![]() ![]() | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: | |||
![]() | ![]() |
16. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Mai 1972 i.S. Ed. F. Kossova gegen Institut auf dem Rosenberg AG | |
Regeste |
Dienstvertrag. | |
Sachverhalt | |
1 | |
A.- Mit schriftlichem Vertrag vom 13. Mai 1969 stellte das Institut auf dem Rosenberg AG, St. Gallen, den amerikanischen Staatsangehörigen Ed. F. Kossova mit Antritt auf den 1. September 1969 als Gymnasiallehrer und Erzieher an. Das Monatsgehalt Kossovas wurde auf Fr. 1501.95 festgesetzt. Ende Dezember 1969 kehrte Kossova für die Weihnachtsferien nach den Vereinigten Staaten zurück. Mit einem mit "Washington, den 4.1.1970" datierten, am 5. Januar 1970 in Tacoma, Washington, aufgegebenen Luftpost-Expressbrief teilte Kossova seiner Arbeitgeberin mit, dass er wegen Grippeerkrankung den Dienst nicht am 7. Januar, sondern erst nächste Woche wieder antreten könne. Er fügte u.a. bei:
| 2 |
3 | |
Dieser Brief traf am 8. Januar 1970 um 08.30 Uhr bei der Adressatin ein. Am 9. Januar 1970 sandte Kossova seiner Arbeitgeberin einen Luftpostbrief, worin er ankündigte, er werde am 14. Januar abreisen und am 15. Januar die Arbeit wieder aufnehmen.
| 4 |
Das Institut auf dem Rosenberg AG fand noch am 8. Januar 1970 einen Ersatz für Kossova in der amerikanischen Staatsangehörigen Helge Fischer, welche zu jenem Zeitpunkt probeweise in einem Hotel in Liestal angestellt war. Es schloss mit ihr gleichentags einen schriftlichen Dienstvertrag ab und reichte ein Gesuch um Bewilligung des Stellenwechsels ein. Am 13. Januar 1970 schickte das Institut auf dem Rosenberg AG dem Kossova ein Telegramm folgenden Inhalts an die von ihm angegebene Adresse in New York:
| 5 |
"Ersatz gefunden, Vertrag aufgelöst, Rückkehr nicht mehr erforderlich, Grüsse Gademann."
| 6 |
Kossova trat nach seiner Darstellung am 11. Januar 1970 die Rückreise von der amerikanischen Westküste an und erhielt am 14. Januar auf dem Flugplatz von New York telefonisch Kenntnis vom Telegramm seiner Arbeitgeberin. Da er nach seiner Darstellung das Billet nach Kloten bereits besass, vor dem Rückflug stand und keine Möglichkeit mehr hatte, für das laufende Schuljahr in den Vereinigten Staaten noch einen Unterrichtsauftrag zu erhalten, kehrte er gleichwohl nach St. Gallen zurück. Als er am 15. Januar beim Institut auf dem Rosenberg AG den Dienst wieder antreten wollte, wurde ihm dies verwehrt.
| 7 |
B.- Kossova klagte in der Folge gegen das Institut auf dem Rosenberg AG auf Zahlung des Lohnes für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1970 im Betrag von Fr. 12'015.60.
| 8 |
Das Bezirksgericht St. Gallen sprach ihm am 29. Januar 1971 Fr. 751.-- nebst Zins für die erste Hälfte Januar 1970 zu und wies die Mehrforderung ab.
| 9 |
Das Kantonsgericht St. Gallen bestätigte am 21. Oktober 1971 dieses Urteil.
| 10 |
11 | |
Aus den Erwägungen: | |
12 | |
a) Da der Kläger für die Annahme seines Antrages keine Frist gesetzt hatte, war er solange gebunden, bis die Antwort bei ordnungsgemässer und rechtzeitiger Absendung (Art. 5 Abs. 1 OR) bei ihm eintraf, wobei er rechtzeitige Ankunft seiner Offerte voraussetzen durfte (Art. 5 Abs. 2 OR). Der Vorinstanz ist darin beizupflichten, dass der Kläger angesichts der grossen Entfernung nicht mit einer rascheren Übermittlung seiner Offerte, die am 8. Januar 1970 um 08.30 Uhr bei der Beklagten eintraf, rechnen konnte. Auch ist mit dem Kantonsgericht davon auszugehen, dass die telegrafische Beförderung der Annahmeerklärung im Sinne des Gesetzes ordnungsgemäss war. Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger vom Fernschreiben, das die Beklagte am 13. Januar, offenbar um 09.58 Uhr, aufgegeben hatte, erst am folgenden Tag Kenntnis erhielt. Diesen Umstand hätte der Kläger selber zu vertreten, da die Beklagte an die von ihm angegebene Adresse telegrafiert hatte.
| 13 |
b) Zu prüfen ist daher, welche Überlegungszeit der Kläger der Beklagten einräumen musste.
| 14 |
Nach VON TUHR/SIEGWART, OR I S. 176, ist die Überlegungszeit nach Inhalt und Tragweite der Offerte sowie nach den persönlichen, dem Offerenten bekannten Umständen des Adressaten mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu bemessen. Ferner ist nach BECKER (1. Aufl. N. 3 zu Art. 5 OR) zu beachten, dass die Beantwortung innerhalb der geschäftsüblichen Zeit erwartet werden kann. Ähnlich äussern sich OSER/SCHÖNENBERGER (N. 6 ff. zu Art. 5 OR), jedoch mit dem Hinweis, dass der Sonntag in Geschäftssachen für die Bemessung der Frist ausser Betracht falle.
| 15 |
![]() ![]() | 16 |
Dieses Ergebnis würde auch dann nicht in Frage gestellt, wenn man annähme, die Beklagte habe den Brief des Klägers vom 9. Januar (Freitag) am 13. Januar (Dienstag) oder - was eher unwahrscheinlich ist - schon früher erhalten; denn sie hätte sich jedenfalls sagen müssen, dass der Kläger, um am 15. Januar die Arbeit antreten zu können, zu Beginn der Woche vom 12. Januar seine Reisevorbereitungen treffen werde und dass er am 13. Januar oder später mit der Annahme seines Angebots nicht mehr zu rechnen brauchte.
| 17 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |