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42. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. November 1980 i.S. Bank A. gegen X. (Berufung) | |
Regeste |
Art. 60 Abs. 2 OR. Verjährung des Zivilanspruchs. |
2. Die Einstellung des Strafverfahrens durch die Untersuchungsbehörde bindet den Zivilrichter, wenn die Einstellungsverfügung nach dem kantonalen Prozessrecht auch materiell rechtskräftig geworden ist (E. 3). |
3. Die längere Verjährungsfrist des Strafrechts entfällt, wenn die Strafbarkeit des Täters im Strafverfahren verneint worden ist, gleichviel ob dies mangels objektiven oder subjektiven Tatbestandes geschehen sei (E. 4). | |
Sachverhalt | |
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M. und seine Mittäter sowie auch S. wurden vom Obergericht des Kantons Zürich 1978/1979 strafrechtlich verurteilt. Eine gegen X. eingeleitete Strafuntersuchung wegen Hehlerei wurde dagegen am 21. September 1977 von der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich eingestellt.
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B.- Mit Klage vom 14. März 1978 beantragte X. dem Handelsgericht des Kantons Zürich, die Bank A. zu verpflichten, sein Konto in dem Sinne zu saldieren, dass keine Schuld des Klägers ausgewiesen werde. Die Beklagte widersetzte sich diesem Begehren und erhob Widerklage auf Ersatz von Fr. 273'010.54 nebst Zins für Schaden, der ihr aus den von X. eingelösten Checks entstanden sei.
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Das Handelsgericht schützte die vom Kläger erhobene Verjährungseinrede; mit Urteil vom 21. März 1980 hiess es daher die Klage des X. gut und wies die Widerklage der Bank ab.
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Beide Parteien führten gegen diesen Entscheid Nichtigkeitsbeschwerde, die das Kassationsgericht des Kantons Zürich am 21. Juli 1980 abwies, soweit darauf einzutreten war.
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C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Handelsgerichts auch Berufung eingelegt mit den Anträgen, es aufzuheben und die Sache zur Fortführung des Prozesses an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventuell unter der Feststellung, dass die Forderungen der Widerklage nicht verjährt seien.
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Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.
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Sie beharrt dagegen darauf, dass vorliegend nach Art. 60 Abs. 2 OR die längere Verjährungsfrist des Strafrechts anzuwenden sei. Diesfalls wäre, was auch das Handelsgericht einräumt, die für Hehlerei geltende zehnjährige Frist massgebend und die Verjährung der streitigen Zivilansprüche daher zu verneinen.
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Welche Bedeutung der Tatsache zukommt, dass das Strafverfahren gegen den Kläger rechtskräftig eingestellt worden ist, könnte offenbleiben, wenn Art. 60 Abs. 2 OR sich nicht auf die einjährige, sondern nur auf die zehnjährige zivilrechtliche Verjährungsfrist beziehen würde, wie der Kläger unter Hinweis auf SPIRO (Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, I S. 204) einwendet. Der Einwand widerspricht indes ständiger Rechtsprechung (BGE 60 II 35, BGE 55 II 25 mit Hinweisen), auf die zurückzukommen im vorliegenden Fall kein Anlass besteht, zumal die gleiche Auffassung auch in der Lehre vorherrscht (BECKER N. 2 und OSER/SCHÖNENBERGER N. 15 zu Art. 60 OR; VON TUHR/PETER, OR I S. 439; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 187).
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3. Nach Art. 60 Abs. 2 OR gilt die längere strafrechtliche ![]() | 12 |
Umstritten ist dagegen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Einstellung des Strafverfahrens einem freisprechenden Urteil gleichzusetzen ist. Die ältere Rechtsprechung anerkannte das nur für den Fall, dass der erkennende Strafrichter das Verfahren einstellte, nicht aber, wenn eine Untersuchungsbehörde, die nicht mit Rechtskraft entscheidet, darüber befand (BGE 38 II 486, BGE 55 II 26, BGE 77 II 319). GUHL/MERZ/KUMMER (S. 187), VON BÜREN (OR Allg. Teil S. 427) und SPIRO (a.a.O. S. 212 f.) äussern sich im gleichen Sinne. Im Entscheid BGE 93 II 501, wo über die Vorfrage eine Bussenverfügung vorlag, hat das Bundesgericht die Rechtsprechung zusammengefasst, und im Entscheid 101 II 322 hat es sie dahin verdeutlicht, dass auch die Einstellung durch die Untersuchungsbehörde den Zivilrichter binden könne, wenn eine strafbare Handlung wie beim Freispruch verneint werde (so auch VON TUHR/PETER, a.a.O. S. 440; BECKER, N. 3 zu Art. 60 OR; GIRSBERGER, in SJZ 58/1962 S. 214).
