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46. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Juli 1965 i.S. Sessler & Cie. AG gegen Verein Schweiz. Rauchtabakfabrikanten. | |
Regeste |
Art. 4 KG. Unzulässige Behinderung des Wettbewerbs? |
2. Die in Art. 4 KG als Beispiele genannten Massnahmen (Bezugs- und Liefersperren usw.) sind wie sonstige Vorkehren eines Kartells gegen Dritte nur unzulässig, wenn sie auf eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs abzielen und diesen tatsächlich in erheblichem Masse behindern oder zu behindern geeignet sind (Erw. 2, 3). |
3. Beim Entscheid darüber, ob die Behinderung erheblich sei, ist massgebend, wie sich die streitige Massnahme auf die wirtschaftliche Tätigkeit des betroffenen Dritten in ihrer Gesamtheit auswirkt. Fall einer Benachteiligung in den Preisen (Kürzung des Grossistenrabatts), welche die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Dritten nicht erheblich beeinträchtigt (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Der Verein Schweizerischer Rauchtabakfabrikanten, dem die Mehrzahl der schweizerischen Hersteller von Rauchtabaken bekannter Marken angehört, bezweckt nach seinen Statuten u.a. "die Regelung der Verkaufsbedingungen unter den Fabrikanten, zwischen den Fabrikanten, Grossisten und Detaillisten, sowie die Festsetzung obligatorischer Verkaufspreise". Auf den vom Verein festgesetzten "Fabrikantenpreisen" geniessen die Grosshändler einen Rabatt, den sie zum Teil an die Kleinhändler weitergeben. Für die Sessler AG betrug dieser Rabatt ab 1. Oktober 1958 9%.
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B.- Durch Rundschreiben vom 17. Dezember 1958 teilte der Verein den Grosshändlern mit, er habe am 11. Dezember 1958 beschlossen, den Rabatt der Firmen, "die Eigenmarken oder Lizenzeigenmarken im Engroshandel vertreiben", um 1/2% zu kürzen, und zwar unabhängig davon, ob die Hersteller der betreffenden Tabake dem Verein angehören oder nicht; als Eigenmarken und Lizenzeigenmarken betrachte er "Pakettabake mit Markencharakter, die für einzelne Wiederverkäufer bestimmt sind".
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Da die Sessler AG auf den Grosshandel mit Zwartendijk-Tabaken (und gewissen weitern als Eigenmarken geltenden Tabaken) nicht verzichtete, trat die Rabattkürzung ihr gegenüber am 1. Juli in Kraft.
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C.- Am 13. Juli 1960 leitete die Sessler AG gegen den Verein beim Appellationshof des Kantons Bern Klage auf Feststellung der Widerrechtlichkeit des Beschlusses vom 11. Dezember 1958 und auf Schadenersatz ein. Die Klagebegehren lauten in ihrer endgültigen Fassung vom 3. Juni 1964:
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"1. Es sei gerichtlich festzustellen, dass der Beschluss der Beklagten vom 11.12.1958, wonach die Rabatte denjenigen Grossisten, die Lizenz- oder Eigenmarken führen, um 1/2 % gekürzt wurden, unzulässig und rechtswidrig sei.
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2. Die Beklagte sei zu verurteilen, der Klägerin einen Betrag von Fr. 10'462.85 zu bezahlen nebst Zins zu 5 %
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b) von Fr. 2'191.70 seit 1.7.1961,
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c) von Fr. 2'179.15 seit 1.7. 1962,
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d) von Fr. 2'093.70 seit 1.7.1963,
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e) von Fr. 1'672.25 ab Urteilsdatum."
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Der Appellationshof befragte die Parteien und holte beim Büchersachverständigen Dr. M. Röthlisberger ein Gutachten ein. Mit Urteil vom 30. September 1964 wies er die Klage ab.
