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37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. November 1968 i.S. Salcher gegen Weisseisen. | |
Regeste |
Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen. Zuständigkeit. Anwendbares Recht. |
2. Der erste Wohnsitz des ausserehelichen Kindes befindet sich am Sitz der Vormundschaftsbehörde, die ihm nach Art. 311 ZGB einen Beistand bestellt hat (Erw. 4, 5; Änderung der Rechtsprechung). |
3. Der Beistand ist in der Regel von der Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt zu bestellen. Ist die Mutter jedoch eine minderjährige Ausländerin, die zwar in der Schweiz wohnt und arbeitet, deren Eltern aber im Ausland leben, so ist dem Kind an demjenigen Ort in der Schweiz ein Beistand zu bestellen, wo die Mutter zur Zeit der Geburt tatsächlich den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hatte und nur deshalb noch keinen Wohnsitz besass, weil sie noch minderjährig war (Erw. 6). |
4. Klagt das Kind an seinem durch den Sitz der Vormundschaftsbehörde bestimmten Wohnsitz, so wird dadurch auch der Gerichtsstand für die Klage der Mutter festgelegt und umgekehrt (Gerichtsstand des Sachzusammenhangs; Erw. 6 Abs. 3). |
5. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die Vormundschaftsbehörde, die den Beistand ernannte, hiefür nach den konkreten Umständen örtlich zuständig war (Erw. 6, letzter Absatz). |
6. Die vor einem schweizerischen Gericht erhobene Klage eines österreichischen Kindes mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz gegen einen Österreicher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Osterreich beurteilt sich nach schweizerischem Recht (Art. 1 und 2 des Haager Übereinkommens vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht; Erw. 7). | |
Sachverhalt | |
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Der Beklagte bestritt die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
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Mit Entscheid vom 18. April/10. Mai 1967 verwarf das Amtsgericht diese Einrede. Das Obergericht des Kantons Solothurn, an das der Beklagte appellierte, hiess sie dagegen mit Entscheid vom 6. März 1968 gut.
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Gegen den Entscheid des Obergerichts hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, ihn aufzuheben und die Unzuständigkeitseinrede abzulehnen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Frage, ob die klagende Partei im Sinne von Art. 312 ZGB zur Zeit der Geburt des Kindes in der Schweiz Wohnsitz hatte und wo sich gegebenenfalls dieser Wohnsitz befand, beurteilt sich nach schweizerischem Recht (BGE 85 II 320 Erw. 1, BGE 89 II 114).
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4. Ein aussereheliches Kind steht nur dann unter der elterlichen Gewalt der Mutter oder allenfalls des Vaters, wenn die Vormundschaftsbehörde es gemäss Art. 324 Abs. 3 oder 325 Abs. 3 ZGB unter diese Gewalt gestellt hat (BGE 49 II 151, BGE 50 I 390), worauf nach dem ZGB weder die Mutter noch der Vater einen Anspruch haben (BGE 87 I 212). Solange die ![]() ![]() | 10 |
Im Schrifttum sind die Meinungen geteilt. In ihren Kommentaren zum Personenrecht erklären HAFTER (2. Aufl. 1919, N. 13 zu Art. 25 ZGB) und EGGER (2. Aufl. 1930, N. 5 zu Art. 25 ZGB), der Wohnsitz der Mutter gelte erst nach Unterstellung des ausserehelichen Kindes unter ihre elterliche Gewalt als Wohnsitz des Kindes. KAUFMANN (2. Aufl. 1924, N. 11 zu Art. 396 ZGB) hält dafür, als Wohnsitz des Kindes, nach dem sich im Falle der Beistandsbestellung nach der Geburt die Zuständigkeit zur Anordnung dieser Massnahme richte, müsse gemäss Art. 24 Abs. 2 ZGB der Aufenthaltsort des Kindes gelten. Diese Auffassung teilt SILBERNAGEL (2. Aufl. 1927, N. 43 zu Art. 311 ZGB). In seinem Familienrechtskommentar (2. Aufl., 2. Abt., 1943) sagt EGGER in Zustimmung zu den (1930 ergangenen) Entscheiden BGE 56 II 4 und BGE 56 I 142f., zur Bestellung eines Beistands für ein aussereheliches Kind sei die Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt zuständig (N. 5 zu Art. 311 ZGB). Unter Bezugnahme hierauf bemerkt er bei Behandlung des Art. 312 ZGB (N. 7), der Wohnsitz des Kindes zur Zeit der Geburt befinde sich dort, wo seine Mutter wohnte. Auch SPECKER (Der Wohnsitz des ausserehelichen Kindes, Zeitschrift für Vormundschaftswesen 1947 S. 1 ff.) schliesst sich der herrschenden Rechtsprechung an. Das gleiche dürfte (wenigstens de lege lata) für HEGNAUER und LALIVE gelten (ZSR 1965 II S. 54 mit Fussnote 6, S. 108 ff., S. 746 mit Fussnote 550).
