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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
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34. Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Juli 1972 i.S. Lacroix, Baartmans, Callens und Van Eichelen SA gegen "Swissair". | |
Regeste |
Haftung des Luftfrachtführers. Warschauer Abkommen vom 12. Oktober 1929 (Haager Fassung). Lufttransportreglement vom 3. Oktober 1952 (Fassung vom 1. Juni 1962). |
Die materielle Gültigkeit der Abtretung beurteilt sich nach dem Recht, das die abgetretene Forderung beherrscht (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 1 b). |
Art. 1 Abs. 2 WA. Anwendbarkeit. Greift das WA nicht Platz, so gilt das Recht am Sitz der Fluggesellschaft (Erw. 2). |
Nach Art. 8 LTR gelten die Bestimmungen des WA auch für Beförderungen, die dem WA nicht unterstehen, und sind die Vorschriften des LTR nur als ergänzendes Recht anwendbar (Erw. 3). |
Die beschränkte Haftung des Luftfrachtführers ist ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 2 lit. a WA oder der Art. 25 WA und 10 LTR erfüllt sind (Erw. 4). |
Art. 25 WA und 10 LTR. Der Geschädigte hat die Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung des Luftfrachtführers zu beweisen. Die fraglichen Bestimmungen schreiben über die Beweiswürdigung nichts vor (Erw. 5). |
Die unbeschränkte Haftung des Luftfrachtführers entfällt, wenn der Verlust des Frachtgutes auf zwei mögliche Tatbestände zurückzuführen ist und die subjektiven Voraussetzungen der Art. 25 WA und 10 LTR nur in einem Falle erfüllt sind (Erw. 8). |
Verneinung der unbeschränkten Haftung des Luftfrachtführers im konkreten Fall (Erw. 9 und 10). |
Das Begehren auf Ersatz des ganzen Schadens schliesst den Anspruch auf die nach Art. 9 lit. b LTR begrenzte Haftungssumme ein (Erw.11). | |
Sachverhalt | |
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Die fünf Pakete kamen am 30. Januar 1968 im J. F. Kennedy-Flughafen von New York an. Die Swissair übergab sie am 17. Februar 1968 samt dem Frachtbrief der Eastern Airlines Inc., die den Empfang auf einem "Air cargo transfer manifest" bestätigte.
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Die Eastern Airlines sah vor, die Pakete am 18. Februar 1968 mit dem Flug Nr. 901 ohne Zwischenlandung nach Mexico zu befördern, und stellte ein entsprechendes "Cargo manifest" aus. Etwa um 6 Uhr des 18. Februar entnahm sie die Pakete einem Stahlschrank in der Absicht, sie zu verladen. Ob sie tatsächlich versandt wurden, steht nicht fest.
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Nach einem Bericht des Sicherheitsinspektors Brunn der Eastern Airlines vom 11. April 1968 soll der Rampen-Dienstmann Mc Carthy sie auf die Rampe gebracht haben, wo der Rampen-Inspektor Gerrain sie um 6.35 Uhr gegen Quittung übernommen habe. Gerrain habe sie beaufsichtigt, bis er ungefähr um 8.30 Uhr vom Inspektor Marino abgelöst worden sei. Marino habe sie dem Rampen-Dienstmann Maccagano übergeben, der sie in die Frachtluke 1 des Flugzeuges gelegt habe. Laut Formular 010 (Cargo and weight manifest) seien mit dem Flug 901 vom 18. Februar nur 9 lbs. Fracht befördert worden. Die diesem Formular beigeheftete Quittung für hohe Werte gebe an, es seien 5 Stück im Gewicht von 9 lbs. gereist. Der Luftfracht-Koordinator Jiminez erkläre, vier Wagen Fracht von 2166 1bs. hätten am 18. Februar wegen ihres Gewichtes nicht verladen werden können und seien erst am folgenden Tage mit Flug 901 abgefertigt worden. Da er, Jiminez, nicht gewusst habe, dass am 18. Februar 9 lbs. verfrachtet worden seien, habe er die Papiere für diese 9 lbs. bis am 19. Februar zusammen mit dem Manifest und den Frachtbriefen für die zurückbehaltenen 2166 lbs. im Operationsbüro aufbewahrt. Der Bericht Brunn fährt fort, alle diese Papiere seien dann der Mannschaft des Fluges 901 vom 19. Februar übergeben und in Mexico mit der ausgeladenen Fracht verglichen worden. Dabei habe Mexico das Fehlen der 5 Pakete von 9 lbs. Gewicht festgestellt und es dem Flughafen von New York sofort fernschriftlich gemeldet.
