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2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Februar 1969 i.S. Frima Verwaltungsanstalt gegen Virginia Leeds-Jantzen. | |
Regeste |
Recht auf Näherbau. Voraussetzungen (Art. 674 Abs. 3 inVerbindung mit Art. 685 Abs. 2 ZGB). | |
Sachverhalt | |
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Im Frühjahr 1965 erklärte sich die Eigentümerin des Weges damit einverstanden, dass Frau Leeds ihn so verlegen lasse, dass er das Gelände unmittelbar vor deren Wohnhaus nicht mehr berühre. Die entsprechenden Arbeiten liess Frau Leeds ![]() | 2 |
B.- Der Vertreter der Frima war während des Baues abwesend und kehrte erst einige Tage vor Weihnachten 1965 nach St. Moritz zurück, als die Gegend schon eingeschneit war. Die Wendeplatten waren damals erstellt; die ganze Weganlage sollte jedoch 1966, nach der Schneeschmelze, vollendet werden.
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Mit Briefen vom 20. und 21. April 1966 verlangte die Frima beim Gemeindevorstand von St. Moritz die sofortige Einstellung des Weiterbaues und den Abbruch der innerhalb des gesetzlichen Grenzabstandes errichteten Mauerteile. Am 7. Mai 1966 leitete sie zudem beim Kreisamt Oberengadin ein Befehlsverfahren ein mit den Begehren, Frau Leeds sei zu verpflichten, die Arbeiten innerhalb des gesetzlichen Grenzabstandes einzustellen und die dort bereits ausgeführten Bauten zu beseitigen. Das Kreisamt schützte die Begehren. Der Bezirksgerichtspräsident von Maloja, an den Frau Leeds rekurrierte, hob diesen Entscheid jedoch am 7. Oktober 1966 aufund wies das Gesuch ab.
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C.- Am 28. März 1967 reichte die Frima gegen Frau Leeds beim Bezirksgericht Maloja eine Klage mit folgendem Rechtsbegehren ein:
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"Es sei die Beklagte zu verpflichten, die auf ihrer Parzelle Nr. 1672 ... errichtete Baute (Mauerwerk) auf die gesetzliche Distanz von 2,5 m von der Grenzlinie zurückzuversetzen und das zwischen der Grenzlinie und dem Mauerwerk aufgeschüttete Material abzutragen und wegzuführen".
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Das Bezirksgericht Maloja wies die Klage ab; in der Urteilsbegründung wurde im wesentlichen ausgeführt, es handle sich bei der streitigen Baute in Wirklichkeit um eine Stützmauer, die gemäss Art. 119 Abs. 3 2. Satz des Bündner Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch nicht unter die Abstandsvorschriften dieses Gesetzes falle.
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Die Klägerin legte Berufung beim Kantonsgericht ein. Die Beklagte stellte in diesem Verfahren das weitere eventuelle Widerklagebegehren, es sei ihr gegen angemessene Entschädigung an die Klägerin ein Näherbaurecht einzuräumen. Mit Urteil vom 24./25. Oktober 1968 wies auch das Kantonsgericht von Graubünden die Klage ab (freilich nicht im Dispositiv, sondern nur in den Erwägungen), wodurch die ursprünglich gestellte Eventualwiderklage auf Schadenersatz gegenstandslos wurde. Dagegen hiess es die nachträglich gestellte Eventualwiderklage auf Einräumung eines Näherbaurechts gut und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin dafür eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zu bezahlen. Das Kantonsgericht ist der Auffassung, die Mauer der Wendeplatte falle unter die Regel des ersten Satzes des Art. 119 Abs. 3 des Bündner Einführungsgesetzes zum Zivilgesetzbuch, wonach für Mauern von Tiefbauten, welche den Erdboden überragen, die Abstandsvorschriften für Hochbauten gelten. Die Beklagte sei jedoch bei der Erstellung der Mauer gutgläubig gewesen, so dass die Klage nur gutgeheissen werden könnte, wenn die Klägerin gemäss Art. 685 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 674 Abs. 3 ZGB rechtzeitig Einspruch erhoben hätte. Diese Voraussetzung fehle, weil der Vertreter der Frima auch um die Weihnachtszeit trotz des Schnees hätte erkennen können, dass ein Teil der Mauer innerhalb des gesetzlichen Grenzabstandes erstellt worden sei. Trotzdem habe er sich erst Ende April 1966 an die Gemeinde St. Moritz gewandt und mit dem Befehlsverfahren bis am 7. Mai 1966 zugewartet. Es liege demzufolge kein rechtzeitiger Einspruch vor.
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D.- Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Berufung der Klägerin mit den Anträgen:
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2. Event. sei das angefochtene Urteil zu bestätigen".
