BGE 101 II 86 | |||
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18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. Juni 1975 i.S. Michael gegen Brandenberger. | |
Regeste |
Art. 267a Abs. 3 OR; Erstreckung des Mietverhältnisses. |
2. Die Frist für das zweite Erstreckungsbegehren ist auch dann zu beachten, wenn über das erste noch nicht entschieden worden ist (Erw. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Frau Michael hat von Brandenberger an der Kalchbühlstrasse 79 in Zürich eine Dreizimmerwohnung gemietet, für die sie monatlich Fr. 450.-- Zins bezahlt. Als Brandenberger die Wohnung mit Schreiben vom 28. September 1972 auf den 31. März 1973 kündigte, stellte sie beim Mietgericht des Bezirkes Zürich am 23. Oktober 1972 das Begehren, das Mietverhältnis um ein Jahr, d.h. bis Ende März 1974 zu erstrecken. Mit Urteil vom 30. Januar 1974, das am 1. März 1974 zugestellt wurde, entsprach das Mietgericht diesem Begehren und setzte der Klägerin für den Fall, dass sie ein zweites Erstreckungsbegehren einreichen wollte, zehn Tage Frist ab schriftlicher Mitteilung des Entscheides.
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Ein Rekurs Brandenbergers gegen dieses Urteil wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 10. April 1974 abgewiesen, soweit darauf einzutreten war. Es hielt die Fristansetzung durch das Mietgericht rechtlich für unbeachtlich.
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B.- Mit Eingabe vom 1. März 1974 beantragte Frau Michael dem Mietgericht, das Mietverhältnis um zwei weitere Jahre zu erstrecken. Durch Beschluss vom 5. Juni 1974 stellte das Mietgericht ihr die Klagefrist, die gemäss Art. 267a Abs. 3 OR am 31. Januar 1974 abgelaufen war, wieder her. Am 10. Oktober 1974 wies es sodann das zweite Erstreckungsbegehren ab, weil die Klägerin sich nicht genügend um eine andere Wohnung bemüht habe.
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Die Klägerin erhob Rekurs, den das Obergericht mit Beschluss vom 27. Februar 1975 abwies. Es hielt die Klage gemäss Art. 267a Abs. 3 OR für verspätet und eine Wiederherstellung der Frist wegen Verschuldens des klägerischen Vertreters für unzulässig.
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C.- Die Klägerin hat gegen diesen Beschluss Berufung eingelegt. Sie beantragt, ihn aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt den angefochtenen Beschluss.
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Aus den Erwägungen: | |
2. Sind die Voraussetzungen gemäss Art. 267a Abs. 1 und 2 OR gegeben, so kann der Richter das Mietverhältnis über eine Wohnung auf Begehren des Mieters das erste Mal um höchstens ein Jahr und das zweite Mal um höchstens zwei weitere Jahre erstrecken. Das erste Begehren ist innert dreissig Tagen seit Empfang der Kündigung, das zweite spätestens sechzig Tage vor Ablauf der Dauer zu stellen, um die das Mietverhältnis auf das erste Begehren hin verlängert worden ist. Es handelt sich dabei, was von keiner Seite bestritten wird, um Verwirkungsfristen. Die Vorschriften über den Stillstand und die Unterbrechung der Verjährung (Art. 134 und 135 OR) sind auf solche Fristen nicht anwendbar, und der Richter kann sie grundsätzlich weder verlängern noch wiederherstellen, wenn sie versäumt worden sind (BGE 95 II 269, BGE 98 II 181, BGE 99 II 168).
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Vereinzelt sieht das Bundesrecht freilich selbst eine Wiederherstellung vor, wenn die Säumnis unverschuldet ist. Das ist z.B. nach Art. 257 ZGB, Art. 45 Abs. 3 VVG und nach Art. 47 PatG der Fall. Solche Ausnahmebestimmungen dürfen jedoch nicht analog auf andere Verhältnisse angewendet werden; sie gelten nur für Fälle, für die sie ausdrücklich vorgesehen sind (BGE 45 II 238; HEGNAUER, N. 21 ff. zu Art. 308 ZGB; BÜHLER, Einl. zu Art. 137 ff. ZGB N. 62 ff.). Als Ausnahmebestimmung ist ferner die dem Verjährungsrecht angehörende Regel über eine Nachfrist bei Rückweisung der Klage zu betrachten (Art. 139 OR). Gewiss ist diese Regel aus Gründen der Billigkeit von der Rechtsprechung sinngemäss auch auf Klagefristen des Bundesrechts angewendet worden (BGE 89 II 307, 93 II 369, BGE 96 III 95, BGE 98 II 183). Sie setzt jedoch voraus, dass innert der Frist geklagt worden ist, wenn auch beim unzuständigen Richter oder in mangelhafter Form. Das trifft hier nicht zu. Nach der Rechtsprechung gilt sodann die Einrede eines Beklagten, die Klagefrist sei versäumt worden, als missbräuchlich im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB, wenn er die Säumnis arglistig herbeigeführt oder dem Kläger durch sein Verhalten sonst Anlass gegeben hat, von einer rechtzeitigen Klage abzusehen (BGE 83 II 98; MERZ, N. 407 ff. zu Art. 2 ZGB). Ein solcher Fall liegt hier ebenfalls nicht vor.
