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86. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Dezember 1969 i.S. Küng gegen Küng. | |
Regeste |
Einrede der abgeurteilten Sache. | |
Sachverhalt | |
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Eine von Küng im November 1961 angehobene Scheidungsklage wurde durch Urteil des erstinstanzlichen Gerichts vom 17. Januar 1963 abgewiesen. Dieses Urteil wurde rechtskräftig. Im Dezember 1965 klagte Küng neuerdings auf Scheidung. Die Beklagte erhob die Einrede der abgeurteilten Sache. Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage am 3. November 1966 ab. Das obere kantonale Gericht hiess sie dagegen mit Urteil vom 10. Februar 1969 gut. Auf Berufung der Beklagten hin weist das Bundesgericht die Klage ab, weil der Kläger im neuen Prozess keine neuen erheblichen Tatsachen (vgl.BGE 78 II 403ff. E. 2, BGE 85 II 59 ff. E. 2) vorgebracht und nachgewiesen habe, so dass der neue Prozess den gleichen Scheidungsanspruch betreffe wie der frühere und die Einrede der abgeurteilten Sache begründet sei.
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Aus den Erwägungen: | |
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An dieser Auffassung haben mehrere Autoren Kritik geübt (vgl. namentlich KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweiz. Recht, 1954, S. 62 ff. und 98 Anm. 2; BÜHLER, Das Ehescheidungsverfahren, ZSR 1955 II S. 427 a ff.; ![]() | 4 |
Das Bundesgericht hat in den letzten Jahren wiederholt auf die Kritik an seiner Rechtsprechung hingewiesen, brauchte aber dazu bisher nicht Stellung zu nehmen, weil in den betreffenden Fällen entweder neue Tatsachen vorlagen, so dass sich der im zweiten Prozess eingeklagte Anspruch von dem im ersten Prozess beurteilten unterschied (vgl. die nicht veröffentlichte Erwägung 2 des in BGE 94 II 145 ff. auszugsweise wiedergegebenen Urteils der II. Zivilabteilung vom 22. Februar 1968 i.S. Schoch gegen Stiftung Schüler-Ferienversorgung Herzogenbuchsee; ![]() | 5 |
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InBGE 75 II 290/91, wo zunächst die frühere Praxis zusammengefasst wurde, brachte das Bundesgericht einen neuen Gedanken zur Geltung, indem es ausführte, vom Standpunkt des Bundesrechts aus müsse verhindert werden, "dass eine Partei der Möglichkeit beraubt werde, einen bundesrechtlichen Anspruch geltend zu machen, wenn dieser - nach dem hiefür massgebenden Bundesrecht - mit einem bereits rechtskräftig beurteilten Anspruch nicht identisch ist...". Damit wurde festgestellt, dass das Bundesrecht nicht bloss die Vorfrage der Identität beherrscht, sondern überdies verlangt, dass ein noch nicht beurteilter bundesrechtlicher Anspruch nötigenfalls auf dem Prozessweg geltend gemacht werden kann. Aus dem Bundesrecht den weitern Schluss zu ziehen, eine Partei müsse sich nicht gefallen lassen, dass ein bundesrechtlicher Anspruch, der bereits Gegenstand eines formell rechtskräftigen kantonalen Entscheides ist, in einem Verfahren zwischen den gleichen Parteien neu beurteilt wird, wurde dagegen vom Bundesgericht bisher abgelehnt (BGE 75 II 291und die in E. 3 Abs. 1 hievor erwähnten spätern Entscheide), wenn man von einem vereinzelt gebliebenen, in diesem Punkt nicht näher begründeten Entscheide aus dem Jahre 1908 absieht (BGE 34 II 626E. 2 Abs. 1; vgl. dazuBGE 75 II 291).
