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42. Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Dezember 1977 i.S. Immobiliengesellschaft X. gegen Y. | |
Regeste |
Ausweisung eines Mieters nach Art. 265 OR; Begriff der Zivilrechtsstreitigkeit und des Endentscheides; Abgrenzung zwischen Miet- und Pachtvertrag. |
2. Abgrenzung zwischen Miet- und Pachtvertrag (E. 2). |
3. Hinterlegung des Mietzinses bei Ansetzung einer Zahlungsfrist gemäss Art. 265 OR; Zulässigkeit (E. 3a)? Fristenlauf bei gerichtlicher Hinterlegung (E. 3c und d). | |
Sachverhalt | |
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B.- Mit Eingabe vom 11. März 1977 stellte die Immobiliengesellschaft X. beim Einzelrichter im summarischen Verfahren gegen Y. das Begehren, es sei dieser innert 10 Tagen aus den von ihm gemieteten Räumlichkeiten auszuweisen. Der Einzelrichter gab mit Verfügung vom 9. Juni 1977 dem Begehren statt, weil die dreissigtägige Zahlungsfrist vor der Bezahlung des ausstehenden Mietzinses abgelaufen sei.
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Der Beklagte rekurrierte an das Obergericht des Kantons Zürich und machte erstmals geltend, zwischen den Parteien bestünde ein Pachtvertrag, weshalb nach der zwingenden Vorschrift des Art. 293 OR eine Zahlungsfrist von 60 Tagen anzunehmen sei. Das Obergericht (II. Zivilkammer) folgte dieser Auffassung und wies das Ausweisungsbegehren der Klägerin am 5. August 1977 ab.
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C.- Die Klägerin hat die Berufung erklärt, mit der sie das Bundesgericht um Gutheissung ihres Ausweisungsbegehrens ersucht; ferner sei dem Beklagten eine "Ausweisungsfrist" von 10 Tagen anzusetzen.
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Demgegenüber stellt der Beklagte den Antrag auf Nichteintreten; allenfalls sei die Berufung abzuweisen und der Beschluss des Obergerichts zu bestätigen.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Wird ein Mietvertrag im Rahmen von Art. 265 Abs. 1 OR aufgelöst, so hat der Vermieter einen Rückgabeanspruch, der auf Art. 271 OR beruht. Bei der Vermietung von Immobilien kann er deshalb den Mieter durch den Richter verpflichten lassen, die Mietsache zu räumen (vgl. SCHMID, N. 30 zu Art. 265 OR und N. 36 und 37 zu Art. 271 OR). Ob das kantonale Prozessrecht hiefür ein ordentliches oder ein summarisches Verfahren, z.B. ein Befehlsverfahren, vorsieht, ändert jedenfalls nichts daran, dass es bei einem solchen Streit um das Kernstück des Mietvertrages überhaupt geht, nämlich um die Gebrauchsüberlassung im Sinne von Art. 253 OR. Dass bei einer Ausweisung das Vertragsverhältnis der Parteien "intakt" bleibe, wie in älteren Urteilen des Bundesgerichts dargelegt wurde (BGE 30 II 100 E. 5, 22 S. 1077, 21 S. 757), kann unter diesen Umständen nicht gesagt werden. Das gilt unbekümmert darum, ob dem Mieter nach vollzogener Ausweisung allenfalls Schadenersatzansprüche zustehen (BGE 101 II 360).
