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52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Juni 1981 i.S. Klossner gegen Haus + Herd Herzogenbuchsee AG (Berufung) | |
Regeste |
Ablösung einer Dienstbarkeit durch den Richter (Art. 736 ZGB). |
2. Eine Ablösung gegen Entschädigung gemäss Art. 736 Abs. 2 ZGB fällt auch dann in Betracht, wenn die Belastung durch die Dienstbarkeit seit deren Errichtung in einem Mass zugenommen hat, dass das Interesse des Eigentümers des herrschenden Grundstücks an der Aufrechterhaltung der Dienstbarkeit im Vergleich dazu als unverhältnismässig gering erscheint (E. 4). Anwachsen der Belastung, weil das mit einem Bauverbot belastete Grundstück, das früher landwirtschaftlichen Charakter hatte, heute Bauland ist? (E. 5.) | |
Sachverhalt | |
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"Der Verkäufer, Jakob Dubach - für sich und seine Nachbesitzer - verpflichtet sich auf seinem vorbezeichneten Restgrundstück und zwar auf dem Abschnitt südlich der Vertragssache, also zwischen der veräusserten Parzelle und der Staatsstrasse, keine Gebäude zu erstellen. In diesem Sinne wird das verbleibende Restgrundstück von Jakob Dubach zugunsten der veräusserten Parzelle von Paul Flück mit einem Bauverbot belastet, welches als solches im Grundbuch einzutragen ist."
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Die mit dem Bauverbot belastete Parzelle Nr. 1186 befindet sich nördlich der Hauptstrasse von Latterbach und grenzt in ihrem ![]() | 3 |
Im Jahre 1977 erwarb die Aktiengesellschaft Haus + Herd Herzogenbuchsee die mit Bauverbot belastete Parzelle Nr. 1186, um diese mit Ferienhäusern zu überbauen. Es gelang ihr, die noch zugunsten anderer Liegenschaften eingetragenen Bauverbote im Einvernehmen mit den betreffenden Eigentümern löschen zu lassen. Elsa Klossner-Flück weigerte sich hingegen, zur Löschung des zugunsten der Parzelle Nr. 8 bestehenden Bauverbots Hand zu bieten.
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B.- Mit Klage an den Appellationshof des Kantons Bern vom 14. Mai 1980 verlangte die Aktiengesellschaft Haus + Herd Herzogenbuchsee als Eigentümerin der Parzelle Nr. 1186 die gerichtliche Feststellung, dass das zulasten ihres Grundstücks bestehende Bauverbot im Sinne von Art. 736 Abs. 1 ZGB alles Interesse für die berechtigte Parzelle Nr. 8 verloren habe und im Grundbuch zu löschen sei. Eventuell beantragte sie, es sei gerichtlich festzustellen, dass sie gegen Leistung einer gerichtlich festzusetzenden Ablösesumme berechtigt sei, das Bauverbot gemäss Art. 736 Abs. 2 ZGB abzulösen und im Grundbuch löschen zu lassen. Die Beklagte widersetzte sich dieser Klage.
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Am 19. November 1980 fällte der Appellationshof folgendes Urteil:
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"1. Es wird gerichtlich festgestellt, dass die Klägerin gegen Leistung einer Ablösesumme von Fr. 10'000.-- berechtigt ist, das zulasten ihrer Parzelle Erlenbach-Grundbuchblatt Nr. 1186 und zugunsten des im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücks Erlenbach-Grundbuchblatt Nr. 8 bestehende Bauverbot gemäss Art. 736 Abs. 2 ZGB abzulösen und im Grundbuch löschen zu lassen."
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C.- Gegen diesen Entscheid hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht erhoben. Sie stellt den Antrag die Klage sei in Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Die Klägerin beantragt die Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Klage ab.
