Wasserwerke der Kläger beeinträchtige, wenn auch in verhältnismässig geringfügigem Masse. Grundsätzlich wäre die Beklagte daher zum Schadenersatze verpflichtet. Nun könne sie sich aber auf die mit dem Rechtsvorgänger der Kläger abgeschlossenen Dienstbarkeitsverträge berufen. Die Wasserentnahme sei darin in keiner Weise beschränkt worden. Sie richte sich deshalb, was zudem "zweifelsfrei" aus ![]() | 21 |
G.- Gegen dieses Urteil haben die Kläger die vorliegende Berufung an das Bundesgericht eingereicht.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1./2. - .....
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Und zwar geht der Streit im wesentlichen um Rechtsverhältnisse, die vom Bundesrecht beherrscht sind, so dass ![]() ![]() | 25 |
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a) Freilich wird ein Wassernutzungsrecht gewöhnlich in bestimmter Weise begrenzt und damit als "gemessene" Dienstbarkeit festgelegt. Wird aber davon abgesehen, den Umfang der Bezugsberechtigung zum vornherein (etwa in Minutenlitern) zu bestimmen, so wird die wasserrechtliche Dienstbarkeit nicht ohne weiteres zu einer "ungemessenen". Vielmehr ist durch Auslegung zu ermitteln, welcher Umfang der Bezugsberechtigung zukommt (vgl. LEEMANN, N. 18 zu Art. 737 ZGB), und dies hat nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu geschehen (BGE 87 II 95 mit Hinweisen; MERZ, N. 119 ff. zu Art. 2 BGE mit Literaturangaben in N. 120). Unter diesem Gesichtspunkt fällt hier vor allem in Betracht, dass den Vertragschliessenden fern lag, den die Werkanlagen der Kläger speisenden Zufluss aus dem Dietfurterbach aufzuteilen, also einen Teil davon ![]() ![]() | 27 |
b) Aus Ziff. 4 des zweiten Dienstbarkeitsvertrages lässt sich nichts ableiten, was dem Gesagten zuwiderliefe. Wenn danach der in Ziff. 1 lit. b vorgesehene Sammelstrang von etwa 100 m Länge nicht auf einmal, sondern etappenweise "je nach den Bedürfnissen der Dorfkorporation" angelegt werden soll, so heisst dies in Verbindung mit dem Vorausgegangenen bloss, es sei zunächst mit einem kleineren, auf 25 m bemessenen Sammelstrang zu versuchen, der alsdann, wenn das Grundwasser sich als zu wenig ergiebig erweisen sollte, nach und nach auf die Höchstlänge von etwa 100 m verlängert werden dürfe. Diese Vertragsstelle ist als Teil des gesamten Textes zu deuten und in sinnvoller Weise dahin zu verstehen, die Beklagte solle durch Grundwasserbezug einen vollwertigen Ersatz für das wertlos gewordene Quellenrecht erhalten; deshalb dürfe sie einen hiefür genügenden Sammelstrang anlegen und - im Rahmen der Bedürfnisse, die das Quellenrecht hätte decken sollen - von anfänglich 25 bis auf etwa 100 m verlängern.
