BGE 105 II 23 - Damenring | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher | |||
4. Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Februar 1979 i.S. Nussberger gegen K. (Berufung) | |
Regeste |
Kaufvertrag, Erklärungsirrtum. |
Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR. Erklärungsirrtum und Vertrauensgrundsatz (E. 2). |
Art. 26 OR. Schadenersatzpflicht des fahrlässig Irrenden (E. 3). | |
Sachverhalt | |
A.- Werner Nussberger ist Juwelier und Goldschmied in Baden. In einem Schaukasten in der Nähe seines an der Obern Gasse in Baden gelegenen Geschäftes stellte er im Herbst 1974 einen Damenring mit blauem Opal und 25 Brillanten aus. Den Preis für diesen Ring hatte er auf Fr. 13'800.- festgesetzt; aus Versehen brachte aber eine Angestellte Nussbergers, Silvia Meier, am Ring eine Preisetikette an, auf der ein Verkaufspreis von Fr. 1'380.- vermerkt war. Am 15. Oktober 1974 betrat K. das Geschäft Nussbergers und wünschte den ausgestellten Ring zu kaufen. K. wurde von Jürg Jauslin bedient, der das "Garantie-Zertifikat" für den Ring ausstellte und alsdann K. den Ring zu dem auf der Preisanschrift aufgeführten Preise von Fr. 1'380.- überliess. Am folgenden Tage entdeckte Nussberger den Fehler. Er erklärte K. gegenüber den Rücktritt vom Vertrage und forderte ihn auf, den Ring gegen Erstattung des Kaufpreises von Fr. 1'380.- zurückzugeben. Eine Einigung kam nicht zustande.
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B.- Im Januar 1975 erhob Nussberger gegen K. beim Bezirksgericht Baden Klage auf Rückgabe des Ringes, Zug um Zug gegen Bezahlung des Kaufpreises von Fr. 1'380.-. Eventuell sei der Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Fr. 12'420.- zu zahlen. Demgegenüber beantragte der Beklagte Abweisung der Klage. In seinem "Widerklageschluss" erklärte er sich bereit, den Ring dem Kläger gegen Erstattung des Kaufpreises sowie gegen Leistung von Schadenersatz im Betrage von Fr. 2'120.- sowie der Erstattung der Kosten eines von ihm eingeholten Gutachtens herauszugeben.
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Mit Urteil vom 29. Juni 1977 wies das Bezirksgericht Baden die Klage ab, ebenso auf Appellation des Klägers hin das Obergericht (2. Zivilabteilung) des Kantons Aargau am 29. Juni 1978.
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C.- Der Kläger hat gegen das obergerichtliche Erkenntnis die Berufung erklärt, mit der er die Gutheissung seiner Klagebegehren sowie die Abweisung der Widerklage verlangt. Der Beklagte hat keine Berufungsantwort eingereicht.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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2. a) Der Kläger macht Irrtum geltend. Fest steht, dass er den Ring zum Preise von Fr. 13'800.- verkaufen wollte, während die Angestellte Meier den Ring - aus Versehen - mit nur Fr. 1'380.- auszeichnete. Indem das, wie erläutert, zum Abschluss des Vertrages mit dem Beklagten führte, liess der Kläger sich eine Gegenleistung von erheblich geringerem Umfang versprechen, als es sein Wille war (vgl. VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Zürich 1979, S. 305). Darin liegt ein wesentlicher Irrtum im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR, so dass der Vertrag für den Kläger unverbindlich ist.
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b) Die Vorinstanz verwehrt dem Kläger die Berufung auf Irrtum, weil derjenige, der sich verschrieben oder versprochen habe, nur dann Irrtum geltend machen dürfe, wenn er nachweisen könne, dass die Gegenpartei beim Vertragsschluss bösen Glauben gehabt habe. Für ihre Auffassung stützt sich die Vorinstanz auf VON BÜREN (Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Zürich 1964, S. 235). In der Tat wird von einem Teil der Lehre die Meinung vertreten, dass der Vertrauensgrundsatz den Vertrag in jeder Hinsicht beherrsche. Dem Irrenden sei deshalb die Berufung auf Irrtum versagt, wenn nach dem Vertrauensgrundsatz der Vertrag als geschlossen betrachtet werden müsse (vgl. A. SIMONIUS, Über die Bedeutung des Vertrauensprinzipes in der Vertragslehre, in: Festgabe der Basler Juristenfakultät zum Schweizerischen Juristentag, Basel 1942, S. 263 ff.; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 208 und 209 zu Art. 1 OR; VON BÜREN, a.a.O., S. 235 ff.). Ob das zutrifft oder ob auch in einem solchen Fall die Anwendung der Irrtumsregeln uneingeschränkt offen steht, ist indes eine Streitfrage, die seit langer Zeit erörtert wird, wobei besonders in der deutschen Lehre der erstgenannten Ansicht das Wort geredet wird (vgl. SCHMIDLIN, Das Vertrauensprinzip und die Irrtumslehre im deutschen und schweizerischen Recht, in: ZSR 89/1970, S. 225 ff.).
