BGE 107 II 396 | |||
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62. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Juni 1981 i.S. H. gegen H. (Berufung) | |
Regeste |
Sicherstellung einer der geschiedenen Ehefrau gestützt auf Art. 151 ZGB zugesprochenen Rente. | |
Sachverhalt | |
Mit Urteil vom 6. Mai 1980 schied das Bezirksgericht Arbon auf Klage der Ehefrau die Ehe der Parteien aufgrund von Art. 142 ZGB. Es verpflichtete den Beklagten, der Klägerin eine monatliche Rente von Fr. 1'200.-- gemäss Art. 151 ZGB zu bezahlen. Das von der Ehefrau gestellte Begehren um Sicherstellung dieser Rente wies es ab.
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Gegen dieses Urteil erhob der Beklagte Berufung an das Obergericht des Kantons Thurgau und beantragte, der Anspruch der Klägerin auf eine Rente sei abzuweisen. Die Klägerin erhob ihrerseits Anschlussberufung mit dem Antrag, die ihr zugesprochene Rente sei auf monatlich Fr. 2'000.-- zu erhöhen und der Beklagte sei zu verpflichten, dafür Sicherheit zu leisten.
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Das Obergericht wies die Hauptberufung mit Urteil vom 2. Oktober 1980 als unbegründet ab. Die Anschlussberufung hiess es insofern teilweise gut, als es den Beklagten verpflichtete, die Rente von Fr. 1'200.-- monatlich mit einem Kapitalwert per 2. Oktober 1980 von Fr. 150'000.-- sicherzustellen.
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Der Beklagte hat gegen diesen Entscheid beim Bundesgericht Berufung erhoben mit dem Begehren, von der Zusprechung einer Rente an die Klägerin und von deren Sicherstellung sei abzusehen. Die Klägerin und das Obergericht beantragen die Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf eingetreten werden kann.
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Aus den Erwägungen: | |
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Das Obergericht hat den Beklagten verpflichtet, die der Klägerin zu entrichtende Rente mit einem Kapitalwert von Fr. 150'000.-- per 2. Oktober 1980 sicherzustellen, wobei es die Art der zu leistenden Sicherheit nicht näher bestimmt hat. Es ist unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Kommentar BÜHLER/SPÜHLER (N. 63-67 zu Art. 151 ZGB) davon ausgegangen, eine solche Sicherstellung sei in Analogie zu Art. 43 Abs. 2 OR zu bewilligen, soweit es die wirtschaftlichen Verhältnisse des Pflichtigen erlaubten und sofern die Rentenansprüche sonst gefährdet wären. Diese beiden Voraussetzungen wurden im vorliegenden Fall bejaht. In der Berufung wird die angeordnete Sicherstellungspflicht nicht nur dem Grundsatz nach, sondern auch hinsichtlich ihrer Voraussetzungen in Frage gestellt; in dieser Beziehung wird geltend gemacht, es fehle am Erfordernis doloser Machenschaften seitens des Beklagten und dieser verfüge auch nicht über die für die Leistung einer Sicherheit erforderlichen liquiden Aktiven.
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a) Zunächst stellt sich die Frage, ob es überhaupt zulässig sei, von dem zur Bezahlung einer Rente im Sinne von Art. 151 ZGB Verpflichteten zu verlangen, dass er dafür eine Sicherheit leiste. Das Scheidungsrecht selbst enthält hierüber keine Regelung. In der Doktrin wird die Möglichkeit der Verpflichtung zu einer solchen Sicherheitsleistung im Rahmen eines Scheidungsurteils einhellig bejaht. Es sei hier insbesondere auf folgende Autoren verwiesen: BÜHLER/SPÜHLER, N. 63 ff. zu Art. 151 ZGB; EGGER, N. 1 a.E. zu Art. 153 ZGB; GMÜR, N. 3 zu Art. 153 ZGB; HINDERLING, Das schweiz. Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 130; DESCHENAUX/TERCIER, Le mariage et le divorce, 2. Aufl., S. 119, Ziff. 4.3.3; T. ESENER, L'obligation de réparer les préjudices résultant du divorce en droit suisse, Genfer Diss. 1951, S. 111/112, mit weiteren Literaturhinweisen; V. SCHWANDER, Die Entschädigung wegen Eheauflösung nach Art. 151 Abs. 1 ZGB, Freiburger Diss. 1937, S. 110/111. Das Bundesgericht hat sich bisher noch nie zu dieser Frage ausgesprochen. Das Zürcher Obergericht hingegen hat die Sicherstellungspflicht bezüglich einer Entschädigungsrente in einem älteren Entscheid bejaht (ZR 35/1936 Nr. 102).