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Bei der Beurteilung des örtlichen Umfangs der Servitut ist die Vorinstanz mit Recht vom Wortlaut des Grundbucheintrags ausgegangen. Dieser ist gemäss Art. 738 Abs. 1 ZGB für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend, soweit sich Rechte und Pflichten daraus deutlich ergeben. Dies ist hier der Fall. Aus dem Wortlaut der Bauverbotsservitut geht klar und deutlich hervor, dass sich die Verpflichtung, kein Gebäude zu erstellen, nicht auf das ganze Gebiet des Restgrundstücks des damaligen Verkäufers bezieht, sondern nur auf den Abschnitt südlich der berechtigten Parzelle, wobei noch präzisierend beigefügt ist: "... also zwischen der veräusserten Parzelle und der Staatsstrasse". Daraus ergibt sich ohne den geringsten Zweifel, dass das Bauverbot nicht auf der ganzen Grundstücksfläche lastet, sondern nur auf dem östlichen Parzellenteil; die Abgrenzung des Bauverbotgebietes hat so zu erfolgen, dass die Westgrenze des berechtigten Grundstücks Nr. 8 gradlinig durch die Parzelle Nr. 1186 hindurch bis zur Staatsstrasse gezogen wird.
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3. Nach Art. 736 ZGB kann der Belastete die Löschung einer Dienstbarkeit verlangen, wenn diese für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren hat (Abs. 1); ist ein Interesse des Berechtigten zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz oder teilweise abgelöst werden (Abs. 2). Unter dem Interesse für das berechtigte Grundstück bzw. dem Interesse des Berechtigten versteht die ![]() | 12 |
a) Im angefochtenen Urteil wird ausgeführt, zu welchem Zweck die Dienstbarkeit begründet worden sei, lasse sich heute nurmehr annähernd feststellen. Es böten sich verschiedene gewollte Zwecke an. Nach den Angaben der Beklagten im Parteiverhör habe sich ihr Vater mit der Errichtung des Bauverbots Umschwung, Freiheit, Abstand zu den übrigen Dorfbewohnern und eine unverbaute Lage bewahren wollen. Ein anderer möglicher Zweck könnte darin bestanden haben, dass Vater Flück vielleicht die Absicht gehegt habe, später auch noch die Restparzelle zu günstigeren Bedingungen zu erwerben, als dies ohne die Servitutsbelastung möglich gewesen wäre. Ein dritter Zweck könnte sodann darin erblickt werden, dass mit der Errichtung der Dienstbarkeit in vorausschauender Weise Friktionen zwischen dem Landwirtschaftsbetrieb und späteren Bewohnern hätten ausgeschlossen werden sollen. Diese letztere Möglichkeit erscheine am unwahrscheinlichsten. Im Jahre 1932 sei die heutige touristische und in der Folge auch bauliche Entwicklung der Gegend nicht voraussehbar gewesen. Dass mit dem Bauverbot Feriengäste vom Landwirtschaftsbetrieb hätten ferngehalten werden wollen, der sie eventuell hätte stören können, sei jedenfalls nicht naheliegend. Die Möglichkeit eines späteren Erwerbs der Restparzelle zu günstigeren Bedingungen könnte implizite die Absicht enthalten haben, später das ganze Landstück als Bauland zu verkaufen oder damit das Heimwesen noch besser zu arrondieren. Dieser letztere Gedanke führe in Verbindung mit dem Wunsch des Vaters der Beklagten, in unverbauter Lage zu leben, zum Schluss, dass es sich beim Bauverbot nur um eine Aussichtsdientsbarkeit habe handeln können.
