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11. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Februar 1971 i.S. "Helvetia-Unfall", Versicherungs gesellschaft, gegen Meile. | |
Regeste |
Unfallversicherung |
2. Begriff des "Taglohnes" (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
1 | |
Albert Meile half Josef Hürlimann bei der Ausführung von Waldarbeiten. Er arbeitete teilweise im Stunden- und teilweise im Akkordlohn und war im Zeitraum vom 30. März 1966 bis 31. März 1967 insgesamt während 559 1/2 Stunden für diesen tätig, wovon mehr als 500 Stunden in den Monaten Oktober 1966 bis März 1967. Sein Verdienst für diese Arbeiten belief sich im ganzen Jahr auf total Fr. 3296.30. Am 31. März 1967 wurde Meile, als er für Hürlimann arbeitete, durch einen stürzenden Baum getötet. Er hinterliess seine Ehefrau und zwei kleine Kinder.
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Hürlimann hatte zugunsten der von ihm für Waldarbeiten ![]() | 3 |
"Ermittlung der Todes- und Invaliditätsentschädigung in der Lohnversicherung.
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Ist für die Berechnung der Entschädigung im Todes- und Invaliditätsfall der durchschnittliche Tagesverdienst als Grundlage vereinbart worden, so gilt der 300. Teil des Jahresverdienstes als massgebender Tagesverdienst. Als Jahresverdienst gilt der Lohnbetrag, den der Versicherte innerhalb eines Jahres vor dem Unfall im deklarierten Betrieb bezogen hat. War der Verunfallte kein volles Jahr im Betrieb, so gilt der durchschnittliche Tagesverdienst während der Anstellungszeit als Grundlage. War er weniger als drei Monate angestellt oder kann sein Verdienst nicht ermittelt werden, so ist ein mittlerer Lohn der Angestellten gleicher Kategorie im gleichen oder in einem gleichartigen Betrieb massgebend."
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Die Versicherungsgesellschaft berechnete die der Ehefrau und den Kindern des tödlich verunfallten Albert Meile zustehende Todesfallentschädigung nun in der Weise, dass sie den von Meile im Jahr vor dem Unfall gesamthaft erzielten Verdienst von Fr. 3296.30 durch die Zahl 300 (Arbeitstage des Jahres) teilte, so einen durchschnittlichen Taglohn von Fr. 10.98 ermittelte und diesen Betrag mit 1000 multiplizierte. Demgegenüber ging das von den Anspruchsberechtigten angerufene Bezirksgericht von einem Taglohn von Fr. 47.20 aus, indem es die Fr. 3296.30 durch 559 1/2 (die sämtlichen Arbeitsstunden) teilte und den so errechneten Stundenlohn von Fr. 5.90 mit 8 multiplizierte.
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Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte diesen Entscheid, und das Bundesgericht weist die von der beklagten Versicherungsgesellschaft eingelegte Berufung ab.
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Aus den Erwägungen: | |
3. Die für die Vertragsauslegung allgemein massgebenden Grundsätze gelten auch für den Versicherungsvertrag. Da das VVG selber keine allgemeine Auslegungsregel enthält, gelangen nach der in Art. 100 VVG enthaltenen Verweisung die Bestimmungen des OR und damit gleichzeitig die Einleitungsartikel des ZGB zur Anwendung (ROELLI/KELLER, Kommentar zum VVG Bd. I S. 456/57). Auch Versicherungsverträge sind ![]() | 8 |
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Auch der Ausdruck "durchschnittlicher Tagesverdienst", wie er in Art. 9 der AVB verwendet wird, ist nämlich als Taglohn ![]() | 10 |
Anders wäre es hingegen bei bloss zeitweise Beschäftigten, die - wie der tödlich verunfallte Albert Meile - ihre Arbeitskraft nur unregelmässig in den Dienst des Arbeitgebers stellen. Würde die in Art. 9 der AVB vorgesehene Durchschnittsberechnung auch auf sie angewendet, würde sie nicht der Ermittlung des durchschnittlichen Lohnes für einen vollen Arbeitstag dienen, sondern der Umrechnung des während einer bestimmten Zeitperiode erzielten Gesamtverdienstes auf den einzelnen Tag. Das Ergebnis entspräche also nicht mehr einem Taglohn im üblichen Sinn, das heisst dem Entgelt für einen vollen Arbeitstag, sondern nur einem Bruchteil des üblichen Tagesverdienstes. Ein solches, vom allgemein gebräuchlichen Wortsinn abweichendes Ergebnis dürfte aus Art. 9 der AVB auf dem Wege der Auslegung nur dann abgeleitet werden, wenn sich aus dieser Bestimmung oder sonst aus dem Vertrag ergäbe, dass dem Ausdruck "Taglohn" oder "Tagesverdienst" bei der Berechnung der Todes- und Invaliditätsentschädigung von unregelmässig Beschäftigten wirklich eine besondere Bedeutung zukommt. Nun enthält Art. 9 der AVB jedoch keinen Hinweis darauf, dass die vorgesehene Durchschnittsberechnung auch auf nicht regelmässig beschäftigte Arbeitnehmer Anwendung finden soll. Mangels eines solchen Hinweises dürfen die Berechnungsregeln des Art. 9 der AVB nicht auf Fälle angewendet werden, in denen sie zur Ermittlung von Todes- und Invaliditätsentschädigungen führen würden, die nicht dem tausendfachen Taglohn im üblichen Sinne des Wortes, sondern nur einem - unter Umständen recht geringen - Bruchteil dieses Betrages entsprächen.
