BGE 94 II 348 | |||
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51. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. November 1968 i.S. Meier gegen Leimbacher. | |
Regeste |
Besitzesschutz. Berufung an das Bundesgericht. |
2. Befugnis der Kantone zum Erlass von Vorschriften, die dem Besitzer gestatten, zum Schutze des Besitzes gegen Störungen im Sinne von Art. 928 ZGB ein mit einer Strafandrohung verbundenes Verbot zu erwirken. Ist die Berufung gegen einen in Anwendung solcher Vorschriften gefällten Entscheid unzulässig, weil das kantonale Recht den angeblich verletzten Vorschriften des Bundesrechts nicht Rechnung tragen musste? (Frage offen gelassen). (Erw. 2). |
3. Letztinstanzliche kantonale Entscheide, die nur den Besitzesschutz betreffen, sind keine Endentscheide im Sinne von Art. 48 OG und unterliegen daher nicht der Berufung an das Bundesgericht (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Leimbacher hatte sein Grundstück Parzelle Nr. 3450 (GB Nr. 2015) gemäss Vertrag vom 8. Juni 1956 von Halter gekauft. Durch einen Dienstbarkeitsvertrag vom gleichen Tage hatte Halter ihm als dem Eigentümer des Grundstücks GB Nr. 2172, eines als Dienstbarkeit zulasten von Parzelle Nr. 3571 (GB Nr. 2140, Liegenschaft Steinegger) begründeten selbständigen und dauernden Baurechts für die Errichtung einer Garage, das Recht eingeräumt, den erwähnten Kehrplatz "insbesondere als Ein- und Ausfahrt für seine vorgesehene Garage zu benützen und von seinen Gästen etc. benützen zu lassen". Die beiden Verträge wurden am 11. Juni 1956 zur Eintragung ins Grundbuch angemeldet.
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Durch einen Dienstbarkeitsvertrag vom 10. April 1957 räumte Halter als Eigentümer der Parzelle Nr. 1389 (GB Nr. 2012) dem jeweiligen Eigentümer der Parzelle Nr. 3451 (GB Nr. 2016), die heute Dr. Meier gehört, das Recht ein, "den vor der Garage [d.h. vor der Garage auf Parzelle Nr. 3451] liegenden Kehrplatz für die Ein- und Ausfahrt in seine Garage zu benützen". Die Grundbuchanmeldung erfolgte am 28. Mai 1957.
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"Auf das Gesuch des Dienstbarkeitsberechtigten Dr. R. Meier-Pfister ... wird allen Unberechtigten unter Androhung von Haft oder Busse bis Fr. 100.-- im Widerhandlungsfalle (§ 261 ZPO) untersagt:
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Das Parkieren oder Stationieren von Fahrzeugen jeder Art sowie die Ablagerung sonstiger Gegenstände auf diesem Kehrplatz am Ende des St. Annaweges.
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(Ostabschnitt von GB Baden 2012 Parz. 1389)".
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Mit Entscheid vom 5. Oktober 1967 wies der Bezirksgerichtspräsident den "Rechtsvorschlag" Leimbachers gegen dieses Verbot ab.
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Das Obergericht des Kantons Aargau, vor dem Leimbacher die Aufhebung des Verbots beantragte, stellte mit Urteil vom 1. März 1968 fest, das angefochtene Verbot gelte für Leimbacher und seine Gäste nur, "soweit durch das Parkieren und Stationieren die Ein- und Ausfahrt zur Garage des Verbotsnehmers und das Wenden dessen Fahrzeuges auf dem Kehrplatz erschwert wird". Soweit Leimbacher mit seiner Beschwerde an das Obergericht mehr verlangt hatte, wurde sie abgewiesen.
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C.- Gegen das Urteil des Obergerichts hat Dr. Meier ausser einer staatsrechtlichen Beschwerde die vorliegende Berufung eingereicht mit dem Begehren, der Rechtsvorschlag Leimbachers sei gänzlich abzuweisen und das streitige Verbot sei ohne Vorbehalte zu bestätigen.
