VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGE 90 II 144  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Regeste
Sachverhalt
Es ist zu erwägen:
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
17. Verfügung des Präsidenten der II. Zivilabteilung vom 19. Mai 1964 i.S. Huber gegen Huber.
 
 
Regeste
 
Sicherstellung einer allfälligen Parteientschädigung wegen fehlenden schweizerischen Wohnsitzes (Art. 150 Abs. 2 OG).  
 
Sachverhalt
 
BGE 90 II, 144 (144)Gegen das Scheidungsurteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 6. September 1963 haben beide Parteien Berufung an das Bundesgericht eingelegt. Mit Gesuch vom 24. April 1964 stellt die Ehefrau das Begehren, der in Waldshut (Deutschland) wohnende Ehemann sei zur Sicherstellung einer ihr allenfalls zustehenden Parteientschädigung BGE 90 II, 144 (145)durch Barhinterlage von Fr. 5000.-- bei der Bundesgerichtskasse zu verpflichten. Der Ehemann beantragt Abweisung des Gesuches.
1
 
Es ist zu erwägen:
 
Art. 150 Abs. 2 OG bestimmt: "Eine Partei kann auf Begehren der Gegenpartei vom Präsidenten oder Instruktionsrichter zur Sicherstellung für eine allfällige Parteientschädigung (Art. 159 und 160) angehalten werden, wenn sie in der Schweiz keinen festen Wohnsitz hat oder erweislich zahlungsunfähig ist." Die Gesuchstellerin beruft sich nicht auf Zahlungsunfähigkeit des Prozessgegners (der anscheinend in guten Vermögensverhältnissen lebt), sondern einzig auf dessen ausländischen Wohnsitz. Wäre er deutscher Staatsangehöriger, so könnte er nicht aus diesem Grunde zur Kostenversicherung verpflichtet werden (Art. 17 IUeZPR, der als staatsvertragliche Norm dem Art. 150 Abs. 2 OG vorgeht). Da er Schweizerbürger ist, kommt ihm diese Befreiung von der Sicherstellungspflicht nicht zugute; denn Art. 17 IUe schützt nur die Angehörigen anderer Vertragsstaaten, nicht auch die Angehörigen des Staates, in dem der Zivilprozess stattfindet (vgl. BGE 57 II 584, BGE 80 II 94 /95 zweitletzter Absatz der Erwägungen mit Bezugnahme auf Art. 150 Abs. 2 OG). Eine Frage für sich ist, ob Schweizerbürger, die vor schweizerischen Gerichten als Kläger oder Intervenienten (oder als Berufungskläger, vgl. BGE 43 I 101, BGE 45 I 381) auftreten, bei Wohnsitz in einem der IUeZPR beigetretenen Staate wie insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGE 78 I 130 ff.) aus Gründen der Rechtsgleichheit ebenfalls von der Kostenversicherungspflicht wegen ausländischen Wohnsitzes zu befreien seien. Dieses Postulat ist für das Verfahren vor kantonalen Gerichten teilweise verwirklicht worden durch das Konkordat vom 5./20. November 1903 (BS 3 S. 652), dem die meisten Kantone beigetreten sind. Danach dürfen Schweizerbürger, die in einem Konkordatskanton als Parteien oder Intervenienten im Zivilprozess BGE 90 II, 144 (146)auftreten, nicht deshalb zur Kostenversicherung angehalten werden, weil sie ihren Wohnsitz in einem andern Konkordatskanton oder in einem der IUeZPR beigretetenen Staate (damals derjenigen vom 14. November 1896) haben. Nach Lehre und Rechtsprechung ist anzunehmen, ein diesem Konkordate beigetretener Kanton wolle seine eigenen Angehörigen (auf die das Konkordat nicht zu beziehen ist) nicht schlechter stellen; es komme ihnen daher (nicht nach dem Konkordat, sondern nach einem ungeschriebenen Grundsatz des heimatlichen Prozessrechtes) der gleiche Schutz zu (vgl. STAUFFER, ZbJV 62 S. 39, und ein Urteil des bernischen Appellationshofes, daselbst S. 182; LEUCH, N. 4 zu Art. 70 ZPO). Der gleichen Überlegung gibt GULDENER (Das internationale und interkantonale Prozessrecht der Schweiz, S. 15 N. 34) auch ausserhalb des Geltungsbereiches jenes Konkordates Raum (also auch für ein Verfahren vor Bundesgericht): Art. 17 IUeZPR gelte zwar nicht für Personen, die vor den Gerichten ihres Heimatstaates auftreten; es sei aber nicht anzunehmen, dass der eigene Staatsangehörige, der in einem Vertragsstaate Wohnsitz hat und in der Schweiz Klage erhebt, zur Leistung einer Ausländerkaution verpflichtet sei. Diese an sich einleuchtende Betrachtungsweise findet indessen im klaren Wortlaut des Art. 150 Abs. 2 OG keinen Anhaltspunkt. Es wäre mit dieser Vorschrift nicht vereinbar, solche Schweizerbürger ohne weiteres allgemein von der Sicherstellungspflicht zu befreien. Nun weicht aber Art. 150 Abs. 2 OG von den früher geltenden Grundsätzen des Art. 213 aoG dadurch ab, dass an die Stelle einer starren Gesetzesnorm ("Wenn eine Partei in der Schweiz keinen festen Wohnsitz hat, so ist sie gehalten... Sicherheit zu leisten") eine Kann-Vorschrift getreten ist ("... kann ... zur Sicherstellung ... angehalten werden"). Die Auferlegung einer Kostenversicherung steht nach Art. 150 Abs. 2 OG im richterlichen Ermessen. Es ist also über ein dahingehendes Gesuch der andern Partei nach Recht und Billigkeit zu entscheiden (vgl. Art. 4 ZGB). Unter diesem Gesichtspunkt BGE 90 II, 144 (147)hat das Postulat der Rechtsgleichheit eine besondere Bedeutung, und es ist gerechtfertigt, einen Schweizerbürger mit Wohnsitz in einem der IUeZPR beigetretenen Staate wenigstens dann von der Sicherstellungspflicht zu befreien, wenn die Parteientschädigung, welche die andere Partei gesichert sehen will, nicht als stärker gefährdet erscheint als sie es gegenüber dem Angehörigen eines andern Vertragsstaates (zumal gegenüber einem Angehörigen des Wohnsitzstaates des Gesuchsgegners) wäre. Das trift hier zu: Abgesehen von der Möglichkeit des Zugriffs auf das in der Schweiz befindliche Vermögen des Gesuchsgegners ist eine diesem allenfalls für das bundesgerichtliche Verfahren aufzuerlegende Parteientschädigung auch in Deutschland vollstreckbar, sei es auf Grund von Art. 18 IUeZPR (vgl. STEIN/JONAS, 14. Auflage, Bem. III, 1 zu § 723 der deutschen ZPO), sei es nach dem Vollstreckungsabkommen zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich vom 2. November 1929.
2
Demnach wird verfügt:
3
1.- Das Sicherstellungsbegehren wird abgewiesen.
4
2. Der Beklagten und Widerklägerin wird zur Einreichung einer kurz gefassten Antwort auf die Berufung des Klägers und Widerbeklagten eine neue Frist von 20 Tagen gemäss Art. 61 OG eingeräumt, laufend von der Zustellung der vorliegenden Verfügung an.
5
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).