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Nach einem vom Luftfracht-Direktor Miranda in Mexico verfassten Bericht vom 17. Mai 1968 soll der Frachtagent Rames am 18. Februar bei der Ankunft des Fluges 901 vom Operationsagenten erfahren haben, es seien keine Frachtpapiere an Bord. Dennoch habe Rames in Begleitung des Agenten Dasza die Fracht- und Gepäckluken untersucht, da häufig Fracht ohne Dokumente ankomme. Aus dem Schichtrapport des Frachtagenten und den Registern der Zollbehörden ergebe sich, dass am 18. Februar mit dem Kurs 901 keine Fracht angekommen sei. Am 19. Februar seien dann mit diesem Flug sowohl Manifeste mit dem Datum des 18. als auch solche mit dem Datum des 19. Februar eingetroffen, und die Fracht sei am Boden beim Flugzeug vom Frachtagenten Santander und vom Zollangestellten Santos Carreon überprüft worden. Die im Luftfrachtbrief 085-3809819 erwähnten fünf Pakete und ein im Luftfrachtbrief 007-JFK-344472 verzeichnetes Stück hätten gefehlt, weshalb der Frachtagent fernschriftlich um Nachsendung der fehlenden Güter ersucht habe. Das Fehlen der Stücke sei auf den vorhandenen Manifesten und im Schichtrapport vermerkt worden. Am 19. Februar habe der J. F. Kennedy-Flughafen gemeldet, die Sendung gemäss Frachtbrief 007-JFK-344472 werde vollzogen werden, aber die Sendung gemäss Frachtbrief 085-3809819 sei nicht vorhanden. Auf weitere Fernschreiben hin habe der gleiche Flughafen am 22. Februar geantwortet: "Shipment under AWB 085-3809819 definitely on flight 901/19." Am 23. sodann habe dieser Flughafen berichtet, die vermisste Sendung sei bestimmt am 18. Februar nach Mexico abgegangen.
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Auf dem die fünf Pakete betreffenden "Cargo manifest" der Eastern Airlines ist das Versanddatum des 18. Februar handschriftlich mit 19 überschrieben.
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B.- Die Schweizerische Bankgesellschaft hatte ihr Interesse an der Beförderung des Frachtgutes durch die im Namen verschiedener Versicherungsgesellschaften handelnde Agenturfirma Thilly & Rittweger SA in Brüssel "aux conditions de la police maritime d'Anvers et à celles qui suivent" für US $ 50'200 ![]() | 8 |
C.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 16. Dezember 1971 ab. Es bejahte die Aktivlegitimation der Klägerin, verneinte dagegen die subjektiven Voraussetzungen, unter denen Art. 10 des schweizerischen Lufttransportreglementes den Luftfrachtführer für den Verlust des Frachtgutes unbeschränkt haften lässt. Ob die fünf versandten Pakete tatsächlich Banknoten enthielten und ob die Klägerin die Schweizerische Bankgesellschaft für den Verlust entschädigt habe, liess es offen.
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D.- Die Klägerin hat die Berufung erklärt. Sie hält an dem in der Klage gestellten Antrag fest und beantragt ergänzend, die Beklagte sei eventuell zu verpflichten, ihr Fr. 72.50 je kg für 4'020 Gramm Sendegewicht, also Fr. 291.45, nebst 5% Zins ab 20. Juni 1968 zu zahlen. Subsidiär beantragt sie, die Sache an das Handelsgericht zurückzuweisen, damit es die grobe Fahrlässigkeit der Luftfrachtführer nach den Prozessakten haftungsbegründend würdige.
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E.- Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
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Sie hält daran fest, dass die Klägerin nicht aktivlegitimiert sei. Für den Fall, dass das Bundesgericht die Legitimation der Klägerin bejahen sollte, anerkennt sie einen Anspruch der Beklagten von Fr. 291.45 nebst Verzugszins ab 8. September 1969.
