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Informationen zum Dokument  BGE 95 II 65  Materielle Begründung
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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
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11. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Mai 1969 i.S. V. gegen V.
 
 
Regeste
 
Ehescheidung.  
2. Die Regelung der Nebenfolgen darf (allenfalls mit Ausnahme der güterrechtlichen Auseinandersetzung) nicht in ein besonderes Verfahren verwiesen werden.  
 
Sachverhalt
 
BGE 95 II, 65 (65)Gekürzter Tatbestand:
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A.- Am 3. Mai 1967 reichte V. beim Amtsgericht Willisau Scheidungsklage ein. Er warf seiner Ehefrau u.a. vor, sie sei hartherzig, streitsüchtig und geldgierig. Die Beklagte bestritt die ihr gemachten Vorwürfe und lud die Schuld an den ehelichen Zwistigkeiten auf den Kläger, der sie ständig beschimpft und zuletzt aus dem Hause gewiesen habe.
2
Das Amtsgericht Willisau sprach am 19. Juni 1968 die Scheidung der Ehe wegen tiefer Zerrüttung aus und verwies BGE 95 II, 65 (66)die Beklagte für ihre güterrechtlichen Ansprüche in ein gesondertes Verfahren. Das Amtsgericht kam zum Schluss, die Ehe der Parteien sei aus beidseitigem Verschulden tief zerrüttet, wobei nicht gesagt werden könne, den Kläger treffe das vorwiegende Verschulden.
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B.- Beide Parteien zogen diesen Entscheid an das Obergericht des Kantons Luzern weiter; der Kläger mit dem Antrag, auf die vermögensrechtlichen Begehren der Beklagten sei nicht einzutreten. Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage, allenfalls Vornahme der güterrechtlichen Auseinandersetzung und Verurteilung des Klägers zu einer monatlichen Entschädigungs- eventuell Bedürftigkeitsrente.
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Das Obergericht bestätigte am 14. November 1968 das Urteil der Vorinstanz im Scheidungspunkt. Auf die finanziellen Begehren der Beklagten trat es nicht ein, dies mit der Begründung, die Beklagte habe in ihrer Rechtsantwort vom 20. Juni 1967 nur die Abweisung der Klage beantragt, aber für den Fall ihrer Gutheissung keine Begehren gestellt. Erst am 28. Mai 1968 habe sie entsprechende Anträge nachgeholt. Hinsichtlich der finanziellen Ansprüche gälten indessen die Eventual- und die Verhandlungsmaxime. Deshalb hätten die Eventualanträge von Anfang an mit der Rechtsantwort gestellt werden müssen. Ob es zulässig wäre, sie in einem späteren Verfahren geltend zu machen, sei hier nicht zu entscheiden.
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C.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht erklärt. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Klage abzuweisen. Für den Fall der Scheidung sei der Kläger zu verpflichten, der Beklagten die folgenden Beträge zu bezahlen: einen Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 400.--, Fr. 9'000.-- als Ersatz des Frauengutes und Fr. 80'000.-- als Vorschlagsanteil. Eventuell sei die Sache in diesem Punkte zur Beweisergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut.
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Aus den Erwägungen:
 
