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33. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Februar 1970. i.S. La Nationale gegen Kuonen. | |
Regeste |
Anzeigepflicht beim Abschluss eines Versicherungsvertrags (Art. 4 VVG). Rücktritt des Versicherers wegen Verletzung dieser Pflicht (Art. 6 VVG). Ausschluss des Rücktrittsrechts wegen Kenntnis der verschwiegenen Tatsache oder wegen Veranlassung der unrichtigen Angabe durch den Versicherer (Art. 8 Ziff. 2-4 VVG). |
2. Kriterien, nach denen sich beurteilt, ob der Antragsteller seine Anzeigepflicht erfüllt oder verletzt habe (Erw. 4, 5, 7). |
3. Der Versicherer muss sich das Wissen eines Abschlussagenten, nicht aber das Wissen eines blossen Vermittlungsagenten über Gefahrstatsachen anrechnen lassen (Erw. 6). Pflicht des Vermittlungsagenten, den Antragsteller bei der Ausfüllung des Fragebogens des Versicherers über Punkte, die dem Antragsteller unklar sind, zu belehren; Verantwortlichkeit des Versicherers für diese Belehrungen (Erw. 6, 8). | |
Sachverhalt | |
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A.- Der im Oberwallis wohnhafte Fabrikarbeiter Emil Kuonen schloss bei der Lebensversicherungsgesellschaft La Nationale im November 1965 eine gemischte Lebensversicherung (versichertes Kapital Fr. 10 000.--) mit Zusatzversicherungen für die Fälle der Arbeitsunfähigkeit und des Spitalaufenthaltes ab. Grundlage dieses - ohne ärztliche Untersuchung ![]() | 2 |
"3. Haben Sie jemals an den nachfolgenden Krankheiten oder körperlichen Schädigungen gelitten? Dauer? Datum?
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Lungen. Bronchitis - Lungenentzündung - Brustfellent zündung - Lungentuberkulose? nein
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...
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4. Leiden Sie oder haben Sie gelitten an einem oben nicht angeführten Leiden oder Gebrechen? Kropf - Pottsche Krankheit - Coxalgie - Nieren-, Darm- oder andere Tuberkulose? : nein
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...
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10. Wie ist gegenwärtig Ihr Gesundheitszustand? Hat er sich in letzter Zeit verschlechtert? Wie ist Ihre Lebensweise? Ihre Nahrung? Stehen Sie momentan in ärztlicher Behandlung?
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Wofür?
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11. Haben sie sich in letzter Zeit einer ärztlichen Untersuchung unterzogen? Wann? Warum? Resultat?: nein
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12. Wer ist Ihr Hausarzt? Dr. B..."
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B.- Im März 1967 musste sich der Versicherungsnehmer wegen hohen Blutdrucks für elf Tage zu einer Untersuchung ins Spital begeben. Als er hierauf das für solche Fälle vereinbarte Taggeld verlangte, holte die Versicherungsgesellschaft ärztliche Berichte ein. Dr. B. erklärte in seinem Bericht vom 30. Mai 1967 u.a., er habe den Versicherungsnehmer in den Jahren 1955, 1950 (gemeint wohl: 1960), 1961, 1962, 1963 und 1964 wegen Bronchitis und 1965 wegen Angina/Bronchitis behandelt. Als Dauer der Behandlung der von ihm genannten Krankheiten gab er an: "2-3-4 Wochen". Darauf trat die Versicherungsgesellschaft mit Schreiben vom 20. Juni 1967 wegen unrichtiger Beantwortung der Fragen über den Gesundheitszustand gestützt auf Art. 6 VVG vom Vertrage zurück.
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C.- Am 3. Mai 1968 leitete der Versicherungsnehmer gegen die Versicherungsgesellschaft Klage ein mit den Begehren, es sei festzustellen, dass die Beklagte zu Unrecht vom Versicherungsvertrage zurückgetreten und dass demzufolge dieser Vertrag ![]() | 13 |
Mit Urteil vom 3. Oktober 1969 hiess das Kantonsgericht Wallis die Klage gut.
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D.- Gegen dieses Urteil hat die Beklagte rechtzeitig die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag auf Abweisung der Klage.
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Das Bundesgericht bestätigt das angefochtene Urteil.
