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23. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Mai 1972 i.S. Longoni gegen v. Heydebrand. | |
Regeste |
Berufung an das Bundesgericht gegen ein Urteil, das eine Aberkennungsklage wegen Rechtshängigkeit der Streitsache zurückweist. |
Verhältnis zwischen Arrestforderungs- und Aberkennungsklage. |
Macht die Hängigkeit einer Arrestforderungsklage (Art. 278 Abs. 2 SchKG) die Erhebung einer Aberkennungsklage mit Bezug auf die gleiche Forderung unnötig? (Frage offen gelassen; Erw. 2). |
Rechtshängigkeit; Bundesrecht und kantonales Prozessrecht. |
Ob eine Klage wegen Rechtshängigkeit zurückgewiesen werden darf, beurteilt sich nach der heute noch herrschenden Auffassung unter Vorbehalt von Art. 22 BZP grundsätzlich nach kantonalem Prozessrecht. Die Frage der Identität der Ansprüche beurteilt sich dagegen bei bundesrechtlichen Ansprüchen nach Bundesrecht. Identität einer auf einen Schuldbrief gestützten Forderung gegen die geschiedene Ehefrau mit einer auf den gleichen Betrag lautenden Forderung, die der Gläubiger damit begründet, dass er den Schuldbrief abbezahlt und die geschiedene Ehefrau ihm den abbezahlten Betrag gemäss Scheidungskonvention zu erstatten habe? (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
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B.- Am 21. Juni 1968 wurde die Ehe v. Heydebrand-Wüthrich in Gutheissung der vom Ehemann am 5. Mai 1965 eingeleiteten Klage geschieden.
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Am 4. September 1968 schlossen die geschiedenen Ehegatten einen Vergleich, der im wesentlichen bestimmte, die Ehefrau behalte die Liegenschaft Münstergasse 35 definitiv; der Ehemann verzichte auf sein Vorkaufsrecht; die Ehefrau erstatte ihm Fr. 60'000.-- "und ausserdem den Betrag, um welchen sich die hypothekarische Belastung seit 1. Jan. 1964 vermindert hat, und ferner den Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung per 31. Dez. 1968 auf der Liegenschaft Münstergasse 35"; damit seien "sämtliche gegenseitige güterrechtliche Ansprüche und aus Mitarbeit der Ehefrau im Geschäft des Ehemanns abgegolten"; vorbehalten bleibe der Teilvergleich vom gleichen Tage über das Sondergut (der die Herausgabe von zwei Einrichtungsgegenständen an die Ehefrau vorsieht); der von der Ehefrau zu leistende Gesamtbetrag werde am 1. Juli 1969 fällig ![]() | 3 |
C.- Die geschiedenen Ehegatten konnten sich über die Höhe des von der Ehefrau nach dem Vergleich vom 4. September 1968 geschuldeten Gesamtbetrags nicht einigen. Da die Ehefrau den vom Ehemann gemäss einer Abrechnung vom 15. Oktober 1968 geforderten Betrag von Fr. 129'451.25 nicht zahlte, erwirkte der Ehemann am 24./25. Juli 1969 einen Arrest auf ihre Liegenschaft. Der am 1. September 1969 beim Appellationshof des Kantons Bern eingeleitete Arrestforderungsprozess ist noch hängig. In einem Widerspruchsprozess wurde der Anspruch eines Dritten auf die ihm abgetretenen Mietzinse aus der arrestierten Liegenschaft geschützt.
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D.- Im Mai 1970 betrieb G. v. Heydebrand seine geschiedene Ehefrau (nun Frau Longoni) gestützt auf den erwähnten Schuldbrief für Fr. 43'317.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1969 auf Verwertung der Pfandliegenschaft. Zugleich verlangte er den Einzug der Mietzinse durch das Betreibungsamt (Betreibung Nr. 84'194 des Betreibungsamtes Bern 2). Frau Longoni und ihr gemäss Art. 68 bis SchKG mitbetriebener Ehemann erhoben Rechtsvorschlag ohne Grundangabe. Nachdem G. v. Heydebrand die provisorische Rechtsöffnung erwirkt hatte, leitete Frau Longoni gegen ihn beim Appellationshof des Kantons Bern am 19. September 1970 (innert der Frist von Art. 83 Abs. 2 SchKG) Klage auf Aberkennung der in Betreibung gesetzten Forderung ein.