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D.- Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Gutheissung der Klage. Der Beklagte beantragt die Bestätigung des angefochtenen Urteils.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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"Vorkehren eines Kartells, mit denen Dritte vom Wettbewerb ausgeschlossen oder in dessen Ausübung erheblich behindert werden sollen, wie Bezugs- und Liefersperren, Sperren von Arbeitskräften, Benachteiligung in den Preisen und Bezugsbedingungen oder gegen bestimmte Wettbewerber gerichtete Preisunterbietungen, sind unter Vorbehalt der Ausnahmen des Artikels 5 unzulässig."
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Der Beschluss des beklagten Vereins vom 11. Dezember 1958, den die Klägerin anficht, ist unstreitig eine Vorkehr eines Kartells, durch welche Dritte (nämlich die Rauchtabak-Grosshändler, die auf ihre Eigenmarken nicht verzichten) in den Preisen benachteiligt werden. Solche Massnahmen sind nach Art. 4 Abs. 1 KG grundsätzlich unzulässig, wenn die betroffenen Dritten dadurch "vom Wettbewerb ausgeschlossen oder in dessen Ausübung erheblich behindert werden sollen".
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Der Umstand, dass Art. 4 Abs. 1 KG in der deutschen und ![]() | 19 |
3. Bei der Umschreibung der grundsätzlich unzulässigen Vorkehren eines Kartells stellt Art. 4 Abs. 1 KG nach dem Wortlaut aller drei Fassungen einzig auf den Zweck der fraglichen Massnahmen ab (Vorkehren, die ... sollen; les ![]() | 20 |
a) Bei der Ausarbeitung des Art. 4 Abs. 1 KG bestand stets Einigkeit darüber, dass diese Bestimmung nur Massnahmen treffen soll, die den Wettbewerb tatsächlich behindern (oder zu behindern geeignet sind). Die bereits erwähnten Entwürfe vom Frühjahr 1959 und auch noch diejenigen vom 20. Oktober und 2. November 1960 bezeichneten dementsprechend als unzulässig die Vorkehren, durch welche Dritte vom Wettbewerb ausgeschlossen oder in dessen Ausübung erheblich behindert werden. Mit der im Entwurf des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements vom 29. Dezember 1960, im bundesrätlichen Entwurfvom 18. September 1961 und im Gesetz (wie schon in mehreren Entwürfen des Jahres 1958) enthaltenen Wendung "werden sollen" wollte man nicht das Erfordernis der Wirksamkeit der ergriffenen Massnahmen preisgeben, sondern nur zum Ausdruck bringen, dass nicht jedes Verhalten, das einem Konkurrenten hinderlich ist bezw. ihn benachteiligt, eine Wettbewerbsbehinderung im Sinne des Gesetzes darstellt, sondern dass es sich um Vorkehren handeln muss, die auf eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs abzielen (vgl. hiezu die Bemerkungen des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit zum Entwurf vom 8. August 1958, S. 24 Ziff. 7, den Bericht der Expertenkommission vom April 1959, S. 19, und die bundesrätliche Botschaft, S. 28 - BBl 1961 II 580, Ziff. 3).
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b) Art. 4 KG will das Persönlichkeitsrecht der von Kartellmassnahmen betroffenen Dritten auf freie wirtschaftliche Betätigung schützen (Botschaft S. 26 = BBl 1961 II 578, Ziff. 4, wo auf BGE 86 II 365 ff. hingewiesen wird; BGE 90 II 513). Das Zivilrecht, dem Art. 4 KG angehört (vgl. die Überschrift vor Art. 4-16), schützt nicht gegen den untauglichen Versuch einer Rechtsverletzung. Vorkehren, die eine Wettbewerbsbehinderung zwar bezwecken, aber nicht zu bewirken vermögen, werden daher von Art. 4 KG nicht erfasst.