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Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.
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Erwägungen: | |
1. Nach § 257 der aargauischen ZPO kann jemand, der behauptet, "im Besitz oder Gebrauch seines unbeweglichen Eigentums oder seiner Dienstbarkeit an einer unbeweglichen Sache oder in der rechtlichen Innehabung einer solchen widerrechtlich gestört zu werden", die Störung durch ein Verbot untersagen lassen. Das Verbotsverfahren nach § 257 ff. ZPO will also dem Besitzesschutze dienen. Es handelt sich um ein besonderes Prozessverfahren (vgl. die Überschrift des die §§ 245- 318 umfassenden VI. Abschnitts der ZPO), welches das aargauische Recht unter bestimmten Voraussetzungen neben anderen Verfahren, insbesondere neben dem in § 135 des EG/ZGB für Besitzesklagen vorgesehenen beschleunigten Verfahren und neben dem in § 245 ff. ZPO geregelten Befehlsverfahren, für den Besitzesschutz zur Verfügung stellt.
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Den Besitzesschutz im Sinne von Art. 926 ff. ZGB kann, wie in § 257 ZPO vorausgesetzt, auch in Anspruch nehmen, wer in der Ausübung einer Dienstbarkeit gestört wird, wie das der Berufungskläger von sich behauptet. Die Grunddienstbarkeit, auf die der Berufungskläger sich beruft, verleiht ihm das Recht, das belastete Grundstück "für die Ein- und Ausfahrt in seine Garage zu benützen", d.h. es in bestimmter Weise zu gebrauchen. Die Ausübung einer solchen Dienstbarkeit verschafft dem Berechtigten tatsächliche Gewalt über das belastete Grundstück und damit Sachbesitz im Sinne von Art. 919 Abs. 1 ZGB (HOMBERGER, N. 21 zu Art. 919; LIVER, Einleitung zu Art. 730 ff. ZGB, N. 71 S. 30). Ob ihm daneben auch sog. Rechtsbesitz zukomme oder ob Art. 919 Abs. 2 ZGB, wonach dem Sachbesitz bei Grunddienstbarkeiten und Grundlasten die tatsächliche Ausübung des Rechts gleichgestellt wird, nur für die negativen, den Eigentümer des belasteten Grundstücks zu einer Unterlassung verpflichtenden Dienstbarkeiten gelte (so LIVER, ZBJV 95/1959, S. 34 unten, und N. 131 zu Art. 737 ZGB), kann dahingestellt bleiben; denn in Fällen wie dem vorliegenden geniesst der Berechtigte den Besitzesschutz auf jeden Fall als Sachbesitzer (LIVER, N. 71 der Einleitung und N. 127 zu Art. 737 ZGB). Da die vom Berufungskläger angerufene Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist, spielt im vorliegenden Falle auch keine Rolle, ob der Besitzesschutz wegen Beeinträchtigung der Ausübung einer Dienstbarkeit nur beansprucht werden kann, wenn die Dienstbarkeit eingetragen ist (so BGE 83 II 146), oder ob der Grundbucheintrag keine unerlässliche Voraussetzung dieses Schutzes ist (in diesem Sinne LIVER, ZBJV 95/1959 S. 35 und N. 139 ff. zu Art. 737 ZGB).
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Die Kantone sind auch befugt, einen zum rein zivilrechtlichen hinzutretenden administrativen und polizeilichen Schutz des Besitzes vorzusehen und insbesondere den Besitzern ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, das ihnen gestattet, ein mit einer Strafandrohung verbundenes Verbot von Besitzesstörungen zu erwirken (BGE 83 II 144 /145; HOMBERGER, N. 18 zu Art. 927 ZGB; STARK a.a.O. N. 115). Das Verbotsverfahren des aargauischen Rechts ist ein solches Verfahren. Nach § 261 ZPO bedroht der Gerichtspräsident die Übertretung eines von ihm nach §§ 257 ff. ZPO erlassenen Verbots mit einer Geldbusse von Fr. 5.- bis 100.-- oder (für den Fall der Zahlungsunfähigkeit) mit Haft bis zu 20 Tagen. Im vorliegenden Falle ist auf Begehren des Berufungsklägers ein mit einer solchen Strafandrohung verbundenes Verbot erlassen worden.