Die Vorinstanz ist auf die Begehren der Beklagten hinsichtlich der Nebenfolgen einer allfälligen Scheidung nicht eingetreten mit der Begründung, sie seien nach den Regeln des Luzerner Zivilprozesses zu spät gestellt worden. Mit Recht macht die Beklagte geltend, darin liege eine Bundesrechtsverletzung.
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BGE 95 II, 65 (67)a) InBGE 77 II 19ff. ist mit eingehender Begründung dargelegt worden, warum die Regelung der Nebenfolgen der Scheidung (allenfalls mit Ausnahme der güterrechtlichen Auseinandersetzung) nicht in ein besonderes Verfahren gewiesen werden darf. An dieser Rechtsprechung hat das Bundesgericht in der Folge festgehalten (BGE 80 II 8 ff., BGE 84 II 145 ff.); es besteht heute kein Anlass, davon abzugehen. Mit der Auflösung der Ehe durch richterliches Urteil müssen notwendig auch die damit verbundenen persönlichen und vermögensrechtlichen Beziehungen entsprechend dem neuen Status geregelt werden. Die Ehescheidungsklage wird demzufolge mit Recht als doppelseitige Klage bezeichnet (vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 126/27), womit gesagt sein will, dass im Falle der Gutheissung der Klage auch dem Beklagten, sofern er nicht verzichtet, gewisse Rechte zugesprochen werden müssen, ohne dass er gezwungen wäre, sie durch eine Widerklage zu erstreiten.
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b) Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat aus der Natur der Ehescheidungsklage weiter gefolgert, im Ehescheidungsverfahren sei einem Beklagten, der sich damit begnügte, die Abweisung der Klage zu beantragen, vor Aussprechen der Scheidung von Bundesrechts wegen Gelegenheit zu bieten, Anträge hinsichtlich der Nebenfolgen zu stellen (nicht veröffentlichte Entscheide des Bundesgerichts vom 19. Oktober 1962 i.S. Fauguel c. Sandoz, und vom 26. Mai 1967 i.S. Fischer c. Fischer). Im Falle Fauguel c. Sandoz hatte die Beklagte in der kantonalen Instanz nur die Abweisung der Scheidungsklage beantragt und überhaupt keine Begehren hinsichtlich der Nebenfolgen gestellt. Ihre Berufung wurde gutgeheissen und die Vorinstanz angewiesen, ihr vor der neuen Beurteilung Gelegenheit zu geben, Anträge für die Regelung der Nebenfolgen zu stellen.
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Im heute zu beurteilenden Falle steht fest, dass die Beklagte schon vor der ersten Instanz Eventualanträge hinsichtlich des Zuspruches von Unterhaltsbeiträgen und der güterrechtlichen Auseinandersetzung gestellt und sie auch vor der obern kantonalen Instanz aufrecht erhalten hatte. Die beiden kantonalen Gerichte waren von Bundesrechts wegen gehalten, auf diese Anträge einzutreten und sie im Urteil materiell zu entscheiden. Entgegenstehende kantonale Prozessvorschriften sind unbeachtlich, da die Kantone keine prozessrechtlichen Bestimmungen BGE 95 II, 65 (68)aufstellen dürfen, welche die Verwirklichung des Bundeszivilrechts zum vornherein verunmöglichen (BGE 94 II 144 E. 2).
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c) Nach der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es unter gewissen Voraussetzungen zulässig, die güterrechtliche Auseinandersetzung ausnahmsweise in ein besonderes Verfahren zu verweisen, namentlich dann, wenn ihr Ergebnis die Beurteilung der Ansprüche auf Entschädigung oder Unterhalt nicht beeinflussen kann. Hier steht nun nicht fest, wie die Vorinstanz den Entschädigungs- oder Unterhaltsanspruch (Art. 151/152 ZGB) der Beklagten beurteilen wird. Es wäre denkbar, dass sie die beantragten zusätzlichen Beweise (Zeugen, psychiatrische Expertise usw.) nachträglich abnähme, freilich nicht zum Beweisthema des vorwiegenden Verschuldens des Klägers im Sinne des Art. 142 Abs. 2 ZGB, sondern unter dem Gesichtspunkt der Art. 151 Abs. 1 und 152 ZGB. Es bleibt nämlich offen, ob nicht die Beklagte einerseits infolge ihrer seelischen Artung und andrerseits wegen des Verhaltens des Klägers während der langen Dauer der Ehe in ihre heutige abwegige Haltung getrieben wurde. Träfe das zu, so wäre das Verschulden wohl nicht derart erheblich, dass der 65 jährigen Beklagten nach rund 40jähriger Ehe eine Bedürftigkeitsrente verweigert werden könnte. Deren Höhe wäre auch vom Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung abhängig. Sollten der Beklagten, die nur eine bescheidene AHV-Rente bezieht, dagegen keine Unterhaltsansprüche zustehen, so wäre sie weitgehend auf die Ergebnisse der güterrechtlichen Auseinandersetzung angewiesen, welche schon aus diesem Grunde nicht in ein besonderes Verfahren verwiesen werden dürfte. Die Vorinstanz hat deshalb alle Nebenfolgen, auch die güterrechtliche Auseinandersetzung, im Scheidungsurteil zu regeln.
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