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30. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Juli 1967 i.S. Brandenberger gesch. Steinegger gegen Steinegger. | |
Regeste |
1. Berufungsschrift, Reihenfolge der Anträge. Art. 55 Abs. 1 lit. b OG. (Erw. 1). |
3. Nichtigkeitsbeschwerde aus einem der in Art. 68 OG genannten Gründe kann in Zivilsachen gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide jeder Art, nicht bloss gegen Endentscheide, geführt werden. (Erw. 3). |
4. Ob nach Fällung eines erstinstanzlichen Urteils (auch wenn dieses auf Scheidung der Ehe lautet, und auch, soweit es sich auf die Kinderzuteilung nach Art. 156 ZGB bezieht) schon vor Ablauf der Weiterziehungsfrist auf die Anrufung der obern kantonalen Instanz verzichtet werden könne, ist eine Frage des kantonalen Prozessrechts. Das Bundesrecht (insbesondere Art. 158 ZGB) schliesst einen solchen Verzicht für den kantonalen Instanzenzug nicht aus. (Erw. 4 und 5). |
5. Wurde die hinsichtlich der Kindeszuteilung unterlegene Mutter durch drängende Fragen des Richters veranlasst, in unüberlegter Weise auf Weiterziehung zu verzichten, und lehnte das obere kantonale Gericht die Abnahme der dafür angebotenen Beweise ohne Grund ab? Dieser Vorwurf hätte vor Bundesgericht nur mit staatsrechtlicher Beschwerde erhoben werden können. (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
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Die Vereinbarung der Parteien hatte die Zuweisung des Knaben an die Mutter vorgesehen, welche auch in der Hauptverhandlung in diesem Sinne Antrag stellte, während der Kläger nunmehr die elterliche Gewalt für sich beanspruchte. Das Gericht hielt beide Parteien für fähig, den Knaben zu erziehen. Indessen entsprach es dem Begehren des Klägers, weil diese Lösung die beste Gewähr für eine ungestörte Erziehung des Knaben biete.
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Nach der mündlichen Eröffnung und Begründung des Urteils erklärten beide (in erster Instanz nicht durch Anwälte vertretenen) Parteien auf Frage des Vorsitzenden, dieses Urteil annehmen zu wollen. Darauf beschloss das Gericht: "a) Das Urteil ist rechtskräftig. b) Mitteilung an die Zivilstandsämter...".
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B.- Die Beklagte wollte sich beim Verzicht auf Weiterziehung nicht behaften lassen. Binnen der von der Zustellung der mit Begründung versehenen Urteilsausfertigung an laufenden Frist von 20 Tagen (nach § 201 der kantonalen Zivilprozessordnung laut Gesetzesnovelle vom 13. Juni 1964) legte sie Berufung an das Obergericht des Kantons Zug ein, mit dem erneuten Antrag auf Zuweisung des Knaben Hanspeter an sie, unter Regelung des Besuchsrechtes und der Unterhaltspflicht des Vaters. Sie liess vortragen, der Vorsitzende des Kantonsgerichts habe nach der Urteilseröffnung zuerst den Kläger und nach dessen bejahender Erklärung auch sie gefragt, ob sie das Urteil annehme. Sie habe darauf ihrerseits gefragt, was sie denn machen solle. Darauf habe ihr der Vorsitzende gesagt, sie solle mit ja oder nein antworten. Sie habe dann wiederum geschluchzt und sei darum vom Vorsitzenden ermahnt worden, nunmehr Antwort zu geben. Darauf habe sie den Vorsitzenden gefragt, was passiere, wenn sie nein sage. Der Vorsitzende habe darauf geantwortet, es bleibe ihr nichts anderes übrig als ja zu sagen, das Kind werde ihr sowieso nicht zugesprochen, auch wenn sie nein sage, worauf sie erklärt habe, wenn das so sei, bleibe ihr nichts anderes übrig, als ja zu sagen.
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C.- Mit Urteil vom 27. Juni 1966 trat das Obergericht des Kantons Zug auf die Berufung der Beklagten nicht ein. Es erachtete den durch "Annahme" des erstinstanzlichen Urteils erklärten Verzicht beider Parteien auf Weiterziehung als gültig.
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D.- Gegen diesen Nichteintretensentscheid richtet sich die vorliegende Berufung der Beklagten an das Bundesgericht. Sie beantragt in erster Linie Aufhebung des kantonalen Entscheides und Rückweisung der Sache an das Obergericht zu materieller Beurteilung. Eventuell habe das Bundesgericht ihr die elterliche Gewalt über den Knaben Hanspeter zuzuerkennen, mit entsprechender Regelung des Besuchsrechtes und der Unterhaltspflicht des Klägers.