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F.- Das Handelsgericht lässt sich dahin vernehmen, es habe nicht dazu Stellung genommen, ob die Klägerin allenfalls gemäss Art. 9 des Lufttransportreglementes Anspruch auf Fr. 291.45 habe, denn die Klägerin habe im kantonalen Verfahren ![]() | 13 |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Auf diese Rüge ist nicht einzutreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, gegen die die Beklagte nichts vorbringt, ist die Frage, ob der kantonale Richter von mehreren in Betracht fallenden ausländischen Rechten das anwendbare zutreffend bestimmt habe, nicht eine solche des Bundesrechts und daher gemäss Art. 43 Abs. 1 und 55 Abs. 1 lit. c OG vom Bundesgericht nicht zu überprüfen (BGE 63 II 308,BGE 64 II 92,BGE 77 II 92). Anders verhielte es sich nur, wenn das ausländische Recht vorfrageweise bestimmt werden müsste, um eine bundesrechtliche Hauptfrage beurteilen zu können (BGE 91 II 126). Das trifft im vorliegenden Falle indessen nicht zu; der Bestand der eingeklagten Forderung als solcher hängt in keiner Weise davon ab, ob sie auf Grund des anwendbaren ausländischen Rechts durch Subrogation von der Schweizerischen Bankgesellschaft auf die Versicherer übergegangen ist.
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b) Das Handelsgericht betrachtet als Vertragsgegner der Schweizerischen Bankgesellschaft nur die im Vertrag als Hauptbeteiligte auftretenden Versicherer, nämlich die Klägerin die SA Comptoir d'Assurance Hayen & Co. und die Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft. Die Unterbeteiligungen der ![]() | 16 |
Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin subsidiär für jenen Teil der Forderung, der die von der Klägerin versicherten 32'262% und die von der Allianz versicherten 5% des Schadens übersteigt. Sie macht geltend, die SA Comptoir d'Assurance Hayen & Co. habe 60% des Schadens nicht für sich, sondern teilweise für die Lloyds Underwriters, teilweise für 19 Londoner Gesellschaften versichert.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes richtet sich die materielle Gültigkeit der Abtretung nach dem Rechte, das die abgetretene Forderung beherrscht (BGE 95 II 113 mit Hinweisen, BGE 85 II 272 Erw. b und Urteil vom 8.10.68 i.S. The Glens Falls Insurance Co.; vgl. auch BGE 93 II 485), während die Form der Abtretung dem Rechte untersteht, das am Orte der Abtretung gilt oder von der Rechtsordnung des Abtretungsortes als massgebend erklärt wird (BGE 65 II 83,BGE 74 II 87,BGE 78 II 392, BGE 93 II 478). Der soeben erwähnte Einwand der Beklagten bezieht sich jedoch weder auf die materielle Gültigkeit der Abtretung noch auf deren Form. Die Beklagte bestreitet nur, dass die SA Comptoir d'Assurance Hayen & Co. Vertragspartei des Versicherungsvertrages sei und daher durch Subrogation zu 60% Gläubigerin der eingeklagten Forderung geworden sei und diesen Anteil an die Klägerin habe abtreten können. Streitig ist also die Frage, ob diese Firma den Versicherungsvertrag im eigenen Namen oder vielmehr im Namen der Lloyds Underwriters und der 19 Londoner Gesellschaften unterzeichnet habe. Das aber hängt vom belgischen Rechte ab, das nach verbindlicher Auffassung des Handelsgerichts den Versicherungsvertrag beherrscht. Die Frage kann daher dem Bundesgericht im Berufungsverfahren, in dem nur die Anwendung von Bundesrecht zu überprüfen ist, nicht unterbreitet werden.
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c) Ob die Klägerin die Legitimation auch aus Ziffer 3 der auf der Rückseite der Versicherungspolice abgedruckten allgemeinen Versicherungsbedingungen, wonach die mehreren Versicherer "acceptent de suivre toutes décisions prises par la compagnie apéritrice relativement au fonctionnement de la police, son interprétation et au règlement des sinistres", ableiten kann, ![]() | 19 |
d) Das Handelsgericht hat offen gelassen, ob die Klägerin die Schweizerische Bankgesellschaft für den Verlust der fünf Pakete entschädigt habe. Die Auffassung der Beklagten, das Bundesgericht habe mangels Nachweises der Zahlung die Subrogation und damit die Legitimation der Klägerin zu verneinen und die Klage abzuweisen, hält jedoch nicht stand. Wenn der Ausgang des Prozesses von der Legitimation der Klägerin abhängt, muss sich das Handelsgericht über die offen gelassene Frage aussprechen und neu urteilen.