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Richtig ist, dass gegen blosse Vollstreckungsmassnahmen die Berufung nicht zulässig ist, da sie keine Zivilrechtsstreitigkeiten im Sinne der Art. 44 und 46 OG sind (BGE 95 II 377 E. 1, BGE 78 II 176, BGE 72 II 52). Von Vollstreckungsmassnahmen ist aber nur dann zu sprechen, wenn es ein bestimmtes Sachurteil zu vollstrecken gilt (vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 1958, S. 597). Nach zürcherischem Recht erfolgt die Ausweisung von Mietern und Pächtern kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung auf Grund von § 222 Ziff. 2 ZPO, nämlich im Befehlsverfahren "zur schnellen ![]() | 9 |
b) Zu prüfen bleibt im Rahmen der Eintretensfrage noch, ob der angefochtene Beschluss, mit dem das Ausweisungsbegehren der Klägerin abgewiesen wurde, ein Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG sei. Das trifft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann zu, wenn mit einem Erkenntnis über einen materiellen Anspruch entschieden oder dessen Beurteilung aus einem Grunde abgelehnt wird, der endgültig verbietet, dass der gleiche Anspruch zwischen den gleichen Parteien nochmals geltend gemacht wird (BGE 102 II 61 E. 1, BGE 101 II 362 E. 1, BGE 100 II 287 E. 1, 429 E. 1). Ein Endentscheid liegt unter anderem dann nicht vor, wenn nur um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht wurde und der streitige Anspruch mithin zum Gegenstand eines neuen Verfahrens gemacht werden kann (BGE 101 II 362 E. 1, BGE 97 II 187 E. 1 mit Hinweisen).
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In seiner bisherigen Rechtsprechung erachtete das Bundesgericht auf Grund der nunmehr ausser Kraft getretenen zürcherischen ZPO vom 13. April 1913 obergerichtliche Entscheidungen betreffend Befehlsbegehren als berufungsfähig, sofern das Begehren gutgeheissen und der Beklagte zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet wurde, ohne dass dadurch zwangsläufig ein ordentliches Verfahren ausgelöst wurde; nicht an das Bundesgericht weitergezogen werden konnten hingegen Entscheide, die ein Befehlsbegehren abwiesen (BGE 102 II 62 E. 2 und 3 mit Hinweisen). Die Grundlage für diese Rechtsprechung besteht aber nicht mehr, bestimmt doch ![]() | 11 |
Jedenfalls für das neue zürcherische Zivilprozessrecht lässt sich daher die Auffassung nicht aufrechterhalten, dass ein auf Art. 265 Abs. 1 OR beruhendes Ausweisungsverfahren keine Zivilrechtsstreitigkeit sei und nicht zu einem Endentscheid führe (BGE 101 II 359). Da vorliegend ein Streitwert von Fr. 8'000.-- ohne weiteres gegeben ist, ist auf die Berufung einzutreten.
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b) Beim Pachtvertrag überlässt der Verpächter dem Pächter eine nutzbare Sache oder ein nutzbares Recht zum Gebrauch und zum Bezug der Früchte oder der Erträgnisse (Art. 275 Abs. 1 OR). Dem Mieter steht dagegen nur der blosse Gebrauch der ihm überlassenen Sache zu (Art. 253 OR), und zwar ohne Rücksicht auf ihre Nutzbarkeit. Im Unterschied zu ausländischen Rechtsordnungen kennt das schweizerische Recht eine besondere Regelung der ![]() | 14 |
c) Nach dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag überlässt die Klägerin dem Beklagten die auf den beiliegenden Plänen bezeichneten Räume, nämlich das Erdgeschoss und den Keller, zur Benützung als Restaurations-, Dancing- und Nachtcafébetrieb. Das Inventar gemäss besonderem Verzeichnis ging bei Vertragsabschluss in das Eigentum des Mieters über und ist bei Beendigung der Miete nicht mehr zurückzugeben (Art. 39). Das Obergericht sieht darin einen Hinweis auf das Vorliegen eines Pachtvertrages, weil dem Beklagten Inventar zur Verfügung stand. Dieses konnte indessen gar nicht mehr Gegenstand einer Gebrauchsüberlassung sein, da der Beklagte bei Vertragsschluss Eigentümer wurde. Davon abgesehen, ist dem obergerichtlichen Beschluss nicht zu entnehmen, dass dieses Inventar für den Betrieb des Nachtlokals auch nur annähernd ausgereicht hätte, was aber zutreffen müsste, wenn man aus diesem Umstand Argumente für das Vorliegen eines Pachtvertrages ableiten wollte.