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Erwägungen: | |
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Die im Fragebogen der Beklagten enthaltene Frage, ob und allenfalls wann und wie lange die zu versichernde Person an Bronchitis gelitten habe, betrifft eine Gefahrstatsache, die zweifellos geeignet ist, den Versicherer beim Entscheid darüber zu beeinflussen, ob und zu welchen Bedingungen er mit der betreffenden Person einen Lebensversicherungsvertrag abschliessen (und ihr zudem für den Fall der Krankheit und Arbeitsunfähigkeit Zusatzleistungen versprechen) wolle. Die erwähnte Frage hat also eine im Sinne von Art. 4 und 6 VVG erhebliche Gefahrstatsache zum Gegenstand (vgl. BGE 92 II 352 E. 4 und ROELLI/KELLER, Kommentar zum VVG, I. Band 1968, S. 98).
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Die Antwort "nein", die auf dem Fragebogen zu dieser Frage gesetzt wurde, war objektiv unrichtig, da sich der Kläger nach dem Berichte von Dr. B. vom 30. Mai 1967, auf den die Vorinstanz abstellt, in jedem der Jahre 1961-1965 (und auch schon 1955 und 1950 oder 1960) während einiger Wochen wegen Bronchitis hatte behandeln lassen müssen. Der Kläger hat das im Prozess zugegeben und beigefügt, er habe wegen dieser Krankheiten gewöhnlich für vierzehn Tage oder drei Wochen die Arbeit aussetzen müssen.
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Der Kläger kann die Verantwortung für diese unrichtige Antwort nicht schon deshalb ablehnen, weil der Fragebogen auf Grund der Antworten, die er auf mündliche Fragen des Agenten Roman Kuonen erteilte, von diesem ausgefüllt wurde und weil der Agent nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die weder unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustandegekommen sind noch offensichtlich auf Versehen beruhen und daher gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich sind, den Kläger nicht genau nach dem Fragebogen befragte und namentlich nicht ausdrücklich von Bronchitis sprach. Indem der Kläger den Versicherungsantrag, der die vom Agenten eingetragenen Antworten enthielt, unterzeichnete, übernahm er grundsätzlich die Verantwortung für diese Antworten (BGE 68 II 333; ROELLI/KELLER S. 157) ![]() | 23 |
Drei Wochen nach Erhalt des Berichtes von Dr. B. vom 30. Mai 1967, aus dem sich die Unrichtigkeit der erwähnten Antwort ergab, ist die Beklagte vom Vertrage zurückgetreten. Sie ist daher nach Art. 6 VVG (unter Vorbehalt von Art. 8 VVG) an diesen nicht gebunden, wenn der Kläger die Tatsache, dass er an Bronchitis gelitten hatte, beim Vertragsabschluss im Sinne von Art. 4 und 6 VVG kannte oder kennen musste. Ist diese Voraussetzung dagegen nicht erfüllt (oder greift Art. 8 VVG ein), so war die Beklagte nicht berechtigt, wegen der unrichtigen Beantwortung der Frage nach Erkrankungen an Bronchitis vom Vertrage zurückzutreten.
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Aus dem Wortlaut von Art. 4 und 6 VVG ergibt sich klar, dass weder nach einem rein subjektiven noch nach einem rein objektiven Kriterium zu beurteilen ist, ob der Antragsteller seine Anzeigepflicht erfüllt oder verletzt habe. Indem das Gesetz sich nicht damit begnügt, dass der Antragsteller dem ![]() | 26 |
Umstritten ist in der Lehre, ob dem Antragsteller nur dann entgegengehalten werden kann, er habe eine von ihm nicht angezeigte ![]() | 27 |
5. Die Vorinstanz stellt fest, der Kläger habe zur Zeit des Vertragsabschlusses nicht gewusst, was Bronchitis heisst, was eine Bronchitis ist; er habe den Ausdruck Bronchitis nicht gekannt. Diese Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse (vgl. BGE 91 II 277 mit Hinweisen) und ist daher gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich. Sie ist weder unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen, noch beruht sie offensichtlich auf Versehen. Nach den Zeugenaussagen von Dr. B., auf welche die Vorinstanz abstellt, entspricht es in der Gegend, wo der Kläger wohnt, einer allgemeinen Übung, dass die Leute von ![]() | 28 |
War dem Kläger nicht bloss unbekannt, was im medizinischen Sinne unter einer Bronchitis zu verstehen ist, sondern kannte er diesen - an seinem Wohnort nicht gebräuchlichen - Ausdruck überhaupt nicht und war die betreffende Frage daher für ihn unverständlich, so durfte er sie nicht ohne weiteres verneinen. Vielmehr war ihm grundsätzlich zuzumuten, den Agenten nach dem Sinne des ihm unbekannten Ausdrucks zu fragen (vgl. BGE 52 II 300 oben). Verneint der Antragsteller eine an sich klare Frage nach einer erheblichen Gefahrstatsache, obwohl er sie überhaupt nicht (auch nicht in unvollkommener Weise, im Sinne einer ihm geläufigen untechnischen Bedeutung der in der Frage verwendeten Fachausdrücke) versteht, so handelt er auf eigene Gefahr, wie wenn er den Fragebogen mit den vom Agenten eingesetzten Antworten ungelesen unterschreibt (Erwägung 3 hievor).
