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31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Juni 1973 i.S. Wirth gegen Assicuratrice Italiana. | |
Regeste |
Art. 62 Abs. 1 SVG, Art. 46 Abs. 1 OR; Motorfahrzeughaftpflicht. |
2. Einen zusätzlichen Anspruch wegen Verminderung der Erwerbsfähigkeit hat sie aber nur, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass sie ohne Unfall einem Erwerb nachgegangen wäre (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
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B.- Im November 1970 klagte Frau Wirth gegen die Assicuratrice Italiana, bei der die Firma Winterhalder für ihre Halterhaftpflicht versichert war, auf Zahlung von Fr. 450 000.-- nebst 5% Zins seit 20. Januar 1963, wovon bereits geleistete Beträge von insgesamt Fr. 48 000.-- für den seit 1. August 1965 eingetretenen Schaden abzuziehen seien.
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Durch Urteil vom 16. Januar 1973 verpflichtete das Handelsgericht des Kantons Zürich die Beklagte, der Klägerin zu den schon erbrachten Leistungen noch insgesamt Fr. 212 988.-- zu bezahlen und den Betrag seit verschiedenen Verfalldaten mit 5% zu verzinsen.
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C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil die Berufung erklärt. Sie beantragt, es aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Fr. 402 000.-- nebst 5% Zins zu bezahlen.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die Sache zu neuer Entscheidung an das Handelsgericht zurück.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass damit der Schaden, den sie durch die verminderte Arbeitsfähigkeit erleidet, nicht voll. ![]() | 8 |
Das Handelsgericht hat über die Behauptungen der Klägerin nicht Beweis geführt und ihre Forderungen mit der Begründung abgewiesen, dass es sich um Reflexschäden des Ehemannes handle, welche die Beklagte nicht zu ersetzen brauche. Dass er der Ehefrau im Haushalt helfe, weil sie nicht mehr alle Arbeiten selber verrichten könne, gehöre übrigens zu den ehelichen Beistandspflichten; solche Hilfe habe er unentgeltlich zu erbringen. Auch sei es nicht verständlich, dass sie dann, wenn sie wegen Schmerzen angeblich nicht kochen könne, doch in ein Gasthaus gehen möge; in einem solchen Falle könne den Eheleuten zugemutet werden, dass sie sich zuhause etwas Einfaches zubereiten.
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Dass nur der unmittelbar Geschädigte, nicht aber der mittelbar Betroffene Anspruch auf Schadenersatz hat, trifft an sich zu (BGE 82 II 38 Erw. 4; OSER/SCHÖNENBERGER N. 52 und BECKER N. 115 zu Art. 41 OR; VON TUHR/SIEGWART, OR Allg. Teil S. 370; OFTINGER, Haftpflichtrecht I S. 59/60; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 180). Diese Regel gilt nach der Lehre und Rechtsprechung jedoch nicht für den Schadenersatzanspruch einer Hausfrau, die ihre Obliegenheiten infolge des schädigenden Ereignisses nicht mehr oder nur noch teilweise erfüllen kann (BGE 57 II 102 /3, 555/6, BGE 69 II 334 Erw. 3c, BGE 80 II 354, BGE 85 II 357 Erw. 6; OFTINGER, a.a.O. S. 172 Fussnote 104, und STAUFFER/SCHÄTZLE, Barwerttafeln, S. 42/3, je mit Zitaten). Der Hausfrau steht vielmehr ein eigener Schadenersatzanspruch zu, dessen Erfüllung nicht mit der Begründung verweigert werden darf, andere Familienangehörige, insbesondere der Ehemann, verrichteten nun die sonst ihr obliegenden Arbeiten.
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Das Handelsgericht hat es daher zu Unrecht abgelehnt, über ![]() | 11 |
Indem das Handelsgericht die beantragten Beweise der Klägerin überging, hat es Art. 8 ZGB verletzt. Das Bundesgericht kann dem nicht selber abhelfen; das angefochtene Urteil muss daher gemäss Art. 64 Abs. 1 OG aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden, damit sie die angebotenen Beweise abnehme und würdige, den Sachverhalt ergänze und über die zusätzlichen Forderungen der Klägerin neu entscheide. Wenn die Behauptungen der Klägerin zutreffen, wird das Handelsgericht dabei den ziffermässig nicht nachweisbaren Schaden allenfalls gemäss Art. 42 Abs. 2 OR abzuschätzen haben (BGE 98 II 36 Erw. 2 mit Zitaten). Auch wird es für die Mithilfe des Ehemannes bei Haushaltarbeiten jedenfalls nicht von Fr. 10.- Stundenlohn ausgehen dürfen; massgebend müsste die Entschädigung sein, die für eine Aushilfe zu bezahlen wäre.
