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52. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. September 1974 i.S. Incommerz AG gegen X. | |
Regeste |
Darlehen. |
2. Art. 2 ZGB. Darlehen auf Lebenszeit des Darleihers: Unzumutbarkeit wegen Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erw. 2)? |
3. Art. 107 OR. Der Darleiher kann nach dieser Vorschrift vom Vertrag zurücktreten, wenn der Borger fälligen Zins nicht bezahlt (Erw. 3). |
4. Art. 83 und 316 OR. Diese Bestimmungen ermächtigen den Darleiher nicht, den Vertrag wegen ausstehender Zinse sofort aufzulösen, ohne sich an Art. 107 OR zu halten (Erw. 4). | |
Sachverhalt | |
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Am 15. November 1966 kaufte X. seiner Frau ihren Anteil an der Liegenschaft "Engistein" ab. In der Folge liess er sich scheiden und heiratete L. M., mit der er am 18. August 1969 die Gütertrennung vereinbarte. Mit Vertrag vom 22. Juni 1970 verkaufte er ihr die Liegenschaft "Engistein" zum Preise von Fr. 86000.--, der durch Übernahme einer Grundpfandschuld in gleicher Höhe getilgt wurde. X. liess sich ein lebenslängliches, unentgeltliches Nutzniessungsrecht und zum Preise von Fr. 86000.-- ein Vorkaufsrecht an der Liegenschaft einräumen, verpflichtete sich aber, die Grundpfandzinsen zu bezahlen.
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Scherer trat die Darlehensforderung bereits am 27. Juli 1967 an seine drei Kinder ab, von denen die Forderung gemäss Zessionsurkunde vom 30. Oktober 1968 auf die Incommerz AG überging. Diese liess X. im September 1971 betreiben und, als er Rechtsvorschlag erhob, im Dezember 1971 gegen ihn auf Zahlung von Fr. 19059.22 nebst Fr. 508.25 Zins und Fr. 40.- Betreibungskosten klagen.
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C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingelegt. Sie beantragt, es aufzuheben und ihr Klagebegehren im vollen Umfange gutzuheissen.
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Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Richtig ist, dass Scherer nach dem Wortlaut des Vertrages vom 31. Dezember 1964 das Darlehen "seinem Schwiegersohn" X. eingeräumt hat und dass bereits im Erbteilungs- und Kaufvertrag von Bedingungen des Darlehens, insbesondere von einer Gewährung auf Lebenszeit die Rede ist. In anderen Punkten weichen die Verträge jedoch deutlich voneinander ab. Im Erbteilungs- und Kaufvertrag wurde das Darlehen durch eine Grundpfandverschreibung sichergestellt, im spätern Vertrag aber vereinbart, die Eintragung im Grundbuch zu löschen. Auch liessen die Parteien den Vorbehalt unvorhergesehener Vorkommnisse fallen. Dass dies aus Versehen geschehen sei, ist umsoweniger anzunehmen, als der Vorbehalt im früheren Vertrag bei der Dauer des Darlehens angebracht wurde, diese Dauer nach dem spätern jedoch mindestens zehn Jahre betragen soll. Es geht daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an, den Vorbehalt bei Auslegung des Vertrages vom 31. Dezember 1964 gleichwohl berücksichtigen zu wollen. Auch kann offen bleiben, ob damit bloss Vorkommnisse in der Person des Darleihers oder auch andere Ereignisse, insbesondere eine Scheidung des Beklagten von seiner Frau, gemeint gewesen seien.
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Das Obergericht stellt fest, es lägen keine Anhaltspunkte ![]() | 9 |
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a) Aus der persönlichen Beziehung, die bei Abschluss des Darlehensvertrages zwischen dem Darleiher und dem Borger bestand und die durch die Scheidung des Borgers aufgelöst wurde, kann die Klägerin schon deshalb nichts zu ihren Gunsten ableiten, weil solche Beziehungen jedenfalls für einen Vertrag auf entgeltliche Überlassung einer Geldsumme unwesentlich sind; diesfalls wird der Vertrag selbst unter Verwandten vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen abgeschlossen. Beim verzinslichen Darlehen kann es daher für den Darleiher nicht schon wegen einer Störung seines persönlichen Verhältnisses zum Borger unzumutbar sein, diesem das für längere Zeit gewährte Darlehen bis zum Ablauf der Vertragsdauer zu überlassen. Dazu kommt, dass die Darlehensforderung durch Abtretung von Scherer auf dessen Kinder und von diesen auf die Klägerin übergegangen ist. Zwischen der Klägerin und dem Borger besteht aber keine verwandschaftliche Beziehung, weshalb eine persönlich bedingte Unzumutbarkeit, das Darlehen aufrechtzuerhalten, zum vorneherein zu verneinen ist.
