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Informationen zum Dokument  BGE 91 II 257  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
3. Sofern sich der Berufungskläger etwa darauf berufen wollt ...
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39. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Oktober 1965 i.S. W. gegen Z.
 
 
Regeste
 
Vaterschaftsklage.  
Einwand der geringen prozentualen Wahrscheinlichkeit (nach Labhardt) der Zeugung zu jenem Zeitpunkt ist unbehelflich.  
 
Sachverhalt
 
BGE 91 II, 257 (257)A.- Anita Z. gebar am 9. Februar 1963 ausserehelich das Mädchen Manuela. Das Kind wies bei der Geburt eine Länge von 51 cm und ein Gewicht von 3650 gr auf. Als Vater des Kindes bezeichnete und belangte sie A. W., mit dem sie seit längerer Zeit ein ernsthaftes Liebesverhältnis mit intimem Verkehr unterhalten hatte. Der letzte Geschlechtsverkehr zwischen den Parteien hatte vor Beginn der kritischen Zeit im Sinne von Art. 314 Abs. 1 ZGB (15. April-13. August 1962), nämlich am 24. oder 25. März 1962 stattgefunden, so dass bei einer Konzeption bei diesem Anlass sich eine Tragzeit von 322 oder 321 Tagen ergibt. Der Beklagte bestreitet deshalb seine Vater schaft.
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Das Bezirksgericht Gaster wies mit Urteil vom 20. Mai 1964 die Vaterschaftsklage von Mutter und Kind ab, mit der Begründung, da bei der mehr als 300 Tage zurückliegenden Beiwohnung die Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB nicht BGE 91 II, 257 (258)Platz greife, hätten die Klägerinnen den Beweis der Vaterschaft des Beklagten erbringen müssen, was ihnen nicht gelungen sei.
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Auf Appellation der Klägerinnen hat dagegen das Kantonsgericht St. Gallen mit Urteil vom 11. Februar 1965 die Klage gutgeheissen und den Beklagten zu den gesetzlichen Leistungen verurteilt. In Würdigung der Atteste bzw. Gutachten von sieben Ärzten gelangt die Vorinstanz zur Annahme, die Schwangerschaft gehe tatsächlich auf eine Ende März 1962 erfolgte Konzeption zurück; das Kind sei übertragen, und es liege nicht der geringste Anhaltspunkt für einen in jener Zeit vorgekommenen Verkehr der Kindsmutter mit einem Dritten vor. Dass die durchschnittliche Konzeptionswahrscheinlichkeit nach den Labhardtschen Tabellen für die Dekade vom 16.-25. März 1962 nur 0,25% betrage, spreche in casu nicht entscheidend gegen die Konzeption am 24./25. März, weil die von den Ärzten erhobenen Befunde eben für einen Schwangerschaftsbeginn Ende März 1962 sprächen. Auf Folgerungen aus der Theorie betr. Fruchtbarkeitszyklus (Knaus/Ogino) könne wegen der Unsicherheit der Angaben der Kindsmutter über ihre letzte Periode vor dem 24./25. März 1962 nicht abgestellt werden. Durch die Blutexpertise habe der Beklagte als Vater nicht ausgeschlossen werden können.
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B.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt der Beklagte Aufhebung dieses Urteils und Abweisung der Klage.
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Die Klägerinnen tragen auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils, ev. Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Abnahme weiterer Beweise an.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
(1. Die Klägerin kann sich nicht auf die Vermutung nach Art. 314 Abs. 1 ZGB berufen, sondern muss gemäss den gesetzlichen Beweisregeln [Art. 8 ZGB] die Vaterschaft des Beklagten beweisen. Keine solchen Beweisregeln verletzt).
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(2. Ebensowenig hat die Vorinstanz Art. 314 ZGB verletzt. Sie ist gerade nicht von der Vermutung des Art. 314 Abs. 1 ausgegangen, sondern hat auf Grund eingehender Beweiswürdigung - zahlreicher ärztlicher Befunde - festgestellt, dass die Schwangerschaft auf jene Beiwohnung zurückgehe; Feststellung für das Bundesgericht verbindlich).