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Beide Parteien des Luftfrachtvertrages haben ihren Sitz in der Schweiz, und das Frachtgut war von hier aus zu befördern. Dieser Vertrag untersteht daher dem schweizerischen Recht (nicht veröffentlichter Entscheid des Bundesgerichts vom 16.5.52 i.S. Airtrafic AG c. Transocean Airlines; STAUFFER, ZBJV 89 395; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Allgem. Einleitung N. 308). Die Klägerin und die Beklagte sind denn auch schon im kantonalen Verfahren einig gewesen, dass schweizerisches Recht anzuwenden sei. Im Berufungsverfahren weichen sie von dieser Auffassung nicht ab.
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In Art. 75 des Luftfahrtgesetzes wurde der Bundesrat angewiesen, sich bei der Regelung der Haftpflicht des Frachtführers ![]() | 24 |
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Diese Beschränkung gilt nicht, wenn der Absender bei der Aufgabe des Stückes das Interesse an der Lieferung besonders deklariert und den etwa vereinbarten Zuschlag zum Frachtlohn entrichtet hat (Art. 22 Abs. 2 lit. a WA).
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Sie entfällt auch dann, wenn die in Art. 25 WA bzw. Art. 10 LTR umschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind. Art. 25 WA in der Fassung von 1955 lautet:
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"Les limites de responsabilité prévues à l'article 22 ne s'appliquent pas s'il est prouvé que le dommage résulte d'un acte ou d'une omission du transporteur ou de ses préposés fait, soit avec l'intention de provoquer un dommage, soit témérairement et avec conscience qu'un dommage en résultera probablement, pour autant que, dans le cas d'un acte ou d'une omission de préposés, la preuve soit également apportée que ceux-ci ont agi dans l'exercice de leurs fonctions."
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Art. 10 LTR drückt die gleichen Gedanken in zwei getrennten Sätzen aus. Seine französische Fassung deckt sich in der Umschreibung der subjektiven Voraussetzungen mit dem französichen Text des Art. 25 WA. In der deutschen Fassung des Art. 25 WA und des Art. 10 LTR ist das Wort "témérairement" mit "leichtfertig" übersetzt. Diese Übersetzung wurde im April 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz vereinbart (A. MEYER, Internationale Luftfahrtabkommen Bd. III S. 235 Fussnote). Soweit sie den Sinn von "témérairement" abzuschwächen versucht, kann sie ![]() | 29 |
Für die Auslegung des Art. 25 WA bzw. Art. 10 LTR ist im übrigen entscheidend, dass man bei der Revision dieser Bestimmungen die Voraussetzungen, unter denen der Luftftrachtführer unbeschränkt haftet, vereinheitlichen und erschweren wollte. Unter der alten Fassung des Art. 25 WA galt die Haftungsbeschränkung dann nicht, wenn der Luftfrachtführer den Schaden vorsätzlich oder durch eine Fahrlässigkeit herbeigeführt hatte, die nach dem Recht des angerufenen Gerichtes dem Vorsatz gleichstand. Im angelsächsischen Rechtskreis setzte man dem Vorsatz nur den strengen Begriff des "wilful misconduct" gleich, während nach europäisch-kontinentaler Auffassung, die unter anderem in Deutschland und in der Schweiz herrschte, auch schon grobe Fahrlässigkeit zur unbeschränkten Haftung führte (BGE 93 II 347). Die neue Fassung, ohne geradezu den "wilful misconduct" als massgebend zu erklären, bezweckt die Vereinheitlichung der Rechtslage durch Annäherung an diesen Begriff (vgl. GERBER, Die Revision des Warschauer Abkommens, Diss. Zürich 1957 S. 86 ff. besonders S. 90 oben; SESSELI, La notion de faute dans la Convention de Varsovie, thèse Lausanne 1961 S. 158 f.; GULDIMANN, Internationales Lufttransportrecht, Zürich 1965 S. 148 N. 8). Der Geschädigte ist heute schlechter gestellt als früher nach den kontinentalen Gesetzen und Auffassungen (SCHLEICHER/REYMANN/ABRAHAM, Das Recht der Luftfahrt, 3. Auflage, 2 S. 1004). Als Frankreich nach der Revision des Warschauer Abkommens die nationalen Bestimmungen über die Haftung des Luftfrachtführers am 2. März 1957 der neuen Lage anpasste, gab es denn auch dem Art. 42 Abs. 1 seines Luftfahrtgesetzes folgende Fassung: "Pour l'application de l'article 25 de ladite convention la faute considérée comme équivalente au dol est la faute inexcusable. Est inexcusable la faute délibérée qui implique la conscience de la probabilité du dommage et son acceptation téméraire sans raison valable." Frankreich wendet diese Bestimmung gemäss Art. 41 des Luftfahrtgesetzes auch auf Beförderungen an, die vom Warschauer Abkommen nicht erfasst werden.