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Im angeführten Schrifttum wird vielfach auf Art. 43 Abs. 2 OR hingewiesen und dessen analoge Anwendung im Scheidungsrecht bejaht. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut: "Wird Schadenersatz in Gestalt einer Rente zugesprochen, so ist der Schuldner gleichzeitig zur Sicherheitsleistung anzuhalten." Es fragt sich, ob diese Vorschrift nicht aufgrund der Verweisung in Art. 7 ZGB auf Renten gemäss Art. 151 ZGB anwendbar sei. Nach Art. 7 ZGB finden die allgemeinen Bestimmungen des Obligationenrechts über die Entstehung, Erfüllung und Aufhebung der Verträge auch Anwendung auf andere zivilrechtliche Verhältnisse. Dabei handelt es sich aber nur um eine entsprechende Anwendung, was im Entwurf zum ZGB noch ausdrücklich vorgesehen und erst von der Redaktionskommission fallen gelassen worden war (H.-P. FRIEDRICH, N. 50 zu Art. 7 ZGB; GIESKER-ZELLER, ZSR 30/1911 S. 154). Dies bedeutet, dass die besondern Verhältnisse des streitigen Rechtsgeschäfts bei der Anwendung der obligationenrechtlichen Vorschriften zu berücksichtigen sind (BGE 49 II 157).
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GMÜR, N. 3 zu Art. 153 ZGB, verneint die Anwendbarkeit von Art. 43 Abs. 2 OR mit der Begründung, dass nach dem Wortlaut von Art. 7 ZGB die obligationenrechtlichen Regeln über die unerlaubten Handlungen auf dem Gebiet des ZGB keine subsidiäre Geltung beanspruchen könnten. Bei dieser sehr engen Auslegung wird aber übersehen, dass die Beschränkung der Verweisung auf das Vertragsrecht eher zufälligen Charakter hat (GIESKER-ZELLER, a.a.O.) und dass sich zudem im Vertragsrecht des OR selber keine abschliessende Regelung über die Bemessung und Art der Schadenersatzleistung findet; aufgrund von Art. 99 Abs. 3 OR muss angenommen werden, dass diesbezüglich für das gesamte Vertragsrecht ebenfalls auf die Bestimmungen über die unerlaubten Handlungen zurückgegriffen werden muss. Unter diesen Umständen ist aber Art. 7 ZGB richtigerweise so auszulegen, dass Art. 43 Abs. 2 OR auch im Rahmen des ZGB entsprechende Anwendung finden soll, wo es um die Leistung von Schadenersatz geht (in diesem Sinne auch FRIEDRICH, N. 38 a.E. zu Art. 7 ZGB, und DESCHENAUX, Der Einleitungstitel, in Schweiz. Privatrecht, Bd. II S. 53/54; vgl. auch ESENER, a.a.O. S. 112).
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b) Anlässlich der im Jahre 1976 erfolgten Revision des Kindesrechts wurde eine neue Bestimmung in das ZGB aufgenommen, welche die Sicherstellung künftiger Unterhaltsbeiträge der Eltern für die Kinder ausdrücklich ermöglicht. Es handelt sich um Art. 292 ZGB, welcher vorsieht, dass der Richter die Eltern verpflichten kann, für die künftigen Unterhaltsbeiträge angemessene Sicherheit zu leisten, wenn die Eltern beharrlich die Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht vernachlässigen oder wenn anzunehmen ist, dass sie Anstalten zur Flucht treffen oder ihr Vermögen verschleudern oder beiseite schaffen. Diese Bestimmung wurde ins Gesetz aufgenommen, weil nach dem früheren Recht, das keine Regelung über die Sicherstellungspflicht der Eltern enthielt, die Auffassung bestand, das Gesetz lasse es nicht zu, Eltern gegen ihren Willen zur Sicherstellung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder zu verpflichten (HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, S. 125; ZVW 1971, S. 154 ff.). Daraus kann nun aber nicht gefolgert werden, auch im Scheidungsrecht bestehe die gleiche Rechtslage und das Gesetz lasse mangels einer ausdrücklichen Bestimmung die Sicherstellung von Scheidungsrenten nach Art. 151 ZGB nicht zu.
