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35. Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Mai 1978 i.S. Greiner gegen Weissenburg-Mineralthermen AG | |
Regeste |
1. Art. 6 Abs. 1 KG. Passivlegitimation des einzelnen Kartellmitgliedes; notwendige Streitgenossenschaft aller Kartellmitglieder (E. 2)? | |
Sachverhalt | |
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Hans Greiner, der dem MITA nicht angehört, betreibt seit 1973 in Bümpliz ein Discountgeschäft, in dem er insbesondere Mineralwasser anbietet. Von verschiedenen Mineralwasserherstellern, darunter auch der Weissenburg-Mineralthermen AG, verlangte er, zu den sogenannten Depositärbedingungen beliefert ![]() | 2 |
Die Weissenburg-Mineralthermen AG ist Mitglied des Verbandes Schweizerischer Mineralquellen. Auf Greiners Ersuchen hin wurde sie am 23. August 1976 vom Gerichtspräsidenten von Niedersimmenthal bzw. am 13. Oktober 1976 vom Appellationshof (I. Zivilkammer) des Kantons Bern im Sinne einer vorsorglichen Massnahme angewiesen, den Gesuchsteller "zu Depositärbedingungen direkt zu beliefern". Gleichzeitig wurde Greiner eine Klagefrist von 30 Tagen angesetzt.
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B.- Nach erfolglosem Aussöhnungsversuch erhob Greiner am 18. März 1977 beim Handelsgericht des Kantons Bern gegen die Weissenburg-Mineralthermen AG Klage. Unter Hinweis auf das Kartellgesetz und Art. 28 ZGB verlangte er, dass die Beklagte verpflichtet werde, ihn "zu sogenannten Depositärbedingungen mit ihren Produkten direkt zu beliefern". Am 24. November 1977 wies das Handelsgericht die Klage mangels Passivlegitimation der Beklagten ab.
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C.- Der Kläger hat die Berufung erklärt. Er verlangt, es sei festzustellen, dass die Beklagte passivlegitimiert sei; alsdann sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur neuen Entscheidung zurückzuweisen. Eventuell sei das vor Vorinstanz gestellte Klagebegehren gutzuheissen.
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Die Beklagte trägt auf Abweisung der Berufung an.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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Die Berufungsfähigkeit der Sache leitet der Kläger aus Art. 50 Abs. 1 OG ab, weil es sich beim angefochtenen Urteil um einen Zwischenentscheid im Sinne dieser Bestimmung handle. Das trifft jedoch nicht zu, wies doch das Handelsgericht die Klage endgültig ab, so dass sein Erkenntnis ein Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG ist. Dass das kantonale Verfahren auf die Frage der Passivlegitimation der Beklagten beschränkt wurde, ändert daran nichts. Auf die Berufung, die von keinem Streitwert abhängt (Art. 8 KG), ist somit einzutreten.
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a) Das Handelsgericht meint, es könne ein kartellrechtlicher Anspruch einerseits deshalb nicht gegen die Beklagte gerichtet werden, weil sie kein Kartell sei, wofür nach Art. 2 KG mehrere Beteiligte erforderlich seien. Anderseits sei sie aber auch keine kartellähnliche Organisation im Sinne von Art. 3 KG, weil ihr keine marktbeherrschende Stellung zukomme. Dass die Anwendung des Kartellgesetzes das Vorhandensein eines Kartells oder einer kartellähnlichen Organisation voraussetzt, trifft zu. Nach dem angefochtenen Urteil macht der Kläger eine Preisbenachteiligung geltend, die auf eine Abrede zwischen den Herstellerverbänden und dem MITA zurückgeht. Die behauptete Wettbewerbsbehinderung beruht daher offensichtlich auf einem Kartell im Sinne von Art. 2 KG, was zur Anwendung des Kartellgesetzes führt. Ob es sich bei der Beklagten um eine kartellähnliche Organisation gemäss Art. 3 KG handle, kann unter diesen Umständen offen bleiben. Hingegen ist damit die Frage noch nicht beantwortet, gegen wen der Kläger vorzugehen hat. Dass die Beklagte für sich allein kein Kartell ist, wie die Vorinstanz meint, versteht sich von selbst, hilft aber ![]() | 11 |
b) Wer ins Recht zu fassen ist, bestimmt sich nicht nach Art. 1 bis 3 KG, sondern nach den Vorschriften, welche die dem Behinderten zustehenden Ansprüche regeln (Art. 4 bis 6 KG). Nach Art. 6 Abs. 1 KG kann bei einer unzulässigen Wettbewerbsbehinderung auf Feststellung der Widerrechtlichkeit, auf Unterlassung der Vorkehren, auf Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes sowie schliesslich auf Schadenersatz und Genugtuung geklagt werden. Aus dieser Bestimmung folgt ausdrücklich die Aktivlegitimation desjenigen, der durch solche Wettbewerbsbehinderung geschädigt oder gefährdet wird. Sinngemäss ergibt sich daraus aber zugleich auch die Passivlegitimation desjenigen, der angeblich schädigt oder gefährdet. Anhand der Beispiele von Art. 4 Abs. 1 KG kann das namentlich sein, wer Bezugs- und Liefersperren verhängt oder Dritte in den Preisen oder Bezugsbedingungen benachteiligt.