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3. Die Klägerin macht für die Folgen der teilweisen Invalidität einen weiteren Schaden von mindestens Fr. 100'000.-- ![]() | 13 |
Die Beklagte hält diese Vorbringen für neu und daher nach Art. 55 Abs. 1 lit. c OG für unzulässig; sie liefen zudem auf eine Änderung der Klage hinaus. Weder das eine noch das andere trifft zu. Die Klägerin liess schon in der Klageschrift ausführen, sie müsse als arbeitsunfähig gelten und könnte als Saaltochter nicht mehr arbeiten, noch ihre frühere Absicht, ein Kaffeehaus zu übernehmen, ausführen. Als Hausfrau und Sekretärin ihres Mannes hätte sie jährlich mit mindestens Fr. 20'000.-- Einkommen rechnen und ein solches auch als Inhaberin eines Kaffeehauses erzielen können; das ergebe für eine dauernde Arbeitsunfähigkeit von 60% Fr. 301'668.--. Das Handelsgericht hat diese Vorbringen nicht in den Beweisbeschluss aufgenommen und sie im Urteil sinngemäss als unerheblich ausgegeben, weil die Möglichkeit, den Ehemann zu verlieren, nicht berücksichtigt werden könne; die Mortalitätstabellen beruhten auf Erfahrungstatsachen, und aussergewöhnliche Möglichkeiten, deren Auswirkungen nicht abzuschätzen seien, rechtfertigten keine Abweichung von den Tabellen.
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a) Entgegen der Ansicht der Vorinstanz geht es dabei jedoch nicht darum, den Zahlen der Mortalitäts- oder Invaliditätstabellen, die auf der schweizerischen Ausscheideordnung beruhen (STAUFFER/SCHÄTZLE, a.a.O. Tafel 62), andere zu unterstellen; es fragt sich vielmehr, ob die Ehefrau in Zukunft willens oder gezwungen sein könnte, wieder ins Erwerbsleben einzutreten, ihren früheren Beruf also wieder aufgenommen hätte oder sonst einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, z.B. wegen Wegfall des Versorgers oder weil sie aus anderen Gründen ihre Arbeitskraft ganz oder teilweise ausserhalb des Haushaltes hätte einsetzen wollen.
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Das Bundesgericht hat diese Möglichkeit wiederholt berücksichtigt. So hat es bei einer fünfzigjährigen Hausfrau eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit von 20% angenommen, obwohl die Geschädigte einer reichen Familie angehört hat ![]() | 16 |
Im Schrifttum wird ebenfalls die Auffassung vertreten, bei dauernder Invalidität einer Hausfrau könne die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass sie ohne den Unfall in Zukunft wieder eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hätte (WEISS, Zu Art. 46 OR: Vom Anspruch der lediglich im Haushalte tätigen Ehefrau auf Entschädigung wegen Arbeitsunfähigkeit, SJZ 1930/31 S. 109 ff.; GAUTSCHI, Bemerkungen zur Schadensberechnung bei Körperverletzung nach Art. 46 OR, SJZ 1940/41 S. 118; STAUFFER/SCHÄTZLE, a.a.O. S. 43; SZÖLLÖSY, Die Berechnung des Invaliditätsschadens, Diss. St. Gallen 1968, S. 250 mit Fussnote 27).
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b) Die blosse Möglichkeit, dass eine im Haushalt tätige Ehefrau ohne Unfall später wieder einem Erwerb nachgegangen wäre, genügt indes nicht, um einen zusätzlichen Anspruch zu begründen. Es müssen vielmehr konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die dies aufgrund der Lebenserfahrung nicht nur als objektiv möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Davon kann erst die Rede sein, wenn bestimmte Anzeichen die annähernd sichere Annahme zulassen, dass die Verletzte wirklich erwerbstätig geworden wäre. Die hiervor angeführten Urteile, insbesondere BGE 69 II 334 /5, wonach grundsätzlich ![]() | 18 |
Das Handelsgericht, das die entsprechenden Forderungen der Klägerin mit unzutreffender Begründung abgewiesen hat, wird zu prüfen haben, ob für ihre Behauptungen konkrete Anhaltspunkte bestehen und ob darüber, soweit dies prozessual noch möglich ist, Beweise zu erheben sind. Die entfernte Möglichkeit einer spätern Scheidung genügt jedenfalls nicht zur Annahme, die Klägerin werde in Zukunft gezwungen sein, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, abgesehen davon, dass sie sich bei einer unverschuldeten Scheidung auf Art. 151 und 152 ZGB berufen könnte. Ähnlich verhält es sich mit der Möglichkeit, dass der Ehemann vorzeitig sterben oder arbeitsunfähig werden könnte. Er ist heute 44 jährig. Nach der schweizerischen Ausscheideordnung (STAUFFER/SCHÄTZLE, a.a.O. Tafel 62) beträgt die mathematische Wahrscheinlichkeit, dass er mit 50, 55 oder 60 Jahren sterben oder invalid werden könnte, etwa 4, 8 oder 15%. Solche Möglichkeiten reichen für sich allein nicht aus, um einen Anspruch zu begründen. Dass die Klägerin nach Tod oder Invalidität ihres Ehemannes gezwungen wäre, einem Erwerb nachzugehen, steht übrigens nicht fest; die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eheleute Wirth sind nicht bekannt. Ebensowenig genügt die Behauptung der Klägerin, sie wäre später wieder ins Erwerbsleben eingetreten, wenn die Ehe auch sonst kinderlos geblieben wäre. Dies gilt umsomehr, als sie nur schwerlich mit der weitern Behauptung zu vereinbaren ist, die Klägerin habe als Sekretärin im Geschäft des Ehemannes Aushilfe geleistet. Auch fragt sich, ob der Einkommensausfall der Klägerin im Falle der Wiederaufnahme eines Berufes überhaupt grösser wäre als der Betrag, der ihr allenfalls schon wegen Einbusse von Arbeitsfähigkeit als Hausfrau zusteht.
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