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b) Dieser Betrachtungsweise kann indessen nicht gefolgt werden. Lässt sich nicht mehr positiv feststellen, welche Motive für die ![]() ![]() | 14 |
c) Hält man sich die damaligen Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks vor Augen, die sich aus dessen landwirtschaftlichem Charakter ergaben, so kann für die Servitutserrichtung nur das Interesse massgebend gewesen sein, unmittelbar unterhalb des erworbenen Landes keine Gebäulichkeiten dulden zu müssen, von denen aus sich unter Umständen eine Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Tätigkeit hätte ergeben oder deren Bewohner sich durch diese Tätigkeit hätten gestört fühlen können. Dass sich dort, wo landwirtschaftlich genutzte Grundstücke an Wohngrundstücke angrenzen, Friktionen ergeben können, bedarf keiner näheren Begründung. So kommt es zum Beispiel häufig vor, dass sich Bewohner, die mit der Landwirtschaft keine näheren Beziehungen haben, über den Gestank von Jauche und Mist oder über den Lärm der Kuhglocken beschweren. Mangelndes Verständnis für die Kulturen kann ferner zu Schädigungen durch unachtsames Betreten des Landes oder durch das Laufenlassen von Haustieren führen. Es ist keineswegs abwegig, dass ein Landwirt diesen Friktionen in vorausschauender Weise aus dem Weg gehen will, indem er einen Freiraum zwischen seinem Land und dem überbauten Gebiet schafft. Ein Interesse an der Fernhaltung von bewohnten Bauten besteht nicht nur bei Ferienhäusern, sondern auch bei gewöhnlichen Wohnhäusern, so dass es in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommt, dass die heutige Entwicklung des Tourismus im Jahre 1932 nicht voraussehbar war. Abgesehen von der Vermeidung unliebsamer Auseinandersetzungen mit den Nachbarn hatte der damalige Eigentümer des herrschenden Grundstückes im übrigen auch ein Interesse daran, Bauten jeglicher Art, auch ![]() | 15 |
d) Das Interesse an einer ungestörten Bewirtschaftung des herrschenden Grundstücks ist heute im Vergleich zum Zeitpunkt der Errichtung der Dienstbarkeit nicht geringer geworden. Das herrschende Grundstück wird heute von der Beklagten und ihrer Familie in gleicher Weise landwirtschaftlich genutzt, wie dies früher der Fall war. Die Beklagte ist deshalb nicht weniger als ihr Vater daran interessiert, dass der an die Parzelle Nr. 8 angrenzende Teil des Grundstücks Nr. 1186 nicht überbaut und die landwirtschaftliche Arbeit auf der berechtigten Parzelle dadurch möglichst wenig beeinträchtigt wird. Die Löschung der Dienstbarkeit im Sinn von Art. 736 Abs. 1 ZGB fällt somit ausser Betracht.
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Nun hat jedoch insbesondere LIVER anhand der Gesetzesmaterialien nachgewiesen, das aufgrund eines Votums von Eugen Huber im Nationalrat und einer von den Räten gutgeheissenen Änderung des ursprünglich vorgeschlagenen Gesetzestextes nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe die Anwendung von Art. 736 Abs. 2 ZGB ausschliessen wollen, falls das Interesse des Berechtigten zwar gleichgeblieben, seine Bedeutung jedoch ![]() | 18 |
Festzuhalten ist hingegen an der Voraussetzung, dass das Anwachsen der Belastung nicht auf Gründe zurückgehen darf, die vom Eigentümer des belasteten Grundstücks selber herbeigeführt worden sind (vgl. dazu BGE 79 II 59 oben, 66 II 247). Andernfalls hätte es dieser Eigentümer unter Umständen in der Hand, das für die Ablösung der Last erforderliche Missverhältnis der Interessen selber zu schaffen. Keine Rolle spielen kann insbesondere, dass für das Grundstück ein Preis bezahlt worden ist, der sich nur rechtfertigen lässt, wenn es ohne Behinderung durch die streitige Dienstbarkeit genutzt werden könnte (BGE 79 II 59 oben). Die Klägerin ![]() | 19 |