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Der Kläger beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen, subeventuell sei die Angelegenheit zur Aktenergänzung und materiellen Beurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Ein materieller Antrag im Sinne des Art. 55 Abs. 1 lit. b OG ist grundsätzlich als Hauptantrag zu stellen, während eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz nach Art. 64 oder 65 OG nur in eventuellem Sinne zu beantragen ist (und gar nicht ausdrücklich beantragt zu werden braucht; vgl. BIRCHMEIER, N 1, f, zu Art. 64 und N 4 und 5 zu Art. 65 OG). Die umgekehrte Reihenfolge, wie sie die vorliegende Berufungsschrift aufweist, ist jedoch zulässig, wenn der Berufungskläger verständlicherweise annahm, der Erfolg der Berufung könne wohl nur in der Aufhebung des angefochtenen Entscheides und in ![]() | 9 |
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4. Die Berufungsklägerin (und Beschwerdeführerin) will einen bundesrechtlichen Grundsatz zur Geltung bringen, wonach ![]() | 12 |
Die überwiegende schweizerische Lehrmeinung will es denn auch dem kantonalen Prozessrecht anheimgestellt wissen, einen Verzicht auf Weiterziehung eines erstinstanzlichen Urteils in Ehescheidungssachen ganz allgemein sogleich nach Eröffnung des Urteils zuzulassen, auch wenn das Urteil auf Scheidung lautet, und auch hinsichtlich der Kinderzuteilung (sowie natürlich ebenso hinsichtlich anderer Nebenfolgen): HINDERLING, Ehescheidungsrecht, 3. A., S. 178 mit Fussnote 10 (der nur den Vorausverzicht auf Weiterziehung eines noch nicht eröffneten Scheidungsurteils als gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB verstossend betrachtet); LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. A., N. 1 zu Art. 333, S. 314 (wonach Vereinbarungen vor dem Urteil auf Streitigkeiten beschränkt sind, die dem freien Verfügungsrecht der Parteien unterstehen, nach dem Urteil geschlossene Vereinbarungen dagegen nicht an diese Schranken gebunden sind).
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5. Es mag beigefügt werden, dass die Prozessordnungen der meisten Nachbarstaaten und die sich darauf beziehende Praxis und Rechtslehre es ebenfalls zulassen, dass die Parteien ein erstinstanzliches Urteil, wie es hier in Frage steht, nach seiner Eröffnung, schon vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, als endgültig anerkennen. So wird ein Verzicht auf Rechtsmittel nach dem Urteil in Deutschland stets als zulässig betrachtet, und zwar auch in Ehesachen (ROSENBERG, Lehrbuch, 8. A., S. 819; STEIN/JONAS/SCHÖNKE/POHLE, 17./18. A., Bem. II/2 zu § 617). Ebenso wird in Österreich § 472 der Zivilprozessordnung dahin ![]() | 15 |
Für die im vorliegenden Falle speziell streitige Kindeszuteilung gilt in dieser Hinsicht nichts Abweichendes. Zwar hat das Scheidungsgericht in jeder Instanz sowohl über die Gestaltung der Elternrechte im allgemeinen wie auch insbesondere über die Unterhaltsbeiträge an die Kinder von Amtes wegen zu befinden (vgl. BGE 85 II 231 /32 und BGE 82 II 470). Damit ist aber weder die Weiterziehung erstinstanzlicher Urteile vorgeschrieben oder der gesetzlichen Befristung entrückt noch ein Verzicht auf Weiterziehung solcher Urteile kraft Bundesrechtes verboten.
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Dem Nichteintretensentscheid des Obergerichts lässt sich somit keine dem kantonalen Prozessrechte derogierende Norm des Bundesrechtes entgegenhalten.
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6. Das Bundesgericht sieht sich immerhin veranlasst, sein Befremden über das Vorgehen des erstinstanzlichen Gerichtes auszudrücken. Es ist nicht Sache des Richters, die Parteien (wenn sie nicht von sich aus den Willen bekunden, das Urteil sogleich anzuerkennen und dadurch in Rechtskraft treten zu lassen) nach der Fällung und Eröffnung des Urteils zu fragen, ![]() | 18 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Auf die Berufung wird nicht eingetreten.
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