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8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. Februar 1970 i.S. Huwiler gegen Varisco. | |
Regeste |
Art. 60 Abs. 1 und 2 OR. |
Die nach Art. 60 Abs. 2 OR auf den Zivilanspruch anwendbare längere Verjährungsfrist des Strafrechts beginnt mit der Begehung der Straftat (Präzisierung der Rechtsprechung; Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
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Am 29. November 1956 verurteilte das Bezirksgericht Baden auf Strafanzeige Huwilers hin Vater Varisco wegen einfacher Körperverletzung sowie wegen Hausfriedensbruches zu einer Busse von Fr. 80.- und verwies die Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche Huwilers auf den Zivilweg.
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Am 25. Juni 1957 belangte Huwiler die SUVA beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau auf Leistungen gemäss KUVG. Das Gericht sprach Huwiler am 11. Mai 1959 die ärztlichen Behandlungskosten vom 6. Juni bis 15. August 1955 von Fr. 108.55 und ein Krankengeld für 12 Tage von Fr. 230.40 zu und wies die Klage im übrigen ab.
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Das Eidg. Versicherungsgericht bestätigte am 10. September 1959 auf Berufung Huwilers den Entscheid des kantonalen Versicherungsgerichtes.
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B.- Am 1. Juni 1965 reichte Huwiler beim Bezirksgericht Baden gegen die Söhne Franz und Paul Varisco sowie deren Mutter Klage ein. Er beantragte, die Beklagten "wegen schwerer Körperverletzung und Anstiftung dazu" zu bestrafen und zu Schadenersatz von Fr. 205 425.89 sowie zur Leistung einer Genugtuung von Fr. 30 000.-- zu verurteilen. Der Klage lag ein Weisungsschein bei, der Huwiler als Kläger, Vater Varisco und dessen Sohn Franz als Beklagte bezeichnete und eine Forderung von Fr. 235 425.89 erwähnte. Da lediglich der Sohn Franz Varisco sowohl im Weisungsschein als auch in der Klageschrift aufgeführt war, wurde das Verfahren nur gegen diesen, und zwar als Zivilverfahren durchgeführt.
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Das Bezirksgericht Baden und auf Berufung des Klägers hin am 21. März 1969 das Obergericht des Kantons Aargau schützten die Verjährungseinrede des Beklagten und wiesen die Klage ab.
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C.- Der Kläger hat gegen das Urteil des Obergerichtes die Berufung erklärt. Er hält an den zivil- und strafrechtlichen Anträgen, die er im erstinstanzlichen Verfahren gestellt hat, fest. Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.
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a) Nach der Rechtsprechung hat der Geschädigte Kenntnis vom Schaden, wenn er die Beschaffenheit und die wesentlichen Merkmale, d.h. alle tatsächlichen Umstände kennt, die geeignet sind, eine Klage zu veranlassen und zu begründen. Ergibt sich das Ausmass des Schadens aus einem Sachverhalt, der sich noch weiter entwickelt, so beginnt die Verjährung nicht vor Abschluss dieser Entwicklung zu laufen. Auch bedarf der Geschädigte unter Umständen noch einer gewissen Zeit, um entweder selber oder mit Hilfe eines Dritten den Verlauf der unerlaubten Handlung und das endgültige Ausmass des Schadens abschätzen zu können (BGE 92 II 4 Erw. 3 und dort erwähnte Entscheide).
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b) Es steht fest, dass der Kläger am 25. Juni 1957 beim Versicherungsgericht des Kantons Aargau gegen die SUVA unter anderem auf Leistung einer Dauerrente von 25% des Jahresverdienstes wegen unfallbedingter Teilinvalidität klagte; er behielt sich eine grössere Entschädigung für den Fall vor, dass die vom Gericht zu veranlassende Begutachtung eine grössere Teilinvalidität ergeben sollte. Der Kläger berief sich für die Invaliditätsentschädigung auf die Zeugnisse von zwei Ärzten und eines Chiropraktors, die eine Verschiebung der unteren Lendenwirbelsäule festgestellt hatten, sowie auf die ärztlich bestätigte Notwendigkeit, ein Stützmieder zu tragen. Professor Dubois, Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Inselspitals Bern, der am 13. Januar 1959 zuhanden des aargauischen Versicherungsgerichtes ein Gutachten erstellt hatte, bezeichnete die an den Hals- und Brustwirbeln des Klägers festgestellten krankhaften Veränderungen und die damit verbundenen Beschwerden als ![]() ![]() | 11 |
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a) Art. 60 Abs. 2 OR setzt keine strafrechtliche Verurteilung, sondern eine strafbare Handlung voraus. Der Zivilrichter ist indessen an den Entscheid der Strafverfolgungsbehörde, die den Strafanspruch des Staates rechtskräftig beurteilt hat, gebunden. Fehlt ein solcher Entscheid, so prüft der Zivilrichter frei, ob eine strafbare Handlung vorliege. Ob eine Tat nur auf Antrag bestraft werden darf, ist indessen unerheblich, da der Strafantrag Prozessvoraussetzung, nicht Strafbarkeitsbedingung ist (BGE 93 II 500 Erw. 1 und dort erwähnte Entscheide).