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Folgt man vorbehaltlos der dargestellten neuern Rechtsprechung und Lehre und den Entscheiden, wonach nicht bei ihren Eltern lebende erwerbstätige Minderjährige bei Arbeit in unselbständiger Stellung (BGE 67 II 83, BGE 69 II 340 Erw. 2, BGE 76 I 302, BGE 80 I 187 Erw. 2 im Gegensatz zu BGE 45 II 244 Erw. 2), ja sogar bei Erwerbstätigkeit in selbständiger Stellung (BGE 85 III 164 Erw. 2) gemäss Art. 25 Abs. 1 ZGB den Wohnsitz ihrer Eltern teilen, so ist der Vorinstanz darin beizustimmen, dass die Klägerin zur Zeit der Geburt mit ihrer damals noch minderjährigen Mutter bei deren Eltern in Österreich Wohnsitz hatte und daher nicht im Kanton Solothurn, wo die Mutter als Fabrikarbeiterin lebte, klagen konnte.
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Das Amtsgericht, das zum gegenteiligen Schluss gelangt war, hatte nicht in Zweifel gezogen, dass die Klägerin den Wohnsitz ![]() | 13 |
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Der Sitz der Vormundschaftsbehörde gilt nach Art. 25 Abs. 1 ZGB nur als Wohnsitz der bevormundeten Person. Die verbeiständeten Personen werden in Art. 25 Abs. 1 ZGB nicht ![]() | 15 |
6. Falls die Mutter zur Zeit der Geburt unzweifelhaft in der Schweiz Wohnsitz hatte, führt diese Lösung in der Regel praktisch zum gleichen Ergebnis wie die Auffassung, der erste Wohnsitz des ausserehelichen Kindes richte sich nach dem Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt; denn für das Kind einer Frau, die in diesem Zeitpunkt klarerweise in der Schweiz Wohnsitz hatte, wird die Beistandschaft richtigerweise von der Vormundschaftsbehörde des betreffenden Ortes errichtet. Auf dieser Annahme beruht Art. 125 Abs. 1 ZStV, der unter Hinweis auf Art. 368 und 311 ZGB bestimmt, von der Geburt eines ![]() | 16 |
Handelt es sich dagegen wie im vorliegenden Falle um das Kind einer Ausländerin, die zur Zeit der Geburt zwar in der Schweiz wohnte und arbeitete, aber wegen ihrer Minderjährigkeit jedenfalls nach der herrschenden Rechtsprechung keinen selbständigen Wohnsitz hatte, sondern den Wohnsitz ihrer im Ausland wohnenden Eltern teilte, so ist der Vorteil, den Art. 312 ZGB der klagenden Partei mit der Einräumung des Gerichtsstands ihres schweizerischen Wohnsitzes zur Zeit der Geburt bieten will, dem Kinde nur dann zuverlässig und in zweckentsprechender Weise gewährleistet, wenn angenommen wird, dem Kinde sei auch in einem solchen Falle ein Beistand in der Schweiz zu ernennen und der erste Wohnsitz des Kindes befinde sich unabhängig vom Wohnsitz der Mutter am Sitz der den Beistand bestellenden Vormundschaftsbehörde. Schon in BGE 44 I 65 war denn auch erklärt worden, die Regel, wonach die Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes der Mutter für die Massnahmen nach Art. 311 und 324 Abs. 3 ZGB zuständig ist, gelte, "sofern sie (die Mutter) wenigstens einen solchen in der