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Der Appellationshof wies die Aberkennungsklage mit Urteil vom 9. November 1971 zurück. Er nahm an, die im Aberkennungsprozess streitige Forderung sei bereits Gegenstand des zwischen den gleichen Parteien hängigen Arrestforderungsprozesses; dort habe G. v. Heydebrand gestützt auf den Vergleich vom 4. September 1968 Abschlagszahlungen von Fr. 54 567.-- an die auf der Liegenschaft Münstergasse 35 lastenden Grundpfandschulden geltend gemacht, und in dieser Summe sei der an Stucki bezahlte Betrag von Fr. 43 317.-- inbegriffen. An der "Identität der Forderung" ändere es nichts, dass sie im Arrestforderungsprozess auf den Vergleich vom 4. September 1968 und im Aberkennungsprozess auf den Schuldbrief gestützt werde; ihre "innere Rechtfertigung" ![]() | 6 |
E.- Gegen das Urteil des Appellationshofs vom 9. November 1971 hat die Klägerin Frau Longoni die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die mit der Betreibung Nr. 84'194 geltend gemachte Forderung von Fr. 43 317.-- nebst Zins sei abzuerkennen.
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Der Beklagte beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten, da kein Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG vorliege; eventuell sei sie abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Diese Definition des Endentscheides hat sich in der Folge nicht durchgesetzt. Vielmehr nimmt die neuere Rechtsprechung entsprechend der Praxis zu Art. 58 aoG an, Endentscheid sei nicht jeder den Prozess beendigende Entscheid, sondern nur ein Entscheid, durch den entweder über den materiellen Anspruch geurteilt oder dessen Beurteilung aus einem Grunde abgelehnt wird, der endgültig verbietet, dass der gleiche Anspruch zwischen den gleichen Parteien nochmals geltend gemacht ![]() | 10 |
Dessen ungeachtet wurde jedoch in einem Falle, der vorletztes Jahr drei Abteilungen des Bundesgerichts beschäftigte, der in BGE 80 I 263 /64 ausgesprochene Grundsatz bestätigt, dass ein die Klage wegen Rechtshängigkeit zurückweisender und damit das Verfahren abschliessender Entscheid als Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG zu gelten hat (nicht veröffentlichtes Urteil des Kassationshofs vom 22. Mai 1970 i.S. Milcent, Urteile der I. Zivilabteilung und der Staatsrechtlichen Kammer vom 14. bzw. 22 Juli 1970 in der gleichen Sache: BGE 96 II 449 und BGE 96 I 450). Diese Lösung lässt sich damit rechtfertigen, dass ein Entscheid, der eine auf das Bundesrecht gestützte Klage zu Unrecht wegen Rechtshängigkeit zurückweist, dem Kläger die durch das Bundesrecht gewährleistete Möglichkeit, seinen Anspruch auf dem Prozessweg geltend zu machen (BGE 95 II 642), zwar nicht für immer, aber doch für die Dauer des hängigen Verfahrens entzieht, was bedeutet, dass dem Kläger das Klagerecht für eine gewisse - oft lange - Zeit endgültig abgesprochen wird. Ist die zurückgewiesene Klage befristet und läuft die Klagefrist während der Dauer des hängigen Verfahrens ab, wie es im vorliegenden Falle zutrifft, so kann die Zurückweisung sogar zum vollständigen Verlust des Klagerechts führen. Diese Folge der Zurückweisung ist bei Prüfung der Frage, ob ein die Klage wegen Rechtshängigkeit zurückweisender Entscheid den Charakter eines Endentscheids habe, richtigerweise zu berücksichtigen, auch wenn es sich dabei, wie in BGE 84 II 231 für den Fall der Zurückweisung mangels gehöriger Vollmacht des Prozessvertreters angenommen, nicht um eine "unmittelbare rechtliche Auswirkung" des Nichteintretensentscheides, d.h. nicht um eine im Sinne dieses Entscheides liegende Rechtsfolge, ![]() | 11 |