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Für das Obergericht ist entscheidend, dass sich der Beklagte zu einer "seriösen Geschäftsführung" verpflichtet hat, "die ![]() | 16 |
Der von den Parteien geschlossene Vertrag sieht vor, dass der Basismietzins von Fr. 200'000.-- auf Fr. 170'000.-- herabgesetzt werde, wenn ohne Verschulden des Beklagten das Wirtschaftspatent nicht erteilt oder entzogen und wenn der Wirtschaftsbetrieb durch polizeiliche oder richterliche Verfügung eingeschränkt werde. Die Vorinstanz glaubt, daraus schliessen zu können, dass dem Beklagten seitens der Klägerin ein nutzbares Recht überlassen worden sei; § 7 des zürcherischen Gesetzes über das Gastwirtschaftsgewerbe und den Klein- und Mittelverkauf von alkoholhaltigen Getränken vom 21. Mai 1939 bestimme nämlich, dass das Patent sich auf ein bestimmtes Lokal beziehe. Die Vorinstanz übersieht, dass nach § 9 desselben Gesetzes Patente nur derjenigen natürlichen Person erteilt werden können, die für den Betrieb verantwortlich ist, und dass die Abtretung eines solchen Patentes "zur Ausübung an Dritte" unzulässig ist. Dass der Vertrag für den Fall einer Betriebseinschränkung auf Grund behördlicher Anordnung nur eine Herabsetzung des Mietzinses ![]() | 17 |
Art. 43 des Vertrages ermächtigt den Beklagten dagegen, die übernommenen Räume umzubauen, wobei er das Recht hat, auf Vertragsbeendigung die Einrichtungen wieder zu entfernen, ohne dass er den früheren Zustand wiederherstellen oder besondere Instandstellungen vornehmen müsste. Das zeigt deutlich, dass dem Beklagten die blossen Räume überlassen wurden, ohne dass der Klägerin die Möglichkeit offen steht, nach der Auflösung des Vertrages den Betrieb mit dem gleichen Mobiliar weiterzuführen. Dieser Umstand deutet jedenfalls auf ein Mietverhältnis hin.
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d) Davon, dass im vorliegenden Falle dem Beklagten ein bestehender Wirtschaftsbetrieb samt seinen Geschäftsbeziehungen überlassen worden sei, kann nach dem Gesagten keine Rede sein. In seiner Berufungsantwort gesteht der Beklagte denn auch ein, dass der fragliche Betrieb im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geschlossen war; auch das spricht gegen Pacht. Anhaltspunkte, die auf das Vorliegen eines Pachtvertrages schliessen liessen, sind nicht zu ersehen. Vielmehr ergibt sich aus den dargelegten Umständen, dass die Klägerin dem Beklagten nur Räume für die Einrichtung eines Wirtschaftsbetriebes überliess. Bei dem von den Parteien abgeschlossenen Vertrag handelt es sich somit um einen Mietvertrag, weshalb die dreissigtägige Frist von Art. 265 Abs. 1 OR zum Zuge kommt.
