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9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. Benelli gegen Crédit Suisse vom 18. März 1969. | |
Regeste |
Art. 27 Abs. 2 ZGB. Diese Vorschrift besagt nicht, jede Verpflichtung sei unsittlich, welche die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährde (Präzisierung der Rechtsprechung). | |
Sachverhalt | |
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Die Beurkundung fand am 22. Februar 1961 statt. Ausser Notar Morand, Ruscio, den Eheleuten Benelli und Crausaz waren auch Paccolat und Gianadda anwesend. Der in französischer Sprache abgefasste "Acte de crédit" wurde von Benelli als Solidarbürge unterzeichnet, wobei der Höchstbetrag seiner Haftung mit Fr. 84'000.-- angegeben wurde und Frau Benelli zustimmte. Crausaz unterzeichnete für den gleichen Betrag als "certificateur de caution", d.h. als Nachbürge.
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Die Aktiven der Banque Populaire de Martigny SA gingen in der Folge auf die Schweizerische Kreditanstalt über. Da Ruscio am 3. August 1966 eine Nachlassstundung gewährt wurde, die am 14. Dezember 1966 mit der Verwerfung des Nachlassvertrages endete, belangte die Kreditanstalt Benelli für einen ungedeckten Saldo der verbürgten Kreditschuld von Fr. 60'000.-- nebst Zins zu 5% seit 1. Juli 1966.
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B.- Das Kantonsgericht Wallis, vor dem Benelli seine Bürgschaftserklärung wegen absichtlicher Täuschung, Irrtums und Verstosses gegen Art. 27 ZBG als unverbindlich erachtete, hiess die Klage der Schweizerischen Kreditanstalt am 20./21. November 1968 gut.
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Der Beklagte leitet aus Art. 27 Abs. 2 ZGB ab, die zu seiner finanziellen Leistungsfähigkeit in einem Missverhältnis stehende Bürgschaft sei nichtig. Er beruft sich auf BGE 88 II 174. In diesem Entscheide wurde unter Verweisung aufBGE 40 II 240,BGE 51 II 167f., BGE 84 II 23, 277 und 635 gesagt, die finanziellen Verpflichtungen (engagements de nature pécuniaire) widersprächen den guten Sitten nur, wenn sie die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährdeten. Dieser Satz gibt den Sinn der Rechtsprechung nicht richtig wieder, weil er der unzutreffenden Auffassung Vorschub leistet, jede finanzielle Verpflichtung, die den Schuldner der Gefahr der Verarmung aussetzt, sei unsittlich und daher nichtig. Das Bundesgericht hat das noch nie entschieden. Alle in den erwähnten Entscheiden beurteilten Fälle betrafen Verpflichtungen zum Bezuge von Sachwerten (Bier, Mehl, Möbel), und zu prüfen war die Frage, ob der Schuldner durch die Eingehung dieser Verpflichtungen seine Entschlussfreiheit, nämlich die Freiheit, die betreffenden Güter nach Gutdünken bei irgendwem und in einem beliebigen Zeitpunkt einzukaufen oder vom Kaufe überhaupt abzusehen, in unsittlicher Weise zum voraus beschränkt oder aufgegeben habe. BGE 84 II 23 sprach von der vertraglichen Aufgabe der "wirtschaftlichen Freiheit". Der Verstoss gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB wurde in allen Fällen verneint, weil der Schuldner durch die Bezugsverpflichtung seine wirtschaftliche Existenz nicht gefährdet habe. BGE 88 II 174 sodann betrifft einen Aktionärbindungsvertrag. Auch dort bestand also kein Anlas, statt von der vertraglichen Aufgabe oder Beschränkung der Entschlussfreiheit in wirtschaftlichen Belangen von "engagements de nature pécuniaire" zu sprechen. Das Bundesgericht wollte nur entscheiden, dass jedenfalls dann die Aufgabe oder Beschränkung der Entschlussfreiheit nicht gegen Art. 27 Abs. 2 ZGB verstosse, wenn sie die wirtschaftliche Existenz des Vertragschliessenden nicht gefährde. Daraus e contrario zu schliessen, die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners mache jede Verpflichtung, möge sie auch nur auf Zahlung von Geld gehen, unsittlich und nichtig, ist ein Schritt, den es nicht getan hat und der nicht getan werden darf. Art. 27 Abs. 2 ZGB will nur die persönliche Freiheit vor zu weit gehenden, den guten Sitten widersprechenden vertraglichen Eingriffen schützen, ![]() | 5 |
Art. 27 Abs. 2 ZGB will auch nicht jede aus Unerfahrenheit oder Leichtsinn eingegangene Verpflichtung nichtig erklären. Unter welchen Voraussetzungen ein aus Unerfahrenheit oder Leichtsinn eingegangener Vertrag nicht gehalten zu werden braucht, bestimmt Art. 21 OR. Diese Norm verlangt ein offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung und eine Ausbeutung der Unerfahrenheit oder des Leichtsinns durch die Gegenpartei des Übervorteilten. Im vorliegenden Falle sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Beklagte behauptet das auch nicht.
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Auch verstösst die Bürgschaft des Beklagten nicht im Sinne des Art. 20 OR gegen die guten Sitten. Ob ein Vertrag den guten Sitten widerspricht, beurteilt sich grundsätzlich nach seinem Inhalt (BGE 84 II 27, 277, 634), nicht nach den Mitteln, die dem Schuldner zur Verfügung stehen, um ihn zu erfüllen. Eine Solidarbürgschaft im Höchstbetrage von Fr. 84'000.-- zur Sicherung einer Kreditschuld von Fr. 70'000.-- ist ihrem Inhalte nach nicht unsittlich.
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Zudem kann im vorliegenden Falle selbst unter Berücksichtigung der beschränkten Leistungsfähigkeit des Beklagten von einem Verstoss gegen die guten Sitten nicht die Rede sein. Welcher Gefahr der Bürge sein Einkommen und sein Vermögen aussetzt, lässt sich nicht ausschliesslich anhand seiner eigenen Mittel beurteilen. Die Möglichkeit, dass der Hauptschuldner die Schuld aus eigenen Kräften tilgen könne, ist mitzuberücksichtigen. Desgleichen sind die Pfänder in die Waagschale zu werfen, besonders wenn sie von Dritten bestellt wurden. Im vorliegenden Falle darf deshalb nicht darüber hinweggesehen werden, dass die Lage des Hauptschuldners im Jahre 1961 nicht schlecht war. Der Beklagte hat sich z.B. nicht verbürgt, um einem Überschuldeten aus hoffnungsloser Lage herauszuhelfen, sondern um einem Zahlungsfähigen die Übernahme ![]() | 8 |
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