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46. Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. November 1967 i.S. Deutsche Lufthansa Aktiengesellschaft gegen Basler Transport-Versicherungs-Gesellschaft (AG) | |
Regeste |
Art. 25 des Warschauer Abkommens vom 12. Oktober 1929. |
Beweislast. Der Geschädigte hat die Voraussetzungen für die unbeschränkte Haftung des Luftfrachtführers zu beweisen. Art. 447 Abs. 1 OR ist nicht anwendbar (Erw. 3). |
Unterlassungen des Luftfrachtführers als grobe Fahrlässigkeit (Erw. 4 und 5). |
Rückgriffsrecht des Versicherers gegen den aus Vertragsverletzung für den Schaden Haftbaren (Erw. 6). | |
Sachverhalt | |
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Das Flugzeug verliess Zürich-Kloten am 22. Januar 1964 und traf nach ordnungsgemässer Vornahme der vier Zwischenlandungen am folgenden Tage in Buenos Aires ein. Beim Ausladen des Frachtabteils 4 wurde festgestellt, dass der Jutesack einen etwa 10 cm langen Riss aufwies. Die etwas später auf dem Zollbüro vorgenommene Kontrolle ergab, dass vier der fünf Briefumschläge fehlten. Die Nachforschungen der Lufthansa und der Polizei in Buenos Aires, Montevideo und Zürich blieben erfolglos.
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B.- Die Basler Transport-Versicherungs-Gesellschaft deckte auf Grund des mit dem Schweizerischen Bankverein abgeschlossenen Versicherungsvertrages den ganzen Schaden im Betrage von Fr. 347'055.85 und klagte darauf beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Lufthansa auf Zahlung dieses Betrages nebst 5% Zins seit 5. März 1964.
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Das Handelsgericht verpflichtete am 2. März 1966 die Beklagte, der Klägerin - ausser dem anerkannten Betrag von Fr. 66.41 nebst Zins - weitere Fr. 346'989.44 nebst 5% Zins seit 5. März 1964 zu bezahlen.
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C.- Die Beklagte hat die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, das Urteil aufzuheben und die Klage ![]() | 5 |
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil zu bestätigen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Nach Art. 25 WA haftet die Beklagte für den während der Luftbeförderung eingetretenen Schaden nur dann über den von ihr anerkannten und auf Grund des Art. 22 Abs. 2 WA und Art. 9 lit. b LTR unbestrittenermassen zutreffend errechneten Betrag von Fr. 66.41 hinaus, wenn sie oder eine ihrer Hilfspersonen in Ausführung ihrer Verrichtungen "den Schaden vorsätzlich oder durch eine Fahrlässigkeit, die nach dem Recht des angerufenen Gerichtes dem Vorsatz gleichsteht", herbeigeführt hat. In dieser Haftungsfrage kam somit eine internationale Rechtsvereinheitlichung nicht zustande, und zwar wegen der Besonderheit des angelsächsischen Rechts, das den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht kennt, sondern ihn mit dem Vorsatz unter den Begriff des "wilful misconduct" zusammenfasst (vgl. RIESE, Luftrecht, 1949, S. 466 mit Literaturhinweisen; RIESE/LACOUR, Précis de droit aérien, 1951, N. 332, S. 276; GULDIMANN, Zur Auslegung von Art. 25 WA, Zeitschrift für Luftrecht 4/1955, S. 166 f.; derselbe, SJZ 1960, S. 20 f.).
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Die für die Auslegung von Art. 25 WA nach schweizerischem Recht massgebende Sachnorm ist in Art. 10 LTR niedergelegt. Diese Bestimmung setzt die grobe Fahrlässigkeit dem Vorsatz gleich. Wie das Zürcher Obergericht in einem Entscheid vom 4. März 1966 (veröffentlicht in Bulletin No. 42 der Schweiz. Vereinigung für Luft- und Raumrecht (SVLR), S. 8 f.) unter Hinweis auf die herrschende Literatur mit Recht bemerkt, geht ![]() | 9 |
Der neue Wortlaut des Art. 25 WA, der am 28. September 1955 in den Haag vereinbart wurde, und Art. 10 LTR in der neuen Fassung vom 1. Juni 1962 sind nicht anwendbar, weil Argentinien nur dem Abkommen in der ursprünglichen Fassung beigetreten ist (Art. 23 Abs. 1 rev. LTR).