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Die kantonalen Vorschriften, die den Erlass von Verboten zum Schutz gegen Besitzesstörungen vorsehen, dürfen diesen zusätzlichen Schutz nur gewähren, wenn die bundesrechtlichen Voraussetzungen des Besitzesschutzes erfüllt sind, d.h. wenn jemand im Sinne von Art. 919 ZGB Besitzer ist und in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht im Sinne von Art. 928 ZGB gestört wird (vgl. BGE 83 II 146 unten, sowie STAUFFER, ZBJV 79/1943 S. 558, und EICHENBERGER, Beiträge zum Aargauischen Zivilprozessrecht, 1949, S. 231 f. unter II und III 1; Aarg. Gerichts- und Verwaltungsentscheide = AGVE 1958 N. 11 S. 54). Innerhalb dieser bundesrechtlichen Schranken kann jedoch das kantonale Recht die Voraussetzungen, unter denen ein Verbot zu erlassen oder aufzuheben ist, selbständig ordnen (EICHENBERGER a.a.O. S. 232; vgl. HOMBERGER, N. 18 zu Art. 927 ZGB).
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Nach aargauischem Recht setzt der Erlass eines Verbots u.a. voraus, dass der Antragsteller ("Bewerber") durch Urkunden das seinem Besitz zugrunde liegende Recht nachweist (§ 259 ZPO; AGVE 1948 Nr. 6 S. 27; EICHENBERGER a.a.O. S. 232; zum urkundlichen Nachweis des Rechts vgl. § 260 ZPO). Gegen ein Verbot kann binnen 10 Tagen von der Zustellung oder Bekanntmachung an "Rechtsvorschlag" erhoben werden, "wenn durch glaubwürdige Bescheinigung nachgewiesen wird, dass das durch das Verbot geschützte Recht erloschen ist oder nicht in dem beanspruchten Umfange besteht oder dass die Voraussetzungen der §§ 259 und 260 nicht vorhanden sind" (§ 266 ZPO). Dass der Erlass und die Aufhebung eines Verbots von solchen Nachweisen betreffend den Bestand und Inhalt des dem Besitz zugrunde liegenden Rechts abhängig gemacht werden, ist durch Art. 928 ZGB, der den Besitz als tatsächliches Gewaltverhältnis ohne Rücksicht auf die Rechtslage gegen Störungen schützt und sich mit dem Verbotsverfahren nicht befasst, nicht vorgeschrieben. Daher kann sich fragen, ob die vorliegende Berufung schon deshalb unzulässig sei, weil die Vorschriften des Bundesrechts, welche die Vorinstanz nach der Auffassung des Berufungsklägers bei ihrer (summarischen) Prüfung der materiellen Rechtslage verletzt hat, höchstens für die Anwendung kantonaler Vorschriften, die ihnen nicht Rechnung tragen mussten, von Bedeutung waren (vgl. BGE 80 II 183, BGE 84 II 133, BGE 85 II 364). Diese Frage braucht jedoch nicht abschliessend geprüft zu werden, weil die Berufung auf jeden Fall aus einem andern Grunde unzulässig ist.