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c) Dass die Beklagte selber nicht der Meinung war, der Vertrag von 1942 habe ihr ein unbeschränktes Wasserbezugsrecht eingeräumt, geht daraus hervor, dass sie am 15. November 1949 die Erteilung einer Konzession zur Entnahme von 2000 l/min aus dem Grundwasser des Dietfurterbaches nachgesucht hat. Freilich hatte der Regierungsrat dieses Grundwasser am 20. September 1948 als öffentliches Gewässer erklärt. Demgegenüber hätte aber die Bekla gte, die es seit 1942 teilweise gefasst und abgeleitet hatte, sich auf die Eigentumsgarantie berufen können, sofern sie der Ansicht war, ihr stehe ein unbeschränkter privatrechtlicher Anspruch auf Ableitung dieses Wassers zu (vgl.BGE 55 I 401). Einen solchen Standpunkt hat sie jedoch nicht eingenommen, sei es, dass sie einen privatrechtlichen Anspruch gemäss dem Vertrage von 1942 überhaupt nicht für begründet hielt und dieses Grundwasser schon nach dem kantonalen Gesetze vom 1. Januar 1894 als öffentliches Gewässer ![]() | 29 |
d) Nach der dem kantonalen Recht im angefochtenen Urteil gegebenen Auslegung war die Einräumung eines Grundwasserbezugsrechtes durch Dienstbarkeit im Jahre 1942 gültig. Wie dargetan, umfasst dieses Recht aber nur ungefähr den Ertrag der Quelle, die den Gegenstand des Vertrages und Grundbucheintrages von 1939 gebildet hatte. Dieser Ertrag ist vom Kantonsgericht nicht festgestellt worden; dagegen ergibt sich aus dem regierungsrätlichen Entscheid vom 7. Februar 1950 über die Konzessionserteilung, dass die Beklagte zur Gewinnung des Grundwassers (1942) eine Pumpe mit einer FÖrderleistung von 220 Minutenlitern in Betrieb gesetzt hatte. Da die damalige Anlage unbeanstandet blieb, darf angenommen werden, die erwähnte Wassermenge habe dem Gegenstand der Dienstbarkeit entsprochen.
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5. Diese Menge als unbedingtes Höchstmass des Bezuges bezeichnen, hiesse nun allerdings den Vertragsbestimmungen einen genauen Sinn beimessen, der ihnen beim Fehlen einer zahlenmässigen Festlegung nicht zukommt. Es mochte den Vertragschliessenden, namentlich auch dem Grundeigentümer, gleichgültig sein, ob das Grundwasser noch etwas stärker ausgenützt werde, sofern nur der seine Werkanlagen speisende Bachzufluss unberührt bleibe, den auch die Beklagte nicht anzutasten beabsichtigte. Betrachtet man dies als stillschweigend vereinbarten Vorbehalt, so überschreitet die Beklagte ihr Dienstbarkeitsrecht, sobald sie mehr als 220 l/min Grundwasser herauspumpt und dadurch jenen Zufluss schmälert. Die gleiche Rechtslage ergibt sich aber auch, wenn man davon ausgeht, die Vertragschliessenden hätten gar nicht damit gerechnet, dass bei Überschreitung eines gewissen Umfanges der Grundwasserentnahme je nach dem Wasserstande des Dietfurteruaches jener Zufluss geschmälert und damit die Ausnützbng des ehehaften Wasserrechtes beeinträchtigt werden ![]() | 31 |
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Demgegenüber vermag sich die Beklagte auf kein über die Dienstbarkeiten von 1939 und 1942 hinausgehendes Recht zu berufen. Die ihr vom Regierungsrat erteilte Konzession lässt das ehehafte Recht der Kläger als wohlerworbenes ![]() | 33 |
Nach alledem ist das Klagebegehren 1 zu schützen durch die Feststellung, dass die Beklagte für einen Schaden einzustehen hat, den sie den Klägern durch Bezug von mehr als 220 l/min Grundwasser zufügt.
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Bei dieser Sachlage fällt das Klagebegehren 2 nur insoweit in Betracht, als es sich auf den Schaden bezieht, den die Kläger allenfalls auf die erwähnte Weise bereits erlitten haben bis zu dem Zeitpunkt, der als Endpunkt der tatsächlichen Feststellungen nach der kantonalen Prozessordnung zu gelten hat. Nach dem Expertenbefund hat die ![]() | 36 |
Sollte die Dorfkorporation auf einen Bezug von mindestens zeitweilig mehr als 220 l/min aus dem Grundwasser des Dietfurterbaches angewiesen sein, so steht ihr laut regierungsrätlicher Ermächtigung, wie sie ihr bei Erteilung der Konzession gewährt wurde, der Weg der Enteignung offen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 9. Februar 1962 aufgehoben und durch folgendes Urteil ersetzt wird:
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1.- Es wird festgestellt, dass die Beklagte für den Schaden verantwortlich ist, der den Klägern dadurch entsteht, dass sie mehr als 220 Minutenliter Grundwasser bezieht.
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