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Es besteht kein Zweifel, dass der Luftfrachtführer nach den revidierten Fassungen der Art. 25 WA und Art. 10 LTR nicht ![]() | 31 |
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Es ist aber klar, dass der Richter nicht unter dem Vorwand landesrechtlicher Beweisregeln die Beweislast umkehren, d.h. z.B. auf Grund eines ersten Anscheins bis zum Gegenbeweis die subjektiven Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung vermuten darf (GULDIMANN S. 149 N. 11; anderer Meinung RIESE S. 34, MEYER Bd. III S. 175 f. und GERBER S. 87/88; vgl. auch SESSELI S. 157/158). Eine Tatsache ist nur dann bewiesen, wenn der Richter von ihr überzeugt ist. Es genügt nicht, wenn er sie für möglich, ja für einigermassen wahrscheinlich hält, denn gerade darin liegt die Bedeutung der Beweislast, dass ![]() | 33 |
Blosse Indizienbeweise sind aber zulässig. Wenn nach der Natur der Sache, wie es etwa hinsichtlich eines natürlichen Kausalverlaufes oder des Wissens und Wollens einer Person zutreffen kann, ein absoluter Beweis nicht möglich ist, darf dabei der Richter seine Überzeugung mit einer auf der Lebenserfahrung beruhenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit begründen (BGE 45 II 97f.,BGE 46 II 201,BGE 47 II 293,BGE 53 II 426,BGE 57 II 208f., BGE 90 II 233). Er bleibt damit im Rahmen der Beweiswürdigung, über die Art. 25 WA und 10 LTR, wie gesagt, nichts vorschreiben.
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Diese Bestimmungen stehen auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht im Wege, wonach die Pflicht zum Beweis negativer Tatsachen dadurch gemildert wird, dass der Gegner des Beweispflichtigen nach Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) zum Beweis des Gegenteils beitragen muss und dass die Unterlassung oder das Misslingen des Gegenbeweises als Indiz für die Richtigkeit der Behauptung des Beweispflichtigen gewertet werden darf (BGE 66 II 147,BGE 76 II 70f., BGE 95 II 233).
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Da die Art. 25 WA und 10 LTR die Beweiswürdigung nicht regeln, darf das Bundesgericht als Berufungsinstanz diese nicht überprüfen; es ist an die tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Richters gebunden, sofern sie nicht unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustandegekommen sind oder nicht offensichtlich auf Versehen beruhen (Art. 43 Abs. 3, 55 Abs. 1 lit. c, 63 Abs. 2 OG).
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Die Klägerin geht auch am Kern der Sache vorbei, wenn sie vorbringt, die Versandinstruktionen der Beklagten und jene der Eastern Airlines stimmten nicht miteinander überein. Dass der Verlust des Gutes auf diesen Umstand zurückzuführen sei, ist weder festgestellt noch behauptet.
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Die Übergabe der fünf Pakete an die Eastern Airlines erfolgte mit erheblicher Verspätung, da laut Frachtbrief die Weiterbeförderung ![]() | 39 |
Die Beklagte haftet daher nicht für eigene Fehler. Gemäss Art. 8 LTR in Verbindung mit Art. 30 Abs. 3 WA hat sie aber solidarisch einzustehen, wenn und soweit die Eastern Airlines haftet.
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Diese Feststellung beruht weder offensichtlich auf Versehen noch ist sie unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen. Sie bindet daher das Bundesgericht. Soweit die Klägerin einen anderen Sachverhalt behaupten will, indem sie geltend macht, die fünf Pakete seien schon vom 17. auf den 18. Februar nicht ordnungsgemäss gelagert worden, sonst wüsste man, wohin sie gelangt seien, ist sie deshalb nicht zu hören.
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In rechtlicher Hinsicht sodann lässt sich die Lagerung im Safe nicht beanstanden. Sie war übrigens für den Verlust nicht adäquat kausal, da ja die fünf Pakete morgens 6 Uhr bei der Entnahme aus dem Safe noch vorhanden waren. An welchem Orte die Frachtpapiere aufbewahrt wurden, ist ebenfalls unerheblich.
