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78. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Oktober 1981 i.S. G. gegen Regierungsrat des Kantons Bern (Berufung) | |
Regeste |
Art. 57 Abs. 5 OG. Ausnahme von der Regel (E. 1). |
Wird dem Vater oder der Mutter das Recht auf persönlichen Verkehr mit ihrem unmündigen Kind von der Vormundschaftsbehörde gestützt auf Art. 274 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 275 Abs. 1 ZGB entzogen, so können sie dagegen nicht Berufung beim Bundesgericht einlegen, weil keine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 44 OG vorliegt (E. 2). | |
Sachverhalt | |
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Mit Schreiben vom 20. August 1979 ersuchte G. die ![]() | 2 |
G. erhob gegen diesen Beschluss beim Regierungsstatthalter Beschwerde, die am 8. Mai 1980 abgewiesen wurde.
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Diesen Entscheid zog G. an den Regierungsrat des Kantons Bern weiter, welcher die Beschwerde mit Entscheid vom 8. Oktober 1980 abwies.
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G. führt Berufung an das Bundesgericht mit den Anträgen, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben und das Besuchsrecht gegenüber seinem Sohn T. sei ihm wieder einzuräumen.
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Der Berufungskläger hat den Entscheid des Regierungsrates gleichzeitig mit einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV angefochten.
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Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.
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Aus den Erwägungen: | |
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Im vorliegenden Fall beschwert sich der Berufungskläger darüber, dass ihm sein Besuchsrecht gegenüber seinem Sohn T. entzogen worden ist. Mit der Berufung behauptet er die Verletzung von Art. 273 und 274 ZGB, und mit der staatsrechtlichen Beschwerde rügt er die willkürliche Anwendung dieser Bestimmungen. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher nicht gegeben, sofern die Berufung zulässig ist. Es ist demnach - in Abweichung von der Regel - zunächst zu prüfen, ob auf die Berufung überhaupt eingetreten werden kann.
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2. a) Nach Art. 273 ZGB haben die Eltern Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr mit dem unmündigen Kind, das nicht unter ihrer Gewalt oder Obhut steht. Rechtliche Grundlage ![]() | 10 |
b) Anordnungen über den persönlichen Verkehr im Sinne von Art. 273 ZGB hat die Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz des Kindes zu treffen (Art. 275 Abs. 1 ZGB). Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob diese Anordnungen der Vormundschaftsbehörde letztinstanzlich an das Bundesgericht weitergezogen werden können. Der Anspruch der Eltern auf persönliche Beziehungen mit ihrem Kind ist offensichtlich nicht vermögensrechtlicher Natur. In nicht vermögensrechtlichen Zivilsachen kann nach Art. 44 OG beim Bundesgericht nur Berufung erhoben werden, wenn eine Zivilrechtsstreitigkeit oder einer der in lit. a-f abschliessend aufgezählten Fälle vorliegt.
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Ein Zivilrechtsstreit im Sinne dieser Bestimmung besteht nach ständiger Rechtsprechung in einem kontradiktorischen Verfahren zwischen zwei oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen als Trägerinnen privater Rechte oder zwischen solchen Personen und einer nach Bundesrecht die Stellung einer Partei besitzenden Behörde, das sich vor dem Richter oder einer andern Spruchbehörde abspielt und auf die endgültige, dauernde Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse durch behördlichen Entscheid abzielt (BGE 104 II 164 /65 E. 3b, 103 II 317 E. 2c, 101 II 359 und 368/69 E. 2a, je mit Hinweisen).
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Werden diese Kriterien auf den vorliegenden Fall angewendet, so zeigt sich, dass die Vormundschaftsbehörde gestützt auf Art. 275 ZGB nicht über zivilrechtliche Beziehungen zwischen einer Person, welche die Anerkennung ihres Besuchsrechts verlangt (Eltern des Kindes oder Drittperson im Sinne von Art. 274a ZGB), und einer andern sich diesem Begehren widersetzenden ![]() | 13 |
Zwar hat das Besuchsrecht auch Auswirkungen auf die Stellung derjenigen Person, welche die elterliche Gewalt oder die Obhut über das Kind besitzt. Diese muss das Besuchsrecht des andern Elternteils oder der Drittperson respektieren und darf dessen Ausübung nicht behindern (Art. 274 Abs. 1 ZGB). Anderseits hat sie auch der Vormundschaftsbehörde Anzeige zu erstatten, wenn das Wohl des Kindes durch den Verkehr mit dem andern Elternteil oder der Drittperson beeinträchtigt wird (Art. 274 Abs. 2 ZGB). Aber die elterliche Gewalt oder die Obhut wird durch das Besuchsrecht nicht eingeschränkt. Es kann daher auch kein Rechtsstreit entstehen zwischen den Inhabern dieser beiden Rechte. Auch daraus folgt, dass kein Zivilrechtsstreit vorliegt.
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Dazu kommt, dass das Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr mit dem Kind den Eltern zwar um ihrer Persönlichkeit willen zusteht. Doch handelt es sich dabei nicht um ein reines subjektives Recht (vgl. HEGNAUER, a.a.O. S. 129). Nicht das Interesse der Eltern steht im Vordergrund, sondern es geht in erster Linie um das Wohl des Kindes. Wenn das Wohl des Kindes es verlangt, muss das Recht auf persönlichen Verkehr verweigert oder entzogen werden (Art. 274 Abs. 2 ZGB). Entscheidend ist somit das Interesse des Kindes und nicht dasjenige der Eltern. Die Vormundschaftsbehörde hat über das Wohl des Kindes zu wachen und seine Interessen wahrzunehmen ohne Rücksicht auf die Stellungnahme der Eltern (Art. 275 Abs. 1 und 274 Abs. 2 ZGB). Diese Aufgaben der Vormundschaftsbehörde gehören aber ihrem Wesen nach zur freiwilligen Gerichtsbarkeit (zum Wesen der freiwilligen Gerichtsbarkeit vgl.: HABSCHEID, Droit judiciaire privé suisse, 2. Aufl., S. 84 ff.; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 42 ff.; GULDENER, Grundzüge der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Schweiz, S. 9 ff.). Es ist gerade ein Zeichen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit, dass eine Gegenpartei fehlt. Die ![]() | 15 |
An diesem Ergebnis vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass die Regelung des Besuchsrechts im Zusammenhang mit der Scheidung, Trennung oder Ungültigerklärung der Ehe (Art. 156 und 133 ZGB) bzw. die Abänderung dieser Regelung (Art. 157 ZGB) mit der Berufung beim Bundesgericht angefochten werden kann. Der Scheidungsrichter hat das Besuchsrecht desjenigen Elternteils, dem die Kinder nicht zugesprochen werden, festzulegen, weil dieses Recht unmittelbar mit der Auflösung oder der Trennung der Ehe zusammenhängt. Es erscheint daher als eine Nebenfolge eines nicht vermögensrechtlichen Zivilrechtsstreites vor einer richterlichen Behörde, weshalb die Berufung zulässig sein muss.
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