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3. Sofern sich der Berufungskläger etwa darauf berufen BGE 91 II, 257 (259)wollte - z.B. durch seinen Hinweis, für eine Zeugung des Kindes durch ihn sei nur eine Wahrscheinlichkeit von 0,25% gegeben -, die Vorinstanz habe den Begriff der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verkannt, was vom Bundesgericht überprüft werden könne (BGE 87 II 71 E. 3 mit Hinweisen), geht dieser Einwand fehl.
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In der gynaekologischen Wissenschaft wird allgemein anerkannt, dass die obere Grenze von 300 Tagen, die nach Art. 314 Abs. 1 ZGB zur Begründung der Vaterschaftsvermutung ausreicht, zu tief angesetzt ist, da Tragzeiten bis zu 350 Tagen möglich und auch schon beobachtet worden sind (vgl. dazu NAUJOKS, Gerichtliche Geburtshilfe, S. 101; PODLESCHKA, Das geburtshilfliche Gutachten im Vaterschaftsprozess, S. 51 ff. insbes. S. 64; HOSEMANN, Tragzeitgutachten, in Beitzke/Hosemann/Dahr/Schade, Vaterschaftsgutachten für die gerichtliche Praxis, S. 33 f.; DETTLING/Schönberg/Schwarz, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin, S. 323; LABHARDT, Die Berechnung des Konzeptionstermins aus der Kindslänge im Vaterschaftsprozess, Schweiz. Medizinische Wochenschrift, 1944 Nr. 5 am Ende S. 132). Es ist zwar richtig, dass solche lange Tragzeiten ausserordentlich selten sind, wie die zitierten Autoren übereinstimmend bemerken. Deshalb darf aber der Richter nicht zum vornherein davon ausgehen, der Beweis der Vaterschaft sei nicht zu erbringen, etwa mit der Begründung, nach den Tabellen von Labhardt betrage die Wahrscheinlichkeit einer Zeugung 321 oder 322 Tage vor der Geburt nur 0,12%, was einer praktischen Unmöglichkeit gleichkomme. So lässt sich nur folgern, wenn mehrere Beiwohnungen in Betracht fallen, für deren eine nach den Statistiken eine viel grössere Wahrscheinlichkeit der Konzeption besteht als für andere. Sind daher - wie vorliegend - überhaupt keine Anhaltspunkte für einen Drittverkehr der Kindsmutter vorhanden, so kommt es nicht auf den höheren oder geringern Grad der Wahrscheinlichkeit einer Zeugung durch den als Vater des Kindes bezeichneten Mann an, solange sie nach dem Zeitpunkt des letzten Geschlechtsverkehrs nicht als geradezu ausgeschlossen gelten kann. Die Klägerschaft muss daher zum Beweise zugelassen werden, dass eine Übertragung vorliegt. Diesen Beweis hat die Vorinstanz in casu als erbracht angesehen und zwar nicht etwa gestützt bloss auf einen Wahrscheinlichkeitsgrad, der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts als nicht ausreichend BGE 91 II, 257 (260)zu betrachten wäre, sondern sie hat abgestellt auf die Berichte der Ärzte, welche die Kindsmutter während der Schwangerschaft untersucht und behandelt haben, sowie - vor allem - auf das Gutachten von PD Dr. O. Stamm. Aus dem Vorliegen einer Übertragung innerhalb der von der Wissenschaft als möglich bezeichneten Grenzen durfte die Vorinstanz in Anbetracht der Tatsache, dass nicht die geringsten Anhaltspunkte für einen Drittverkehr der Kindsmutter vorhanden sind, ohne Verletzung von Beweisvorschriften des Bundesrechts den Schluss ziehen, dass der Beklagte das Kind Manuela gezeugt habe.
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Erweist sich mithin die Berufung zweifellos als unbegründet, ist sie gemäss Art. 60 Abs. 2 OG ohne öffentliche Beratung zu erledigen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen (II. Zivilkammer) vom 11. Februar 1965 bestätigt.
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