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Die Auffassung der Beklagten, es ergebe sich eindeutig aus dem System des Kartellrechts, dass nur ein Urteil zwischen Verletztem und Kartell Recht über die Zulässigkeit einer Kartellabrede zu schaffen vermöge, ist somit irrig. Ebensowenig ist einzusehen, weshalb es "elementarsten prozessualen Grundsätzen" und dem Anspruch auf rechtliches Gehör zuwiderlaufen soll, wenn diese Frage auf Klage gegen ein einzelnes Kartellmitglied hin beurteilt wird. Bezeichnenderweise anerkennt denn auch die Beklagte, dass nach hergebrachter anwaltlicher Übung neben dem verantwortlichen Verband auch einzelne Mitglieder belangt würden, um von vornherein den Einwand fehlender Passivlegitimation abzuschneiden. Dieses Vorgehen setzt aber doch voraus, dass kartellrechtliche Ansprüche sowohl gegen den Verband als auch gegen einzelne Mitglieder erhoben werden können, wofür sich in der Rechtsprechung ![]() | 13 |
c) Das Bundesgericht hat schon wiederholt Klagen gegen einzelne Kartellmitglieder beurteilt, die nicht zugleich gegen das Kartell als Ganzes gerichtet waren, ohne dass dabei die Passivlegitimation angezweifelt worden wäre (vgl. BGE 101 II 142, BGE 94 II 329, BGE 90 II 501, BGE 88 II 209). Mit der Frage, ob eine notwendige Streitgenossenschaft zwischen allen an einem Kartell Beteiligten bestehe, befasste es sich ausdrücklich in BGE 93 II 202 E. 11 b. Hinsichtlich eines Vertikalkartells fand es dort, dass der Beseitigungsanspruch gegen jeden Beteiligten allein gerichtet werden könne, der die Belieferung verweigere. Die Gerichtsstandsvorschrift von Art. 7 Abs. 2 lit. a KG könnte zwar die Annahme nahelegen, dass alle Beteiligten eingeklagt werden müssten. Dass diese Vorschrift die notwendige Streitgenossenschaft aber nicht im Auge habe, ergebe sich daraus, dass nach der Rechtsprechung bei notwendiger Streitgenossenschaft die Klage beim Wohnsitzrichter irgendeines Beklagten angebracht werden könne, was nach Art. 7 Abs. 2 lit. a KG aber nicht der Fall sei. Auch habe das Bundesgericht nie die an Ausschliesslichkeitsverträgen Beteiligten als notwendige Streitgenossen betrachtet, sondern stets auch Klagen gegen solche Lieferanten allein zugelassen, die durch Ausschliesslichkeitsabreden gebunden waren. Es ergebe sich das auch aus Art. 4 KG, nach welcher Bestimmung Liefersperren und Benachteiligung in Preisen und Bezugsbedingungen unerlaubte Handlungen seien, die das Recht der Persönlichkeit verletzten. Der Verletzte sei deshalb befugt, den Urheber der Verletzung zu belangen, und zwar ohne Rücksicht auf dessen allfällige Kartellabreden mit Dritten. An diesen Überlegungen ist festzuhalten. Aus ihnen ergibt sich mit aller Deutlichkeit, dass Ansprüche gemäss Art. 6 KG gegen den "Täter" gerichtet werden können, ohne dass gleichzeitig auch das Kartell bzw. alle die an diesem Beteiligten eingeklagt werden müssen.
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d) Die Beklagte stützt ihre gegenteilige Auffassung vor allem mit der These, jeder kartellrechtliche Anspruch setze die ![]() | 15 |
e) Damit steht fest, dass die Beklagte hinsichtlich der vorliegenden Klage passivlegitimiert ist. Ob sich das gleiche Ergebnis allenfalls auch aus Art. 28 ZGB oder Art. 50 OR ergibt, wie die Berufung vorträgt, kann deshalb offen bleiben. Da das Handelsgericht das Verfahren auf die Frage der Passivlegitimation beschränkte, fehlen im angefochtenen Urteil Feststellungen, die eine Beurteilung der Klage, namentlich hinsichtlich der Zulässigkeit der Benachteiligung des Klägers, erlaubten. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 64 Abs. 1 OG).
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In der Lehre wird die Meinung vertreten, einem Kartell gegenüber genüge es, die Kartellbindung für unverbindlich zu erklären und gemäss Art. 6 Abs. 2 KG die Aufnahme in das Kartell anzuordnen; eine eigentliche Lieferverpflichtung ![]() | 18 |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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