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In Anlehnung an die ältere Rechtsprechung setzt die angeführte Lehre aber voraus, dass die Einstellungsverfügung wie ein freisprechendes Urteil in materielle Rechtskraft erwachse. Ob es darauf ankommt, kann vorliegend offen bleiben. Das Handelsgericht stellt fest, dass die Einstellungsverfügung vom 21. September 1977 rechtskräftig geworden ist; es fügt bei, die Beklagte berufe sich selbst auf die Rechtskraft der Verfügung und mache nicht geltend, dass der Zivilrichter das Vorliegen von Hehlerei nachprüfen müsse. Letzteres hat die Beklagte erfolglos mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde anzufechten versucht. Dass ein Versehen vorliege oder nur von formeller Rechtskraft die Rede sein könne, behauptet sie mit der Berufung nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft nach dem kantonalen Prozessrecht auch materiell rechtskräftig geworden ist.
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a) Nach der herrschenden Lehre ist eine strafbare Handlung im Sinne von Art. 60 Abs. 2 OR nur anzunehmen, wenn die objektiven und subjektiven Merkmale des Straftatbestandes erfüllt sind, wozu meist auch die Zurechnungsfähigkeit gerechnet wird (GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 187; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, S. 388; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 15 zu Art. 60 OR; VON BÜREN, a.a.O. S. 427; W. SCHWANDER, Die Verjährung ausservertraglicher und vertraglicher Schadenersatzforderungen, Diss. Freiburg 1963 S. 26; GIRSBERGER, a.a.O. S. 215). Davon ging während Jahrzehnten auch das Bundesgericht aus. So erklärte es in einem Urteil von 1912 zum gleichlautenden Art. 69 Abs. 2 aOR, die Strafbarkeit einer schädigenden Handlung sei nicht objektiv im Hinblick auf die Strafnorm, sondern konkret und für den Einzelfall zu prüfen (BGE 38 II 485). Im Jahre 1918 führte es zum neuen Art. 60 Abs. 2 OR aus, die Prüfung dürfe sich nicht auf die objektiven Merkmale der Straftat beschränken; massgebend sei vielmehr, ob eine Strafverfolgung noch möglich wäre; dies sei jedoch zu verneinen und die strafrechtliche Verjährungsfrist nicht anwendbar, weil die Strafuntersuchung wegen Brandstiftung infolge Unzurechnungsfähigkeit des Täters aufgehoben worden sei (BGE 44 II 177). Im gleichen Sinne hat das Bundesgericht 1940 und 1951 entschieden (BGE 66 II 160 und BGE 77 II 317); im ersten Fall lag objektiv Betrug, aber ein Freispruch wegen Unzurechnungsfähigkeit vor, im zweiten fehlte es an der nach Art. 125 StGB erforderlichen Fahrlässigkeit.