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Der Kläger hat sich jedoch nicht damit begnügt, die erwähnte Frage zu verneinen. Vielmehr hat er dem Agenten und dem Generalagenten der Beklagten nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz in Beantwortung der ihm vom Agenten mündlich gestellten allgemeinen Frage nach seinen Krankheiten, die im Sinne der Frage 4 nach "oben" (d.h. in Ziffer 3) nicht angeführten Leiden lag, mündlich mitgeteilt, er habe jeden Winter Erkältungen gehabt und deswegen den Arzt aufsuchen müssen. Damit hat er den Agenten der Beklagten den Sachverhalt, der unter die Frage 3 nach Erkrankungen an Bronchitis fiel, in der an seinem Wohnort gebräuchlichen Ausdrucksweise so mitgeteilt, wie er ihm bekannt war und bekannt sein mussste. Sich vor der Beantwortung der Fragen der Beklagten bei seinem Arzte nach der medizinischen Natur seiner Erkältungen zu erkundigen, war er nach dem in Erwägung 4 hievor Gesagten nicht verpflichtet. Er hätte sich mit der Angabe, er habe jeden Winter an Erkältungen gelitten und deswegen den Arzt aufsuchen müssen, auch dann begnügen dürfen, wenn er sich bei den Agenten nach dem Sinne des in Frage 3 enthaltenen, ihm nicht bekannten Ausdrucks Bronchitis erkundigt hätte und die Agenten ihm daraufhin erklärt hätten, es handle sich dabei um eine Entzündung der Schleimhaut im Bereich der Luftröhrenäste, wie sie infolge Erkältung, Infektion usw. eintreten kann (vgl. die Definition des Begriffs Bronchitis bei DUDEN, ![]() | 30 |
Die jeden Winter auftretenden, ärztliche Behandlung fordernden Erkältungen, die zu erwähnen der Kläger sich durch die allgemeine Frage nach seinen Krankheiten veranlasst fühlte, wurden der Beklagten nun freilich nicht schriftlich zur Kenntnis gebracht, sondern es blieb bei der mündlichen Mitteilung an den Agenten Roman Kuonen und den Generalagenten Angelo Donzé. Roman Kuonen trug im Fragebogen bei Frage 4 wie bei Frage 3 die Antwort "nein" ein und liess die Erkältungen unerwähnt. Für diese Art der schriftlichen Beantwortung der schriftlichen Fragen der Beklagten hat der Kläger nach Erwägung 3 hievor grundsätzlich einzustehen, weil er den Versicherungsantrag unterschrieben hat. Er hat also der Beklagten eine Tatsache, die er selbst zunächst für erwähnenswert hielt, nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen und durch den Formulartext geforderten Form zur Kenntnis gebracht. Es bleibt jedoch zu prüfen, ob er hiezu durch ein von der Beklagten zu vertretendes Verhalten der Agenten bestimmt worden und die Beklagte aus diesem Grunde nicht berechtigt sei, wegen der Nichterwähnung der Erkältungen im Fragebogen vom Vertrage zurückzutreten, oder ob die Beklagte sich das Wissen ihrer Agenten anrechnen lassen müsse.