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8. Was mit den fünf Paketen geschah, nachdem sie am 18. Februar aus dem Safe genommen worden waren, vermag das Handelsgericht nicht bestimmt zu sagen. Es stellt nur noch fest, dass das "Cargo manifest" mit dem Datum des 18. Februar 1968 ausgestellt wurde, dass man aber die Begleitpapiere zu den fünf Paketen nicht mit dem Flug 901 des 18., sondern erst mit dem Flug 901 des 19. Februar nach Mexico beförderte und auf dem "Cargo manifest" das Datum des 18. in 19. Februar 1968 abänderte. Ferner äussert es sich, es "erscheine als wahrscheinlich", dass der Rampen-Dienstmann Mc Carthy die fünf Pakete am 18. Februar 1968 auf die Rampe brachte und sie dort gegen Quittung dem Rampen-Inspektor Gerrain übergab und dieser sie um etwa 8.30 Uhr dem ihn ablösenden Inspektor Marino weitergegeben habe, unter dessen Aufsicht der Rampen-Dienstmann ![]() | 44 |
Mit diesen Ausführungen bleibt das Handelsgericht im Gebiete der Beweiswürdigung. Das Bundesgericht ist an sie gebunden, und zwar auch insoweit, als die Vorinstanz als ausgeschlossen erachtet, dass man heute durch weitere Beweismassnahmen noch Näheres in Erfahrung bringen könnte, denn diese Auffassung beruht auf vorweggenommener Beweiswürdigung (BGE 56 II 203oben,BGE 63 II 101, BGE 90 II 310). Das verkennt die Klägerin, indem sie das Bundesgericht ersucht, "die in Zürich in ständiger Praxis angewendeten Beweisvorschriften auch seinerseits anzuwenden". Es bestehen keine bundesrechtlichen Vorschriften darüber, wie der Richter in Haftpflichtprozessen gegen Luftfrachtführer den Beweis zu würdigen habe. Die erwähnten Feststellungen beruhen auch nicht offensichtlich auf Versehen. Insbesondere spricht nichts dafür, dass das Handelsgericht den Bericht Miranda versehentlich nicht beachtet habe. Indem die Klägerin ihn als eine beweisrechtlich unverdächtige Urkunde bezeichnet und der Vorinstanz vorwirft, sie schenke den darin "zeitgerecht dokumentierten Erklärungen" keinen Glauben, sondern begnüge sich mit Hypothesen, ficht sie unzulässigerweise die Beweiswürdigung an. Die Bezugnahme auf Art. 63 Abs. 2 OG und die Behauptung offensichtlicher ![]() | 45 |
Die Beklagte haftet daher für den Verlust nur dann, wenn sowohl unter dem Gesichtspunkt der einen als auch unter dem der anderen Möglichkeit gesagt werden muss, er sei von den Organen oder Leuten (Hilfspersonen) der Eastern Airlines durch ein subjektiv unter Art. 10 LTR und Art. 25 WA fallendes Verhalten verursacht worden. Wenn diese Voraussetzung nur bei dem einen der beiden möglichen Sachverhalte erfüllt ist, entfällt die Haftung, weil eben auch der andere Sachverhalt möglich bleibt, die Klägerin den ihr obliegenden Beweis der Voraussetzungen unbeschränkter Haftung also nicht erbracht hat.