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E.- Die Beklagte beantragt Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Erforderlich ist der gute Glaube des Bauenden. Darüber findet sich im angefochtenen Urteil nur die Bemerkung: "In casu gelang es dem Kläger nicht, den bösen Glauben der Beklagten zu beweisen", wobei offenbar von der Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 ZGB ausgegangen wird. Es fehlen im Urteil der Vorinstanz tatbeständliche Feststellungen, die einen gegenteiligen Schluss zulassen würden. Ausserdem ficht die Klägerin diesen Punkt nicht an, und sie tut auch nicht dar, dass und inwiefern die vom Kantonsgericht vertretene Auffassung gegen Bundesrecht verstosse (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Es ist somit davon auszugehen, dass die Beklagte gutgläubig gewesen war, bevor sie von der Klägerin auf den Verstoss aufmerksam gemacht wurde.
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Diese Überlegungen könnten zutreffen, wenn mit dem Kantonsgericht und mit der Klägerin davon auszugehen wäre, die Wendung in Art. 674 Abs. 3 ZGB ("trotzdem dies für ihn erkennbar geworden ist") bedeute, dass die Einspruchsfrist für den Verletzten erst dann zu laufen beginne, wenn er subjektiv in der Lage sei, die Verletzung seines Eigentums oder der nachbarrechtlichen Bestimmungen festzustellen. Wäre dem so, müsste man sich tatsächlich fragen, ob der Klägerin im vorliegenden Fall zu Recht entgegengehalten werden dürfte, ihr Einspruch sei verspätet gewesen. Der Einspruch bezweckt nämlich, den gutgläubig Bauenden möglichst bald auf die Rechtslage aufmerksam zu machen und ihn zu veranlassen, den Bau einzustellen, solange ihm noch kein oder nur ein geringer Schaden entstanden ist. Hätte somit die Einspruchsfrist ![]() | 18 |
Die Rechtzeitigkeit des Einspruchs hängt indessen nicht davon ab, ob der Verletzte persönlich Kenntnis vom unberechtigten Überbau hatte und auch in der Lage war, Einspruch zu erheben. Eine andere Auslegung dieser Vorschrift entspräche nicht ihrem Zweck, den gutgläubig Bauenden vor Schaden zu bewahren. Sie liesse sich höchstens mit dem Wortlaut des französischen Textes rechtfertigen ("après avoir eu connaissance de l'empiètement"), der aber bei sinngemässer Auslegung gegenüber dem Wortlaut der deutschen Fassung und namentlich der italienischen ("ma il vicino danneggiato non abbia fatto opposizione alla stessa a tempo debito, malgrado che fosse riconoscibile") zurückzutreten hat. ROSSEL-MENTHA, Manuel du droit civil suisse, 2. Aufl., Bd. II, S. 346/47, gehen vom französischen Text aus und sind der Auffassung, nach dem Wortlaut des Gesetzes beginne die Einspruchsfrist erst von der Kenntnis des Verletzten vom Überbau an zu laufen. Sie kritisieren jedoch diese - vermeintliche - Lösung des Gesetzgebers mit der Bemerkung, Hauptsache sei der gute Glaube des Bauenden, nicht die mehr oder weniger zweideutige Haltung des Verletzten; sie schlagen vor, in Härtefällen Art. 671 Abs. 3 (recte Absatz 2) ZGB analog anzuwenden. Dieser Weg muss jedoch bei richtiger Auslegung der fraglichen Bestimmung nicht beschritten werden. Die herrschende Lehre nimmt zutreffend an, für die Rechtzeitigkeit des Einspruchs sei das objektive Moment der äussern Erkennbarkeit entscheidend, ohne Rücksicht auf die subjektive Kenntnis des Nachbarn (WIELAND, N. 8 a; LEEMANN, N. 32, HAAB, N. 17 und MEIER-HAYOZ, N. 39 zu Art. 674 ZGB). Ein anderslautendes Urteil des Zürcher Obergerichts und des Zürcher Kassationshofes (ZR 55, Nr. 55, besonders S. 95 Ziff. 3 a) überzeugt nicht (vgl. aber Urteil des aargauischen Obergerichts vom 23. März 1934 in SJZ 32, S. 302). Auch der dieselbe Frage regelnde § 912 BGB verlangt, dass der Widerspruch vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung erhoben werde (vgl. WOLFF/RAISER, Sachenrecht, 10. Bearbeitung, § 55 I/4, S. 198).
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c) Da die beiden vom Gesetz verlangten Voraussetzungen, guter Glaube des Bauenden und verspäteter Einspruch des Verletzten, erfüllt sind, ist noch zu prüfen, ob die Umstände es rechtfertigen, der Beklagten das Näherbaurecht einzuräumen. Ausschlaggebend ist dabei, dass die Beklagte für die gesamte Weganlage - nach den Feststellungen der Vorinstanz - Fr. 50'000.-- bis 60'000.-- aufzuwenden hatte. Die Beseitigung der fraglichen Mauer hätte wohl zur Folge, dass der Weg grösstenteils neu angelegt werden müsste. Dazu kommt, dass die Nähe des Weges und die Höhe der Stützmauer die Besitzung der Klägerin nur geringfügig beeinträchtigen können. Infolge des steil abfallenden Hanges führt der Weg tief unter dem Wohnhaus durch. Da er zudem nur für den Fussgängerverkehr bestimmt ist, sind keine wesentlichen Immissionen zu erwarten. Den Erwägungen des Kantonsgerichts kann deshalb in diesem Punkte beigetreten werden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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