Die I. Zivilabteilung des Bundesgerichts hat im zuletzt angeführten Entscheide freilich angenommen, ein Erkenntnis, das eine Aberkennungsklage aus prozessualen Gründen zurückweist, sei auf jeden Fall deshalb kein Endentscheid im Sinne von Art. 48 OG, weil es lediglich den Fortgang der Betreibung ermögliche und dem Betriebenen die Möglichkeit vorbehalten bleibe, "dem Richter den Streit über die Forderung innerhalb eines Jahres nach Zahlung der angeblichen Nichtschuld durch Rückforderungsklage gemäss Art. 86 Abs. 1 SchKG erneut zu unterbreiten". Die I. Zivilabteilung folgte damit einem ältern Entscheide der II. Zivilabteilung (BGE 47 III 103 ff.). Die in diesen Entscheiden vertretene Auffassung ist jedoch in der Lehre mit Recht kritisiert worden (KUMMER, ZBJV 1960 S. 63; WURZBURGER, a.a.O. S. 183 unter Ziff. 246). Es ist von vornherein umstritten, ob die Rückforderungsklage dem Schuldner überhaupt zu Gebote steht, wenn die Betreibung zum Konkurs geführt hat (verneinend JAEGER, Kommentar, 3. Aufl., N. 5 zu Art. 86, N. 1 zu Art. 187 und N. 1 a.E. zu Art. 250 SchKG, sowie KUMMER, a.a.O.; anderer Ansicht BLUMENSTEIN, Handbuch, S. 320 Anm. 24, S. 783 Anm. 36, sowie V. SCHWANDER, BlSchK 1943 S. 97 ff., und R. DAGON, Über die Rückforderung im Betreibungsrecht, Zürcher Diss. 1960, S. 62 ff.). Die Rückforderungsklage fällt auf jeden Fall dann ausser Betracht, wenn der Schuldner eine Aktiengesellschaft ist, die infolge des Konkurses aufgelöst wird (KUMMER a.a.O.). Unabhängig von der Art der Zwangsvollstreckung ist eine Rückforderung ausgeschlossen, soweit der Gläubiger nicht befriedigt wird, sondern einen Verlust erleidet. Wird der Gläubiger nicht durch eine Zahlung des betriebenen Schuldners, sondern aus dem Erlös der Zwangsverwertung von Vermögensstücken des Schuldners befriedigt, so bringt die Rückforderungsklage dem Schuldner die verwerteten Gegenstände nicht zurück und macht die Vermögenseinbusse, die mit der Zwangsverwertung meist ![]() | 12 |
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Von der Annahme ausgehend, dass beide Prozesse den gleichen Anspruch betreffen, hat die Vorinstanz unter Hinweis auf BGE 22 S. 328 f. und ein Urteil des waadtländischen Kantonsgerichts vom 24. April 1922 (SJZ 1922/23 S. 27 Nr. 26) ausgeführt, die Rechtsöffnung könne nicht definitiv werden, solange die Arrestforderungsklage nicht rechtskräftig beurteilt sei; die Klägerin sei daher nicht genötigt gewesen, zu ihrer Verteidigung auf Aberkennung zu klagen. Ob diese Auffassung zutreffe (vgl. dazu ausser den angeführten Präjudizien auch BGE 38 I 204 Erw. 2, J. GASSMANN in Festgabe für F. Goetzinger, 1935, S. 46 f., und H. HINDERLING, ZSR 1964 I S. 127 f., der sich mit einer abweichenden Meinung auseinandersetzt), kann dahingestellt bleiben, wenn die Klägerin mit der Rüge durchdringt, dass die Zurückweisung ihrer Aberkennungsklage ![]() | 14 |