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Die Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, Art. 9 der AVB gelte zwangsläufig auch für unregelmässig Beschäftigte, ![]() | 12 |
Ergibt sich bereits aus diesen Überlegungen, dass die Todesfallentschädigung auch im Falle eines bloss unregelmässig Beschäftigten auf Grund eines vollen Taglohnes zu berechnen ist, kann offengelassen werden, ob die dritte der in Art. 9 der AVB unterschiedenen Arten der Taglohnermittlung zum gleichen Schluss führen würde, wie das die Vorinstanz angenommen hat. Es erübrigt sich somit, auf die Einwände näher einzugehen, welche die Beklagte diesbezüglich gegenüber dem angefochtenen Urteil erhoben hat.
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Selbst wenn man Zweifel hegte, ob die hier vorgenommene Auslegung des Versicherungsvertrages die einzig mögliche sei, müsste man auf Grund des Vertrauensprinzips und der sich daraus ergebenden Unklarheitenregel doch zu dieser Lösung gelangen. Denn wenn sich die Tragweite von Art. 9 AVB nicht einwandfrei feststellen lässt und mehrere Auslegungen in Frage kommen, gehen die Unklarheiten dieser Bestimmung zu Lasten der Verfasserin, der Beklagten: Der Vertrag ist so auszulegen, wie der Versicherungsnehmer und damit der Versicherte und dessen Hinterbliebene ihn nach Treu und Glauben verstehen durften. Verschiedene Autoren haben diese sogenannte Unklarheitenregel allerdings kritisiert und die Auffassung vertreten, ![]() | 14 |
- Anderer Meinung dagegen SCHMIDT-SALZER, Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, Berlin 1967, der die Unklarheitenregel verteidigt). Indessen braucht hier auf diese Kritik nicht näher eingetreten zu werden; denn im vorliegenden Falle ist - wie vorstehend gezeigt wurde - durch Auslegung eine sichere Deutung möglich und somit ohne Unklarheitenregel auszukommen.
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Die Beklagte hat sich für die Richtigkeit der von ihr vorgenommenen Berechnung des massgebenden Taglohnes auch auf BGE 80 II 345 ff. Erw. 3 berufen, wo das Bundesgericht im Falle einer nur saisonweise beschäftigten Angestellten als massgebenden "Jahreslohn" den im Verlaufe eines Jahres effektiv bezogenen Lohnbetrag bezeichnete und nicht den sich durch Verzwölffachung des Monatslohnes ergebenden hypothetischen Jahresverdienst. Allein die Beklagte vermag aus diesem Entscheid nichts zu ihren Gunsten abzuleiten; denn im vorliegenden Falle geht es nicht um den Begriff des "Jahreslohnes", sondern um denjenigen des "Taglohnes". Ob diese beiden Begriffe einander qualitativ entsprechen und ob den im erwähnten Bundesgerichtsentscheid angestellten Überlegungen heute noch vorbehaltlos gefolgt werden könnte, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist in dem hier zu beurteilenden Falle unter "Taglohn" ein voller Tagesverdienst zu verstehen.
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