BGE 104 II 86 | |||
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15. Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Mai 1978 i.S. Edelmann und Mitbeteiligte gegen E. Berner AG | |
Regeste |
Art. 667 Abs. 1 ZGB. | |
Sachverhalt | |
A.- Die E. Berner AG, Immobilien, ist Eigentümerin des Grundstückes "Than/Mooswiesen", Parzelle Nr. 867 ff. bei Sitterdorf TG, auf dem sie mit Bewilligung des Eidgenössischen Luftamtes seit 1962 ein privates Flugfeld betreibt. Als sie im Jahre 1976 die Asphaltierung der bisherigen Rasenpiste projektierte, erhoben benachbarte Grundeigentümer und weitere Personen aus der Umgebung, insgesamt 58 Kläger, beim Bezirksgericht Bischofszell Klage auf Verbot dieses Bauvorhabens und auf Untersagung eines Flugbetriebes, der übermässige und ungerechtfertigte Einwirkungen, insbesondere Lärm, auf die Kläger und ihre Grundstücke mit sich bringe. Drei dieser Kläger, nämlich
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b) die Erben des Hans Edelmann-Ackermann als Gesamteigentümer der westlich an das Flugfeld angrenzenden Parzellen Nrn. 222 und 802, und
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c) Hans Meier als Eigentümer der östlich an das Flugfeld angrenzenden Parzelle Nr. 291, beantragten ausserdem, die Beklagte sei zu verpflichten, dafür zu sorgen, dass ab und zu ihrem Flugfeld keine Luftfahrzeuge niedriger als 150 m über die Parzellen Nrn. 222, 802 und 291 sowie über den dem Kläger Paul Edelmann auf den beiden erstgenannten Parzellen und auf Parzelle Nr. 220 zustehenden Weg hinwegfliegen. Diese zuletzt aufgeführten Begehren der drei genannten Kläger wurden bereits im erstinstanzlichen Verfahren vom übrigen Prozess abgetrennt und bilden allein noch Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
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B.- Das die Klagen abweisende Urteil des Bezirksgerichtes Bischofszell vom 28. Februar 1977 zogen die Kläger mit Berufung ans Obergericht des Kantons Thurgau weiter. Sie beantragten Gutheissung ihrer ursprünglichen Rechtsbegehren, eventuell Festlegung eines weniger hoch reichenden Flugverbotes. Das Obergericht fand die Berufungen mit Urteil vom 4. Oktober 1977 zur Hauptsache für begründet und verpflichtete die Beklagte, dafür zu sorgen, dass ab und zu ihrem Flugfeld keine Luftfahrzeuge niedriger als in einer Höhe von 50 m die klägerischen Grundstücke sowie den Paul Edelmann zustehenden Weg überfliegen.
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C.- Gegen das obergerichtliche Urteil haben beide Parteien Berufung und die Beklagte überdies staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht. Die letztere wurde mit Entscheid vom 16. März 1978 im Verfahren nach Art. 92 OG abgewiesen. Im Berufungsverfahren beantragen die Kläger, das Überflugverbot auf eine Höhe von 150 m anzusetzen; die Beklagte schliesst auf Abweisung der Klage, eventuell auf deren Gutheissung insofern, als die Beklagte zu verpflichten sei, dafür zu sorgen, dass ab und zu ihrem Flugfeld keine Luftfahrzeuge die Liegenschaften der Kläger Hans Meier und Erben Edelmann sowie den dem Kläger Paul Edelmann zustehenden Weg in so niedriger Höhe überfliegen, dass die Sicherheit von Menschen und Sachen konkret gefährdet wird; subeventuell sei der Fall zur Durchführung eines Beweisverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen. Jede der beiden Parteien beantragt Abweisung der gegnerischen Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
1. Der Rahmen, innerhalb dessen der vorliegende Fall zu beurteilen ist, wird weitgehend durch die beiden Urteile des Bundesgerichts vom 6. Juni 1969 i.S. Flugfeld Beromünster (BGE 95 II 397 ff.) und vom 13. Mai 1977 i.S. Flugfeld Lommis (BGE 103 II 96 ff.) abgesteckt. Nach den in diesen beiden Urteilen aufgestellten Kriterien kann sich der Eigentümer eines Grundstückes, das in der Nachbarschaft eines privaten Flugfeldes liegt, gegen das Überfliegen seines Grundstückes dann zur Wehr setzen, wenn dieses Überfliegen ihn in der Ausübung seiner Eigentümerbefugnisse hindert oder stört. Im Falle Beromünster ging es lediglich um die Befugnisse eines Miteigentümers an einer Wegparzelle, der den Luftraum über dieser nur insofern geschützt haben wollte, als durch den Luftverkehr auf der Wegparzelle befindliche Menschen oder Sachen konkret gefährdet würden (BGE 95 II 405 E. 4a). Das Bundesgericht begnügte sich damit, das Überflugverbot in dieser allgemeinen Weise zu formulieren, ohne eine bestimmte Flughöhe