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Die blosse Tatsache, dass im Aberkennungsprozess der schon im Arrestforderungsprozess eingeklagte Betrag von Fr. 43'317.-- streitig ist und dass der Gläubiger erklärt, dieser Betrag sei ihm nur einmal geschuldet, genügt nicht, um den Schluss zu rechtfertigen, dass beide Prozesse den gleichen Anspruch betreffen. Es ist möglich, dass jemand gegenüber der gleichen Person aus zwei verschiedenen Rechtsgründen Anspruch auf dieselbe Leistung hat. Man spricht in solchen Fällen von konkurrierenden Ansprüchen, die abgesehen davon, dass die Erfüllung des einen den andern dahinfallen lässt, voneinander unabhängig sind und nach Wahl des Gläubigers gemeinsam oder einzeln geltend gemacht werden können (v. TUHR/SIEGWART, Allg. Teil des schweiz. OR, § 5 I, S. 36/37; vgl. auch OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, 2. Aufl., Bd. I 1958, S. 426 ff., 433/34). Bei getrennter gerichtlicher Geltendmachung derartiger Ansprüche liegt keine Identität der Streitsachen vor (KUMMER, Das Klagerecht und die materielle Rechtskraft im schweiz. Recht, 1954, S. 94/95, und LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl. 1956, N. 11 d zu Art. 192, S. 213).
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Der Beklagte begründet seine Forderung von Fr. 43'317.-- im Arrestforderungsprozess damit, dass der auf diesen Betrag lautende Schuldbrief in der Zeit von Ende 1964 bis Mai 1968 ![]() | 17 |
Da im Arrestforderungsprozess für eine Auseinandersetzung über die Ansprüche aus dem Schuldbrief kein Raum ist, würde der Klägerin durch die Bestätigung des angefochtenen Entscheides die Möglichkeit entzogen, Einwendungen gegen die Gültigkeit des Schuldbriefs und gegen das vom Beklagten beanspruchte Recht zu erheben, sich trotz der güterrechtlichen Vereinbarung ihr gegenüber auf diesen Pfandtitel zu berufen. Dadurch würde die Klägerin in ihren Verteidigungsrechten empfindlich beschränkt. Sie hat auch unter der Voraussetzung, dass sie dem Beklagten gemäss der güterrechtlichen Vereinbarung den Betrag von Fr. 43'317.--schulden sollte, ein berechtigtes ![]() | 18 |
Die Klägerin hat es bei Erhebung des Rechtsvorschlags gegen den Zahlungsbefehl in der Grundpfandbetreibung freilich unterlassen, das Pfandrecht als solches zu bestreiten, wozu nach Art. 85 Abs. 1 VZG eine entsprechende Erklärung nötig gewesen wäre. Das hindert sie aber nicht, gegenüber dem Beklagten die Einwendung zu erheben, der Schuldbrief sei ungültig oder der Vergleich vom 4. September 1968 verbiete dem Beklagten, seine Forderung auf den Schuldbrief zu stützen. Dringt sie damit durch, so entfällt auch das mit der Schuldbriefforderung akzessorisch verbundene Pfandrecht. Die erwähnten Einwendungen kann sie aber nur im Aberkennungsprozess geltend machen, was ihr durch den angefochtenen Entscheid verunmöglicht würde.
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Auch aus diesen Gründen ist die Identität der Ansprüche, die Gegenstand der beiden Prozesse sind, zu verneinen.
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Die Vorinstanz hat die Aberkennungsklage also materiell zu behandeln. Ob sie die beiden Prozesse nebeneinander weiterführen oder allenfalls die Aberkennungsklage, mit der die Klägerin vor allem die auf Grund von Art. 806 ZGB und Art. 91/92 VZG verfügte Mietzinssperre abzuwenden sucht, vorweg behandeln will, ist vorwiegend eine Frage der Prozessökonomie.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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