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2. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. März 1963 i.S. J. gegen O. | |
Regeste |
Besuchsrecht. Art. 156 Abs. 3 ZGB. | |
Sachverhalt | |
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Im Frühjahr 1954 wurden die beiden Kinder in einem Kinderheim in Mogelsberg (Kt. St. Gallen) untergebracht. Während fünf Jahren ihres dortigen Aufenthaltes kümmerte sich O. in keiner Weise um sie; weder übte er sein Besuchsrecht aus, noch unterhielt er sonst irgendwelchen Kontakt mit ihnen. Auch vernachlässigte er seine Unterstützungspflicht, indem er von den ihm durch das Scheidungsgericht auferlegten Unterhaltsbeiträgen von monatlich Fr. 70.- für jedes Kind insgesamt bloss Fr. 160.-- bezahlte. Im Jahre 1959 wandte er sich dann erstmals an die Gerichte, um das ihm zustehende, angeblich von der Leitung des Kinderheims oder von der Mutter hintertriebene Besuchsrecht auszuüben. Ein erstes Gesuch vom 12. Januar zog er indessen am 14. Februar 1959 zurück, während ein weiteres gegen die Heimleitung gerichtetes Begehren am 10. Juli 1959 abgewiesen wurde. Das gleiche Schicksal war einem Gesuch vom 20. August 1959, dem zufolge der Mutter verboten werden sollte, ihn an der Ausübung des Besuchsrechtes zu hindern, beschieden, da die letztere erklären liess, sie sei mit den Besuchen einverstanden.
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Nachdem diese sich im Jahre 1957 mit J. wieder verheiratet und im April 1961 die beiden Kinder in den ehelichen Haushalt aufgenommen hatte, wandte sich O. am 31. Dezember 1961 erneut an den Befehlsrichter mit dem Begehren, es seien ihm die Kinder zum Besuch herauszugeben. Am 16. März 1962 zog er jedoch das Gesuch wieder zurück.
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Am 24. Juni 1960 wurde O. vom Bezirksgericht Horgen wegen wiederholter und fortgesetzter Unzucht mit Kindern zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde bedingt aufgeschoben unter Ansetzung einer Probezeit von fünf Jahren. O. hatte sich an zwei Knaben im Alter von 13 und 14 Jahren, von denen ![]() | 4 |
B.- Am 19. Mai 1961 klagte Frau J. gegen O. mit dem Begehren um Aufhebung des diesem im Scheidungsurteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 15. Dezember 1953 eingeräumten Besuchsrechtes. Das Bezirksgericht Horgen hiess am 8. Juni 1962 die Klage gut und hob das Besuchsrecht des O. gänzlich auf, weil Gefahr bestehe, dass der Beklagte auch seine eigenen Kinder verführe, und weil diesen jedes Gefühl der Zusammengehörigkeit mit ihm fehle.
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Auf die Berufung des Beklagten wies das Obergericht des Kantons Zürich die Klage am 15. Oktober 1962 ab und ordnete dessen Besuchsrecht in teilweiser Gutheissung der Widerklage in der Weise, dass O. das Recht eingeräumt wurde, die Kinder je am letzten Sonntag des Monats, im Sommer von 13 bis 19 Uhr und im Winter von 12 bis 18 Uhr, gemeinsam zu besuchen oder zu sich auf Besuch zu nehmen.
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C.- Die Klägerin hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Gutheissung ihrer Klage und Abweisung der Widerklage.
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O. beantragt Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Gemäss Art. 156 Abs. 3 ZGB hat der Ehegatte, dem die Kinder entzogen werden, ein Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr mit ihnen. Dass dieses Recht, dessen Hauptinhalt das sog. Besuchsrecht bildet und das dem nicht gewalthabenden Elternteil um seiner Persönlichkeit willen zusteht, diesem unter Umständen ganz abgesprochen werden kann, sagt das Gesetz nicht, folgt jedoch aus dem allgemeinen Grundsatz, dass jedes Recht seine Grenze an fremden Rechten findet (s. BGE 86 II 377). Die Ausübung eines Rechtes, durch die in ein fremdes Recht eingegriffen wird, ist denn auch nur dann rechtmässig und vom Richter zu schützen, wenn dieser Eingriff die angemessene ![]() | 9 |
a) Die Rechtsprechung und mit ihr ein Teil des Schrifttums vertreten den Standpunkt, dass das Besuchsrecht gänzlich aberkannt werden könne, wenn sich seine Ausübung auf keine Weise unter Wahrung der körperlichen und sittlichen Entwicklung der Kinder ordnen lasse, wenn also schwerwiegende Gründe im Interesse der Kinder diese Massnahme gebieten (BGE 72 II 10; HAFTER, Kinder aus geschiedenen Ehen, S. 165; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 2. Auflage, S. 121; KISTLER, Das Recht auf persönlichen Verkehr, in Zeitschrift für Vormundschaftswesen, 1952, S. 122/3; ROSSEL/MENTHA, Manuel du droit civil suisse, 2. Auflage, S. 275 Nr. 405bis; anderer Meinung: TUOR, Das schweizerische ZGB, 5. Auflage, S. 148; EGGER, Kommentar, N. 21 zu Art. 156 lehnt einen Entzug des Rechtes durch den Richter ab, hält jedoch eine Verwirkung für möglich, wenn die Kindesinteressen es durchaus erfordern). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die körperliche und sittliche Gesundheit der Kinder, welche durch Art. 28 Abs. 1 ZGB gewährleistet ist, ein höherwertiges Gut darstellt als die mit dem Besuchsrecht bezweckte innere Verbundenheit des nicht gewalthabenden Elternteils mit ihnen. Diese Auffassung steht auch im Einklang mit der Rechtsanschauung in der Schweiz benachbarten Staaten. So kann im deutschen und im österreichischen Rechte der Verkehr des berechtigten Elternteils mit dem Kinde ausgeschlossen werden, wenn dies aus besondern Gründen dem Wohle des Kindes dient (VON GODIN, Kommentar, N. 10 zu § 75 des deutschen Ehegesetzes; KLANG/GSCHNITZER, Kommentar, Ziff. V zu § 142 ABGB), und den gleichen Weg ist die französische Praxis gegangen (PLANIOL/RIPERT/BOULANGER, Traité de droit civil, 1956, Bd. I, S. 841, Nr. 2277 Ziff. 5). Am Grundsatze, ![]() | 10 |