vorzuschreiben. Im Falle Lommis wurde eine Klage der Flugfeldinhaber abgewiesen, mit welcher diese einer benachbarten Grundeigentümerin verbieten lassen wollten, auf ihrem Grundstück eine 12,45 m hohe Scheune zu erstellen. Es wurde festgehalten, dass das Interesse des Grundeigentümers im Sinne von Art. 667 Abs. 1 ZGB jedenfalls bis zu der genannten Höhe reiche. Eine bestimmte Mindestflughöhe war wiederum nicht vorzuschreiben. Im vorliegenden Falle wurde indessen ein entsprechendes konkretes Begehren gestellt. Wenn das Bundesgericht in BGE 95 II 406 ausgeführt hat, es könne nicht Aufgabe des Zivilrichters sein, bestimmte Flughöhen vorzuschreiben, seine Zuständigkeit beschränke sich auf den privatrechtlichen Schutz des Eigentums gegen Besitzesstörungen und übermässige Immissionen, so wollte damit nur gesagt werden, es sei nicht Aufgabe und liege nicht in der Kompetenz des Zivilrichters, ganz allgemein Vorschriften über minimale Flughöhen aufzustellen. Wenn aber im konkreten Fall ein Grundeigentümer verlangt, sein Grundstück dürfe unterhalb einer bestimmten Limite nicht überflogen werden, weil, wie er geltend macht, sein Interesse bis zu dieser Höhe reiche, muss der Zivilrichter über ein solches Begehren befinden; denn dabei handelt es sich eben gerade darum, den Herrschaftsbereich des Grundeigentümers über den Luftraum über seinem Grundstück abzugrenzen.
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Wie hoch die Mindestflughöhe angesetzt wird, Ist weitgehend eine Ermessensfrage, die zudem von den örtlichen Gegebenheiten abhängt. Das Obergericht beruft sich in seinem Urteil auf Ortskenntnis und auf sein Wissen um die Art der Bewirtschaftung der fraglichen Grundstücke. Wenn es zum Schluss gelangte, eine Mindestflughöhe von 50 m werde diesen Umständen gerecht, so hätte das Bundesgericht nur dann Anlass zum Einschreiten, wenn die Vorinstanz ihr Ermessen überschritten hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Eine Mindestflughöhe von 50 m enthebt die Kläger zwar nicht jeglicher Belästigung, macht die Bewirtschaftung ihrer Grundstücke, so wie sie offenbar gehandhabt wird, aber doch erträglich. Das vorinstanzliche Urteil liegt damit auch etwa auf der Linie von BGE 71 II 83 ff., wo eine Schwebebahn, deren Tragseil 10-40 m über dem Erdboden verlief, als innerhalb des von Art. 667 Abs. 1 ZGB erfassten Herrschaftsbereiches des Grundeigentümers liegend erachtet wurde. Einer generellen Limite haftet freilich etwas Willkürliches an. Praktische Gründe verbieten es indessen, für jeden Flugzeugtyp und für jedes einzelne Grundstück eine besondere Mindestflughöhe vorzuschreiben.
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Die Kläger glauben, ihren Anspruch auf Einhaltung einer Mindestflughöhe von 150 m aus Art. 60 der Verfügung des eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartementes über die Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge vom 3. Dezember 1971 (SR 748. 121.11) ableiten zu können. Indessen wurde bereits in BGE 103 II 99 f. festgehalten, dass diese Vorschrift rein öffentlich-rechtlicher Natur ist, für die Abgrenzung des Privateigentums in den Luftraum keine Bedeutung hat und überdies im Bereich von Flugplätzen für Abflug und Landung nicht gilt. Die privatrechtliche Abgrenzung hat einzig nach der Interessenlage im Sinne von Art. 667 Abs. 1 ZGB zu erfolgen, ohne Rücksicht auf die öffentlich-rechtlichen Vorschriften für den Luftverkehr.
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In der Besprechung von BGE 95 II 397 ff. in ZBJV 107/1971 S. 89 ff. hat LIVER die Frage aufgeworfen, ob nicht bei einem Feldweg, der möglicherweise während längerer Perioden des Jahres nicht benützt werde, eine zeitliche Einschränkung des Verbotes vorzunehmen wäre. Mit Recht hat die Vorinstanz das abgelehnt. Einmal hat die Beklagte im kantonalen Verfahren gar kein bezügliches Begehren gestellt, und es fehlen denn auch jegliche tatsächlichen Grundlagen darüber, auf welche Zeiten allenfalls ein Überfliegungsverbot beschränkt werden könnte.
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Zudem handelt es sich im vorliegenden Fall nicht bloss um einen mehr oder weniger selten benutzten Feldweg, sondern um die Bewirtschaftung von vier Grundstücken, und es wäre kann angängig, die Kläger als Grundeigentümer und Dienstbarkeitsberechtigte in der Ausübung ihrer Rechte zeitlich einzuschränken. Es muss ihnen freistehen, jederzeit nach Belieben ihre Grundstücke zu betreten bzw. ihr Wegrecht auszuüben.