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Gegen einen solchen Schluss spricht nämlich die unterschiedliche Rechtsnatur der beiden Arten von Unterhaltsbeiträgen. Eltern, die an den Unterhalt eines nicht unter ihrer Obhut stehenden Kindes Beiträge leisten, erfüllen damit die ihnen gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht (Art. 276 Abs. 2 ZGB). Ein Ehegatte, der anlässlich der Scheidung verpflichtet wird, dem andern eine Rente gemäss Art. 151 ZGB zu bezahlen, leistet hingegen eine Entschädigung für Ansprüche, die der Berechtigte infolge der Scheidung verliert. Es handelt sich somit dabei um eine Art von Schadenersatz. Art. 43 OR, der die Bestimmung des Schadenersatzes regelt, lässt sich daher auf Entschädigungsleistungen gemäss Art. 151 ZGB anwenden, nicht aber auf die Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern. Aus diesem Grunde konnte die im OR geregelte Sicherstellungspflicht für Schadenersatz in Rentenform auf Unterhaltsbeiträge für Kinder gestützt auf die Verweisung in Art. 7 ZGB nicht angewendet werden. Aus der Aufnahme einer besonderen Regelung in das Gesetz kann daher nicht abgeleitet werden, ohne ausdrückliche gesetzliche Bestimmung sei auch die Verpflichtung zur Sicherstellung einer Rente gemäss Art. 151 ZGB unzulässig.
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c) Nach Art. 43 Abs. 2 OR ist der Schuldner, der Schadenersatz in Gestalt einer Rente zahlen muss, gleichzeitig zur Sicherheitsleistung anzuhalten. Es wäre nun aber kaum zu rechtfertigen, diese Bestimmung genau nach ihrem Wortlaut auf das Familienrecht zu übertragen und Ehegatten, die anlässlich der Scheidung zu Rentenleistungen im Sinne von Art. 151 ZGB verurteilt werden, voraussetzungslos zur Sicherstellung dieser Rentenzahlungen zu verpflichten. Wie bereits dargelegt, kann es sich nur um eine entsprechende Anwendung von Art. 43 Abs. 2 OR auf diese Rechtsverhältnisse handeln. Es erscheint deshalb als angezeigt, die aus Art. 43 Abs. 2 OR in Verbindung mit Art. 7 ZGB abgeleitete Sicherstellungspflicht grundsätzlich an die von BÜHLER/SPÜHLER, N. 63 zu Art. 151 ZGB, erwähnten Voraussetzungen zu knüpfen, wie dies auch die Vorinstanz getan hat. Es muss somit eine konkrete Gefährdung der Erfüllung der Rentenzahlungspflicht nachgewiesen sein, damit der Scheidungsrichter eine Sicherheitsleistung anordnen kann. Eine solche ist u.a. dann gegeben, wenn der Richter die Überzeugung gewinnt, es sei dem geschiedenen Ehemann zuzutrauen, dass er Vermögen auf die Seite schaffe, um der Ehefrau die Rente nicht zahlen zu müssen. Es sind aber auch noch andere Gefährdungstatbestände denkbar, ähnlich wie etwa die in Art. 292 ZGB aufgeführten. Ebenso muss angenommen werden können, dass der rentenpflichtige Ehegatte zur Leistung einer Sicherheit überhaupt in der Lage ist, ansonst die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung kaum einen Sinn hat. Damit entsprechen die Voraussetzungen der Sicherstellungspflicht für Renten gemäss Art. 151 ZGB im wesentlichen denjenigen, welche Art. 292 ZGB für Unterhaltsbeiträge an Kinder aufgestellt hat.