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Im Entscheid 100 II 334 rückte das Bundesgericht von dieser ![]() | 17 |
Im Entscheid 101 II 321 ging das Bundesgericht noch einen Schritt weiter, indem es die allgemeine Schlussfolgerung aus dem früheren übernahm und unbekümmert um den Fall, der diesem zugrunde lag, wiederholt abwandelte. Es führte insbesondere aus, wenn der Freispruch sich aus anderen Gründen ergebe, z.B. weil der Angeschuldigte nicht straffähig oder ihm kein Verschulden nachzuweisen sei, habe der Zivilrichter frei zu prüfen, ob die schädigende Handlung objektiv strafbar sei. MERZ (ZBJV 113/1977 S. 184) und VON TUHR/PETER (S. 440 Anm. 39), die den Hauptgedanken des Entscheides kommentarlos wiedergeben, sehen darin eine weitere Verdeutlichung der Rechtsprechung, obschon das Bundesgericht sich damit auch von der im früheren Urteil angeführten Lehre entfernte. Zu einem solchen Schritt bestand umso weniger Anlass, als es für die Beurteilung, wie sich aus den nicht veröffentlichten Erwägungen ergibt, überhaupt nicht auf die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Strafbarkeit ankam.
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b) Vorliegend geht es um den Vorwurf der Hehlerei gemäss Art. 144 StGB. Nach dieser Bestimmung macht sich strafbar, ![]() | 19 |
Die Unterscheidung ist auch mit dem Wortlaut von Art. 60 Abs. 2 OR nicht zu vereinbaren, der schlicht auf die Strafbarkeit der Handlung abstellt. Dabei kann es sich nur um einen Begriff des Strafrechts handeln, dessen Anwendung durch den Strafrichter nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich präjudizielle Bedeutung hat. Nach Art. 9 ff. StGB entfällt die Strafbarkeit einer Tat aber nicht nur bei Unzurechnungsfähigkeit (Art. 10), sondern namentlich auch, wenn Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu verneinen sind (Art. 18). Dem entsprach die jahrzehntelange Rechtsprechung, nach der Art. 60 Abs. 2 OR auch bei Freispruch nicht anwendbar war, gleichviel ob Unzurechnungsfähigkeit oder fehlendes Verschulden dazu führten.
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Ob die Schlussfolgerung aus den allgemeinen Erwägungen in BGE 100 II 336 E. 2c bezüglich der Unzurechnungsfähigkeit Bestand habe, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Entgegen BGE 101 II 322 geht es aber nicht an, eine strafbare Handlung im Sinne von Art. 60 Abs. 2 OR auch dann zu bejahen, ![]() | 21 |
c) Der Kläger legt anhand eines Rechtsgutachtens zutreffend dar, zu welchen Konsequenzen die in BGE 101 II 322 vorgenommene Beschränkung auf die objektive Strafbarkeit führen könnte, wenn sie wörtlich zu beachten wäre. Straftatbestände wie Diebstahl (Art. 137 StGB) oder Betrug (Art. 148 StGB) sind, ähnlich wie die Hehlerei, vor allem durch ein subjektives Merkmal (Bereicherungsabsicht, arglistige Täuschung) gekennzeichnet. Würde davon bei der Anwendung von Art. 60 Abs. 2 OR abgesehen, so unterläge z.B. jeder Verkauf einer Sache, die nicht die zugesicherten Eigenschaften aufweist, der strafrechtlichen Verjährung, weil "objektiv" der Betrugstatbestand auch dann als erfüllt anzusehen wäre, wenn der Verkäufer den Mangel nicht kannte. Gleich verhielte es sich in Fällen, wo das subjektive Element sich nicht aus der Strafnorm selbst, sondern aus Art. 18 StGB ergäbe. Die Beschränkung gemäss BGE 101 II 322 hätte zur Folge, dass z.B. ein Verkehrsunfall selbst dann als strafbare Handlung gemäss Art. 83 Abs. 1 SVG anzusehen und nach der längeren Verjährungsfrist zu beurteilen wäre, wenn jede Fahrlässigkeit auszuschliessen ist.
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Nach dem Ergebnis des Strafverfahrens ist nicht erstellt, dass der Kläger von der deliktischen Herkunft der Checks wusste oder aufgrund der Umstände hätte wissen müssen. Das schliesst die Annahme einer strafbaren Handlung gemäss Art. 60 Abs. 2 OR aus. Würde anders entschieden, müsste jeder, der einen gefälschten, gestohlenen oder veruntreuten Gegenstand gutgläubig erwirbt und damit "objektiv" den Tatbestand der Hehlerei erfüllt, sich die längere strafrechtliche Verjährungsfrist entgegenhalten lassen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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