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Die Beklagte macht geltend, die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem der Beklagten vorgeworfenen Verhalten und dem Eintritt des Schadens nicht erbracht; denn sie habe nicht dargetan, dass der argentinische Zollbeamte Ibanez unmöglich der Dieb sein könne. Sie wirft dem Handelsgericht vor, es habe Art. 25 WA verletzt, weil es der Meinung sei, die Klägerin brauche nur zu beweisen, dass das Frachtgut nach der Lebenserfahrung während der Luftbeförderung abhanden kam, nicht auch, in welcher Weise das geschah.
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Das Handelsgericht gelangt auf Grund der beigezogenen Strafuntersuchungsakten zum Schluss, dass die Wertbriefe abhanden gekommen sind, bevor der Jutesack im Zollgebäude eingelagert wurde, und dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Ibanez den Diebstahl begangen habe oder daran in irgendeiner Weise beteiligt gewesen sei. Ob auf diese Feststellung abzustellen sei, ist eine Verfahrensfrage. Art. 25 WA schweigt sich darüber aus. Dagegen bestimmt Art. 28 Abs. 2 WA, dass das Verfahren sich nach den Gesetzen des angerufenen Gerichtes richte. Die Feststellung der Vorinstanz beruht zum Teil auf einem Indizienbeweis, d.h. auf der aus der Lebenserfahrung geschöpften Überzeugung des Richters, dass die Sendungen vom gleichen Unbekannten gestohlen wurden, der den Sack aufriss. Es besteht aber keine bundesrechtliche Regel, wonach Indizienbeweise nicht zulässig seien (vgl.BGE 75 II 102,BGE 76 II 193,BGE 77 II 293/4). Die Feststellung der Vorinstanz ist daher für das Bundesgericht verbindlich (Art. 43 Abs. 3, 55 Abs. 1 ![]() | 13 |
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Nach Art. 4471 OR, letzter Satz, hat der Frachtführer den vollen Wert zu ersetzen, wenn er nicht beweist, dass der Verlust oder Untergang des Frachtgutes auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht abgewendet werden konnte. Art. 11 Abs. 3 LTR sieht aber die ergänzende Anwendung der Bestimmungen des Obligationenrechts über den Frachtvertrag nur "bei der Bemessung des Ersatzes für Sachschaden" vor. Vorschriften über die Schadenersatzbemessung haben jedoch mit Regeln über die Beweislastverteilung nichts gemeinsam. Art. 447 Abs. 1 OR ist daher nicht anzuwenden. Der durch die Möglichkeit des Entlastungsbeweises gemilderten Kausalhaftung für den vollen Schaden in Art. 447 OR entspricht im Lufttransportrecht die beschränkte Haftung mit Fr. 72.50 für jedes Kilogramm (Art. 22 Abs. 2 WA und Art. 9 lit. b LTR). Der Luftfrachtführer entgeht ihr, wenn er beweist, dass er und seine Leute alle erforderlichen Massnahmen zur Verhütung des Schadens getroffen haben oder dass sie diese Massnahmen nicht treffen konnten. Die beschränkte Haftung gilt aber nicht, wenn der Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig herbeigeführt wurde. Diese besondern, die unbeschränkte Haftung des Luftfrachtführers begründenden Voraussetzungen hat der Geschädigte zu beweisen. Das ergibt sich aus Art. 8 ZGB. Wollten das Warschauer Abkommen und ![]() | 15 |
Dass dem Geschädigten der Beweis oft schwer fällt, ändert nichts. Er kann sich der Beweispflicht entziehen, indem er bei der Aufgabe des Frachtgutes zum Versand das Interesse an der Lieferung besonders erklärt und den Zuschlag entrichtet, von dem der Luftfrachtführer die Vereinbarung der höhern Haftungssumme abhängig macht (Art. 22 Abs. 2 WA).
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Im vorliegenden Fall konnten die genauen Umstände, unter denen die vier Wertsendungen gestohlen wurden, nicht ermittelt werden. Das Handelsgericht hält die Täterschaft von Hilfspersonen der Beklagten nicht für bewiesen. Das Scheitern dieses Beweises hat zur Folge, dass die Haftung der Beklagten nur noch wegen grobfahrlässiger Schädigung in Betracht kommen kann.