b) Daraus folgt nun aber nicht, dass umgekehrt dem berechtigten Elternteil das Besuchsrecht trotz einem solchen Interessenkonflikt stets gewahrt bleiben müsse, wenn eine Verletzung jener Kindesinteressen durch entsprechende Sicherheitsmassnahmen vermieden werden kann. Das Besuchsrecht ist, wie alle Elternrechte, zweckbezogen (MERZ, Berner Kommentar, N. 302 zu Art. 2 ZGB). Es findet seine Begründung in der Überlegung, dass die innere Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern über die Scheidung hinaus weiterbesteht und dass demzufolge die Eltern Anspruch darauf haben, diese natürliche Bindung durch einen angemessenen Verkehr mit den Kindern aufrechtzuerhalten. Die Ausübung dieses Persönlichkeitsrechtes hat demnach nur einen vernünftigen Sinn, wenn sie bestimmt und geeignet ist, jene innere Verbundenheit zu erhalten. Wo es an dieser Voraussetzung fehlt, sei es, dass der nicht gewalthabende Elternteil aus zweckwidrigen Motiven auf der Ausübung seines Rechtes beharrt (z.B. aus Rechthaberei, zur Schikane des andern Elternteils usw.), sei es, dass diese zum vorneherein als nutzlos erscheint, weil es an der innern Verbundenheit der Kinder mit dem getrennten Elternteil völlig fehlt (s. über die zweckwidrige und nutzlose Rechtsausübung, MERZ, a.a.O. N. 285 ff. und 340 ff.), da rechtfertigt es sich nicht, das Besuchsrecht, das ohne besondere Vorkehren gegen bedeutende Interessen der Kinder verstiesse, mit allen möglichen Sicherheitsmassnahmen zu umgeben (z.B. Besuche in Anwesenheit Dritter oder unter Aufsicht von Amtspersonen, nur gemeinsam usw.), um dem berechtigten Elternteil mindestens formell und ohne Nachteil für die Kinder seine Ausübung zu ermöglichen. Eine Ausübung des Besuchsrechtes, die ihres ethischen Gehalts entbehrt, verdient ![]() | 11 |
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a) O. hat sich im Jahre 1959 in schwerwiegender Weise an zwei Knaben im Alter von 13 und 14 Jahren sittlich vergangen. Aus den Strafakten und insbesondere aus dem Urteil des Bezirksgerichtes Horgen vom 24. Juni 1960 sowie dem psychiatrischen Gutachten der Heilanstalt Burghölzli vom 28. Mai 1960 ergibt sich, dass der Beklagte ein verlogener, asozialer, uneinsichtiger und mit einer bisexuellen Triebrichtung behafteter Psychopath ist. Seine beiden Kinder, von denen insbesondere der Knabe heute in das Alter eintritt, das die beiden Opfer des O. hatten, wären unzweifelhaft in ihrer sittlichen Entwicklung in hohem Grade gefährdet, wenn sie dem unheilvollen Einfluss des Beklagten, und sei es auch nur für einige Stunden im Monat, preisgegeben würden. Darüber hilft nicht hinweg, dass sexuelle Verfehlungen des O. an seinen eigenen Kindern nicht nachgewiesen sind. Zur Zeit der Scheidung der Parteien waren die Kinder zwei und drei Jahre alt, und seither ist der Beklagte mit ihnen nicht mehr zusammengetroffen. Die Annahme der Vorinstanz aber, dass den ![]() ![]() | 13 |
b) Steht demnach das Interesse des Beklagten an der Ausübung seines Besuchsrechtes in klarem Widerspruch zu Interessen der Kinder, die bei Abwägung der in Frage stehenden Rechtsgüter unzweifelhaft als die schutzwürdigeren erscheinen, so muss jenes Recht weichen, sofern nicht eine die Kindesinteressen wahrende Besuchsordnung getroffen werden kann und eine solche Regelung einem durch den ethischen Gehalt des Besuchsrechtes getragenen Bedürfnis entspricht.
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Die Vorinstanz glaubt auf eine völlige Aufhebung des ![]() ![]() | 15 |
Bei dieser Sachlage ist es gegeben, das Besuchsrecht des Beklagten aufzuheben, zumal man sich angesichts seiner oben angeführten Äusserung (Erw. 2 a i.f.) in der Rekursschrift an das Obergericht auch des Eindrucks nicht erwehren kann, dass er nicht aus Liebe und Anhänglichkeit zu den Kindern für sein Besuchsrecht sich zur Wehr setzt, sondern dass es sich um eine Rechthaberei handelt, deren Motive allem Anschein nach in der Feindschaft gegen die Mutter der Kinder und in der Tatsache ihrer zweiten Ehe zu suchen sind.
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Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 15. Oktober 1962 aufgehoben und in Abänderung von Ziffer 3 des Scheidungsurteils des Bezirksgerichtes Zürich vom 15. Dezember 1953 festgestellt, dass dem Berufungsbeklagten gegenüber seinen Kindern kein Besuchsrecht zusteht.
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