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6. Nach Art. 8 Ziff. 2, 3 und 4 VVG kann der Versicherer, auch wenn die Anzeigepflicht verletzt ist, vom Vertrage nicht zurücktreten, (2.) wenn er die Verschweigung oder unrichtige Angabe veranlasst hat, oder (3./4.) wenn er die verschwiegene ![]() | 32 |
Wenn der Agent Roman Kuonen im Beisein des Generalagenten Angelo Donzé, der gemäss seiner Zeugenaussage die Arbeit Kuonens kontrollierte, die Angaben des Klägers über dessen Erkältungen nicht in den Fragebogen eintrug, sondern zu den Fragen 3 und 4 die Antwort "nein" setzte, so geschah das offenbar deswegen, weil Roman Kuonen und Angelo Donzé diese Erkrankungen als geringfügig und deshalb nicht erwähnenswert würdigten und namentlich nicht daran dachten, dass es sich dabei allenfalls um Bronchitis im Sinne von Frage 3 handeln könnte. Indem die Agenten dem Kläger den Versicherungsantrag mit dem in der beschriebenen Weise ausgefüllten Fragebogen zur Unterschrift vorlegten, gaben sie ihm zu verstehen, dass er die ihnen mündlich bekanntgegebenen Erkältungen im Fragebogen nicht anzugeben brauche. Sie haben also die Nichterwähnung dieser Erkrankungen im Fragebogen veranlasst.
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Wären Roman Kuonen oder Angelo Donzé (eventuell beide) als sog. Abschlussagenten zum Vertragsabschluss ermächtigt gewesen, so müsste sich die Beklagte das eben erwähnte Verhalten und das Wissen der Agenten ohne weiteres als ihr eigenes anrechnen lassen, es wäre denn, sie hätten ihre Vertretungsmacht in Kollusion mit dem Kläger missbraucht, um die Beklagte irrezuführen und zu schädigen, wofür nichts vorliegt (vgl. BGE 68 II 332 E. 2, BGE 51 II 458, BGE 46 II 192; KOENIG S. 181; ROELLI/KELLER S. 155/56 mit Fussnote 1 S. 156, S. 162, 506 f.).
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Die Agenten der Lebens- und Unfallversicherer sind jedoch gewöhnlich nicht Abschlussagenten, sondern blossVermittlungsagenten, selbst wenn sie den Titel Generalagent führen (BGE 73 II 53 E. 3, BGE 68 II 332 E. 2, BGE 51 II 457 /58). Dass es sich im vorliegenden Falle anders verhalten habe, m.a.W. dass Roman Kuonen oder der Generalagent Angelo Donzé von der Beklagten ausdrücklich oder stillschweigend zum Vertragsabschluss ermächtigt worden seien, ist im kantonalen Verfahren nicht behauptet worden, und es bestehen dafür auch keine Anhaltspunkte. Der Antrag des Klägers wurde der Geschäftsleitung der Beklagten für die Schweiz in Lausanne unterbreitet, die ihn prüfte und die Police ausstellte.
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Die Kenntnis, die ein blosser Vermittlungsagent von dem Versicherer selbst verborgenen Gefahrstatsachen besitzt, muss ![]() | 36 |
Im vorliegenden Falle konnten und mussten sich der Agent Roman Kuonen und der Generalagent Angelo Donzé, als der Kläger mündlich seine jeden Winter auftretenden, ärztliche Behandlung fordernden Erkältungen erwähnte, davon Rechenschaft ![]() ![]() | 37 |
Aus diesen Gründen war die Beklagte nach Art. 8 Ziff. 2 VVG nicht berechtigt, deswegen vom Vertrage zurückzutreten, weil die Erkältungen des Klägers, die in Wirklichkeit Bronchitiden waren, bei der schriftlichen Beantwortung der Fragen 3 und 4 über seinen Gesundheitszustand nicht erwähnt wurden.
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Wann der Kläger zum letzten Mal vor Ausfüllung des Fragebogens einen Arzt aufgesucht hat, ist nicht festgestellt und geht aus den Akten nicht hervor. Schon deshalb kann ihm eine falsche Beantwortung von Frage 11 nicht vorgeworfen werden.
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Frage 11 verwendet im übrigen anders als Frage 10 nicht den Ausdruck "ärztliche Behandlung", sondern den Ausdruck "ärztliche Untersuchung". Hierunter ist nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch eine Untersuchung zu verstehen, die über die mit der Behandlung einer Erkältung oder einer andern trivialen Krankheit verbundene Ermittlung des vorhandenen Krankheitszustandes hinausgeht. Auf jeden Fall aber war für ![]() | 42 |
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