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Wie die Vorinstanz ausführt, wurde das Strafverfahren nur gegen den Vater des Beklagten durchgeführt. Sie stellt ferner auf Grund der Strafakten fest, dass der Beklagte an der tätlichen Auseinandersetzung vom 6. Juni 1955 beteiligt gewesen ist und den Kläger beim zweiten Mal zu Boden geworfen hat. Professor Dubois bezeichnete den Vorfall als "banal" und stellte fest, dass zur Zeit der Begutachtung, d.h. dreieinhalb Jahre später, keine unfallbedingten Schäden nachweisbar waren. Wenn eine strafbare Handlung des Beklagten anzunehmen ist, so kommt eine einfache Körperverletzung im Sinne des Art. 123 Ziff. 1 StGB in Betracht, die auf Antrag mit Gefängnis bestraft werden kann. Die ordentliche Strafverfolgungsverjährung beträgt fünf Jahre (Art. 70 StGB), die absolute siebeneinhalb Jahre (Art. 72 StGB).
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b) Es fragt sich, ob die "längere Verjährungsfrist" des Strafrechts im Zeitpunkt der Tat oder erst mit der Kenntnis des Schadens zu laufen beginnt.
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Im Entscheid 77 II 314 f. vertrat das Bundesgericht die Auffassung, ![]() | 16 |
Im Entscheid 91 II 429 f. rückte das Bundesgericht von dieser Auffassung ab. Es gelangte gestützt auf die Entstehungsgeschichte und den Zweck des Art. 60 OR zur Überzeugung, Abs. 2 besage nur, dass für die Verjährung des Zivilanspruchs anstelle der in Abs. 1 genannten Fristen die für das betreffende Delikt im Strafrecht vorgesehene Verfolgungsverjährung gelte und im übrigen die zivilrechtlichen Vorschriften (Art. 127 ff. OR), insbesondere jene über die Unterbrechung der Verjährung (Art. 135 f. OR), anwendbar seien (S. 436/37 Erw. 7a und 9). Allerdings wies es in einer beiläufigen Erwägung (S. 436 Erw. 7a) darauf hin, dass der Beginn der Frist ein wesentliches Merkmal sei, um den Zeitpunkt der Verjährung zu bestimmen; denn nur so lasse sich die Frist im Zeitablauf konkret begrenzen. Es sei daher verständlich, dass man den Ausgangspunkt der Frist nach den gleichen Regeln wie ihre Dauer, d.h. nach dem Strafrecht bestimme, ohne deswegen weitergehende Schlussfolgerungen ziehen zu müssen.
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Art. 60 Abs. 2 OR bezweckt, dass der Geschädigte seinen Anspruch solange geltend machen kann, als die strafrechtliche Verjährung nicht eingetreten ist. Nach dem Untergang des Strafanspruchs, wie z.B. durch vollstreckbares Urteil, Freispruch, Unzurechnungsfähigkeit, Tod, fakultative Straffreiheit und Amnestie vor Aburteilung des Angeklagten, läuft die strafrechtliche Verjährungsfrist nicht mehr. Der Geschädigte muss daher, sollen Härtefälle vermieden werden, die Möglichkeit haben, seine Rechte gegen den Schädiger noch zu wahren (vgl. BGE 91 II 432 f. Erw. 5). Die Ausführung der strafbaren Tätigkeit fällt daher als fristauslösendes Ereignis für die Verjährung des Zivilanspruchs dann in Betracht, wenn das Ziel des Gesetzgebers erreicht werden kann. Dabei ist zu beachten, dass der gesetzliche Strafanspruch in der Regel vor Ablauf der Fristen der Art. 70 und 72 StGB und nur ganz ausnahmsweise und zufällig erst mit deren Ende untergeht. Da der Geschädigte die nach Art. 60 Abs. 2 OR massgebende Frist durch Mittel des Zivilrechts unterbrechen kann (BGE 91 II 437 Erw. 9), wird er ![]() | 18 |
Die ordentliche Strafverfolgungsfrist lief im vorliegenden Fall am 6. Juni 1960 ab. Sie wurde nicht unterbrochen. Zudem war sie abgelaufen, bevor der Beklagte Kenntnis vom Schaden erlangte. Die eingeklagten Forderungen sind daher auch nach Art. 60 Abs. 2 OR verjährt.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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