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3. a) Ist dem Mieter eine Frist zur Zahlung des Mietzinses im Sinne von Art. 265 OR angesetzt, so kann er die Auflösung des Vertrages durch Hinterlegung des ausstehenden Betrages nur dann abwenden, wenn er durch eine besondere vertragliche Bestimmung dazu ermächtigt ist oder wenn die Voraussetzungen der Art. 92, 96 oder 168 Abs. 1 OR gegeben sind (SCHMID, N. 27 zu Art. 265 OR; BECKER, N. 10 zu Art. 265 OR). Letzteres trifft im vorliegenden Falle ohnehin nicht zu. Dagegen bestimmt der mit dem Marginale "Verrechnung" ![]() | 20 |
b) Die Klägerin setzte dem Beklagten am 30. November 1976 "eine dreissigtägige Frist" bis "Ende Dezember 1976" zur Bezahlung des rückständigen Mietzinses. Hierauf zahlte der Beklagte am 23. Dezember 1976 der Klägerin Fr. 30'000.-- und überwies weitere Fr. 30'000.-- an die Bezirksgerichtskasse Zürich. Das Begehren um Hinterlegung dieses Betrages, das der Beklagte beim Einzelrichter im summarischen (bis Ende 1976 nichtstreitigen) Verfahren anhängig machte, wurde von diesem am 8. Februar 1977 abgewiesen. Die entsprechende Verfügung kam dem Vertreter des Beklagten am 11. Februar 1977 zu und wurde vom Beklagten hinsichtlich der Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen beim Obergericht des Kantons Zürich mit Rekurs angefochten. Das alles ist unbestritten und ergibt sich aus der Verfügung des Einzelrichters vom 9. Juni 1977, die durch den vorinstanzlichen Beschluss aufgehoben wurde. Da in diesem Beschluss aber die entsprechenden Feststellungen fehlen, ist der Tatbestand im dargelegten Sinne gestützt auf Art. 64 Abs. 2 OG zu ergänzen.
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c) Der Beklagte behauptet, mit der vorläufigen Hinterlegung sei die Fristansetzung vom 30. November 1976 dahingefallen; sie hätte deshalb nach Abschluss des Hinterlegungsverfahrens erneuert werden müssen; allenfalls habe sie nach diesem Zeitpunkt von neuem zu laufen begonnen. Dem ist nicht beizupflichten. Das Begehren des Beklagten um Hinterlegung des streitigen Betrages wurde abgewiesen, weil die dafür vom kantonalen Recht vorgesehenen Voraussetzungen ![]() | 22 |
d) Wie lange die im Vertrage vorgesehene gerichtliche Hinterlegung zulässig war und damit die dem Beklagten angesetzte Frist zum Stillstand bringen konnte, hängt somit davon ab, wann die Verfügung des Einzelrichters vom 8. Februar 1977, mit dem das Hinterlegungsbegehren des Beklagten abgewiesen wurde, in Rechtskraft erwuchs. Das ist eine Vorfrage, die sich nach kantonalem Recht entscheidet. Obwohl sich die Vorinstanz zu dieser Frage nicht äusserte, kann das Bundesgericht im Berufungsverfahren dazu Stellung nehmen (Art. 65 OG).
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Gegen die Verfügung des Einzelrichters vom 8. Februar 1977 betreffend die Hinterlegung des ausstehenden Mietzinses erhob der Beklagte hinsichtlich der Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen Rekurs. Nach § 275 der zürcherischen ZPO hemmt der Rekurs indes die Rechtskraft des angefochtenen Entscheides nur im Umfange der Rekursanträge. Im übrigen tritt die Rechtskraft aber ein, sobald die Rechtsmittelfrist unbenutzt abgelaufen ist (§ 190 Abs. 2 ZPO; vgl. STRÄULI/MESSMER, a.a.O., N. 1 zu § 275 ZPO). Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass die einzelrichterliche Verfügung im Hauptpunkte - und damit in dem in diesem Zusammenhang allein entscheidenden Belange - nach Ablauf der zehntägigen Rekursfrist (§ 276 Abs. 1 ZPO) rechtskräftig wurde. Das war am 22. Februar 1977 der Fall, weil die fragliche Verfügung am 11. Februar 1977 zugestellt wurde. Vom 22. Februar 1977 an lief die dem Beklagten auf Grund von Art. 265 OR angesetzte Frist somit weiter. Da von dieser Frist schon bis zur Anhängigmachung des Hinterlegungsbegehrens ![]() | 24 |
e) Wie schon im kantonalen Verfahren beantragt die Klägerin auch vor Bundesgericht, es sei dem Beklagten zur Räumung der gemieteten Lokale eine zehntägige Frist anzusetzen. Dazu äussert sich der Beklagte nicht. Dem klägerischen Begehren ist deshalb ohne weiteres zu entsprechen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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