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Das Obergericht hält bei Verwirkungsfristen eine Wiederherstellung nach Prozesessrecht für möglich, hat diese im vorliegenden Fall aber abgelehnt, weil die strengen Voraussetzungen von Art. 35 OG und § 221 des zürch. Gerichtsverfassungsgesetzes nicht erfüllt seien. Art. 35 OG gilt indes nur für prozessuale, nicht auch für Fristen des materiellen Rechts (BIRCHMEIER, Bundesrechtspflege, S. 38; vgl. BGE 79 IV 44, BGE 81 III 83).
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Ebensowenig kann für den Fall, dass eine vom Bundesrecht vorgesehene Klagefrist versäumt wird, etwas darauf ankommen, ob und unter welchen Voraussetzungen das kantonale Prozessrecht eine Wiederherstellung zulässt. Das Bundesrecht kennt diese, ausser in den hiervor erwähnten Sonderfällen, selbst dann nicht, wenn eine Klagefrist unverschuldet versäumt worden ist. Das ist auch bei Erstreckungsbegehren gemäss Art. 267a OR zu beachten.
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Bei dieser allgemeinen Rechtslage kann offen bleiben, ob der Vertreter der Klägerin die Klagefrist schuldhaft versäumt habe, was vom Obergericht bejaht, vom Anwalt aber bestritten wird. Zu bemerken ist immerhin, dass diesem bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit weder die gesetzliche Klagefrist für das zweite Erstreckungsbegehren noch deren Vorrang gegenüber einer richterlichen Nachfrist entgehen konnte (vgl. BGE 92 I 217).
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Unklarheiten können sich freilich ergeben, wenn der Richter das Mietverhältnis auf das erste Begehren hin um weniger als die beantragte Höchstdauer von einem Jahr verlängert, weil sich diesfalls der letzte Tag der Frist für das zweite Begehren nicht zum vorneherein ermitteln lässt. Die Klägerin wendet denn auch ein, sie habe Ende Januar 1974 noch nicht wissen können, in welchem Ausmass ihrem ersten Gesuch entsprochen werde. Eine solche Unklarheit bestand hier jedoch nicht. Von der einjährigen Verlängerung, welche die Klägerin mit dem ersten Begehren verlangte, waren damals bereits zehn Monate abgelaufen. Sie konnte deshalb den 31. Januar 1974 als den äussersten Termin erkennen und musste ihn beachten, wenn sie das Klagerecht nicht verwirken wollte. Ebensowenig hilft der Klägerin, dass das Mietgericht ihr im Urteil vom 30. Januar 1974 eine Nachfrist von zehn Tagen angesetzt hat. Sie hat das Urteil erst am 1. März 1974 erhalten, die gesetzliche Klagefrist folglich nicht im Vertrauen auf eine unrichtige Rechtsbelehrung verstreichen lassen. Nach dem klaren Wortlaut des Art. 267a OR konnte das Mietverhältnis erstmals höchstens bis 31. März 1974 verlängert (Abs. 1) und musste das zweite Begehren spätestens sechzig Tage vorher, also bis 31. Januar 1974 gestellt werden (Abs. 3).
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Diese Lösung ist auch sachlich gerechtfertigt, da sie klare Verhältnisse schafft und im Interesse der Rechtssicherheit liegt. Stellt der Mieter in Fällen wie hier sechzig Tage vor Ablauf der beantragten Verlängerung kein zweites Gesuch, so soll der Vermieter selbst dann nicht mit einem zweiten Gesuch rechnen müssen, wenn der Entscheid über das erste noch aussteht.
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Andernfalls würde der Vermieter durch die gesetzliche Regelung, die für Wohnungen nur zwei Erstreckungsmöglichkeiten von insgesamt drei Jahren vorsieht, irregeführt, was zu neuen Auseinandersetzungen führen müsste. Diese Gefahr bestände namentlich dann, wenn der Mieter die gesetzliche Frist für das zweite Erstreckungsbegehren unbenützt verstreichen lässt, der Vermieter aber die Wohnung deswegen bereits an einen Dritten vermietet. Solche Auswirkungen lassen sich nur vermeiden, wenn auch in Fällen wie dem vorliegenden auf den Wortlaut des Art. 267a Abs. 3 OR abgestellt wird (vgl. BGE 99 II 170).
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