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d) Wird der vorliegende Fall aufgrund der bisher dargelegten Erwägungen beurteilt, so ergibt sich zunächst, dass der Beklagte die Möglichkeit der Sicherstellung der ihm auferlegten Rentenleistung zu Unrecht dem Grundsatz nach bestreitet. Aber auch die Voraussetzungen der Sicherstellungspflicht durfte die Vorinstanz hier bejahen, ohne damit Bundesrecht zu verletzen. Im angefochtenen Urteil wird festgestellt, aufgrund verschiedener vom Beklagten während des Prozesses getroffener Massnahmen wie Erhöhung von Hypotheken, Verkäufen von Aktiven an Dritte usw. müsse für die Zukunft mit ähnlichen Transaktionen gerechnet und deshalb eine Gefährdung der Rentenansprüche der Klägerin angenommen werden. In der Berufung wird dieser Argumentation entgegengehalten, dem Beklagten könnten keine dolosen Machenschaften zum Nachteil der Klägerin vorgeworfen werden. Damit setzt sich der Beklagte jedoch in Widerspruch zur Feststellung der Vorinstanz, sein Verhalten im Laufe des Verfahrens gebe Anlass zur Befürchtung, dass er in Zukunft sein Vermögen beiseite schaffen könnte. Diese Schlussfolgerung beruht auf einer Beweiswürdigung und kann deshalb vom Bundesgericht nicht überprüft werden. Ist aber davon auszugehen, dass nicht ausgeschlossen werden kann, der Beklagte könnte sein Vermögen allenfalls beiseite schaffen, durfte eine Gefährdung der Rentenansprüche der Klägerin bejaht werden.
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Etwas schwieriger ist die Frage zu beurteilen, ob angenommen werden durfte, der Beklagte sei in der Lage, die ihm auferlegte Sicherstellungspflicht zu erfüllen. Die Vorinstanz wies in diesem Zusammenhang auf zwei amtlich beschlagnahmte Schuldbriefe hin. In der Berufung wird dagegen eingewendet, der Beklagte werde diese Schuldbriefe belehnen lassen müssen, um den güterrechtlichen Anspruch der Klägerin erfüllen zu können; sämtliche Aktien seiner beiden Firmen habe er sodann für Bankdarlehen hinterlegen müssen, und über andere liquide Aktiven verfüge er nicht. Es würde jedoch zu weit führen, wenn in Verhältnissen wie den vorliegenden verlangt werden wollte, die Verpflichtung zur Sicherstellung setze eine genaue Abklärung aller Möglichkeiten der Sicherheitsleistung voraus. Es muss genügen, dass der Beklagte immer noch über ein erhebliches Vermögen verfügt und dass eine Sicherstellung jedenfalls nicht zum vorneherein als unmöglich erscheint. Im übrigen hat die Vorinstanz bewusst davon abgesehen, die Art der Sicherstellung im Urteil vorzuschreiben. Sie hat dem Beklagten damit die Wahl der Sicherstellungsart überlassen (vgl. dazu von TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweiz. OR, Bd. I, S. 141) und ihm so einen gewissen Spielraum eingeräumt. Inwieweit die Erfüllung der Sicherstellungspflicht erzwungen werden kann, wird ohnehin erst ein allfälliges Vollstreckungsverfahren ergeben.
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Was schliesslich den betragsmässigen Umfang der angeordneten Sicherstellungspflicht anbetrifft, werden in der Berufung keine Einwendungen erhoben. Es erübrigt sich deshalb, zur Berechnungsweise der Vorinstanz Stellung zu nehmen.
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e) Mit dem Verzicht, die Art der Sicherstellung im Urteil selber zu bestimmen, hat sich die Vorinstanz in Widerspruch zu der vor allem von BÜHLER/SPÜHLER, N. 65 zu Art. 151 ZGB, vertretenen Lehrmeinung gesetzt, wonach über diese Frage vom erkennenden Richter zu entscheiden sei. Auch OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, Bd. I, 4. Aufl., S. 214, vertritt die Auffassung, die Art der Sicherstellung sollte im Urteil bestimmt werden, um Streitigkeiten zu vermeiden. Wie das Bundesgericht jedoch bereits vor mehr als 70 Jahren entschieden hat, ist es in erster Linie Sache der Parteien, dem Gericht zu beantragen, auf welche Weise Sicherheit geleistet werden soll (BGE 35 II 414 E. 7). Im angefochtenen Urteil wird diesbezüglich festgehalten, dass die Klägerin hiezu kein Begehren gestellt hat. Unter diesen Umständen fällt der Vorinstanz keine Bundesrechtsverletzung zur Last, wenn sie davon abgesehen hat, diese Frage in ihrem Urteil zu regeln. Die Bestimmung der Sicherstellungsart wird somit im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens erfolgen müssen, wenn sich die Parteien hierüber nicht vorgängig sollten verständigen können (zur Betreibung auf Sicherheitsleistung vgl. insbesondere Art. 38 Abs. 1 und 69 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG sowie BGE 62 III 121).
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