Schweiz besitzt", und in BGE 56 II 7, wo die II. Zivilabteilung in Übereinstimmung mit BGE 44 I 65f. dem Kinde den Wohnsitz der - in der Schweiz wohnenden - Mutter zur Zeit der Geburt zuerkannte und die Zuständigkeit zur Fürsorge für das Kind der Vormundschaftsbehörde dieses Ortes zuwies, wurde ausgeführt: "Der Umstand, dass diese Lösung ausnahmsweise versagt, wenn nämlich die Mutter zur Zeit der Geburt keinen Wohnsitz in der Schweiz hat, rechtfertigt nicht, sie auch im Regelfall abzulehnen, für den sie als die zutreffendste erscheint, sondern gebietet nur, für jenen Ausnahmefall eine andere, den international-privatrechtlichen Beziehungen gerecht werdende Lösung zu suchen." Im Sinne dieser Vorbehalte ist dem Kinde in Fällen wie dem vorliegenden an demjenigen Ort in der Schweiz ein Beistand zu bestellen und die Anbringung der Vaterschaftsklage zu gestatten, wo die Mutter zur Zeit der Geburt tatsächlich den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hatte und nur deshalb noch keinen Wohnsitz besass, weil sie noch minderjährig war. Diese Lösung steht im Einklang mit dem (für Österreich freilich nicht geltenden) Haager Übereinkommen ![]() | 17 |
Der Annahme, das aussereheliche Kind könne einen vom Wohnsitz der Mutter unabhängigen und von diesem verschiedenen Wohnsitz am Sitz der den Beistand ernennenden Vormundschaftsbehörde haben, lässt sich nicht entgegenhalten, hiedurch werde die wünschbare Einheit des Gerichtsstandes für die Klagen von Mutter und Kind gefährdet; denn wenn das Kind an seinem durch den Sitz der Vormundschaftsbehörde bestimmten Wohnsitz klagt, wird dadurch auch der Gerichtsstand für die Klage der Mutter festgelegt und umgekehrt (Gerichtsstand des Sachzusammenhangs; vgl. BGE 50 I 394 Erw. 4 und EGGER N. 9 zu Art. 312 ZGB).
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Für die Klägerin, deren Beistand von der Vormundschaftsbehörde Schönenwerd ernannt wurde und deren Mutter nicht geklagt hat, konnte die Klage daher beim Amtsgericht Olten-Gösgen, in dessen Amtskreis Schönenwerd liegt, angebracht werden.
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Ob die Vormundschaftsbehörde, an deren Sitz der Beistand klagt, nach den konkreten Umständen des Falles für die Anordnung der Beistandschaft örtlich zuständig war, ist in dem vom Beistand eingeleiteten Prozesse nicht zu prüfen, sondern die Beistandsbestellung ist für die Gerichte verbindlich, solange sie nicht von den vormundschaftlichen Organen selbst aufgehoben wird (BGE 55 II 325 Erw. 2, BGE 58 I 290 Erw. 5). Für die Bejahung der Zuständigkeit des Gerichts am Sitz der Vormundschaftsbehörde, die den Beistand ernannt hat, muss genügen, dass es grundsätzlich möglich ist, dass das Kind an diesem Orte seinen Wohnsitz hat. - Im vorliegenden Falle steht im übrigen ![]() | 20 |
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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