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a) Ein Anwachsen der Belastung könnte darin erblickt werden, dass das vom Bauverbot erfasste Land nach dem neuen Zonenplan ins Baugebiet fällt, während dem es zur Zeit der Servitutsbegründung Landwirtschaftsland darstellte. Indessen war das Land grundsätzlich zweifellos schon vor dem Inkrafttreten des neuen Zonenplans überbaubar. Die Klägerin hat im kantonalen Verfahren selbst behauptet, im Jahre 1932 habe noch keine Ausscheidung zwischen Baugebiet und Landwirtschaftszone bestanden; damals habe das gesamte Gemeindegebiet nach Massgabe der baupolizeilichen Vorschriften mit Bauten aller Art bestückt werden können. Es wäre denn auch nicht einzusehen, weshalb sich Vater Flück eine Bauverbotsdienstbarkeit hätte einräumen lassen, wenn eine Überbauung des belasteten Grundstücks aus baurechtlichen Gründen zum vornherein nicht in Frage gekommen wäre. Eine Erschwerung der Belastung kann auch darin nicht gesehen werden, dass die Überbauung heute ertragbringend realisiert werden kann, während sie früher bloss eine mehr oder weniger weit entfernte Möglichkeit darstellte. Dass eine Bauverbotsdienstbarkeit erst dann aktuell wird, wenn der Eigentümer des belasteten Grundstücks bauen will, ändert an der Belastung als solcher nichts. Die Belastung könnte sich dagegen allenfalls insofern vergrössert haben, als das belastete Grundstück heute mit einer ganzen Reine von dicht nebeneinanderstehenden Ferienhäusern überbaut werden kann, während eine solche Art der Überbauung nach den Feststellungen der Vorinstanz im Jahre 1932 nicht voraussehbar war. Entsprechend ist aber auch das Interesse des Eigentümers des herrschenden Grundstücks an der Dienstbarkeit gestiegen. Die Gründe, die für die Errichtung der Dienstbarkeit massgebend waren, gelten im Falle einer Überbauung mit Ferienhäusern erst recht, haben doch gerade Feriengäste oft wenig Verständnis für die Bedürfnisse der Landwirtschaft, so dass die Friktionen, die mit der Dienstbarkeit ausgeschlossen werden sollen, umso eher zu befürchten sind. Wenn ![]() | 21 |
b) Immerhin kann kein Zweifel bestehen, dass die Dienstbarkeit den Eigentümer des belasteten Grundstücks heute härter trifft als im Jahre 1932. Während der Wert der belasteten Parzelle heute offenbar durch deren Charakter als Bauland bestimmt wird, dürfte er sich zur Zeit der Servitutsbegründung trotz der an sich gegebenen Überbaubarkeit nach ihrer Verwendung zu landwirtschaftlichen Zwecken gerichtet haben. Es darf ohne weiteres angenommen werden, dass der sich daraus ergebende Wertunterschied bedeutend ist. Ein Anwachsen der Belastung, das einzig auf das Ansteigen der Baulandpreise zurückzuführen ist, kann indessen nur mit Zurückhaltung als Grund für eine Ablösung einer Bauverbotsdienstbarkeit im Sinne von Art. 736 Abs. 2 ZGB anerkannt werden. Würde man anders entscheiden, so würde ein beträchtlicher Teil der heute bestehenden Bauverbotsdienstbarkeiten nur schon wegen der enormen Vergrösserung der Nachfrage nach Bauland, die zur Folge hat, dass die Preise für Bauland und diejenigen für Landwirtschaftsland immer weiter auseinanderklaffen, ihre Existenzberechtigung verlieren. Das gleiche gilt für viele Baubeschränkungen, wie Höherbauverbote, Villenservitute und dergleichen, die zu einer Zeit errichtet wurden, als es noch wenig öffentlichrechtliche Bauvorschriften gab und weite Teile der heutigen Vorstädte noch landwirtschaftlichen oder dörflichen Charakter hatten. Es ginge nicht an, derartige Dienstbarkeiten allein deswegen als ablösbar zu erklären, weil die belasteten Grundstücke heute auf Stadtgebiet liegen und das Interesse an einer Überbauung ohne Rücksicht auf die Dienstbarkeit entsprechend angewachsen ist oder weil die heutigen Bauvorschriften eine dichtere Überbauung gestatten als es im Zeitpunkt der Dienstbarkeitsbegründung der Fall war. Baubeschränkungs- und Bauverbotsdienstbarkeiten ![]() | 22 |
c) Eine Gutheissung der Klage könnte höchstens dann in Betracht gezogen werden, wenn das Grundstück der Klägerin wegen des darauf lastenden Bauverbots überhaupt nicht mehr vernünftig genutzt werden könnte. Das ist indessen nicht der Fall. Das belastete Grundstück liegt nicht etwa mitten in einer Stadt, sondern am Rande eines Dorfes und grenzt unmittelbar an das Landwirtschaftsgebiet. Es kann daher ohne weiteres auch in Zukunft landwirtschaftlich genutzt werden, so gut wie das benachbarte Grundstück der Beklagten. Dass eine Parzellierung und Überbauung des Grundstücks mehr einbringen würde, macht diese Art der Nutzung nicht geradezu unsinnig. Abgesehen von der landwirtschaftlichen Nutzung kann die Klägerin die mit dem Bauverbot belastete Teilparzelle auch im Rahmen der Überbauung des Restgrundstücks in einer Weise verwenden, die nach dem Zonenplan nicht notwendig in der Überbauung mit Ferienhäusern zu bestehen braucht. So kann sie etwa, wie das die in den Akten liegenden Projekte vorsehen, die Erschliessungsstrasse auf diesen ![]() | 23 |
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