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a) Das obergerichtliche Urteil und die vorstehenden Ausführungen gehen davon aus, dass die Liegenschaften der Kläger Meier und Erben Edelmann extensiv landwirtschaftlich genutzt werden und unüberbaut sind. Die Ausführungen der Beklagten über die bestehenden Zonenvorschriften und ein allfällig weitergehendes Ausübungsinteresse der Kläger gehen daher an der Sache vorbei.
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b) Wie bereits vorstehend und schon in BGE 103 II 99 f. gesagt, kommt den im öffentlichen Luftrecht festgelegten Mindestflughöhen und den Ausnahmen davon keine privatrechtlich-eigentumsbeschränkende Wirkung zu. Auch die diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten in ihrer Berufungsschrift sind daher ohne Bedeutung für den Ausgang des Streites. Ob der Betrieb eines Flugplatzes und die damit verbundene Überfliegung von benachbarten Grundstücken in niedriger Höhe einen Eingriff in die Rechte des Grundeigentümers darstellt, beurteilt sich bei öffentlichen Flughäfen nach den Vorschriften von Art. 42 bis 44 LFG, bei privaten Flugfeldern dagegen ausschliesslich nach Art. 667 Abs. 1 ZGB. Die in der Berufungsschrift aufgestellte Behauptung, die Kläger hätten als Nachbarn eines öffentlichen Flughafens keinen Anspruch auf Entschädigung, was sich übrigens weder aus den Akten noch aus dem angefochtenen Urteil ergibt, vermöchte daher, auch wenn sie zuträfe, keinen andern Ausgang des vorliegenden Verfahrens zu bewirken.
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c) Das angeblich bestehende öffentliche Interesse am privaten Flugfeld Sitterdorf verleiht der Beklagten keinen Anspruch darauf, die Rechte privater Grundeigentümer zu verletzen. Es ist daher unerheblich, ob, wie die Beklagte behauptet, bei Anwendung der Massstäbe des vorinstanzlichen Urteils weitere private Flugfelder und allenfalls wieviele in ihrem Betrieb beeinträchtig würden oder diesen gar stillegen müssten. Das Obergericht hat somit Art. 8 ZGB nicht verletzt, wenn es zu dieser Frage keine Beweise erhoben hat.
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d) Von einer bloss minimalen Beanspruchung der klägerischen Grundstücke kann keine Rede sein. Nach den Ausführungen der Beklagten selbst liegt die Zahl der Flugbewegungen (Starts und Landungen) zwischen 12000 und 18000 jährlich, was bei gleichmässiger Verteilung immerhin 35 bis 50, an Spitzentagen wahrscheinlich weit über 100 Flugbewegungen pro Tag ergibt.
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e) Wird ein Ausübungsinteresse der Kläger bis zu einer Höhe von 50 m bejaht, so kommt der Frage der Beweislast diesbezüglich keine Bedeutung mehr zu.
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f) Rechtsmissbräuchliches Verhalten kann den Klägern nicht vorgeworfen werden. Dadurch, dass sie den Flugbetrieb während einiger Zeit geduldet haben, erwuchs der Beklagten kein Rechtsanspruch auf weitere Duldung. Wenn diese sich auf die von ihr getätigten Investitionen beruft, so ist ihr entgegenzuhalten, dass es in erster Linie an ihr gelegen hätte, sich rechtzeitig das Einverständnis der Nachbarn mit dem Überfliegen ihrer Grundstücke in niedriger Höhe zu sichern. Verstösst nach dem Gesagten die Überfliegung in einer Höhe von weniger als 50 m bereits gegen die Eigentumsrechte bei extensiv landwirtschaftlicher Nutzung, so ist es auch unerheblich, ob die Kläger auf ihren Grundstücken ein Modellflugzentrum betreiben dürften. Es lassen sich immerhin auch andere Tätigkeiten denken, die mit einem Überfliegen der Grundstücke in geringer Höhe in Konflikt geraten würden.
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g) Schliesslich kann es auch nicht in Frage kommen, ein Verbot lediglich insoweit zu verfügen, als auf den klägerischen Grundstücken befindliche Personen und Sachen konkret gefährdet werden. Abgesehen davon, dass ein derart allgemein gehaltenes Verbot, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, bei der Vollstreckung auf kaum zu bewältigende Schwierigkeiten stossen würde (vgl. dazu BGE 97 II 93, haben die Kläger, wie bereits gesagt, nicht nur Anspruch auf Bewahrung vor Personen- und Sachschaden, sondern auch vor weiterer Belästigung.
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h) Die in der Berufung aufgestellte Behauptung, die Kläger müssten ein Überfliegen ihrer Grundstücke durch Grossraumflugzeuge in 150 m Höhe entschädigungslos dulden, trifft nicht zu. Soweit ein solches Überfliegen einen Grundeigentümer in seinen Rechten beeinträchtigt, kann er sich dagegen zur Wehr setzen und, falls es sich um öffentlichen Flugverkehr handelt, allenfalls eine Entschädigung aus materieller Enteignung beanspruchen.
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