BGE 90 II 467 | |||
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52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Oktober 1964 i.S. Huber gegen Huber. | |
Regeste |
Editionspflicht des in Güterverbindung lebenden Ehemannes bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung im Scheidungsprozess: |
b) Die Auskunftspflicht trifft in casu auch die von ihm beherrschte Aktiengesellschaft. |
c) Werden gegen ihn gerichtete Editionsbegehren der Ehefrau, die formell und inhaltlich dem kantonalen Prozessrecht entsprechen, abgewiesen, so ist Art. 8 ZGB verletzt. | |
Aus den Erwägungen: | |
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a) Das Obergericht hat die Aktien der J. Huber u. Cie. AG. ausgehend von der Verkehrswertschätzung der Steuerverwaltung von Fr. 1700.-- "ex aequo et bono" mit Fr. 2200.-- bewertet. Diese Schätzung ist nach den eigenen Ausführungen der Vorinstanz ohne "wirkliche Abklärung der für die Bewertung massgebenden Grundlagen" erfolgt. Der Verzicht des Gerichtes, die Bewertungsgrundlagen wirklich abzuklären, verstösst gegen Bundesrecht, wenn die Beklagte mit ihren Sachvorbringen nicht zum Beweise zugelassen und der von ihr prozesskonform angebotene, erhebliche Beweise verworfen wurde. (s. BGE 86 II 301 /302, BGE 88 II 190 und dort zitierte Entscheide; BIRCHMEIER, Handbuch zum OG, S. 93; ferner KUMMER, Kommentar, N. 76 zu Art. 8 ZGB). Die Beklagte verfügt über keine Beweismittel, ihre Behauptungen darzutun, den gescheiterten und seiner Natur nach ungeeigneten Zeugenbeweis ausgenommen. Sie beruft sich aber auf die in Händen des Klägers oder der ihm nahestehenden Aktiengesellschaft befindlichen Bücher und Belege und macht geltend, deren Edition ermögliche eine genaue Bewertung der Aktien durch das Gericht oder einen Sachverständigen.
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b) Die von der Beklagten beantragte Edition von Urkunden betrifft das Beweisverfahren. Dieses wird auch in Ehesachen grundsätzlich vom kantonalen Prozessrecht bestimmt. Vorbehalten bleiben aber neben ausdrücklichen Vorschriften des ZGB über das Verfahren vor kantonalen Gerichten (wie Art. 158 ZGB) solche Prozessvorschriften, die in den privatrechtlichen Bestimmungen des ZGB implicite enthalten sind. Dabei muss es sich um Rechtssätze handeln, die der Verwirklichung des Privatrechts dienen.
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In der Güterverbindung ist der Ehemann während der Dauer der Ehe nicht gehalten, der Ehefrau schlüssige Auskünfte über das eheliche Vermögen zu erteilen, soweit es nicht um ihr eingebrachtes Gut geht (LEMP, N. 9 zu Art. 205 und N. 7 zu 214 ZGB). Sie hat keinen Anspruch auf Aushändigung entsprechender Dokumente und Unterlagen, und sie würde pflichtwidrig handeln, wenn sie sich gegen den Willen des Mannes derartige Beweismittel aneignete. Kommt es zum Scheidungsprozess und der damit verbundenen güterrechtlichen Auseinandersetzung, so fehlen ihr regelmässig jegliche Beweise, um Höhe und Umfang des ehelichen Vermögens, soweit es zur Vorschlagsberechnung herbeizuziehen ist, darzutun. Ihr Recht auf eine sachgemässe Auseinandersetzung bleibt allein dann gewahrt, wenn man eine Pflicht des Ehemannes annimmt, über das eheliche Vermögen Rechnung abzulegen und über einzelne Positionen Auskunft zu geben (LEMP, N. 3 zu Art. 205 ZGB). Aus diesem materiellrechtlichen Anspruch auf Auskunft geht der ungeschriebene, zu seiner Verwirklichung jedoch notwendige Satz des Bundesrechts hervor, der Ehemann habe - unabhängig von den Regeln des kantonalen Prozessrechtes - im Scheidungsprozess Auskunft über das von ihm verwaltete eheliche Vermögen zu geben und die gemachten Angaben zu belegen (Bundesgerichtsentscheide vom 11. April 1957 i.S. Fonio c. Kellenberger S. 11 und vom 15. März 1962 i.S. L. c. V. betreffend Vorschlagsberechnung, S. 27; vgl. ferner ZR 1942 No. 87).
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Im vorliegenden Fall hat der Kläger dementsprechend alle Urkunden, die sich in seiner tatsächlichen Gewalt befinden, dem Gerichte einzureichen, soweit deren Vorlage von der Beklagten in den Formen des aargauischen Prozessrechtes begehrt worden ist.
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c) Die den Kläger treffende Auskunftspflicht erstreckt sich auch auf die J. Huber u. Cie. AG., die von ihm, nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz, "rechtlich und faktisch weitgehend beherrscht wird". Nichts Gegenteiliges ergibt sich daraus, dass das Obergericht in dieser Frage einen Prozessentscheid gefällt und erklärt hat, die Beklagte habe es unterlassen, zu ihren Editionsbegehren vom 29. Oktober 1959 gegen die J. Huber u. Cie. AG. einen Zwischenentscheid des erstinstanzlichen Gerichtes zu erwirken und diesen allenfalls mit selbständiger Beschwerde weiterzuziehen. Nachdem die Beklagte ihre Editionsbegehren formell und inhaltlich dem kantonalen Prozessrecht entsprechend eingereicht hat, muss sie zum Beweis zugelassen werden. Das Vorgehen des Obergerichtes, von der Beklagten zu verlangen, sie hätte die säumige erste Instanz zu einem Zwischenentscheid noch besonders auffordern müssen, nachdem sie die Editionsbegehren ordnungsgemäss eingereicht hatte, läuft daraus hinaus, der Beklagten den ihr obliegenden Beweis abzuschneiden.
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d) Das Obergericht, das die Editionsbegehren der Beklagten gegen den Kläger und die J. Huber u. Cie. AG. abwies, hat Art. 8 ZGB verletzt. Die beweispflichtige Beklagte hat Anspruch darauf, dass die von ihr gestellten Editionsbegehren gutgeheissen, die Beweise abgenommen und gewürdigt werden.
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Das obergerichtliche Urteil enthält keine Feststellungen, wonach Geschäftsgeheimnisse vorliegen würden, die dazu führen müssten, die Auskunftspflicht einzuengen. Es ist auch nicht ersichtlich, welche legitimen Gründe den Kläger oder die J. Huber u. Cie. AG. davon abhalten könnten, der Beklagten die verlangte Auskunft zu erteilen. Sollte sich der Kläger berechtigterweise auf bestimmte Geheimnisse berufen, so hätte er gleichzeitig anzugeben, auf welchem Wege die erforderliche Auskunft unter Wahrung der Geheimsphäre zu erstatten ist (Bundesgerichtsentscheid vom 15. März 1962 i.S. L. c. V. betr. Art. 4 BV, S. 40 lit. g).
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