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Entscheidungen der oberen kantonalen Gerichte über Besitzesschutzklagen gelten nach der neuern Rechtsprechung des Bundesgerichtes nicht als in einer Zivilrechtsstreitigkeit ergangene Endentscheide dieser Gerichte im Sinne von Art. 48 OG (BGE 78 II 88, BGE 85 II 279 f.). Die Besitzesschutzklagen bezwecken grundsätzlich nur die Wiederherstellung und Erhaltung eines früheren tatsächlichen Zustandes. Sie führen (unter Vorbehalt von Art. 927 Abs. 2 ZGB, der hier nicht in Frage steht) nicht zu einem Entscheid über die Rechtmässigkeit dieses Zustandes, auch wenn sich die Besitzesfrage nicht immer ganz von der Rechtsfrage trennen lässt, sondern gewähren dem Kläger nur einen provisorischen Schutz (HOMBERGER N. 13 zu Art. 927 ZGB). Daran ändert nichts, dass über die Wiederherstellung des frühern Zustands als solche endgültig entschieden wird; denn ein Prozess über die materielle Rechtslage kann die Wirkungen des im Besitzesschutzverfahren erstrittenen Urteils beseitigen (VOYAME, ZSR 1961 II 169, WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme ..., Diss. Lausanne 1964, S. 195 N. 265). Das Urteil über eine blosse Besitzesschutzklage unterliegt daher grundsätzlich nicht der Berufung an das Bundesgericht, und zwar gilt das unabhängig davon, ob das Verfahren, in dem das Urteil ergangen ist, selbständiger Natur war oder nur ein "Vorverfahren zum petitorischen Prozess" (STARK, N.111 der Vorbem. Besitzesschutz) darstellte. Das Urteil der I. Zivilabteilung des Bundesgerichts vom 9. November 1943 i.S. Keller, dem STAUFFER in ZBJV 79/1943 S. 556 ff. zustimmte und auf das STARK (a.a.O.) seine Auffassung stützt, dass die in einem selbständigen Verfahren gefällten Besitzesschutzentscheide der Berufung unterliegen, betraf einen Fall, wo es sich in Wirklichkeit überhaupt nicht um Besitzesschutz, sondern um die vom kantonalen Recht beherrschte Vollstreckung des Anspruchs des Vermieters auf Räumung der Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses handelte. Die in diesem Urteil enthaltene Bemerkung, der angefochtene Entscheid wäre als endgültiges Urteil in einer Zivilrechtsstreitigkeit "berufungsfähig", wenn er einen Besitzesschutzanspruch zugesprochen hätte, ist durch die seitherige Rechtsprechung überholt. Gegen Entscheide, welche die Wiederherstellung eines früheren Zustandes anordnen, ist die Berufung nur zulässig, wenn sie zugleich einen endgültigen Entscheid über die materielle Rechtslage in sich schliessen (vgl. z.B. das Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. September 1968 i.S. Gull).
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Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz in ihrem Entscheide nicht endgültig über die Rechte der Parteien mit Bezug auf die Benützung des streitigen Kehrplatzes entschieden. Sie erklärte vielmehr ausdrücklich, es könne "in diesem summarischen Verfahren nicht überprüft werden, ob die Dienstbarkeitsberechtigung [gemeint: die dem Verbot entgegengehaltene Dienstbarkeit zugunsten Leimbachers] inhalts- und umfangmässig beschränkt sei, vor allem, ob sie ein Parkierungs- und Stationierungsverbot enthalte". Ein Verbot im Sinne von § 257 ZPO kann, wie aus § 269 Abs. 1 ZPO klar hervorgeht, durch ein gerichtliches Urteil aufgehoben werden. Weder die Aufhebung eines Verbots noch die Abweisung des Rechtsvorschlags gegen ein solches greifen dem Entscheid in einem ordentlichen Prozesse vor (vgl. KELLER/PFISTERER, Die ZPO für den Kanton Aargau, 1947, N. 2 und 4 zu § 267). Der angefochtene Entscheid ist also kein Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG und kann daher nicht durch Berufung an das Bundesgericht weitergezogen werden (vgl. BGE 77 II 281f. mit Hinweisen, BGE 80 II 93, BGE 81 II 85, BGE 86 II 141 f., BGE 88 II 59 Erw. 2, wonach die Berufung gegen bloss provisorisch wirkende Entscheide allgemein ausgeschlossen ist). 4. - Kann aus diesem Grunde auf die Berufung nicht eingetreten werden, so braucht nicht geprüft zu werden, ob der Streitwert die Berufungssumme von Fr. 8000.-- (Art. 46 OG) erreiche.
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