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Im vorliegenden Fall war die Verwendung eines weitmaschigen und durchsichtigen Netzsackes unverständlich. Der Sack enthielt keine gewöhnliche Fracht, sondern ausschliesslich Wertsendungen, darunter 19 Umschläge mit Banknoten. Die Verpackung war auffällig, der Inhalt des Sackes daher leicht erkennbar. Die Beklagte wusste, dass das Frachtabteil 4 auch Gepäck für Montevideo enthielt und auf diesem Zwischenlandeplatz geöffnet werden musste. Damit wurde der Sack notwendigerweise einem gewissen Personenkreis, insbesondere Flughafenarbeitern, die im Gepäckraum den Güterumschlag zu bewerkstelligen hatten, zugänglich gemacht. Unter diesen Umständen erwies sich die Verladung und Kontrolle des Sackes unmittelbar vor dem Abflug in Zürich als ungenügende Sicherheitsmassnahme. Der Gefahr eines Diebstahles auf einem Zwischenlandeplatz wurde nicht vorgebeugt. Insbesondere genügte es zur Sicherung des Transportes nicht, dass die Beklagte dem Personal der Zwischenlandeplätze mitteilte, das Flugzeug führe Wertsachen mit sich, sondern sie hatte dafür zu sorgen, dass es die hochwertige Fracht kontrolliere und vor Diebstahl schütze. Dazu hätte die Beklagte allenfalls auch eigenes Personal einsetzen müssen. In Montevideo wurde festgestelltermassen keine Kontrolle durchgeführt. Das war unverantwortlich. Wenn schon die Beklagte in einer allgemeinen Weisung ihres Frachthandbuches die Überwachung von Wertsendungen ![]() | 20 |
Wollte indessen die Beklagte der Mühe der Überwachung enthoben sein, so war ihr zuzumuten, zum Transport von Wertsachen einen zusätzlichen Sicherheitsschrank in das Flugzeug einbauen zu lassen. Nach der verbindlichen Feststellung des Handelsgerichtes wäre das in einem Flugzeug 720 B durchaus möglich gewesen. Die Fluggesellschaft EL-Al hat ihre Maschinen dieser Art schon im Jahre 1960 oder 1961 mit einem der Form des Rumpfes angepassten zusätzlichen Schliessfach von rund einem Kubikmeter Fassungsvermögen versehen lassen, in dem Diplomatengepäck oder Wertsendungen untergebracht werden können. Die gleiche Massnahme wurde auch von der Swissair noch vor Ende 1963 getroffen. Die Auffassung der Beklagten, dieses Vorgehen hätte von ihr nur erwartet werden dürfen, wenn es bei mehreren Fluggesellschaften üblich gewesen wäre, hält nicht stand. Was sich den Organen der EL-Al und der Swissair aus eigener Erkenntnis aufdrängte, hätte auch die Beklagte ohne weiteres als zweckmässig erkennen können. Zudem stellt das Handelsgericht fest, die Konferenz der "International Union of Marine Insurance" habe schon im Jahre 1963 erheblich verschärfte Sicherheitsmassnahmen, insbesondere den Einbau von Stahlfächern in die Flugzeuge, gefordert.
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Im Jahre 1964 war es angesichts der Häufung von Diebstählen aus Flugzeugen allgemein bekannt, dass die Beförderung von Wertsachen auf dem Luftweg, namentlich von Banknoten, mit besonderen Gefahren verbunden war. Diese Erfahrungstatsache drängte den Luftverkehrsgesellschaften die Verbesserung der bestehenden Sicherheitsvorkehren gebieterisch auf. Im vorliegenden Fall waren die Massnahmen, welche die Beklagte zur Sicherung des Wertsachentransportes hätte treffen sollen (unauffällige Verpackung, Überwachung ![]() | 23 |
Die Fahrlässigkeit der Beklagten war daher grob.
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Die Beklagte ficht diese Rechtsprechung nicht an, macht namentlich nicht geltend, die Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigten den Rückgriff nicht oder nur teilweise. Da grobe Fahrlässigkeit der Beklagten zu bejahen ist, besteht kein Grund, die Klage auch nur teilweise abzuweisen. Das richterliche Ermessen aus Art. 50 Abs. 2 OR gebietet, nach Recht und Billigkeit zu entscheiden (Art. 4 ZGB). Es ist aber gerecht und billig, dass letzten Endes nicht der Versicherer den Schaden trage, sondern derjenige, der ihn durch grobe Verletzung vertraglicher Pflichten verursacht hat.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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