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b) Bei langfristigen Verträgen müssen die Parteien zudem mit der Möglichkeit rechnen, dass die zur Zeit des Vertragsschlusses ![]() | 12 |
Ein richterlicher Eingriff auf Verlangen einer Partei ist gestützt auf Art. 2 ZGB nur zulässig, wenn die Verhältnisse von Leistung und Gegenleistung infolge ausserordentlicher Änderung der Umstände so gestört sind, dass die sich aus dem Vertrag ergebende Risikoverteilung für die eine Partei nicht mehr tragbar und das Festhalten der Gegenpartei an ihrem Anspruch nach den gesamten Umständen missbräuchlich ist (BGE 59 II 378 /9, BGE 62 II 45, BGE 67 I 300, BGE 68 II 173; vgl. ferner BGE 93 II 188; MERZ, ZSR 1942 S. 499 a ff. und N. 233 zu Art. 2 ZGB; DESCHENAUX, Schweizerisches Privatrecht, Basel 1967, Bd. II S. 199 ff.).
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Davon kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Die seit Abschluss des Darlehensvertrages eingetretenen Änderungen bestehen im wesentlichen darin, dass die wirtschaftliche Lage des Borgers sich verschlechtert hat. Mit diesem Risiko muss aber ein Darleiher rechnen, zumal wenn er wie Scherer ausdrücklich auf eine Sicherstellung verzichtet. Es kann daher für die Beurteilung des Rechtsverhältnisses auch nicht darauf ankommen, dass der Beklagte das Eigentum an der Liegenschaft "Engistein", die ursprünglich als Sicherheit diente, auf seine zweite Frau übertragen liess. Ebensowenig hilft der Klägerin, dass der Beklagte in dem von ihm angestrengten Aberkennungsprozess der Rückzahlungspflicht mit fragwürdigen Mitteln zu entgehen suchte und, als ihm dies misslang, darauf beharrte, das Darlehen sei ihm auf Scherers Lebenszeit gewährt worden. Weder das eine noch das andere machte die Ausübung seiner Rechte aus dem Darlehensvertrag missbräuchlich im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB.
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3. Das Gesetz sieht beim Darlehen kein Rücktrittsrecht ![]() | 15 |
Der Beklagte befand sich seit 1968 in Verzug, weil er den Zins für 1967 Ende Dezember nicht bezahlte. Mit Schreiben vom 14. November 1968 setzte die Klägerin ihm "eine letzte Frist von zehn Tagen" zur Zahlung und fügte bei, dass sie bei "Nichtbezahlen des Zinses" berechtigt sei, das Darlehen zu kündigen. Der Beklagte liess die Frist, die der Vorschrift des Art. 107 OR genügte, unbenützt verstreichen. Gleichwohl erwähnte die Klägerin in ihrem Schreiben vom 28. November 1968 an den Beklagten den ausstehenden Zins mit keinem Wort, noch machte sie von ihrem Recht Gebrauch, vom Darlehensvertrag zurückzutreten oder ihn "zu kündigen", wie sie dem Beklagten am 14. November drohte; sie machte den Beklagten vielmehr auf den Ende 1968 fälligen Zins aufmerksam, hielt also am Vertrag fest. Ihr Verhalten kann nur so verstanden werden, dass die Drohung selbst nach dem Willen der Klägerin keine Rücktrittserklärung enthielt. Eine solche hat sie auch sonst nicht abgegeben. Sie begnügte sich damit, die Darlehensforderung unbekümmert um die Voraussetzungen des Wahlrechts gemäss Art. 107 OR über zwei Jahre später in Betreibung zu setzen.
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Für eine solche Auslegung ist Art. 316 OR jedoch nichts zu entnehmen. Diese Bestimmung will wie Art. 83 OR den vorleistungspflichtigen Vertragspartner schützen, bei Darlehensverträgen also den Darleiher, der dem Borger den Betrag zur Nutzung überlassen muss, bevor er Zinsen und Rückzahlung verlangen darf. Hat er den Betrag bereits hingegeben, so besteht ![]() | 18 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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