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Ob die materielle Rechtskraft eines Urteils, das eine Scheidungsklage abgewiesen hat, in einem spätern Scheidungsprozess zwischen den gleichen Parteien kraft Bundesrechts nicht bloss auf Einrede hin, sondern von Amtes wegen zu beachten sei (in diesem Sinne KUMMER a.a.O. S. 65, BÜHLER a.a.O. S. 428 a ff., HINDERLING a.a.O. S. 227 Anm. 1; anderer Meinung LEUCH, ZSR 1955 II S. 672 a, und GULDENER, ZSR 1961 II S. 26 Anm. 60; Frage offen gelassen von BALMER, a.a.O.
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b) Die bisherige Rechtsprechung konnte um so weniger befriedigen, als sie denjenigen, der die Einrede der abgeurteilten Sache auf ein früheres Urteil aus dem gleichen Kanton stützte, schlechter stellte als denjenigen, der sich auf ein früheres Urteil aus einem andern Kanton berufen konnte. Art. 61 BV bestimmt nämlich, dass die rechtskräftigen Zivilurteile, die in einem Kanton gefällt sind, in der ganzen Schweiz sollen vollzogen werden können. Der Vollstreckung der Urteile ist im Sinne dieser Bestimmung, die sich nur auf interkantonale Verhältnisse bezieht (BGE 31 I 32E. 4; AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse, 1967, N. 861 S. 324), die Anerkennung der Urteile gleichzustellen (BGE 87 I 66 /67; AUBERT a.a.O. N. 868 S. 326). Die Vollstreckung und die Anerkennung eines ausserkantonalen Urteils dürfen nicht von einer neuen Sachprüfung abhängig gemacht werden (BGE 74 I 134E. 3,BGE 75 I 144/45; AUBERT N. 869 S. 327). Sie dürfen vielmehr nur bei Verletzung gewisser fundamentaler Zuständigkeits- und Verfahrensregeln verweigert werden (BGE 87 I 71 E. 5). Eine Zivilsache, in der bereits ein rechtskräftiges kantonales Urteil vorliegt, darf also nach Art. 61 BV in einem andern Kanton grundsätzlich nicht nochmals beurteilt werden (BGE 78 II 401mit Hinweisen), was bedeutet, dass Art. 61 BV den formell rechtskräftigen Zivilurteilen aus andern Kantonen die materielle Rechtskraft gewährleistet (BGE 78 II 402; vgl. auch BGE 87 I 66 /67, BGE 88 I 163). Dass ein kantonaler Entscheid diese Bestimmung verletze, kann zwar nicht mit der Berufung an das Bundesgericht, wohl aber mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend gemacht werden (BGE 78 II 402mit Hinweisen, BGE 88 I 164). Einen entsprechenden Schutz genoss derjenige, der sich auf ein früheres Urteil aus dem gleichen Kanton stützte, nach der bisherigen Rechtsprechung nicht. Er konnte höchstens mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV geltend machen, das kantonale Gericht habe kantonales Prozessrecht (oder gegebenenfalls Vorschriften des SchKG) willkürlich angewendet (vgl. AUBERT a.a.O. N. 861 S. 324/25).
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Auf die Rechtsbehelfe, die nach der bisherigen Rechtsprechung zur Verfügung standen, bleibt angewiesen, wer in einem Prozess über einen vom kantonalen oder ausländischen Privatrecht beherrschten Anspruch geltend machen will, die letzte kantonale Instanz habe die auf ein kantonales Urteil gestützte Einrede der abgeurteilten Sache zu Unrecht verworfen; denn mit der Berufung an das Bundesgericht kann nicht geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze das massgebende kantonale oder ausländische Recht, aus dem sich die materielle Rechtskraft des zur Begründung der Einrede angerufenen frühern Urteils ableiten liesse. Für solche Fälle lässt sich der Rechtsschutz nicht durch eine Änderung der Rechtsprechung, sondern nur durch eine Gesetzesänderung verbessern (vgl. BALMER a.a.O. S. 436/37; Art. 71 des Entwurfs eines Bundesgesetzes betreffend die Anpassung der kantonalen Zivilprozessverfahren an das Bundeszivilrecht, S. 243 ff. der in E. 3 hievor zitierten Schrift "Zur Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts").
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