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Dagegen wäre zu beanstanden, dass das Personal der Eastern Airlines des J. F. Kennedy-Flughafens die Begleitpapiere nicht ebenfalls schon mit dem Kurs 901 des 18. Februar beförderte, denn dadurch müsste die unauffällige Beseitigung oder das unabsichtliche Abhandenkommen der fünf Pakete in Mexico erleichtert worden sein. Das Handelsgericht stellt jedoch verbindlich fest, die Akten böten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Papiere absichtlich in New York zurückbehalten worden seien, um eine Kontrolle bei der Ankunft in Mexico zu verunmöglichen und so einen Diebstahl zu erleichtern; die Klägerin vermöge keine konkreten Umstände namhaft zu machen, die auf ein absichtliches Handeln oder Unterlassen schliessen liessen; es müsse entweder einem Missverständnis zwischen Inspektor Marino und dem Luftfracht-Koordinator Jiminez oder einem Irrtum des letztern zugeschrieben werden, dass die Begleitpapiere in New York blieben in der Annahme, Fracht sei überhaupt nicht geladen worden. Damit ist nicht nur die ![]() | 48 |
Wenn die fünf Pakete am 18. Februar befördert worden sein sollten, wäre möglicherweise auch zu beanstanden, dass die Eastern Airlines dem Flughafen Mexico nicht fernschriftlich von der Verfrachtung Kenntnis gab, wie ihre Vorschriften es für Wertsendungen haben wollen. Es steht jedoch nicht fest, seit wann diese Vorschriften gelten. Die Klägerin hat im kantonalen Verfahren selber darauf hingewiesen, dass sie die Daten des 3. Juli 1968 und 28. Februar 1969 tragen und "viel eher" als Folge des hier umstrittenen Verlustes erlassen worden seien. Was über die Nichtbeigabe der Begleitpapiere gesagt wurde, gilt zudem auch hier. Eine Schädigungsabsicht ist nicht bewiesen, und das Bewusstsein, dass ein Schaden wahrscheinlich eintreten werde, wird durch die Vorstellung des Jiminez und allfälliger weiterer Hilfspersonen, die fünf Pakete seien mit der übrigen Fracht zurückbehalten worden, ausgeschlossen. Die angebliche Verletzung von Dienstvorschriften ändert nichts; entgegen der Auffassung der Klägerin werden solche nur unbewusst übertreten, wenn der Verpflichtete sich über den Sachverhalt irrt, auf den sie angewendet werden sollten.
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Die Klägerin wirft der Eastern Airlines sodann vor, die fünf Pakete seien entgegen den Vorschriften dieser Gesellschaft nicht in einem Behälter von mindestens 5000 Kubikzoll befördert worden. Sie behauptet, dieses Gut sei von Zürich-Kloten an in einem farbigen Netzsack gereist und es sei klar, dass es in New York nicht in anderer Verpackung weitergegeben worden sei.
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Hierüber hat indessen das Handelsgericht nichts festgestellt, und seine Auffassung, es könnte heute nichts Näheres mehr in ![]() | 51 |
Selbst wenn den Eastern Airlines ausser dem Zurückbehalten der Begleitpapiere auch die beiden anderen angeblichen Fehler vorgeworfen werden müssten und man alle drei Unterlassungen gesamthaft betrachten und als grobes Versagen, ja als ein verwegenes Verhalten bezeichnen würde, wäre für die Klägerin nichts gewonnen, denn der subjektive Tatbestand der Absicht oder des Bewusstseins wahrscheinlicher Schädigung stände dennoch nicht fest.
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Daran vermögen weder die Beanstandungen der Klägerin am Frachtbetrieb der Eastern Airlines im allgemeinen noch ihre Aussetzungen an der Behandlung der fünf Wertpakete nach der angeblichen Wiederausladung im besonderen etwas zu ändern. Diese Anbringen enthalten zum Teil Behauptungen, deren Richtigkeit nicht feststeht, und zum Teil betreffen sie Tatsachen, die den Verlust der fünf Pakete nicht verursacht haben können. Samt und sonders vermögen sie zudem der Eastern Airlines höchstens Unsorgfalt vorzuwerfen. Soweit die Klägerin mit ihnen eine Schädigungsabsicht oder das Bewusstsein wahrscheinlicher Schädigung darzutun versucht, beanstandet sie die vorinstanzliche Beweiswürdigung und ist daher nicht zu hören.
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In der Berufungsantwort anerkennt die Beklagte die Schuld von Fr. 291.45 nebst Verzugszins vom 8. September 1969, d.h. von der Einreichung der Klage beim Friedensrichter an, aber nur für den Fall, dass das Gericht die Aktivlegitimation der Klägerin bejahen sollte. Da das Bundesgericht diese Legitimation nicht abschliessend beurteilen kann, muss es die Sache an das Handelsgericht zurückweisen. Dieses wird zu entscheiden haben, ob die Schweizerische Bankgesellschaft von den Versicherern mindestens Fr. 291.45 erhalten hat und die entsprechende Schadenersatzforderung auf die Versicherer übergegangen ist. Wenn ja, ist der Klägerin dieser Betrag als anerkannt zuzusprechen, desgleichen der anerkannte Verzugszins. Weitergehenden Zins schuldet die Beklagte dagegen nur, wenn sie schon vor dem 8. September 1969 in Verzug geraten ist. Ob das zutrifft, hat das Handelsgericht zu entscheiden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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