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Diese Bestimmung trifft also nur Kartellmassnahmen, die Dritte im Wettbewerb tatsächlich behindern oder zu behindern geeignet sind, und zwar muss es sich nach dem Wortlaut und dem Sinne des Gesetzes um eine erhebliche Behinderung handeln (vgl. BGE 90 II 513, wo die im Schrifttum gegen dieses Erfordernis erhobenen Einwendungen widerlegt wurden, und SCHÜRMANN, Bundesgesetz über Kartelle und ähnliche Organisationen, S. 70).
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Der gleiche Grundsatz galt auch schon vor dem Inkrafttreten des KG. Der Entscheid BGE 86 II 365 ff. erklärte den Boykott als grundsätzlich widerrechtlich, weil er das Persönlichkeitsrecht auf freie wirtschaftliche Betätigung verletzt (S. 377). Eine Massnahme, welche die Freiheit des Entscheidens und Handelns auf wirtschaftlichem Gebiete nicht in erheblichem Masse beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen geeignet ist, bedeutet keine Verletzung dieses Persönlichkeitsrechtes.
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4. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich sind, bezweckt die angefochtene Massnahme des Beklagten, die Eigenmarken und Lizenzeigenmarken der Tabakwaren-Grosshändler "zum Verschwinden zu bringen", d.h. bestimmte Konkurrenzerzeugnisse vom Markte zu verdrängen. Es handelt ![]() | 26 |
Bei Beurteilung der Frage, ob die angefochtene Massnahme die Klägerin in der Ausübung des Wettbewerbs erheblich behindere oder zu behindern geeignet sei, sind nicht bloss die Auswirkungen dieser Massnahme auf einen einzelnen Geschäftszweig der Klägerin (den Handel mit Rauchtabaken) in Betracht zu ziehen, wie die Klägerin dies tun möchte. Es kommt vielmehr darauf an, wie sich die Massnahme auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin in ihrer Gesamtheit auswirkt; denn Gegenstand des gesetzlichen Schutzes ist nach dem neuen wie nach dem frühern Recht die wirtschaftliche Freiheit der von Kartellmassnahmen betroffenen Personen als solcher.
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Nach dem Gutachten, dem die Vorinstanz gefolgt ist, erzielte die Klägerin im Durchschnitt der Geschäftsjahre 1961/62 und 1962/63 folgende Umsätze und Bruttogewinne:
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Umsatz Bruttogewinn Schweizer Stumpen und Zigarren Fr. 1'250,000 6,83%
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Zigaretten Fr. 8'650,000 6,54%
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Schweizer Rauchtabake Fr. 430'000 5,77%
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Zwartendijk-Tabake Fr. 150'000 20,70%
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Andere Lizenzmarken und eigene
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Importe Fr. 50'000 ca. 15,00%
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Fremde Importe Fr. 105'000 ca. 7-8%
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Der gesamte Umsatz belief sich also im Jahresdurchschnitt auf Fr. 10'635,000, der Bruttogewinn auf rund Fr. 720'000.
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Die vom Beklagten verfügte Kürzung des Rabattes auf den schweizerischen Rauchtabaken verursachte der Klägerin nach ihren unbestrittenen Angaben in den erwähnten Geschäftsjahren eine Einbusse von durchschnittlich Fr. 2136.-- oder rund Fr. 2150.--, entsprechend 1/2% von Fr. 430'000.-- (durchschnittliche Einbusse in den 5 Geschäftsjahren, auf welche die Klage sich bezieht: Fr. 10 462. -: 5 = Fr. 2092.--).
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Die durchschnittliche Einbusse beläuft sich also auf bloss 3 ‰ des gesamten Bruttogewinns. Dass eine so unbedeutende Schmälerung des Bruttogewinnes die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Klägerin erheblich zu beeinträchtigen vermöge, kann selbst dann nicht angenommen werden, wenn man den Begriff "erheblich" sehr weit fasst, d.h. jede nicht ganz geringfügige Behinderung darunter zieht.
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Die angefochtene Massnahme ist demnach weder nach dem neuen noch nach dem frühern Rechte widerrechtlich und vermag folglich die eingeklagten Ansprüche nicht zu begründen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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