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Für das schweizerische Recht hat das Bundesgericht in dieser Kontroverse bereits in BGE 34 II 531 E. 7 Stellung genommen, wo es zu Art. 19 aOR, der dem geltenden Art. 24 OR entspricht, ausführte, in Fällen, wo ein wesentlicher Irrtum vorliege, stelle das Gesetz auf den von der Erklärung abweichenden Willen ab. Es berücksichtige nämlich "entgegen den einseitigen Interessen der Verkehrssicherheit auch die Interessen des Schuldners und findet den Ausgleich nicht in einer Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeit, sondern in der Schadenersatzpflicht" des fahrlässig Irrenden. Später prüfte das Bundesgericht dann in einem Fall, in dem es das Zustandekommen des Vertrages in Anwendung des Vertrauensgrundsatzes bejaht hatte, ohne weiteres auch die Frage, ob der Vertrag allenfalls infolge Erklärungsirrtums einseitig unverbindlich sei (BGE 64 II 11 E. 3 und 4; vgl. auch BGE 39 II 579 E. 2). Auf dieser Linie liegt schliesslich auch ein neuerer Entscheid, wo dargelegt wird, der Umstand allein, dass der Irrende den Irrtum seiner eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben habe, mache die Berufung auf Irrtum nicht missbräuchlich im Sinne von Art. 25 OR; andernfalls verlöre Art. 26 OR, der den fahrlässig Irrenden zum Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens verpflichte, seine Bedeutung (BGE 91 II 280 E. 3).
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Von der dargelegten Rechtsprechung abzugehen, besteht kein Anlass, denn die gesetzliche Ordnung ist klar und unmissverständlich: Ein Vertrag kommt zustande, wenn übereinstimmende gegenseitige Willensäusserungen vorliegen (Art. 1 Abs. 1 OR). Ob das zutrifft, ist gegebenenfalls unter Heranziehung des Vertrauensgrundsatzes zu ermitteln. Erst wenn feststeht, dass dergestalt ein Vertrag zustande gekommen ist, stellt sich die weitere Frage, ob er allenfalls wegen eines wesentlichen Irrtums für die eine Partei unverbindlich ist (Art. 23 OR). Das entscheidet sich namentlich nach den in Art. 24 OR niedergelegten Regeln und ist damit unabhängig von der Frage, ob hinsichtlich des anzufechtenden Vertrages die Willenserklärungen als übereinstimmend zu betrachten sind (vgl. OFTINGER, Bundesgerichtspraxis zum Allgemeinen Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, 2. Auflage, Zürich 1973, S. 100; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Band I, Zürich 1979, S. 307; GUHL/MERZ/KUMMER, Das Schweizerische Obligationenrecht, Zürich 1972, S. 142; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, Neuenburg 1973, S. 220).
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c) Auch wenn der Beklagte die Preisanschrift im Schaukasten in guten Treuen als gültiges Angebot des Klägers verstanden hat, vermag sich letzterer somit durch Berufung auf Irrtum von seinen vertraglichen Pflichten loszusagen, da sein Irrtum erheblich im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR ist. Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger erhobene Irrtumseinrede missbräuchlich nach Art. 25 OR sei, sind nicht ersichtlich.
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3. Nach Art. 26 OR ist der Irrende, der den Vertrag nicht gegen sich gelten lassen will, zum Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens verpflichtet, wenn er seinen Irrtum der eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben hat. Dabei ist das Verhalten des Irrenden mit einer gewissen Strenge zu beurteilen, weil Art. 26 OR ihn an sich schon günstig behandelt und ihn von jeglicher Haftung befreit, wenn ihn kein Verschulden trifft (BGE 69 II 239 E. 2).
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Der Kläger, der sich das Verhalten seiner Hilfspersonen anrechnen lassen muss, hat den lrrtum der eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben. Wer als Geschäftsmann in einer Auslage eine Preisanschrift anbringt, muss wissen, dass damit ein gültiger Antrag zum Abschluss eines Kaufvertrages gemacht wird. Er hat somit alles vorzukehren, um ein Versehen zu vermeiden. Gerade im vorliegenden Falle wäre für den Kläger besondere Sorgfalt angezeigt gewesen, sollte doch in der Auslage ein Ring mit einem hohen Wert zum Verkauf angeboten werden. Umstände, die ihn entlasten könnten, vermag der Kläger nicht aufzuzeigen. Das Versehen seiner Angestellten gereicht ihm somit ohne weiters zum Verschulden, so dass er gemäss Art. 26 OR für den entstandenen Schaden haftet. Der Beklagte macht denn auch mit seinem Widerklagebegehren Schadenersatz geltend. Darüber brauchte die Vorinstanz angesichts ihrer Rechtsanschauung nicht zu befinden. Im angefochtenen Urteil fehlen deshalb tatsächliche Feststellungen, die eine Beurteilung des Schadenersatzbegehrens des Beklagten erlaubten. Gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG ist es deshalb aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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